Stadtgespräch Berlin / dies und das

  • Berliner Lebensgefühl

    ReinhardR: In der Zeit, als ich in Berlin gelebt habe, habe ich das zeitweise auch so gesehen. Aber dann bin ich zur Erkenntnis gekommen, dass all diese Essentials ihren Reiz haben und sozusagen ein notwendiges Übel sind, in der Hoffnung, dass diese die Mietpreise nicht so stark steigen lassen.
    Was Berlin dann noch vom Ruhrgebiet unterscheiden würde? Vieles. Im Ruhrgebiet gibt es nämlich im Gegensatz zu Berlin oft eine größere Spießigkeit und weniger Stil und Charme.

    2 Mal editiert, zuletzt von JanM. Restrigo () aus folgendem Grund: Ergänzung

  • ReinhardR: Als geborener Münsteraner bin ich sehr glücklich, in Berlin zu leben. Münster ist wie Musik von Vivaldi, Berlin ist wie die von Arnold Schönberg. 'acquired taste ;)

  • Tomov: auch ich als geborener Münsteraner sehe das genauso. Auch wenn ein Ausflug in die alte Heimat von Zeit zu Zeit schön ist und Münster sicher auch viele Vorzüge hat, möchte ich die Vorteile Berlins doch nicht missen.

  • @ JanM. Restrigo


    In den Jahren, als ich in Berlin gelebt und gearbeitet habe, hat mich dieser merkwürdige Hang, Schund, Dreck, Grafittis und Bruchbuden für Essentials von Urbanität zu halten, immer wieder ungläubig staunen lassen. :cool:


    +100 !!!!!!


    Ich wohne jetzt seit fünf jahren in Berlin, bessser hätte ich es nicht sagen können


    ReinhardR: In der Zeit, als ich in Berlin gelebt habe, habe ich das zeitweise auch so gesehen. Aber dann bin ich zur Erkenntnis gekommen, dass all diese Essentials ihren Reiz haben und sozusagen ein notwendiges Übel sind, in der Hoffnung, dass diese die Mietpreise nicht so stark steigen lassen.
    ..........


    dort, wo die Mietpreise hochgehen verschwinden als allererstes die Graffiti und die Buden. Und nicht anders rum. Das wird noch richtig spannend, wenn die Walze übers Kottbusser Tor richtung Neukölln rollt...im anmarsch ist sie ja schon

  • @ I engineer
    Danke!
    Ich mag Berlin und bin immer noch mindestens einmal im Jahr dort um mir den Stand der Dinge anzuschauen.
    Aber es ist eben diese merkwürdige Sicht der Berliner, die mich immer wieder staunen läßt.


  • Kann ich so nicht behaupten. Jedenfalls in meinem Kiez rund um den Teuteburger Platz ist das nicht so. Und ob das überhaupt erstrebenswert ist, wage ich mal zu bezweifeln.
    Mal davon abgesehen, dass Graffiti auch in Hamburg und FFM massiv vorkommt und somit ganz bestimmt keine Berliner Spezialität ist. Na gut, im aufregenden Münster vielleicht nicht so..

  • ...Wenn gerade die DAF-User über Berliner Stadtentwicklung meckern, die gar nicht in Berlin wohnen, dann liegt das wohl daran, dass Nicht-Berliner sich noch nicht an die all gegenwärtige Häßlichkeit und den Dreck Berlins gewöhnt haben.
    Hätte Berlin nicht einige Prachtbauten aus dem 19. Jahrhundert - was würde die Stadt vom Ruhrgebiet unterscheiden?
    In den Jahren, als ich in Berlin gelebt und gearbeitet habe, hat mich dieser merkwürdige Hang, Schund, Dreck, Grafittis und Bruchbuden für Essentials von Urbanität zu halten, immer wieder ungläubig staunen lassen.


