Stadtgespräch Berlin / dies und das

  • Aber deshalb kann ich den Spieß nicht einfach umdrehen und die Gesellschaft meinen ästhetischen Vorlieben anpassen (so wie ich das bei Dir häufig rauslese).

    Die Gesellschaft wird immer den ästhetischen Vorlieben von irgend jemandem angepasst, wenn nicht meinen, dann denen von jemand anderem. Es wird doch nicht wirklich basisdemokratisch entschieden, nur weil ich hier nicht der Bestimmer bin. Um im Bild zu bleiben, unserer jetziger Monarch ist der Senatsbaudirektor und sein Wort sollte Gesetz sein. Damit das ganze Stadtbild wenigstens einen gewissen Rahmen hat, der immer noch jede Menge Freiheiten zulässt. Bei manchen Regeln ist es viel wichtiger, das sich alle daran halten, als wer sie aufstellen darf. Es ist zum Beispiel egal ob Links- oder Rechtsverkehr herrscht, solange alle Autos auf derselben Straßenseite fahren. Ähnliches gilt für Traufhöhen, Fensterfronten usw. Wenn nicht einmal mehr der Senatsbaudirektor Vorgaben machen kann, die von allen akzeptiert und beachtet werden, dann regiert nicht die Demokratie sondern die Anarchie. Demokratie ist eine feine Sache solange finale Entscheidungen als solche akzeptiert werden, daran mangelt es häufig.

  • Aber schau dich mal um in Berlin! In welcher Zeit sind die schönsten und wertvollsten Gebäude entstanden?


    Na klar, eindeutig in den 1920er Jahren!


    Die große schöpferische Periode Berlins in Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft war die Hohenzollern Monarchie.


    Naja... Höchstens unter einzelnen Kaisern und Königen.

  • In den 1920er Jahren waren alle bedeutenden Gebäude Berlins längst errichtet. Danach sind nur noch das Olympiastadion und der Flughafen Tempelhof hinzugekommen.


    Kronprinzenpalais (1663)
    Zeughaus (1667 bis 1685)
    Staatsoper (1741 bis 1743)


    Hedwigs-Kathedrale (1747 und 1773)
    Französischer Dom (1774 bis 1785)
    Deutscher Dom (1780 bis1785)
    Berliner Dom (1894 bis 1905)


    Humboldt Universität (1810)
    Technische Universität (1884)
    Naturkundemuseum (1889)
    Museumsinsel (1830 bis 1930)


    Brandenburger Tor (1788 bis 1791)
    Schloßbrücke (1821 bis 1824)
    Neue Wache (1816 und 1818)


    Unter Monarchen gibt es bessere und schlechtere, das ist nicht viel anders als bei gewählten Staatsoberhäuptern. Unterm Strich haben die Monarchen aber eine deutlich bessere Performance abgeliefert, als die demokratisch gewählten Reichs- und Bundeskanzler.

  • Tolle Perfomance! Naja, kein Wunder, wenn man die übrig gebliebenen Highlights aus 256 Jahren (1663 bis 1919) mit der Gesamtheit aller, in 99 Jahren errichteten, Bauwerke vergleicht :nono: - mal ganz abgesehen von der geschmäcklerischen Auswahl, die keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit besitzt, abgesehen von der Ignoranz gegenüber Tatsachen, wie etwa Krieg und Wiederaufbau, auch abgesehen von der Bevölkerungszunahme, den sinnvollen Wünschen nach menschenwürdigem, bezahlbaren Wohnraum, nach anständig vergüteter Arbeit und ebenso abgesehen vom Wunsch nach Gewinnmaximierung. Lasst uns alles einreißen, was ein bestimmter Zeitgenosse hässlich findet, einen Monarchen einsetzen und hoffen, dass dann bis zum Jahr 2250 vielleicht 14 weitere Highlights entstanden sind!

  • Unter Monarchen gibt es bessere und schlechtere, das ist nicht viel anders als bei gewählten Staatsoberhäuptern. Unterm Strich haben die Monarchen aber eine deutlich bessere Performance abgeliefert, als die demokratisch gewählten Reichs- und Bundeskanzler.


