Stadtgespräch Berlin / dies und das

  • Warum sind denn andere Städte in denen rekonstruiert wird so erfolgreich ? In Dresden hat die neue Frauenkirche die ganze Stadt in Euphorie versetzt und ein großes Stück ihres eigentümlichen Selbstverständnisses zurückgegeben.
    Mich hat immer gewundert das von der Rekonstruktion des Stadtschlosses gesprochen wird, wo doch "nur" die Fassade wiedererstehen wird.
    Die Fassaden des Alten Berlins waren ja relativ zurückhaltend und galten vielen als zu einem zu bescheiden ländlichen Barock! Wenn man wollte könnte man so viel davon wieder erstehen lassen. Wenn Polen das in Warschau, Danzig und Breslau bis heute praktiziert, dann sollten wir in Dt. das auch können. Überhaupt bewundere ich die Polen für ihren großen Respekt vor den Alten Gebäuden in den verlorenen dt. Städten und nicht nur dort.
    Falls das Geld das Hauptproblem dabei ist, dann müssen wir mal darüber diskutieren.
    Die Moderne Architektur hat dann trotzdem immer noch unendlich viel Raum um sich zu präsentieren!
    Übrigens kommt ja Schinkel bei vielen seiner Entwürfe fast ohne Stuck aus.
    Dieses Haus hier am Hausvogteiplatz hat doch Stil:


    http://www.stadtentwicklung.be…iste&ProjektID=442&pl=_18


    auch dieser Neubau gefällt mir:


    http://www.stadtentwicklung.be…ID=443&modus=liste&pl=_18

  • Auch wenn Stränge geschlossen werden, so möchte ich doch meine Meinung kund tun und richtig stellen. Berlin wäre nicht erst mit der Installation einer möglichen permanenten Kunsthalle am Humboldthafen auf einer Stufe mit London oder New York was den Kunstmarkt anbetrifft.
    Berlin ist es jetzt schon. Was den Zuzug von Kunstschaffenden angeht, den Aufschwung der Gallerien allen Ortes, der Wahrnehmung Berlins im Ausland, der Auszeichnung zur Unesco-Design-Stadt...
    Deswegen freue ich mich auf die temporäre Kunsthalle auf dem Schloßplatz und einem fixen Ort wo immer der in Berlin auch sein wird. - Das ist alles was ich dazu sagen wollte -

  • Dito, dito, dito, ... Osito!
    Wenn es einen Bereich in Berlin gibt, der auf allerfrischestem, globalem Level steht, dann ist es die junge Kunstszene.

  • Geht mir ebenso. Was derzeitig fehlt, ist einfach eine entsprechende Ausstellungsstätte, die die in Berlin vorhandene moderne und zeitgenössische Kunst dem "einfachen Volk" zugänglich macht und somit diesen in der einschlägigen Szene bereits begründeten Ruf auch allgemein manifestiert.


    London hat seine Tate, New York sein Guggenheim und MoMA - nur in Berlin fehlt entsprechendes.

  • Mir ist jetzt schon öfters bei bestimmten Lichtverhältnissen von der S-Bahn aus aufgefallen, dass diese tristen Platten am Schiffbauerdamm leerzustehen scheinen(ein Blick durch die Fenster zeigt gähnende Leere). Wie stehen die Chancen, dass der Anblick beim Spazieren am Reichstagufer sich verbessert?
    Ich denke diese Gebäude würde keiner vermissen und man könnte dort sicher einige Inverstoren finden.

  • Der Bau ist erst während der Wendejahre entstanden. Deshalb verbindet sich hier leider die typische Plattenoptik mit einem eher zweckmäßigen "Innenleben" und einer einigermaßen zeitgemäßen Bauausführung. Man erkennt das auch an den Fugen. (aus der Ära gibt's auch noch einige WBS70-Wohnblöcke am Stadtrand)*. Es hieß hier mal, das Gebäude würde angeblich unter Denkmalschutz stehen, da die Ausbildung mit einem Mittelrisaliten für diesen Typus einzigartig sei. Allerdings ist er in den Denkmallisten nicht verzeichnet (und mich würde es auch sehr wundern, wenn das ein Grund dafür wäre,; aber vielleicht ist es beantragt). Der Eigentümer ist m. E. der Bund. Da kann es eine Weile dauern, bis der sich entschieden hat, wen er dort zukünftig unterbringen will oder was damit geschehen soll. Ausserdem läßt der sich am wenigsten von den Gestaltungswünschen des Senats beeindrucken.