    Als unaufgeregter, vielleicht etwas nüchterner Stadtbewohner möchte ich eine andere Perspektive beisteuern: es ist die sich aus dem Chaos speisende Vielfalt mit ihren Nischen für alternative bzw. ungewöhnliche oder seltene Konzepte (architektonisch, kulturell, politisch, geschichtlich, gesellschaftlich, modisch usw.) sowie die schiere Größe, die das urbane Flair Berlins ausmachen. Ich denke, das sehen hier viele meiner Mitmenschen genauso, jedenfalls kenne ich keinen, der „Schund, Dreck, Graffitis und Bruchbuden“ für sich genommen für das Essential der Großstadt hält. Ob das Ruhrgebiet da mithalten kann, will ich nicht beurteilen, dazu kenne ich mich dort zu wenig aus und Arroganz gegenüber der „Provinz“ sind mir, wie übrigens sehr vielen Berlinern, die ich kenne, fremd. Ich glaube aber schon, dass die übriggebliebenen Prachtbauten des 19. Jahrhunderts eher nur in Einzelfällen der Grund sind, warum Touristen und Zuzügler Berlin dem Ruhrgebiet vorziehen, es muss also mehr geben, was Berlin ausmacht und was es vom Ruhrgebiet oder von Hamburg oder München unterscheidet.


    Bei der Gelegenheit ist es mir auch ein Bedürfnis anzumerken, dass das Argument, Berlin sei dreckig, zum Grundvokabular des Berlin-Bashing gehört und nur dem Zwecke der Abwertung der Stadt dient und keine realistische Zustandsbeschreibung darstellt. Es gibt in dieser Stadt die BSR, die sehr gut funktioniert und einen guten Job macht. Dass es nicht ständig und an allen Ecken gleichzeitig wie geleckt aussieht, liegt an der schieren Größe der Stadt. Und sicherlich gibt es auch Schwachstellen, aber der Gesamteindruck ist mitnichten der einer dreckigen Stadt. Und auch Graffitis sind nicht immer nur schlimm, sondern in den meisten Fällen einfach nur eine normale Erscheinung im Straßenbild, wie die allgegenwärtige Werbung, in manchen Fällen sogar auch künstlerisch wertvoll oder einfach auch mal schön. Aber es hat natürlich Gott sei Dank jeder das Recht, es anders zu sehen.

  • Wenn man mal in verschiedenen Metropolen gewesen ist, weiß man auch dass sich Urbanität und Sauberkeit nicht ausschliessen. Im Gegenteil, ich behaupte mal, dass Sauberkeit ein urbanes Leben in dieser Dichte überhaupt erst erträglich macht. Man stelle sich mal nur wenige Tage ohne Müllabfuhr und Kanalisation vor.


    Ich als 'waschechte Berlinerin' kann die Meinung von ReinhardR zwar nachvollziehen, aber ich finde dass 'dieser Haltung der Berliner' zum Dreck eher eine Art Fatalismus ist, zumindestens in meinem Fall. Ich persönlich jedenfalls bevorzuge saubere Strassen und U-Bahnen ohne Pisslachen und mag euch kein Grafitti, abgebrannte Autos ...
    Auch wenn die BSR ganze Arbeit leistet, offenbar reichen die Ressourcen (Geld/Arbeiter) nicht aus um die Strassen spiegelblank zu wienern.

  • Wenn man mal in verschiedenen Metropolen gewesen ist, weiß man auch dass sich Urbanität und Sauberkeit nicht ausschliessen. Im Gegenteil, ich behaupte mal, dass Sauberkeit ein urbanes Leben in dieser Dichte überhaupt erst erträglich macht. Man stelle sich mal nur wenige Tage ohne Müllabfuhr und Kanalisation vor.


    naja... es gibt hinreichend dicht besiedelte Metropolen mit eher mäßiger Abfalllogistik... eigentlich wird es mit zunehmender Siedlungsdichte zwangsläufig auch extremer. Und ab einem gewissen Punkt ist es auch nicht mehr wirklich erträglich.

  • Es gibt noch günstige Preise in Berlin. Ich hab gerade ein Loft geschossen (Altbau 1910, gute Substanz, Sprossenfenster, 4 Meter hohe Decken, Hinterhof. Paterre Garten) für 6 Euro den qm Miete direkt an der Warschauer Brücke Eckblock Revaler. Ich hab gedacht, das gibts nicht mehr. Gibbet abba doch noch. Freu mir, wie ein.... :Koenig: Freu mich auf Schund, Dreck, Mischpoke, Grafitti, Bruchbuden, Subkultur, Kunstgallerien, Mediaspree, Eastsidegallerie, Friedrichshain, Kreuzberg, alle Arten von interkulturellem Fastfood, 24h-Einkaufen, Schnell mit der Tram im Osten, Schnell mit der S-Bahn Mitte und schnell mit der UBahn Westen und Wochenend-Techno-Ballermann (ist ja zum Glück hinterhof), ich freu mich auf den Ort, wo Berlin z.Zt. mal so richtig Berlin ist.