    Mit dem bedeutenden Unterschied, dass gewählte Staatsoberhäupter abgewählt werden oder erst gar nicht gewählt werden, wenn sie nichts taugen (oder die breite Masse meint, dass sie nichts taugen). Etwas 'Perfomance' braucht es dann schon, im Gegensatz zum Monarchen, dem eine Garantie in die Wiege gelegt wurde und den Performance kaum zu interessieren hat. Nur dass in Deutschland die Monarchen in einer Zeit regiert haben, als für deinen Geschmack mehr 'Bedeutendes' gebaut wurde, heißt noch lange nicht dass die eine bessere Leistung abgegeben haben.
    Mit den 20er Jahren hat die Baugeschichte einen Riesenschritt in Richtung eines sozial ausgeglichenen, gerecht verteilten und baulich gehaltvollen Bauens getan. Man muss eben auch hinter die Fassaden blicken, und die 'Performance' der Kaiserzeit auch als dunkle Hinterhöfe, Außenklos, Enge und enorme soziale Differenzierung der Wohnqualität ansehen. Dass heute alles so schön glänzt, ist eine Errungenschaft der Kernsanierungen und Blockbereinigungen. Sicherlich gehen viele (sogar die meisten) bedeutende Einzelbauwerke auf Kosten dieser Zeit, doch strikte Kausalität ist finde ich zu gewagt. Und Berlin hat auch später herausragendes zu bieten (Philharmonie, Shellhaus, UNESCO-Erbe Siedlungen der Moderne, Haus des Lehrers). So pauschalisiert wie du kann man es unter keinen Umständen stehen lassen.


    Grüße, Jan

  • Man muss eben auch hinter die Fassaden blicken[...] So pauschalisiert wie du kann man es unter keinen Umständen stehen lassen.


    Es soll auch Leute geben, die sich ihre Partner nach Körbchengröße oder nach Rasur aussuchen und die sich mächtig darüber echauffieren, dass sich auch weniger attraktive Zeitgenossen fortpflanzen dürfen. Für die gelten diese kurzatmigen Pauschalurteile nach Türsteher-Manier unter Umständen schon ;).

  • Berlin hat auch später herausragendes zu bieten (Philharmonie, Shellhaus, UNESCO-Erbe Siedlungen der Moderne, Haus des Lehrers).


    Natürlich wurde danach auch herausragendes gebaut, aber ich verstehe nicht was so viele mit dem Haus des Lehrers haben, außer diesem Relief. Das ist doch wirklich nur ein normales Hochhaus. Und nichtmal ein besonders schönes...


  • Berliner Dom (1894 bis 1905)


    Der Berliner Dom ist nicht mehr als ein orientalisches Puff-Sofa, vollgeascht mit 2.Weltkriegs-Ruß (oder Trabi-Abgas).


    Die zeitgenössische Architekturkritik hat damals schon eine reaktionäre Geschmacklosigkeit gewittert, zurecht.


    Lang lebe die Neue Nationalgalerie und das Haus des Lehrers. :master:

  • Das bemerkenswerte am Haus des Lehrers ist auch weniger dessen Schönheit und Eleganz (wobei die nicht ganz ohne ist; aber alles ist relativ und von dieser Sorte Gebäude gibt's mittlerweile jede Menge) sondern die Tatsache, dass es das erste Gebäude der DDR im "International Style" mit Curtain-Wall-Fassade war und damit einen schlagartigen Wendepunkt in der ostdeutschen Baukultur der Nachkriegsära einläutete. Die durchdachte Ensemblewirkung im Verbund mit der Kongresshalle ist auch nicht zu verachten. Ungeachtet dessen ist es natürlich kein besonders stadtverträglicher Baukörper (jedenfalls nicht im Sinne heutiger Vorstellungen). Am ehesten ist es von der Bedeutung und Einzelwirkung noch mit Gordon Bunshafts Lever House in New York vergleichbar (das erste Bürogebäude überhaupt mit Vorhangfassade). Das gilt auch als Ikone der Moderne, obwohl es mit seiner relativ geringen Höhe und dem heute unzeitgemäß wirkenden Sockel auf den ersten Blick völlig belanglos scheint, erst recht, da man es in der dortigen Ansammlung von Superlativen kaum wahr nimmt.

  • Da driften sie wieder - auseinander, die Meinungen. ;)
    Das Haus des Lehrers ist denkmalgeschützt aus genau dem Grund wie AeG ihn nannte. Leider ist es hässlich wie die Pest. Sry.
    Der Berliner Dom ist wohl genau das Gegenteil. Viel abgekupfert und übertriebene Ausgestaltung(?!). Architektonisch wohl nicht besonders wertvoll(?!). Aber er gefällt ungemein! Zumindest mir und der geballten Mehrheit des Touristen&Bevölkerungsproletariats. Und das ist doch was zählt.



    Edit: Nach diesem Post habe ich mir beide Gebäude nochmals detailliert nach allem was das Inetz hergibt unters Auge genommen (heißt so die Redewendung?). Ein Vergleich der beiden Gebäude ist unmöglich. Der Unterschied ist zu mächtig. Der Detailreichtum des Doms, die Qualität jeder einzelnen Figur - das steht in keiner Beziehung zur Einfachheit des HdL. Was dessen Bedeutung nicht verneinen soll. Nur kann es diesen Vergleich nicht bestehen.

