Hospitalviertel (Sammelthread)

  • Den Artikel und vor allem die Diskussion darüber finde ich jetzt weniger lächerlich. Lächerlich (und sogar ein bisschen provinziell) finde ich den Glauben, mit gesichtslosen (!) Neubauten Urbanität generieren zu können.


    Am lächerlichsten ist dann allerdings doch der Antrag aufs Weltkulturerbe (sofern das wirklich stimmt).

  • Vielen Dank für den Artikel-Link, Saxonia. Es ist wirklich eine Schande wie die Stadt mit ihrem (bau-)historischen Erbe umgeht; was der Krieg nicht erledigt hat, das erledigt man selbst. Es ist absolut pervers. Es liegt aber am Gesetzgeber das Erfordernis des "stadtbildprägens" im Denkmalschutz zu verankern. Solange die Bürger keinen Druck ausüben wird - so fürchte ich - in dieser Hinsicht jedoch überhaupt nichts geschehen.

  • Das ist wirklich krass, ich habe erst jetzt durch das APH von der Geschichte erfahren. Die Effektivität des Denkmalschutzes im Schwabenländle ist durch Personalausdünnung mittlerweile tatsächlich auf einen Stand zurückgefahren, der den Zeiten vor der Einführung der Denkmalschutzgesetze entspricht. Die Denkmalschutzbehörde kann eigentlich geschlossen zurücktreten.


    Wenn man mal bedenkt, was in Stuttgart im 20. Jahrhundert alles abgegangen ist und dann noch unter Klett abgegangen worden ist frage ich mich ernsthaft, wie man es gesunden Verstandes dann im Jahr 2012 verteidigen (!) kann, dass sowas dann auch noch verschwindet. Manche sollten sich mal fragen, wozu der Denkmalschutz dient, nämlich dem Erhalt materieller Zeugnisse von Geschichte. Und wie schon angesprochen hat es Stuttgart leider verdammt nötig, daran erinnert zu werden, dass es bis 1945 eine der bedeutendsten oberdeutschen Fachwerkstädte überhaupt war.


    Bis auf den Fernsehturm und ein paar vereinzelte Bauten der klassischen Moderne sehe ich jedenfalls nichts in Stuttgart – übrigens explizit als jemand, der auch moderne Architektur wie die Wolkenkratzer meiner Heimatstadt schätzt – was jetzt besonders identitätsstiftend wäre. Und das Neubauprojekt hier ist nun ganz sicher nicht der große Wurf zu einer neuen Identität, wie auch immer die aussehen möge, die die Schwere dieses Abbruchs rechtfertigt.


    Grandios in dem Zusammenhang ist in der Debatte hier ja auch der Verweis auf die Provinz, die man sich suchen solle, wenn man Identität oder Fachwerk suche. Es ist aber schon klar, dass Denkmalschutzgesetze auf Landesebene gelten, oder? Das heißt, die gleichen Gesetze mal konsequent auf Tübingen, Esslingen oder Heidelberg angewandt und schön nachqualifiziert, ergäbe wahrscheinlich auch reichlich heiße Kandidaten für neue Bürohäuser mitten der Altstadt.

  • Grandios in dem Zusammenhang ist in der Debatte hier ja auch der Verweis auf die Provinz, die man sich suchen solle, wenn man Identität oder Fachwerk suche. Es ist aber schon klar, dass Denkmalschutzgesetze auf Landesebene gelten, oder? Das heißt, die gleichen Gesetze mal konsequent auf Tübingen, Esslingen oder Heidelberg angewandt und schön nachqualifiziert, ergäbe wahrscheinlich auch reichlich heiße Kandidaten für neue Bürohäuser mitten der Altstadt.

    Für Tübingen, Esslingen oder Heidelberg steht das doch gar nicht zur Debatte. Niemand will dort die Altstädte durch Moderne zerstören.