    Edit *: in diese Rubrik gehören auch große Teile der Wohnbebauung an der Wilhelmstraße (was ein Indiz dafür ist, dass diese Häuser nicht von hohen Parteifunktionären bewohnt wurden, wie hier vor kurzem jemand behauptet hat)

  • Darin waren bis vor kurzer Zeit, soweit ich weiß, noch die Reparaturwerkstätten des Bundes. War etwas kaputt wurde der Praktikant damit dorthin geschickt.
    In einem Artikel (der hier im Forum auch irgendwo irgendwann mal verlinkt war) war mal erwähnt worden, daß Sephan Braunfels auch für diese Flächen bereits Entwürfe vorgelegt hatte, die seine "Band des Bundes" Gebäude weitergeführt hätten. Ich glaube mich zu erinnern, daß der Bund laut Wolfgang Thierse da erstmal noch keine Pläne hatte weiterzubauen, das ganze jedoch nicht auschloß.


    Edit: Im "Regierungsviertel" Thread zu finden.


    Zitiert aus dem Tagesspiegel


    "An der Luisenstraße schließe der Parlamentskomplex an die Stadt an. Weitere Parlamentsbauten auf der anderen Seite der Luisenstraße hat der Architekt als Simulation schon entworfen. Aber die sind noch nicht spruchreif."


    Zitiert aus Bundestag.de


    "Eine zukünftige Erweiterung auf der gegenüberliegenden Seite der Luisenstraße bis zum S-Bahnhof Friedrichstraße ist, laut Wolfgang Thierse, nicht ausgeschlossen."


  • Zitiert aus dem Tagesspiegel - Leserkommentar


    < Band des Bundes
    "Weitere Parlamentsbauten auf der anderen Seite der Luisenstraße ... sind noch nicht spruchreif." schreiben Sie.
    Aber ist das wirklich wünschenswert?
    Sicherlich gibt es viel "Schrott" zwischen Schiffbauerdamm und Luisenstraße aber auch ein respektables Verwaltungsgebäude aus der Gründerzeit, das zur Hälfte in der Flucht vom "Band des Bundes" liegt.
    Nicht nur daß es besser wäre, die Lücke dieses Bandes zwischen Kanzleramt und Abgeordnetenhaus endlich zu füllen.
    Auch täte eine kleinteilige Wohnhausbebauung an der Spree dem Lebensgefühl des Regierungsviertels gut! >

  • Mich stört der Plattenbau Richtung Schiffbauerdamm gar nicht so sehr. Viel peinlicher stellt sich die Situation von der Stadtbahn aus dar: schmuddelige, verwahrloste Hinterhöfe der übelsten Sorte. IMHO besteht dort dringend Handlungsbedarf.

  • Stimmann-Bashing in der Mopo:


    http://www.morgenpost.de/kultu…rne_Bauten_in_Berlin.html


    Taschentuch bereithalten: Arme Architekten dürfen nicht wie sie wollen. Sie wollen mutig sein, innovativ, unkonventionell, extravagabund. Große Künstler halt.


    Wenn der Artikel den allmähliche Abkehr von Stimmann'schen Gestaltungsmut andeutet, steht ja Berlin viel architektonischer Rotz ins Haus!

  • Schon klar. :nono:


    Stimmanns "Vision" war es, zunächst mal aus dem fragementierten Schwarzplan des geteilten Nachkriegs-Berlin wieder eine "richtige" Stadt nach europäischem Muster zu machen. Seine Mittel: Traufhöhe, Blockkante, steinerne Lochfassade, waren vielleicht etwas hausbacken (die Ergebnisse werden schließlich auch von vielen Nostalgikern kritisch beäugt), aber gemäß der Zielsetzung effektiv. Dass an manchen Stellen überzogen wurde (genau, wie an anderen die Genehmigungen für "Spektakuläres" zu leichtfertig vergeben wurden), bleibt bei der Menge an Projekten nicht aus. Und dass diese Vorgaben im Fall des einzelnen Gebäudes oft Mittelmaß generierten, versteht sich auch fast von selbst. Aber das Entstehen von schillernden Einzelbauten war ja auch nicht Stimmans Hauptaugenmerk. Er war Senatsbaudirektor, nicht Mitglied einer Pritzker-Jury!