  • ...Ich finde ihn auch nicht besonders schön, das denke ich aber von fast allen eklektizistischen Bauten. Ich nehme ihn weniger wahr, als andere Bauten in Berlin. Ich habe mich hier schon einmal darüber ausgelassen, also nicht noch einmal. Die gebaute Utopie eines "gesunden wohnens", welche man mit den neuen Siedlungen verwirklicht hat, ist zurecht Weltkulturerbe geworden. Das das gewöhnliche Folk den Dom "knorke" findet, liegt wohl an der Annahme, dass viel Ornament=schön bedeutet. Ich sehe das nicht so. Ich bewege mich Geschmacklich zwischen Klassizismus, früher Moderne und Moderne. Sollen wir wieder für die Masse bauen? Heute könnte man schon gar nicht mehr so bauen wie zur Jahrhundertwende. damals wurde auf Kosten von Resourcen und menschlicher Arbeitskraft diese schönen Fassaden geschaffen. Kitsch ist in Ordnung und hat seine Daseinsberechtigung, aber er sollte nicht das Stadtbild bestimmen.

  • Gut dass Touristen und Massenbevölkerung niemals Bauherren sein werden.
    Eine übergreifende Las Vegas Einkaufspassage wäre die Folge. An jeder Ecke noch einen Chinapfannen-Imbiss installiert und mit RTL in jedem Schaufenster.
    Gute Nacht Kollegen...

  • @Lear1
    Du bist in den letzten Jahren schon mal vor die Tür gegangen, oder? Außerdem gibts für mich nichts ätzenderes, als EKZs.


    Das das gewöhnliche Folk den Dom "knorke" findet, liegt wohl an der Annahme, dass viel Ornament=schön bedeutet.


    Wie soll man das verstehen? Wenn das gewöhnlich Volk sagt, dass es den Dom oder anderes wegen der Ornamente "knorke" findet, dann ist es wohl kaum eine Annahme...


    Außerdem redet Guderian von den bedeutendsten Gebäuden Berlins. Wenn man die noch existierenden gründerzeitl. Representanzgebäude nimmt, fällt er wohl schon allein auf Grund seiner Größe und Dominanz in die Kategorie - mit dem Bodemuseum. Ob das nun positive Eingenschaften sind, ist ne andere Frage...Er beinhaltet die Hohenzollergruft und gilt doch auch als größte prot. Kirche Nordeuropas oder sowas in der Art. Und er wurde, wie ich grad bei Wiki gesehen habe, 2007 als "Historisches Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst in Deutschland" ausgezeichnet - was auch immer das genau ist. So scheiBe, wie manche hier immer tun, wird er dann wohl nicht sein :nono:.

  • Ich finds ab und zu etwas übel wie hier der Massengeschmack als etwas widerwärtiges hingestellt wird von dem man sich unbedingt zu distanzieren hat wenn man etwas auf sich hält, und das ganze dann mit etwas angestrengten Argumenten untermauert werden soll.
    Zu einer Aussage hätte ich dann auch ne Frage. Wie kommt denn der Zusammenhang "viel Ornament=schön" deiner Meinung nach bitte zustande?
    Ich halte es persönlich für ziemlich weit hergeholt. Zumal man dann damit auch suggeriert die damaligen Baumeister hätten nichts von ihrem Fach, von Proportionen, Verteilung von Formen, etc. verstanden, sondern nur wahllos Ornamente auf jede freie Fläche geklatscht. Ich denke der dumme Laie, dem der Dom gefällt, hat durchaus ein Auge für solche Dinge und würde bei wahlloser Ornamentiküberfrachtung auch anders reagieren.


    Zur Las Vegas Einkaufspassage mag ich gar nichts sagen. Wenn ich sage, daß ichs albern finde tu ich Lear vielleicht unrecht, falls das einfach sarkastisch gemeint war...

  • Ich denke nicht, dass die Architeken...

    ...sich den Dom so gewünscht haben. Wohl eher der Bauherr wollten diese übermächtige Opulenz. Nun waren Kaiser bisweilen nicht immer Architekturexperten und wohl eher an einer prunkvollen Ausführung interessiert. Es war schon in früheren Zeiten so, dass Geschmackloses dadurch entstand, dass Stilelemente in übermäßiger unüberlegter oder schlicht frei interpretierter Weise zusammengeworfen wurden. Das Bürgertum wollten schlichtweg den Adel nachahmen und dies gelang, bisweilen, nicht immer.

  • Achtung, Text!

