- die Definition des "marktaktiven Leerstandes" scheint mir schwammig
Ich habe die Definition und die Zahlenangaben aus dem aktuellen Monitoringbericht Wohnen 2011 übernommen, auf den auch in der Antwort zur Anfrage Nr. V/OB 540 vom 22.02.2012 verwiesen wird.
- der Immobilienmarkt ist flexibel: höhere Nachfrage läßt die Preise steigen -> damit wird das Angebot wachsen
Ist das wachsende Angebot die einzige zu erwartende Auswirkung steigender Preise oder sind kurz- bis langfristig auch andere, negative Folgen damit verbunden (Verdrängung, Segregation ...)?
- die Leute suchen zentrale Wohngebiete mit hochwertiger sozialer, technischer, verkehrlicher
und einkauftechnischer Infrastruktur - auch hier ist die Platte außen vor
- zuzügler suchen sich andere stadtteile
Was passiert mit den nicht wenigen Menschen, die sich die zentralen Wohngebiete demnächst nicht mehr leisten können oder die aufgrund Überschreiten der KdU-Richtlinien zum Auszug in den zentralen Wohngebieten gezwungen werden?
Zuzügler_innen mit höherem Einkommen als die bisher dort ansässige Bevölkerung führen in den allermeisten Fällen dazu, dass die erzielbaren und damit auch von den Vermieter_innen aufgerufenen Mieten in diesen Wohngebieten steigen. Das ist der Lauf der Dinge, die mit dem Schlagwort Gentrifizierung beschrieben und hier in den letzten Tagen und Wochen intensiv diskutiert werden. http://www.deutsches-architekt…um/showthread.php?t=10077
Natürlich sind das langsame Prozesse, zunächst werden sie vor allem bei den stiegenden Neuvermietungsangeboten deutlich sichtbar. Aber insgesamt und anhand von Einzelfällen wurde es hier bereits für das Waldstraßenviertel, Bachstraßen- und Musikviertel sowie Gohlis und Südvorstadt angesprochen. Beobachtbar sind ähnliche Prozesse nun auch in Connewitz, Plagwitz, den südlichen Teilen Lindenaus (zwischen Lützner Str. und Karl-Heine-Straße) und Reudnitz. Gerade für den Leipziger Westen ist eine Domino-Gentrifizierung feststellbar, also Umzugsketten-Aufwertungen, bei denen die Verdrängten aus den bereits vollständig gentrifizierten Gebieten (Schleußig, Waldstraßen- und Bachstraßenviertel) zugleich Aufwertungsakteure in den noch nicht oder weniger stark gentrifizierten Nachbarschaften (Plagwitz, Lindenau, Kleinzschocher) sind.
Schon an anderer Stelle wurde die Frage gestellt, wohin das für Menschen führt, die am Ende der Umzugskette stehen. Meine Antwort ist weiterhin mit Blick auf Berlin und andere Städte: In die Großwohnsiedlungen am Stadtrand, speziell für den Westen nach Grünau. Ich wünsche mir natürlich eine andere Entwicklung, aber solange von vielen Menschen, insbesondere Entscheidungsträger_innen, das Problem noch nicht mal als solches gesehen wird, wird es auch kein Gegensteuern geben. Und die Diskussionen in anderen Städten zeigen ja, das es auch keine Patentlösung gibt und selbst als relativ drastisch bewertete und daher natürlich auch umstrittene Maßnahmen wie Milieuschutz und Erhaltungssatzen die Segregations- und Gentrifizierungsprozeße nur verzögern und abmildern, aber nicht abwenden können.
- trotz aufgeregter gentrifizierungsdebatte "muss" kaum jemand nach grünau umziehen
Da sind mir aus glaubhaften persönlichen Schilderungen unter anderem von aktuellen Gesprächen nach einer Mieterhöhung mit der zuständigen Bearbeiterin im Jobcenter bereits eine ganze Reihe anderer Fälle bekannt. Gerade Grünau und Paunsdorf werden auf den dortigen Fluren in letzter Zeit häufiger genannt. Wende Dich bitte mal an Sozialberatungsstellen und frage dort nach, wie deren Einschätzung ist. Die sich in Zukunft wohl noch verschärfende Situation erinnert mich sehr stark an Jena vor einigen Jahren, als nicht wenigen arbeitlos gewordenen Jungakademiker_innen, oft mit kleinen Kindern, als einzige Möglichkeit der Umzug nach Lobeda oder Winzerla eröffnet wurde.
- der grünauer altersdurchschnitt von 49 jahren ist wenig aussagekräftig (schon eine familie mit drei kindern kann das durchschnittsalter eines halbleeren hauses statistisch in den grünen bereich ziehen. das ändert dann aber nichts daran, dass in den übrigen wohungen rentner leben. noch.)
Das eine Durchschnittszahl, das sie, wenn sie auf einzelne Häuser runtergebrochen wird, auch mal zu nicht zutreffenden Schlüssen führen kann, mag so sein. Dies ist problemlos mit dem Fehler der kleinen Zahl zu begründen. Aber man kann nicht einen Durchschnitt mit dem Verweis auf diese Fälle einfach wegdiskutieren, denn in der Masse behält er natürlich seine Gültigkeit.