    Er selbst hat aber stets betont, dass er nichts gegen Solitäre einzuwenden hat, wenn sie sich den Gegebenheiten unterordnen und an den passenden Stellen platziert sind. Vor allem seine dazu gehörigen Auslegungen wurden häufig kritisiert - nicht nur von Architekten, sondern vor allem von Investoren, aber auch von "einfachen Leuten", denen die Belanglosigkeit der real entstehenden neuen Bauten nicht als die angemessene Antwort auf die im internationalen Kontext hochgezogenen Superlativen war.


    Als Schutzpatron der Bekloppten und Bescheuerten* muss sich Stimmann deshalb noch lange nicht feiern lassen. Das hat er nicht verdient! Und als Beleg für gute Architektur taugen die, unter seiner Ägide entstandenen, Berliner Bauten auch nur bedingt. Das weiß Stimmann mittlerweile sogar selbst. Ihre aus dem Kontext gelöste Erscheinung ist erst recht nicht dazu geeignet die Demarkation zwischen Gut und "Rotz" zu bilden.




    Der MoPo-Schreiber scheint übrigens auch der hier gängigen Illusion anzuhängen, Architekten würden Häuser bauen.



    * Zitat: Dietmar Wischmeyer

  • Architekten entwerfen Häuser, die haben meist nicht das Geld, selbst zu bauen.


    Naja, ich finde Stimmanns Agenda gar nicht schlecht. Gute Architektur mag vielleicht dadurch nicht möglich gewesen sein, allzuschlechte wurde allerdings gut verhindert. Und Stein altert irgendwie ja auch besser.


    Mal schauen, was die Zukunft bringt. Auf jeden Fall finde ich Berlin von der Bautätigkeit wesentlich interessanter als München oder Hamburg. Nur die Berliner sehen sich selbst wieder wesentlich kritischer...

  • Also ich finde mich gar nicht so kritisch. Immerhin besitzt der Stimmannsche Weg eine gewisse Originalität. Ob der allerdings einen Wert hat, wird erst die Zukunft zeigen.


    Stimmt schon, die strikten Vorgaben generieren zwar oft Mittelmaß und verhindern so manches Highlight, aber dafür bleiben uns Katastrophen weitgehend erspart. Was unterm Strich besser ist, wird wohl nie endgültig ausdiskutiert werden können. Lieber täglich Eintopf? Oder hin und wider einen leckeren Braten mit ungenießbarer Beilage? Ansichtssache. Könnte höchstens sein, dass dem Eintopf auf Dauer die Ingredienzen abhanden kommen, wenn in der Küche keine Reste vom Sonntagsbraten mehr anfallen.


    Der einzelne Architekt muss sich übrigens nicht nur gegenüber der Macht des Investorenportemonnaies demütig zeigen, sondern sich auch allerhand politisch oder sonstwie legitimierten Bürokraten unterordnen. Die wollen meist auch die Machtfülle ausreizen, die ihr jeweiliges Amt vorgibt (habe erst vor kurzem wieder während eines netten Gesprächs mit msc-berlin bez. Leipziger Straße 50 von einigen absurden Polit-Possen erfahren). Daher ist es m. E. auch nur eine Frage der Zeit, bis die Stimmann-Doktrin von einem Nachfolger auf den Kopf gestellt wird. Schließlich erklimmen nur Machtmenschen die betreffenden Positionen.