    Das mit dem "dummen Laien" und der "Ornamentüberfrachtung" ist ein guter Einwand, Brako. Kennst Du denn ein paar Bauten, denen man diese Überfrachtung gemeinhin auch unter Laien nachsagt? Falls nein, könnte das ein Indiz dafür sein, dass die Masse des Schmuckes tatsächlich proportional zur Schönheit eines Bauwerkes ist, jedenfalls volksnah betrachtet, oder?


    Das "Volk" macht es sich aber auch recht leicht, wenn es die vermeintliche Schönheit des Ornamentes immer nur als Gegenposition zur ungeliebten Moderne betrachtet. Differenziert doch mal etwas stärker! Vergleicht doch den Berliner Dom z. B. mal mit klassizistischen Bauten aus seiner direkten Umgebung oder mit den herausragenden Meisterwerken anderer, als attraktiv empfunden Epochen. Wo steht der Dom dann in den Charts?


    Das Hauptproblem des Raschdorff-Doms ist nicht so sehr das Ornament an sich. Es sind neben dem grobschlächtigen, eklektizistischen Schmuck vor allem die völlig unglücklichen Proportionen: die monströse Kuppel und die vier riesigen Laternen (die ursprünglich noch gewaltiger waren) im Verhältnis zur Basis, die seit der Entstehungszeit für reichliche Kritik sorgen. Die Kritik kam in der Anfangszeit gerade von denen, die den Wert der umliegenden klassizistisch geprägten Bebauung erkannten, die selbst Architekten waren und für manches stattliche Bürger- oder Geschäftshaus (vor allem im späteren Berliner Westen) verantwortlich zeichneten. Die Kritik war umso vehementer, da der Raschdorff-Dom - als gewünschtes Pendant zum Petersdom in Rom, dem man nachsagt, er wäre letztlich eine Kreation Wilhelm IIs gewesen (und der Architekt hätte nur als Strohmann fungiert; was mir nachvollziehbar erscheint) - den weit gelungeneren, aber für Repräsentationszwecke zu klein gewordenen Boumannschen Dom an selber Stelle ersetzte.


    Sicher, die sowohl städtebauliche, als auch architektonische "Inkompatibilität" des neuen Doms und seines zusammengewürfelten Schmuckwerks mit der Umgebung muss sich nicht jedem sofort erschließen (manche halten ja auch schon schiere Größe für repräsentativ). Es fällt inzwischen auch sehr leicht, auf andere Negativbeispiele zu verweisen - die allerdings meist mit ganz anderer Intention und unter anderen Voraussetzungen entstanden sind. Trotzdem sollte man sich als Laie eben nicht wundern, wenn andere, die intensiver mit der Materie vertraut sind, diesen Dom etwas weniger blauäugig wahrnehmen.


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    Die Ornament-Frage als solche ist vermutlich zu komplex, um sie hier hinreichend zu behandeln. Vermutlich ist das letzte Kapitel hierzu auch noch nicht geschrieben. Adolf Loos' berühmt-berüchtigtes "Ornament und Verbrechen" - das sicher stark polemisierend ist und in einigen Fragen deutlich übers Ziel hinaus schießt - ist nur ein dünnes Heftchen und für jeden ernsthaft an der Thematik Interessierten zu beschaffen und schnell zu lesen. Kernthese: die Ausschmückung der Umwelt dient vorrangig dazu, die wahren, üblen Lebensumstände zu verscheleiern. Sicher, das ist aus heutiger Sicht teilweise überholt, obwohl es gerade während der Gründerzeit weitgehend zutreffend gewesen sein dürfte (wobei Loos sich ja auf Wien bezieht, wo es eine Gründerzeit in diesem Sinne nicht gab). Es gibt aber auch genügend andere Autoren, die sich damit von verschiedenen Seiten auseinander gesetzt haben.


    Vermutlich greift hier auf die Schnelle am ehesten der Vergleich mit anderen Kunst-Sparten: ein möglichst buntes Bild sagt nichts über den Wert eines Gemäldes (und spricht am ehesten Kinderaugen an), ein möglichst aufwändig orchestriertes Musikstück sagt nichts über die kompositorische Qualität und eine Chartplatzierung nichts darüber aus, ob es sich um einen späteren Klassiker oder um einen kurzatmigen Sommerhit handelt (da kann die Masse für den Moment noch so sehr mit den Füßen abstimmen). Ein umfangreich tätowierter oder gepiercter Körper gilt auch in den wenigsten Kulturen als attraktiv (das ist auch einer von Loos' Ansätzen). Warum soll dann ein möglichst reich geschmücktes Bauwerk allgemeingültig als das Schönere empfunden werden? Wieviel von dieser Attraktivität ist reproduzierbar und wieviel bedingt sich aus der Imagination, die an den konkreten Ort und die Bauzeit geknüpft ist? Sicher, es ist hier wie da nicht auszuschließen, dass Trittbrettfahrer, die sich wider den Massengeschmack profilieren wollen, den Dissens zwischen Fachpublikum und Allgemeinheit (der in vielen Bereichen existent ist) nur noch unnötig anheizen.