    Ich finde ja Deine Einstellung grundsätzlich gut, aber die Fachwerkstadt Stuttgart ist augenscheinlich für immer verloren. Der Erhalt solch eines verputzten Einzelhauses im Schatten von Sichtbeton im recht verhunzten Hospitalviertel wäre vielleicht ein Zeugnis, aber ein sehr trauriges und hat rein gar nichts mit Fachwerkhäusern in bekannten wie unbekannten schönen Altstädten zu tun.


    Identitätsstiftend sind in Stuttgart die Halbhöhen samt Villen, herrliche Aussichtspunkte, manches Grün, große Gründerzeitviertel und die Schlösser. Fachwerk leider nicht mehr, ebenso wie Stuttgart nur recht bescheidene Kirchen besitzt.

  • nun was den erhalt von altem baubestand angeht so zieht sich das wie ein roter faden durch die letzten jahrzehnte. ob königsbau, marstall, garnisonskirche, die häuser an der willi brandt strasse, der verhunzte wiederaufbau des rathauses etc. etc., je mehr man abreisst desto weniger identität besitzt die stadt und desto einfacher lässt sich argumentieren dass bestimmte areale oder gebäudetypen nicht mehr identitätsstiftend sind. man kann nur froh sein dass im zuge der autogerechten stadt nicht wie damals von seiten der stadt angedachte abriss der markthalle, des neuen+alten schlosses durchgezogen wurde.


    Viele Vergleiche von früher und heute hier zu finden:


    Quelle: http://www.skyscrapercity.com

  • "Wie ein Roter Faden" scheint mir doch etwas übertrieben.


    Die Königsbaulösung ist m.E. ganz gelungen sowie die ganze Königstraße eher aufgewertet wurde. An der willi brandt strasse beschränkte sich der Beitrag der Möchtegern-Bewahrer mal wieder auf Worte, Kritik und Besetzung. Keinerlei Konstruktivität. Die Anderen sollten es wieder mal richten, die Vorstellungen der Kritiker umzusetzen.


    Rathaus/Marktplatz sind natürlich schlimm, aber Du deutest ja selbst an, was alles erhalten wurde, und das sind zum Glück doch mehrheitlich die wichtigen Gebäude. Wahrscheinlich ist es eben doch nicht reiner Zufall/reines Glück wie etwas suggeriert, daß ausgerechnet Schlösser, Markthalle u.ä. erhalten wurden.


    Ähnlich ist es auch beim Bahnhof kein Zufall, daß Hauptgebäue erhalten und Seitenflügel abgerissen werden.

  • (Andere waren schneller, aber mein Aufsatz hat leider etwas länger gedauert...)


    Ohlsen
    Du kannst aber nicht per se sagen, dass ein neu gebautes Gebäude einer Stadt automatisch weniger Identität verleiht.


    Im Grunde ist doch nämlich ausschlaggebend, was die Leute in einem Gebäude sehen bzw. was sie damit verbinden. Nimm mal das alte World Trade Center oder auch den Burj Khalifa. Alle Gebäude waren und sind Neubauten und doch würde ich mal sagen, dass diese Gebäude durchaus identitätstiftend sind. Das alte World Trade Center kannte jeder und es war ein gewaltiger Landmark in New York. Und das, obwohl es eigentlich nur aus zwei schnörkellosen, hochgezogenen Kästen bestand, also sozusagen moderne Investoren-Architektur in Reinform war.


    Wenn ich jetzt mal die Definition aus Wikipedia herausnehme, dann hat Identität mit Unterscheidung zu tun und dass damit etwas nur als Teil eines Ganzen Identität erlangen kann. Ohne das Ganze kann nämlich eine Unterscheidung nicht stattfinden.