  • http://www.spiegel.de/spiegelspecial/0,1518,561623,00.html


    In Hamburg haben sie jetzt festgestellt, dass viele der neuen Gebäude in der HafenCity "in keinem Bezug zueinander" stehen und "wie Einzelbauten" wirken. Und das obwohl die Architekten - jeder für sich - versucht haben, so hamburg- und hafentypisch zu bauen wie es nur geht. Dagegen erhält man mit den stimmannschen Regeln einen Bau, der sich in das historische Baugeschehen Berlins nahtlos einfügt und gerade keinen Fremdkörper darstellt. Und es ist noch nicht einmal festgelegt, ob der Stil dann modern oder historisierend sein soll. Mit Stimmann ist vieles möglich, die Einschränkungen sind gar nicht so streng. Man muss nicht langweilig und fade bauen, nur weil man alle Regeln beachtet.


    Es ist fraglich, ob ein Architekt, der mit Stimmann kein attraktives Gebäude fertig bringt, dies ohne seine Regeln besser hinbekäme. Wenn er ortstypisch bauen will, dann müsste der Architekt von sich aus auf die berliner Traufhöhe kommen und diese in seinem Entwurf irgendwie zitieren. Ich finde die Lösung für Berlin ist in Zukunft gerade mehr Stimmann und nicht weniger. Man muss ihn ja nicht so strikt auslegen wie die 10 Gebote, aber an je mehr Vorgaben man sich hält umso besser. Denn richtig hässlich wird es erst da, wo keine einzige Regel beachtet wird und etwa ein sanierter Plattenbau knallhart auf einen Altbau trifft. Da ist die Stadt dann einfach kaputt, obwohl beide Häuser heil sind.

  • ^ Das ist aus meiner Sicht eines der Hauptprobleme Berlins: das Konkurrieren verschiedenster Paradigmen auf engstem Raum. Das beginnt schon bei der Verkehrsplanung, wo verkehrsberuhigte Trampelpfade direkt von mehrspurigen Hauptachsen abgehen - unabhängig vom Bedarf und lediglich der jeweiligen rechtlichen Situation ihrer Entstehungszeit geschuldet (als ob es Anwohner erster und zweiter Klasse gäbe) und geht über Platten-Solitäre und Westberliner Sozialbauten der Siebziger Jahre, die zwischen halbwegs erhaltene historische Strukturen geklatscht wurden, bis hin zu den heutigen Konsumtempeln, die sich am liebsten eine verträumte Umgebung suchen. Bevor eine Utopie konsequent umgesetzt wurde, kam der nächste Schlaumeier und begann wieder von vorn. Das provoziert in Berlin geradezu, auf Schritt und Tritt Stellung zur gebauten Umwelt beziehen zu wollen. Jede sibirische Industriestadt ist homogener.


    Ursache dieser besonderen Situation, die Berlin im internationalen Vergleich aus der Sicht des Eingeborenen meist abwertet, dürfte neben den Kriegszerstörungen und den späteren politischen Sonderrollen auch die Entstehung aus vielen einzelnen, noch um die letzte Jahrhundertwende nicht räumlich verschmolzenen, Gemeinden sein. Möglicherweise spielt da auch der Drang des Deutschen mit hinein, stets eine Vorreiterrolle im Klub der Weltverbesserer anzustreben.


    Vielleicht sind es aber auch gerade diese einzigartigen Brüche, die Berlin zumindest für Aussenstehende so besonders attraktiv erscheinen lassen. Die touristische Entwicklung legt das nahe. Statt sich selbst zu bemitleiden und wenig erfolgversprechend zu versuchen, die berühmten europäischen Vorbilder (inklusive des Berlin der Postkartenansichten um 1910) einzuholen, sollte man möglicherweise eine offensive Vermarktung des Ist-Zustandes (inklusive der realistischen zukünftigen Optionen) anstreben.