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    Nur noch kurz zu dem Einwand, die Baumeister hätten wohl früher nichts von ihrem Fach verstanden. Brako, da ist eine recht undifferenzierte Annahme, mit der Kritik am heutigen Massengeschmack sollen die früheren Baumeister kompromittiert werden. Die Bedingungen, unter denen früher entworfen wurde, unterscheiden sich gewaltig von denen der heutigen Zeit. Die Kritik an manchen Einzelleistungen oder am Architekturverständnis einiger Zitgenossen haben keinen Einfluss auf die alten Baumeister - so es sie denn zu jedem Haus gab.


    Zu Zeiten Schinkels war es z. B. so, dass die Entwürfe für simple städtische Wohnhäuser und sonstige Profanbauten nur in den seltensten Fällen überhaupt von Architekten erstellt wurden. Die Bauweisen waren überwiegend traditionell und wurden von Haus zu Haus nur geringfügig abgewandelt (wobei in Berlin seit langem der Längswandtyp mit Mittelgang galt, der sich von den preußischen Kasernen ableitete). Für die Konstruktion waren Handwerker verantwortlich. Zur der Zeit gingen sämtliche grob skizzierten Fassadenentwürfe über den Tisch des Oberbaurats (später der Bauakademie) dessen Posten Schinkel selbst lange Zeit für weite Teile Preußens inne hatte. Der Meister hat dann die jeweiligen Skizzen konkretisiert oder komplett verworfen. Aus diesem Vorgehen entstand das einheitliche Aussehen preußischer Städte. Deren ursprüngliche Schönheit ergibt sich aus den einheitlichen Vorgaben - nicht umgekehrt! Dieses Verfahren galt m. E. noch bis in die 1860er Jahre.


    Während der Gründerjahre änderte sich das Verfahren etwas. Die Machtfülle des Oberbaurats wurde spätestens mit der Berliner Bauordnung von 1872 deutlich eingeschränkt (vermutlich wurde das Bauvolumen einfach zu unüberschaubar). In Sachen Konstruktion und Organisation galten weiterhin die überlieferten Prinzipien, die inzwischen auch für angehende Baumeister publiziert wurden. Einen Architekten gab es nur in seltenen Fällen. Die Fassadengestaltung war seither aber nicht mehr Bestandteil der Baugenehmigung. Üblicherweise wurden die Gestaltungsideen in den Anträgen nur anskizziert (und häufig auch noch völlig anders umgesetzt). Bei der Ausschmückung der meisten Wohnhäuser machten die Bauherren Anleihen an ihnen bekannten Beispielen, an Gemälden, illustrierten Reiseberichten etc. In der Anfangszeit der Gründerjahre war dabei die Schlossfassade maßgebend (vor allem die Fensterformate samt der markanten Tympanon-Formen und die Gesimse betreffend). So entstand dann später auch der typische Berliner Eklektizismus, während dem sich der Fassadenschmuck bei allen möglichen Stilen zugleich bediente. Die immer heftiger ausgeschmückten Vorderseiten der Häuser waren vorrangig wirtschaftlicher Natur (hier schon tausendmal erläutert). Architekten waren damals meist bei Villen oder hochherrschaftlichen Mietshäusern mit von der Partie. Deren Bauten, die meist eher über eine reduziertere und durchdachtere Ausschmückung verfügen und heute häufig im Berliner Westen zu finden sind, färbten ab etwa der Jahrhundertwene auch langsam auf die Entwürfe der einfacheren Mietshäuser ab. Erst ab der Novellierung der Bauordnung von 1923 (oder 24?) waren Architekten für die Entwurfsleistung in Berlin quasi unumgänglich. Das resultierte vor allem aus den negativen Erfahrungen, die man zuvor mit den Verhältnissen in manchem Spekulanten-Block gemacht hatte.


    Es bringt nicht viel, die Arbeit heutiger Architekten, die wesentlich vom Willen des Bauherren und dessen Budget, sowie von unzähligen einschränkenden Verordnungen und politischer Machtauslebung geprägt ist, gegen die Arbeit ihrer früheren Kollegen oder gegen historische Bauten im Allgemeinen aufwiegen zu wollen. Dazu sind die Rahmenbedingungen viel zu verschieden. Sicher könnte man einige Probleme lösen, wenn man wieder so eine Art höchstinstanzlichen Oberbaurat einführen würde. Nur ist das in einer Demokratie und in Zeiten der Schnellebigkeit kaum mehr praktisch durchführbar. Einige aktuelle Beispiele, wie etwa der Kampf um die Mediaspree, zeigen die möglichen Konflikte.

