Rekonstruktionswelle in Deutschland oder nur Ausnahmen?

  • Die gezeigten Gebäude von Pflo aus Dubai sind auch wieder so ein Beispiel, dass historisch getrimmte Neubauten oftmals wie aus der Retorte aussehen. Als 5-Sterne-Ferienanlage sind solche Wohnanlagen sicherlich fantastisch, für den Städtebau eher nicht.


    @ Dvorak
    Der Historismus in Deutschland hat m.M.n. auch das Problem, dass er sich nur selten dem Ort unterwirft, und sich stattdessen das prächtigste beispiel nimmt, das man finden konnte.


    Du scheinst zu vergessen, dass der Historismus in erster Linie neue Gebiete erschloss, nicht aus Geltungssucht, sondern aufgrund aufkeimender Industrialisierung und dem enormen Anstieg der Bevölkerung in den Städten. Neben pompösen Repräsentationsbauten (die aber auch nicht pompöser waren als solche im Hoch- bzw. Spätbarock oder auch in der Renaissance), gab es 'ne ganze Reihe von stinknormalen Gründerzeitlern. Und dort, wo ortstypische Bebauung Gründerzeitlern weichen mussten, hat man schon meist versucht, sich den regionaltypischen Baugepflogenheiten anzupassen. Gutes Beispiel: Braubachstraße Frankfurt. Regionaltypischer können "Neubauten" nicht sein, oder? Etwas differenzierte dahingehend muss man vielleicht den Jugendstil betrachten.


    Es gibt aber auch Beispiele, wo sich gründerzeitliche Neubauten harmonischer als Vorgängerbauten ins Ensemble einfügen. Die ehemalige Thomasschule in Leipzig, ein belangloses Barockgebäude, stand bis ca. 1900 in Nord-Süd-Ausrichtung neben der Thomaskirche. 1902 errichtete man an gleicher Stelle die sowohl städtebaulich als auch architektonisch bessere Superintendentur der Thomaskirche. Zum Vergleich:


    Die Thomasschule, so wie sie bis ca. 1900 stand.
    http://upload.wikimedia.org/wi…t_in_the_Thomasschule.jpg
    Quelle: wikipedia



    Und hier -gleiche Perspektive wie obiges Bild- die errichtete Superintendentur (nächsten 2 Bilder von mir 2006 geknipst). Sowohl das Gebäude selbst, als auch der verwendete Muschelkalkstein...



    ...und die geänderte Ost-West-Längsausrichtung passen m.M.n. nun besser zur Thomaskirche als auch zum Platzensemble.


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  • Mir ist keineswegs entfallen, dass der Historismus sich vorwiegend in den Gründerzeitringen ausgetobt hat, man kann einen Stil aber nicht dahingehend untersuchen, ob er Brüche generiert, wenn man sich auf geschlossene Ensembles konzentriert. Ob ein Stil diese Brüche schafft, kann man ausschließlich dort erkennen, wo er im Bestand gebaut wurde. Deiner Logik nach sollte man der Moderne auch keine Brüche vorwerfen, weil sie sicher zu 90% neue Gebiete erschlossen hat, sei das nun eine grüne Wiese, oder eine abgeräumte Altstadt gewesen.
    Sicher gibt es Beispiele für guten sich in den Bestand integrierenden Historismus , die machen, wie wahrscheinlich bei den meisten Baustilen nur einen Bruchteil aus.
    Zumeist sehe ich so etwas:

    foto: Meins
    Der Kohlmark in BS war ein von 3-4 stöckigen barocken (der norddeutsche, schlichte) Gebäuden dominierter Marktplatz. Man könnte jetzt lange schwadronieren, dass die Höhe in keinerlei Verhältniss zu Umgebung steht, dass die "Pracht" der beiden Gründerzeitler dem Ort unangemessen ist, dass sie die dazwischenliegenden Gebäude erschlagen uswusf ... Es reicht schon ein Blick auf das Foto, und die kurze Überlegung wo man zuerst hinsieht, um das übersteigerte Geltungsbedürfniss dieser "schau mich an" schreiender Bauten zu erkennen.
    Ich will nicht den Historismus als solchen schlecht machen, auch wenn ich es gerde tue, ich will nur mal zeigen, dass Retro nicht im geringsten oder kaum zu weniger Brüchen führt. Der Historismus war in meinen Augen ein nettes Experiment, kann in Form einer Retro-Welle aber nicht die Zukunft sein.
    Ein relativ gut integriertes Gebäude des Historismus findet sich nur 100m weiter, ist in meinen Augen aber die Ausnahme, das nächste Negativbeispiel steht nämlich wieder nur 50m weiter.
    Cowboy dein Beispiel integriet sich nach deinen Bildern zu urteilen tatsächlich gut, es fällt aber schwer, das wirklich so zu unterschreiben, da man die Thomaskirche kaum sieht, und auch die wichtige westfassade nicht zu sehen ist. Man kann den Vorgängerbau auch schlecht anhand einer monochromen Zeichnung bewerten. Im Vorgängerbau hat immerhin Bach gewohnt, da weiß ich nicht, ob der angenommene Gewinn den historischen Verlust aufwiegen kann. Das ist aber anscheinen ein weiteres Charakteristika des Historismus, dass er besonders gerne historisch wertvolle Gebäude durch eigene ersetzt, um ihnen besonderen Wert zu geben.