  • AeG
    Ich denke, daß Du in Deinem Artikel den Sachverhalt bezüglich der Stadtgestalt Berlins sehr gut auf den Punkt gebracht hast; ich möchte in diesem Zusammenhang auf ein bereits im Jahr 2000 erschienenes Buch hinweisen, nämlich "Berlin - Stadt ohne Form" von Philipp Oswalt.
    Kurzrezensionen dazu unterhttp://www.perlentaucher.de/buch/3564.html
    Als Kernaussage seines Werks kommt Oswalt zu dem Schluß, daß gerade die aus dem immer wiederkehrenden Scheitern großer Gestaltungsvisionen resultierende fraktale Brüchigkeit die eigentliche, archetypische Qualität Berlins sei, welche die Stadt von anderen Metropolen unterscheide und sie einzigartig mache. Diese These belegt er in einer lesenswerten Analyse der Berliner Geschichte und ihrer Auswirkungen auf die Morphologie der Stadt.
    Ich denke, "Berlin - Stadt ohne Form" ist empfehlenswert als Denkanstoß für all diejenigen, die sich in Berlin nach einem homogenen, Kontinuität vermittelnden Stadtbild sehnen...
    Ich will nicht sagen, daß es schlecht ist, sich nach einer "heilen", homogenen, "historischen" Stadt zu sehnen, nur glaube ich, daß Berlin dafür, insbesondere nach seinem ganz besonderen 20. Jahrhundert einfach der denkbar falscheste Ort dafür ist; die heutige Brüchigkeit der Stadt, auch ihre immer noch anhaltende ökonomische Schwäche ist meiner Ansicht nach eine Folge diese 20. Jahrhunderts, und es gibt wohl kaum eine Stadt auf der Welt, in der praktisch alle großen Konflikte dieses Jahrhunderts mit so viel zerstörerischer Energie ausgetragen wurden wie hier.
    Als Folge dieser Zerstörung (die sowohl von dieser Stadt ausging, aber auch wieder auf sie zurückschlug) fehlen Berlin heute ca. 750.000 Einwohner, es fehlen urbane Eliten, die das Wort verdienen, und es fehlen eben erst recht städtebauliche Homogenität und Kontinuität.
    Die Brüchigkeit Berlins ist ganz gewiss etwas, was die Stadt heute für Außenstehende attraktiv macht, im Sinne einer "offenen Stadt", die gerade weil sie nicht "fertig" ist Raum für subjektive Zukunftsprojektionen läßt; allerdings um den Preis, das Berlin ganz gewiß keine gemütliche, behagliche Behausung ist, sondern immer wieder seine besondere Härte und Zugigkeit spüren läßt, weswegen gerade die Einheimischen sich nach ein wenig heiler Welt sehnen, da sie sich diesen Ort ja nicht bewußt ausgesucht haben.
    Ich fürchte jedoch, es bleibt kaum eine andere Option, als die Härte und Brüchigkeit auszuhalten und zu akzeptieren, und paradoxerweise kann gerade der Verzicht auf neue Versuche, die Stadt nach einer bestimmten Doktrin zu überformen, um dann wieder in Torsi zu enden ein Weg sein, die Stadt im Sinne eines die vorhandenen Strukturen akzeptierenden "sowohl-als-auch" aufzufüllen und allmählich den Substanzverlust der Zerstörungen des 20. Jahrhunderts zu kompensieren; dieser Prozeß braucht aber Zeit, wahrscheinlich 20, 30, 40 Jahre, und bei aller Ungeduld, die auch hier im Forum bei manchen Teilnehmern zu spüren ist, denke ich daß es wahrscheinlich nur eine Alternative dazu gibt, so manche Leere und so manche Brache noch lange auszuhalten: Aus Berlin fortziehen...

  • Ich kenne das Buch nicht, klingt alles recht plausibel. Aber nur weil etwas einzigartig ist, muss es doch nicht gleich gut oder hinnehmbar sein, s. z.B. die Mauer...


    Dass das ganze die Stadt für Außenstehende attraktiv macht, hört man ja hier auch oft ("so spannend, blabla"). Aber was ist mit den "Innenstehenden"? Viele jüngere Besucher denken das aber bestimmt eher wegen der Partyszene und andere Durchschnittstouris kommen einfach, weil sie das Brandenburger Tor etc. sehen wollen und nicht weil sie denken "Ich will unbedingt die leeren Grundstücke/das Autbahnkreuz Molkenmarkt und andere verkrüppelten Strukturen sehen", weil sie keine Ahnung von der Vorkriegs- und Architekturgeschichte der Stadt haben. Und wär sie heil (ich rede nicht von Rekos oder so!), würden genauso Touristen kommen, wegen der Hauptsehenswürdigkeiten/Partyyszene.