  • Hmm, AeG ich weiß gar nicht wie ich auf deinen XXL-Post antworten soll, und vor allem auf welche Teile. Nicht aufgrund seiner Länge, sondern eher weil ich nicht weiß, wo du jetzt genau auf mich Bezug nimmst und wo du Anderen widersprechen möchtest.


    Du hast schon recht. In der Tat fällt mir kein "wichtiges Bauwerk" ein, das im Massengeschmack als überfrachtet gelten würde. Ich selbst stelle Überfrachtung für mich auch meist eher bei Wohnbauten (das ein oder andere Gründerzeithhaus, die ein oder andere Villa) fest. Vielleicht liegst du da auch gar nicht so falsch, wenn du den Zusammenhang für die Masse ist Ornament=schön herstellen willst. Mich interessiert nur, wie kommt es zu dieser Annahme, und ist dem tatsächlich immer so?


    Was Raschdorff betrifft, gehe ich schon davon aus, daß der Dom den er letztendlich gebaut hat in weiten Teilen, und vor allem im Äußeren, dem Entwurf entspricht den er auch eingereicht hat. Mir ist eine Einflußnahme von kaiserlicher Seite nun nur für den Innenraum bekannt, aber ich kann mich natürlich irren. Daß der Dom unproportioniert wirkt möchte ich gar nicht negieren. Daß er nicht das herrausragendste Bauwerk ist, ist doch wohl auch nicht zu bestreiten. Ich denke allerdings, daß er bedeutend harmonischer wirken würde, wenn tatsächlich noch die alten Dachaufbauten bestehen würden. Anders als du AeG würde ich die Ursprungskuppel weder als monströs noch die Laternen als gewaltig bezeichnen. Dadurch, daß sie wesentlich höher, schlanker und feingliedriger als das Heutige Dachwerk waren würde ich sogar behaupten, daß sie dem Dom einiges von seiner erschlagenden Wirkung genommen haben und dadurch, daß die jeweils hintenliegenden Laternen durch die Zwischenräume besser zu sehen waren die riesigen Lücken zwischen Laternen und Hauptkuppel um einiges besser kaschiert haben.


    Raschdorff ist in der Architekturtheorie sicherlich bewandert genug gewesen, um zu wissen mit welchen möglichst allgemeingefälligen Mitteln er welche Wirkung erzielen konnte. In der Architektur gilt ja, wie in bildender Kunst und Musik auch, daß man sich an bestimmte Grundregeln hält (oder diese auch bewußt durchbricht), weil man weiß wie sie auf die meisten Menschen wirken. Meine Erinnerung an eben diesen Kurs an der Uni ist leider nicht mehr die beste, und ich fand es sowieso etwas schade, daß dieses Thema nur sehr oberflächlich gestreift wurde (ein paar Auszüge Vitruv hier, ein Stückchen Alberti dort, noch weniger Palladio und ein kleines bißchen mehr Le Corbusier), deshalb will ich da auch gar nicht anfangen zu diskutieren und mich womöglich gänzlich der Lächerlichkeit preisgeben.
    Bauten wie den Dom, etc. würde ich übrigens nicht in einen Topf mit Blockrandbebauung um die Jahrhundertwende schmeißen wollen, aber da hast du dich vielleicht auf andere im Thread bezogen, denn auch von der Aussage Architekturen verschiedener Epochen gegeneinander ausspielen zu wollen sehe ich mich eher nicht betroffen.


    Was ich in meinem vorherigen Post eigentlich eher zum Ausdruck bringen wollte, ist die Tatsache, daß es für mich immer etwas unfair klingt, wenn man der großen architekturmäßig nicht versierten Masse jegliche Fähigkeit zum guten Geschmack absprechen möchte. Deshalb interessiert es mich denn auch wieso diese Masse NewUrbans Meinung nach denn nun genau annimmt, daß besonders viel Ornamentik gleichbedeutend mit schön ist.

  • Hmm, ich finde dem Dom in seiner jetzigen Form auch nicht toll. Allerdings gefällt mir das Alte Museum ebenfalls nicht. Nur weils von Schinkel ist, ist es kein gutes Gebäude. Sieht mir persönlich zu sehr nach gequetschter Schuhschachtel aus. Jedoch gefällt mir die Raumgestaltung des Platzes.