  • Gestern wurde im Rahmen der Berliner Abendschau auch ein Abendschau-Beitrag von 1972 gezeigt, der die baulichen Veränderungen in Ostberlin zwischen 1961 und 1972 aus Westberliner Sicht reflektiert. Hintergrund ist das 1972 in Kraft getretene Passierscheinabkommen, durch das viele Westberliner zum ersten Mal seit 1961 wieder den Ostteil besuchen konnten.


    Die Einschätzung der Veränderungen in Ostberlin zwischen 1961 und 1972 ist jedenfalls sehr positiv. So gibt es die Aussage "Das Aschenputtel der fünfziger Jahre ist zu einem strahlenden Schwan geworden." Gezeigt werden die Neubauten am Alexanderplatz, der zweite Bauabschnitt der Karl-Marx-Allee, das noch im Bau befindliche "Ahornblatt". Weiterhin wird positiv vermerkt, dass die historische Bausubstanz sehr respektvoll behandelt würde. Gezeigt werden die Jungfernbrücke, das Märkische Museum, das Zeughaus und die Straße Unter den Linden. Alles in allem ein sehenswertes Zeitdokument.


    http://www.rbb-online.de/abendschau/index.html


    (ab Minute 24:00)

    Einmal editiert, zuletzt von Klarenbach ()

  • ^... die Westberliner Sicht der 80er Jahre dürfte für die heutige Beurteilung nur noch wenig Relevanz besitzen. Ich bin in Spandau groß geworden und soweit ich mich erinnern kann,wurde der die östliche Stadthälfte als der graue Teil der Stadt wahrgenommen. Der Fernsehturm wurde allerdings als einer der markanten Höhepunkte und Wahrzeichen der Stadt angesehen und war auch schon zu Mauerzeiten im Westteil positiv besetzt.


    Ich war am Wochenende am Alex und im Alexa, es war richtig voll, der Platz und das Rathausforum werden auch heute schon sehr gut angenommen. IMHO wären die wichtigsten Verbesserungen derzeit um den Bereich des Haus der Statistik notwendig. Wenn dieses Areal großstädtisch gestaltet wird, würde das dem Alex sehr gut tun. Das Haus der E- Technik ist kein Renner, passt m.E. aber von seiner Höhenabstufung in das Gesamtensemble und stellt nicht das ganz große Problem dar. Ich hätte nichts gegen einen Abriß, ich befürchte nur, dass durch einen Neubau sich die Situation nicht zum Positiveren wendet. Eine Fußgänger Unter oder Überführung vom Alexa zum Alex halte ich für wünschenswert. Diese könnte zumindestens während der geschäftszeiten geöffnet sein, der Andrang übver die Alexanderstraße ist riesig.

  • Ob ich hier richtig bin? Ggf. verschieben.


    Die Kneipe Alt-Berlin in Mitte/Münzstr., die seit 1893 besteht, soll im Zuge einer Sanierung geschlossen werden. Das Inventar soll komplett ausgebaut und an anderer Stelle wieder aufgebaut werden. Für Investor Hamm Müller Spreer kein Problem. Solche geschichtsvergessenen Deppen machen u.a auch unsere Stadt kaputt. Einfach nur erbärmlich!

  • Hier gibt es einen Literaturhinweis: Kürzlich ist das Buch "Armutszeugnisse" mit Fotografien von Heinrich Kuhn erschienen. Die Fotos stammen aus dem Jahr 1964 und dokumentieren das damalige Wohnungselend in West-Berlin. Die Fotos zeigen enge, dunkle Höfe, düstere Kellerwohnungen, Küchen mit verschimmelten Wänden, in denen auch geschlafen und gewohnt wurde, Plumpsklos auf der halben Treppe. Insgesamt sind die Fotos sehr bedrückend, und sie machen deutlich, dass die von manchen idealisierte "gute alte Zeit" alles andere als gut war.