    Und das Ultimatum "akzeptieren oder wegziehen" kanns ja nun auch nicht sein, bes. wenn man hier geboren, aufgewachsen etc. ist. Vor allem, wenn das Objekt des Ungemach theoretisch behebbar ist, im Gegensatz z.B. zu einem Vulkan, der vor dem Brandenburger Tor aus dem Boden ragt (mal etwas übertrieben gesprochen).

  • Da ich viel mit Touris zu tun habe, möchte ich zu deinem zweiten Absatz, Ben, meine Erfahrungen erwähnen.


    Ich frage die Touris auch oft, was ihnen an Berlin gefällt und welchen Eindruck sie haben. Ausländische Touris (in meinem Fall meist aus südeuropäischen und südamerikanischen Ländern) erwähnen mir gegenüber, dass sie folgendes an Berlin beeindruckend finden:


    Die breiten Straßen, das viele Grün und Wasser, viele tolle und monumentale Bauwerke und Baukomplexe, die relative Ruhe auch im Zentrum, die sehr unterschiedlichen Viertel speziell außerhalb der zentralen Tourigebiete (geht mal nach Madrid, Neapel oder Buenos Aires und schaut euch die Gegenden außerhalb des Stadtzentums an, da wird es schnell verdammt öde und langweilig)... Und Straßen oder Gegenden, die wir Bewohner vielleicht baulich gar nicht soo toll finden wie Kudamm oder Warschauer Straße, finden die richtig gut.


    Natürlich interessieren sie sich auch sehr für alles, was mit der Mauer zu tun hat und teilweise auch für Nazibauten, aber Berlin hat eben all das und offensichtlich ist das für Besucher nicht nur spannend, sondern auch interessant, attraktiv, monumental und durchaus schön.


    Viele sagen auch oft, dass sie eine ganz andere Erwartung hatten und sehr positiv überrascht sind von Berlin.


    Und sowas wie das "Autobahnkreuz Molkenmarkt und andere verkrüppelten Strukturen" haben deren Großstädte durchaus auch, wenn auch nicht kriegs- und Teilungsbedingt. In Italien z. B. ist mir das immer extrem aufgefallen, nicht nur im ärmeren Süden, auch in Mailand oder Genua gibt es grausame Gegenden, da muss man auch nicht allzuweit rausfahren...

  • Stimmt in Genua und Mailand gibt es extreme Bausünden, allerdings ist zumindest in Genua noch viele alte Bausubstanz erhalten. Turin ist allerdings vorbildlich, vielleicht auch deshalb weil es eine relativ reiche Stadt ist und letztens dort Olympische Winterspiele waren.
    Auf dem flachen Land sieht die Sache aber anders aus. Dort verfällt vieles und niemand scheint es zu stören.

  • Schuld an der fehlenden Homogenität Berlins (die nicht zwingend ein Nachteil sein muss) sind wohl hauptsächlich die Charackterzüge der Deutschen. Andere euopäische Städte (z.B. Warschau) waren nach dem Krieg auch völlig zerstört und sind postkartengetreu wiederaufgebaut worden. Andere Völker hatten eben nicht dieses Bedürfnis (Schuldkomplex), sich in einer inszinierten Stunde Null komplett neu erfinden zu müssen. Dazu kommt, dass die Mehrparteien Demokratie in Deutschland erhebliche Schäden bei Disziplin und Gehorsam angerichtet hat. Sich einfach mal ohne Murren und Aufbegehren an die stimmannschen Regeln halten, das ist heut einfach nicht mehr drin. In einer Nation von Besserwissern muss hinter jeden Architekten ein Aufpasser stehen, nur um sicherzustellen, das simpelste Regeln beachtet werden.


    Und Straßen oder Gegenden, die wir Bewohner vielleicht baulich gar nicht soo toll finden wie Kudamm oder Warschauer Straße, finden die richtig gut.

    Das fällt mir extrem beim Potsdammer Platz auf. Wir haben da mal eine Stadtführung für eine Kanadierin gemacht. Da hörst du ständig nur "very nice, very nice". Und Obama wollte angeblich auch dort reden, weil der Ort "das neue Berlin" verkörpert.