  • Was ich in meinem vorherigen Post eigentlich eher zum Ausdruck bringen wollte, ist die Tatsache, daß es für mich immer etwas unfair klingt, wenn man der großen architekturmäßig nicht versierten Masse jegliche Fähigkeit zum guten Geschmack absprechen möchte. Deshalb interessiert es mich denn auch wieso diese Masse NewUrbans Meinung nach denn nun genau annimmt, daß besonders viel Ornamentik gleichbedeutend mit schön ist.


    ...und wieso dies auch die Meinung der Proletariermasse sein muss.
    Die Entwicklung von der dorischen zur korinthischen Säule wurde schließlich auch nicht von dem Geschmack der Normalbevölkerung getragen, sondern von Künstlern und den Entscheidungsträgern der Oberschicht, die Zeit und Muße hatten sich mit den schönen Dingen des Lebens auseinanderzusetzen.
    Sicherlich: die Entwicklung hin zu mehr Filigranität und mehr Schmuck am Beispiel der Antike geht mit zunehmenden Fertigkeiten in der Steinbearbeitung einher. Trotzdem kann man kaum verkennen, das hier NICHT ausschließlich der Gedanke: es ist machbar geworden, lasst uns korinthische Kapitelle schnitzen dahinterstand, sondern auch gerade der Wunsch des Menschen zu mehr Schmuck. Schmuck als Element das positiv auf die menschliche Wahrnehmung wirkt lässt sich ja nicht nur in der Architektur zeigen.
    Es stellt sich für mich daher mehr die Frage: Gibt es eine kritische Masse/Grenze ab der zuviel Schmuck schadet - und, angewandt auf unsere Fragestellung, wurde diese Grenze überschritten?


    Ob die Proportionen des Berliner Doms stimmig sind oder nicht entscheiden Kriterien an denen man sich orientiert bei der Erstellung von Gebäuden, Kunstwerken, Gegenständen die erstaunlich relativ allgemein akzeptiert werden (Gebrochen werden diese Kriterien in der zeitgenössischen Architektur allerdings zuhauf). Aber woher nimmt man Kriterien für gefällige Proportionen? Wieso 90-60-90? Es gibt Männer die sich an mehr an Rundungen erfreuen als die breite Masse. Die ist es letzlich die allgemeine Gefälligkeitskriterien festlegt.


    Zeitgenössischer Geschmack ist abhängig von unseren Voraussetzungen. Der Mensch strebt nach Schönheit. Kapitelle und Büsten konnten Gebäuden gemäß dem Empfinden der Masse Schönheit verleihen. Jahrtausendelang strebte man doch immer nach Schönheit, sofern es die Lebenssituation zuließ nach dem Notwendigsten noch Resourcen zur Verfügung zu haben. Um die vorletzte Jahrhunderwende wurde wohl der geschichtliche Punkt in Bezug auf Architektur erreicht Städte nach den vorherrschenden Schönheitskriterien so zu gestalten wie man es sich wünschte. Es meint damit die entscheidende Elite, allerdings dessen Geschmacksrichtung sich wohl nicht zu sehr von der der proletarischen Elite unterschied. Dieser Unterschied im Zeitgeschmack zwischen der (nicht mehr entscheidungsbefugten) Elite von Künstlern und der breiten (nicht mehr proletarischen) Masse scheint sich enorm geweitet zu haben seit dem von mir angenommenen historischen Zeitpunkt an dem eine Kehrtwende erfolgt ist: Ausschmückung war nicht mehr vorrangig erstrebenswert weil erreichbar geworden. Schönheit kann man auch durch Schlichtheit erreichen. Wird Schmuck deshalb in seiner Wirkung verkehrt? Natürlich nicht. Die kritische Grenze, wenn es sie gibt, ist wohl gesunken, in Bezug auf den breiten Geschmack. Die Schere zwischen Puristen und Ausschmückern hat sich geweitet. Aber die Frage bleibt: Wo setzt man diese Grenze an? Das mach wohl jeder persönlich für sich. Wer Bock drauf hat kann auch eine Untersuchungsreihe mit Probanden aus ganz Deutschland anstellen und ihnen Fotos von Kunstwerken oder Gebäuden unter die Nase halten um so ein Ästhetikdurchschnittsbewusstsein unserer Zeit und Kultur zu erhalten. Meine Annahme: Der Berliner Dom würde dabei sehr gut abschneiden.


    @ Wichtiges Bauwerk, das der Masse zu geschmückt wäre:
    Hundertwasser. Anhänger finden sich wahrscheinlich zu gleichen Teilen in der Künstlerelite als auch in der Proletariermasse (wenn ich das Wort auch jetzt schon 10 Mal verwendet habe - ich halte es immer noch für zynisch). Nur ist die Ablehnung hier sicher größer als das Wohlwollen.