    Um jetzt wieder auf Stuttgart zurückzukommen: wenn wir Identität als Ergebnis von Unterscheidung definieren (hier auf Ebene der Städte), dann wird klar, dass ein altes Gebäude oder ein Imitat eines alten Gebäudes der Stadt nicht mehr Identität verleiht, weil es die Stadt im Vergleich zum Rest nicht unterscheidbarer macht. In Deutschland gibt es nämlich sehr viele Städte mit alter Architektur, Stuttgart wird durch ein paar Neubauten im alten Stil plötzlich nicht eine Stadt mit mehr Identität. Und ein paar kleine Gebäude im alten Stil bringen dabei auch nicht viel, weil sie das Ganze (in diesem Fall Stuttgart als Ganzes) nur relativ wenig beeinflussen. Hier müsste dann schon wie im Stile anderer Großstädte ein großes Hochhaus her (man denke dazu an die Petronas Towers in Kuala Lumpur) oder etwas im alten Stil, das aber monumental groß ist.


    Und damit sind wir doch jetzt bei einem weniger greifbaren, wenngleich in meinen Augen viel größerem Grundproblem, das über die Architektur hinausgeht: egal, welche Gebäude in Stuttgart stehen, die Stadt als solche, als Idee, als Gesamtes besitzt in meinen Augen kaum Identität. Viele Großstädte in Deutschland haben ihre Identität und stehen teilweise auch für irgendetwas. Aber Stuttgart? Was ist Stuttgart, wofür steht Stuttgart? Im Marketing-Sprech ausgedrückt: welches Image hat Stuttgart sowohl nach außen als auch nach innen? New York ist die Stadt, die niemals schläft, Dubai ist die Stadt des Aufbruchs, Berlin die Stadt der Künstler und Querköpfe und München die Stadt, die Welten verbindet (Tradition und Moderne). Und Stuttgart? Tja, da will mir nichts einfallen. Mir kommt alles vor wie ein einziger Brei. Man könnte auch sagen: wir haben von allem a bissle. A bissle Sport, a bissle Kunst, a bissle Autobauer, a bissle Ingenieurskunst, a bissle Zukunft, a bissle Vergangenheit.


    Alles ist da, aber nichts sticht heraus (bzw. ist unterscheidbar). Und damit wären wir wieder bei der Architektur, denn da sticht bis auf wenige Ausnahmen (egal ob alt oder neu) auch nichts heraus. Die Stadt ist sozusagen die in Beton gegossene Gedankenwelt der schwäbisch-bescheidenen Autobauer im Süden Deutschlands. Eigentlich kann dann damit wieder der Schritt zu S21 gemacht werden, denn der schwäbische Bürgeraufstand wäre damit zumindest auf der unbewussten Ebene erklärbar (ich weiss, ist eine steile These): Nicht die Kosten oder die Veränderungen sind es, sondern die Tatsache, dass da etwas gebaut werden sol, dass sich sehr wohl unterscheidet und aus der Masse heraussticht (Stichwort Prestigebau).


    (Puh, okay, jetzt ist mein Hirn leergesaugt. Ich hoffe, dass mein Gedankengang eingermaßen verständlich und nachvollziehbar ist)

  • ^^
    Beim "Wiederaufbau" Stuttgarts irgendwas zu verhamlosen oder gar schön zu reden halte ich für absolut fehl am Platz. Fakt ist, dass dieser im Vergleich zu anderen Städten Süddeutschlands die Historie weitgehend missachtete und am zielstrebigsten dem Wahn von der autogerechten Stadt hinterherhechelte. Im Endeffekt also als städtebaulich destruktiv und nicht konstruktiv zu bewerten ist.

  • Saxonia:
    Ganz genau, so ist es. Und hätten sich unsere Nachkriegspolitiker, allen voran der gute Herr Klett, in allen Belangen durchgesetzt, dann würde es heute noch weitaus schlimmer aussehen. Nur den Bürgern ist es zu verdanken, dass bspw. Neues Schloss oder die Markthalle nicht den Sprengkommandos zum Opfer fielen oder direkt zwischen Altem und Neuem Schloss eine Autobahn hindurchführt. Ohlsen hat Recht, wenn er sagt, dass sich ein Abriss historischer Bausubstanz umso leichter begründen lässt, je weniger noch davon vorhanden ist. Genauso argumtieren doch einige hier in Bezug auf das Wengerterhaus. Komisch, dass viele deutsche Städte aber den umgekehrten Weg gegangen sind oder sogar momentan wieder gehen. Stuttgart aber sucht sein Glück nur in der Moderne und das ist das Problem!