    In einem Text von Boris von Brauchitsch werden noch ein paar Erläuterungen gegeben. Demnach verfügte West-Berlin 1964 über 900.000 Wohnungen, davon stammten mehr als 450.000 aus der Zeit von vor 1914. Von diesen verfügten 320.000 über kein Bad und 190.000 über keine Toilette.


    Das ist der Hinweis auf das Buch:


    http://www.editionbraus.de/Neu…Armutszeugnisse::186.html


    Einen kleinen optischen Eindruck vermittelt dieser Beitrag auf Zeit online.


    http://www.zeit.de/wissen/gesc…fs-berlin-armut-wohnungen

  • ^ Es dürfte klar sein, dass die Leute sich Fassadengestaltungen jenseits vom weiß-grauen Bauhaus-Einerlei und nicht Klo-lose Wohnungen wünschen. Das wurde hier im Forum bereits einige 1000-de Male richtiggestellt.


    Internet findet viel, etwa massenweise Fotos heruntegekommener Plattenbauten. Was genau sollte durch solche Funde wie der Zeit-Online-Artikel bewiesen werden?

  • Hier gibt es einen Literaturhinweis: Kürzlich ist das Buch "Armutszeugnisse" mit Fotografien von Heinrich Kuhn erschienen. Die Fotos stammen aus dem Jahr 1964 und dokumentieren das damalige Wohnungselend in West-Berlin.


    Du willst uns vermutlich sagen, daß du die Altbauwohnungen und -viertel wunderbar findest und noch besser, daß die Zeit weitergeht und die Wohnsituation erheblich verbessert wurde.


    Ich persönlich liebe die Altbauviertel genauso wie du, Klarenbach. Sie machen Berlin erst als Stadt aus. Plattenbauviertel sehe ich nur als Zusatz an. Sie bilden keine legitime Stadt, keine Stadt an sich.


    Ich war übrigens heute in der Magazin- und Schillingstraße. Letztere ist gräßlich. Erstere hat immerhin ein paar Altbauten zu bieten und sollte in ein paar Jahrzehnten kritisch rekonstruiert werden.

  • ... Klarenbach möchte vermutlich nur auf die Umstände hinweisen, die dazu geführt haben, dass in den 60er Jahren so gebaut worde, wie wir es heute bestaunen können. Damals war Zeilenbebauung, Durchgrünung, Ausslassen dunkler Eckbebauung eine Reaktion auf die häufig tristen und dunklen Altbauquartiere, die zum damlaigen Zeitpunkt schon 50-80 Jahre alt, ausstattungstechnisch nicht auf der Höhe der Zeit und sanierungsbedürftig waren.


    Das was damals in der Nachkriegszeit bis in die 70er Jahre hinein gebaut wurde, entsprach dem Verständnis und den Bedürfnissen seiner Zeit. Das heute wieder verstärkt in Altbauanordnung gebaut wird, liegt an den vorhandenen Lückengrundstücken, den besseren Renditeaussichten der Entwickler und an der Renaissance der Innenstädte als urbane Wohnorte.

  • Insgesamt sind die Fotos sehr bedrückend, und sie machen deutlich, dass die von manchen idealisierte "gute alte Zeit" alles andere als gut war.



    Das ist eine versteckte aber dennoch unhaltbare Unterstellung. Wenn hier von "der guten alten Zeit" geschwärmt wurde, dann hatte das wohl kaum mit den hygienischen Verhältnissen zu tun. Denn wie wir heute sehen können, schließen sich moderne Hygienestandards und Altbausubstanz nicht aus. Auch von den größten Kritikern der Plattenbauten, zu den ich mich mal hinzuzähle, wurde bspw. deren vergleichsweise hoher Komfort gewürdigt.


    Die Frage ist, ob man aus den schlechten Zuständen eine Legitimation für den Totalbriss ableiten kann wie du das hier anscheinend nachträglich versuchst. Das Vorgehen in West-Berlin war die einfachste und billigste Lösung um den Lebensstandard anzuheben. Das wäre auch bei einer Sanierung der Altbausubstanz möglich gewesen aber das Geld wollte angesichts der zeitgenössischen Geringschätzung dieser Gebäude keiner in die Hand nehmen.