  • Brako, im Wesentlichen habe ich mich auf Deinen Beitrag bezogen. Wobei ich Dir nicht unbedingt widersprechen, sondern lediglich einiges konkretisieren wollte.


    Das betraf die Kritik am Dom, wie sie seinerzeit vor allem vom Architektenverein zu Berlin ausging. Mag sein, dass die Laternen in der ursprünglichen Fassung dem Dom etwas mehr Leichtigkeit verliehen haben. An den bemängelten Proportionen ändert das aber nicht viel. Über den Einfluss des Kaisers auf dessen äußere Gestalt kann man sicher ewig streiten. Es gibt ja auch genügend andere Beispiele, bei denen die Verquickung der Ansprüche der Machthaber mit denen der ausführenden Baumeister kaum mehr vernünftig aufzubröseln sind, seien es Hitler/Speer, Henselmann/Ulbricht oder die Fostersche Reichstagskuppel. Der Architekt kann stets nur Vorschläge machen. Was letztlich von wem gebaut wird, entscheidet der Auftraggeber. Ob Raschdorff in der Architekturtheorie besonders bewandert war, entzieht sich meiner Kenntnis. Von einem Professor für Gestaltung sollte man das annehmen. Wobei ja die Architekturtheorie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts längst nicht mehr die Rolle spielte, wie noch zu Zeiten Schinkels. Sie gewann ja erst ab der Moderne wieder an Wichtigkeit. Architekturtheorie und Theorie der Gestaltung sind ja zwei verschiedene Paar Schuhe. Gerade während des Wilhelminismus hat sich die vordergründige Gestaltung eines Bauwerkes vollständig von dessen Funktion, Bedeutung und Raumwirkung entfernt. Nicht umsonst begreifen sich ja einige Protagonisten der frühen Moderne als Wiederentdecker der antiken Architekturtheorie.


    Vielleicht sollte man die heutige Bedeutung des Doms auch stärker differenzieren. Als evangelische Hauptkirche und in seiner raumbildenen Funktion ist dessen Bedeutung heute eine ganz andere, weniger bedeutende, als in der Rolle als dominierender Solitär und Touristenmagnet mit historisierendem Pathos.


    Mag sein, dass ich Dich etwas verwirrt habe, da ich die Themen Ornament und alte Baumeister nicht nur auf wichtige Sakral- und Profanbauten gemünzt hatte. Aber auch wenn man sich lediglich auf die großen Meister und ihre Werke bezieht, sehe ich keinen Widerspruch zwischen der Wertschätzung für diese Leistungen und der Kritik gegenüber dem heutigen Ruf nach beliebiger Reproduktion dieser Bauten und gegenüber dem Verabscheuen aller neuzeitlichen Ergebnisse. Die Aufreihung von Bauten verschiedenster Epochen als eine Abfolge von These und Antithese funktioniert nicht. Das haben sich alle möglichen Leute von Hilbersheimer bis Scharoun ankreiden zu lassen. Jedenfalls ist das meine Meinung.


    Die derzeit populäre Abwägung zwischen einer eher laienhaften Formanalyse historischer Meisterwerke und den Ergebnissen heutiger Bautätigkeit führt m. E. aber in eine Sackgasse. Die reiche Ausschückung antiker Bauwerke bedingt sich entstehungsgeschichtlich, liefert explizite Aussagen und ist Teil eines Entwicklungsprozesses. Die beliebige Reproduktion des klassischen Ornamentes führt aber nicht zu einer dauerhaften Wertanhebung neuer Bauten, sondern lediglich zu Sättigung und irgendwann zu erneuter Abkehr. Das haben die Gründerjahre bereits gezeigt und daran ändert auch deren neuere Beurteilung in der heutigen, gewandelten Erscheinung nicht viel. Oder anders: Heinz Kasuppke bleibt Heinz Kasuppke, selbst wenn er sich die Bude mit Rolf Benz -Möbeln zustellt - auch wenn das erst so richtig deutlich wird, wenn jeder Heinz schick möbiliert ist.


    Nach meiner Auffassung gibt es genügend Möglichkeiten, zeitgemäße Bauten auch ohne billiges Kopieren des Althergebrachten attraktiv zu gestalten und dabei wieder eine eigenständige Sprache zu entwickeln, die auf regionalen Traditionen fusst. Das ist aber heute von vielen Seiten nicht erwünscht. Lieber bedient man sich in immer höherer Frequenz der Ergüsse irgendwelcher Paradigmenreiter, um seinen Fußabdruck zu hinterlassen. Das war zwar früher auch nicht anders, aber man war - gewissermaßen zum Glück - etwas beschränkter in den intellektuellen Fähigkeiten und technologischen Möglichkeiten.