Wir reden von Ende 2011 47.271 wohnberechtigten Einwohner_innen, also solchen mit Haupt- und Nebenwohnsitz in Grünau (Stadtbezirk West minus Miltitz). Der Altersdurchschnitt liegt bei 49,1 Jahren und ist (stadtweit) am höchsten in Grünau-Ost mit 54,7 Jahren. Andere Stadtbezirke weisen ganz ähnliche Zahlen auf, etwa Nordost mit 48,0 oder Nordwest mit 46,1. Aber spricht in Leipzig jemand vom demnächst aussterbenden Thekla (52,8), Sellerhausen-Stünz (50,3), Mölkau (50,6), Probstheida (51,0), Großzschocher (50,8) oder Gohlis-Nord (51,5)?
Außerdem wird das deutlich geringere Durchschnittsalter etwa in Schleußig von 35,1 Jahren regelmäßig und ja auch durchaus berechtigt auf die hohe Zahl von jungen Familien mit Kindern zurückgeführt. Aber soll nun ein Argument nur noch dort gelten dürfen, wo es einem selbst paßt?
- innerhalb der Kernstadt gibt es ein riesiges Neubaupotential auf Brach-/Leerflächen
Berlin hat mit 3.500.000 Einwohner_innen ( Fortgeschriebene Bevölkerungszahlen vom 30. November 2011 des Amtes für Statistik Berlin-Brandenburg: http://www.statistik-berlin-br…1-01-00_124_201111_BE.pdf ) gut 6,6 mal mehr als Leipzig. Zuwanderung, der Druck auf den Wohnungsmarkt, durchschnittliche Neubelegungsmieten und vieles anderes mehr sind deutlich höher ( http://www.morgenpost.de/berli…zahl-auf-Rekordstand.html ). Die neue Regierung strebt durchschnittlich 6000 neue Wohnungen im Jahr an, der Wohnungsmarktexperte Harald Simons vom Institut Empirica fordert 10.000 Wohnungen pro Jahr und das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung sogar 12.000 ( http://gentrificationblog.word…er-statt-wohnungspolitik/ ). Mit der gleichen Bauleistung bzw. den Bauwillen wie in Berlin wären das 1000 bis 2000 neue Wohnungen in Leipzig. 1000 Wohnungen im Jahr wurden bereits in etwa 2005 bis 2008 jährlich fertiggestellt, davon etwa die Hälfte in bestehenden Gebäuden. 2009 waren es sogar 1.290 Wohnungen, davon 817 in bestehenden Gebäuden.
Welche konkreten Erwartungen hegt ihr/hegen Sie für die Baufertigstellungen insgesamt in den nächsten Jahren und dabei insbesondere im Neubau von Mehrfamilienhäusern? Welchen Einfluß hat das auf die von mir aufgestellte Prognose, das Leipzig spätestens in vier Jahren "voll" ist?
und noch eine anmerkung: ehemalige fabriken, schulen oder kasernen, die zu wohnanlagen umgebaut werden, tauchen vorher in gar keiner wohnungsbestandsstatistik auf. von daher lässt sich die zahl künftiger wohnungszugänge aus derzeit noch unsaniertem altbaubestand dann doch nicht so leicht berechnen.
Neue Wohnungen in Nichtwohngebäuden erscheinen natürlich auch in der Statistik, sowohl bei den Baufertigstellungen als auch bei den Baugenehmigungen.
Aber von welchen Größenordnungen reden wir hier?
- Koffer- und Lederwarenfabrik Moritz Mädler in Lindenau: 58 komfortable Eigentumswohnungen für etwa 2500 Euro pro Quadratmeter: http://www.deutsches-architekt…d.php?p=331654#post331654
- Druckerei Senefelder Str. 13-17: 13 Wohnungen im Loft-Stil: http://www.deutsches-architekt…hp?p=291790&postcount=122
- Wagenfabrik Friedrich Trebst in der Gustav-Mahler sowie Friedrich-Ebert-Straße: 19 Wohnungen, davon die meisten bereits in einem Wohnhaus: http://www.bauart.ag/images/st…pose%2020110426%20web.pdf
- Offizin Haag-Drugulin, Salomonstraße 7: 29 sehr große Eigentumswohnungen im Loftstil
- Aromafabrik: ca. 30 Wohnungen: http://aroma-fabrik.de/media/d…/TechnischeBroschuere.pdf
Eher Ausnahmen sind Projekte wie
- Interdruck in der Salomonstraße 2-4 mit 131 Wohnungen, zum Teil kleinen Apartments für Single oder Senioren, zum Teil große Maisonette-Quartiere mit eigenem Garten für Familien
- die ehemaligen Körting-Radio-Werke, später RFT, in Stötteritz mit 200 Eigentumswohnungen: http://www.deutsches-architekt…d.php?p=314338#post314338
-„Venezia“ im Hochbau Mitte der Buntgarnwerke an der Nonnenstraße: 125 Wohnungen (ebd.)
Wieviele dieser Wohnungen werden Mietwohnungen, die nicht im obersten Preissegment liegen? Ziehen in den nächsten Jahren fast ausschließlich Reiche nach Leipzig? Ist nicht eher eine durchschnittliche Einkommensverteilung zu erwarten bzw. sind es nicht sogar eher einkommensarme Haushalte wie Studierende, Azubis, junge Familien und "Flüchtlinge" aus den Metropolen? Wieviele neue Wohnungen werden für deren Geldbeutel jährlich entstehen?