    In diesem Zusammenhang madmind: Du suchst Dir ein paar gelungene Solitäre der Moderne heraus und bastelst Dir daraus eine Universalfeststellung. Es kommt aber nicht auf ein paar Leuchtturmprojekte an, denn diese allein machen noch keine funktionierende und ästhetisch wertvolle Stadt. In einem gebe ich Dir aber Recht, es gibt in Stuttgart kein Gesamtkonzept.


    Schwabenpfeil: Dass man etwas nicht wieder herstellen will heißt nicht, dass man es nicht wieder herstellen kann.

  • vielleicht noch ein kleiner nachtrag, das hier ist z.B. ein video von der Sprengung der Garnisonskirche in Stuttgart, max bgf hatte ja kritisiert dass wir nur recht bescheiden kirchen haben.


    Quelle: http://www.von-zeit-zu-zeit.de


    und hinsichtlich der willy brandt strasse, da wurde sukzessive abgerissen, einfach lange zeit nicht instandgehalten und dann waren die häuser halt irgendwann so kaputt dass man abreissen konnte.


    Quelle: http://www.von-zeit-zu-zeit.de


    und nun beim neuen schloss und markthalle gab es eben gewaltige proteste und nur die haben die stadtoberen damals dazu bewegt bzw. gezwungen nicht abzureissen.


    anders ist es z.B. beim kaufhaus schocken gelaufen auch schade drum


    Quelle: http://www.stuttgarter-zeitung.de


    Ich bin auch nicht per se gegen abriss und neubau, aber dann bitte doch nicht irgendwelche gesichtslosen bürogebäude. ausserdem fallen mir in stuttgart viele orte ein wo ein abriss absolut niemandem weh tun würden.

  • Der Satz stand zuerst nur unter dem Luftbildlink und die ganze Stadt genau so wieder nachzubauen wird heute nicht mehr gehen. Wer sollte das denn bezahlen?


    Darum geht es nicht bzw. das fordert auch keiner bei klarem Verstand. Aber man könnte sich durchaus mal die Frage stellen, ob ein überschaubares Projekt wie in Frankfurt am Main nicht auch Stuttgart gut tun könnte. Selbst in Frankfurt am Main, einer ebenfalls der Moderne kompromisslos zugeneigten Stadt, war man ja schon in den frühen 1980ern so weit, wenigstens mal eine Marktplatzseite nachzubauen. Gerade letzterer ist in Stuttgart, entschuldige, einfach nur entsetzlich. Mit sehr viel Wohlwollen mag man das Rathaus ja noch als einigermaßen originell bezeichnen, aber der Rest? Selbst im kriegsgebeutelten Ruhrgebiet haben die meisten Marktplätze noch mehr Charme.

  • zu #110:


    Es kommt wohl darauf, an was man darunter versteht. Mit dem Auto durch Stuttgart fahren konnte man auch schon vor dem Krieg. Die Frage ob Autobahnen oder Straßen so breit wie 2 Häuserblöcke durch eine Stadt hindurch führen müssen darf gestellt werden und die Meisten beantworten sie heute mit Nein.
    Und natürlich steht das im grundlegenden Zusammenhang mit der Gestaltung. Warum sollte ich den alten Bauten Beachtung schenken wenn ich den Grundriss der ganzen Stadt bereit bin umzukrempeln und damit auch den Bestand an Gebäuden?
    Übrigens gibt es viele Städte die ebenfalls in "Schutt und Asche gebombt" wurden sind. Die sehen heute aber zum großen Teil subjektiv schicker aus als Stuttgart.


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    Mod @all: Bitte das Zitieren auf das Notwendigste beschränken, danke.