    Schnack:
    Der Wideraufbau Rotterdams besteht eigentlich nur aus Einzelbauten, die wie zufällig über einem historischen Grundriss verteilt sind. Ich halte Rotterdam für ein gutes Beispiel der von Agamemnon erwähnten sich ausschließenden Konzepte. Ein wirkliches Thema oder Leitkonzept hat der Wiederaufbau dort nie gehabt. Auf der einen Strassenseite findet man eine Blockstruktur, auf der gegenüberliegenden dann eine quer zur Strasse verlaufende Zeilenbauweise.
    Andere Städte haben sich frühzeitig zumindest für einzelne Bereiche der Altstädte mehr oder minder verbindliche Pläne gemacht, da wirkt dann alles "wie aus einem Guss".

  • die westfassade der thomaskirche ist selber gotisierender historismus. vorher war die fassade sehr schlicht, da sie an die damalige stadtmauer grenzte.


    im übrigen schliesse ich mich der argumentation von agamemnon an. auch glaube ich nicht, dass eine rekonstruktionswelle deutschland überrollen wird. aber es werden sich wohl die diskussionen darüber verstärken, wie deutsche städte (wieder) ein unverwechselbares - oder zumindest ansehnliches - gesicht bekommen können. im ergebnis kann das zu vereinzelten rekonstruktionen führen und bestenfalls auch zu neubauten, die künftig die stadtbilder positiv prägen werden.
    das der weg dorthin noch weit ist, zeigt die breite masse der hier im forum vorgestellten untereinander beliebig austauschbaren neubauprojekte.

  • Deiner Logik nach sollte man der Moderne auch keine Brüche vorwerfen, weil sie sicher zu 90% neue Gebiete erschlossen hat, sei das nun eine grüne Wiese, oder eine abgeräumte Altstadt gewesen.


    Das ist jetzt aber Unfug. Mir geht es darum, dass unsere abgeräumten Altstädte ihre Idendität zurückerhalten, was in meinen Augen nur mit Rekos (nicht Retros!) gelingen kann. Da ist es mir schon fast egal, ob es an der städischen Peripherie wie in einer russischen Plattenbauwüste aussieht. Wenn du kritisiert, dass ein Gebäude abgerissen wurde, wo einst Bach drin wohnte, kannst du das doch sicher nachvollziehen.


    Cowboy dein Beispiel integriet sich nach deinen Bildern zu urteilen tatsächlich gut, es fällt aber schwer, das wirklich so zu unterschreiben, da man die Thomaskirche kaum sieht, und auch die wichtige westfassade nicht zu sehen ist.


    Gerade die Westfassade der Thomaskirche und der Superintendentur vertragen sich sehr gut. Nun muss ich aber noch erwähnen, dass das Westportal der Thomaskirche um 1890 im neogotischen Stil neu gestaltet wurde, weshalb die Thomasschule daneben erst recht fremd wirkte. Das wird wohl der Grund gewesen sein, die Thomasschule abzureißen und durch einen passenderen Neubau zu ersetzen. Zum Vergleich folgende 2 Bilder:


    Westseite Thomaskirche mit Thomasschule vor dem Umbau, um 1885


    Gleiche Perspektive nach den Umbaumaßnahmen samt neuer Superintendentur:
    http://i196.photobucket.com/al…70/Slache/MI06832c11b.jpg
    Quelle: http://www.bildindex.de

  • Cowboy:


    Mir geht es darum, dass unsere abgeräumten Altstädte ihre Idendität zurückerhalten, was in meinen Augen nur mit Rekos (nicht Retros!) gelingen kann.


    Wenn es darum geht, die Altstädte genau in der Form wiederzuhaben, wie sie bis 1943 oder auch bis in die 50er Jahre existierten, mag das trivialerweise richtig sein. Nur: weshalb sollte das die einzige Möglichkeit sein?

  • @ agamemnon


    Die einzige Möglichkeit sollte es freilig nicht sein und ist es auch nicht, weil eine totale Rekonstruktion wohl nirgendwo möglich ist und sich die Zeit ja auch weiterentwicklet bezüglich Architektur und Stadtplanung.


    Ich muss auch zugeben, dass ich z.B. Berlin nicht unbedingt eins zu eins wiederhaben möchte so wie es vorher war. Denn wenn man sich die Berichte von damals durchliest, wie aus den "Goldenen Zwanziger" dann wird ja auch oft die zu enge Bebauung beschrieben bzw die dunklen Hinterhöfe. Ich denke das möcte man heute auch nicht mehr haben.


    Aber einstmals bedeutende und stadtprägende Bauwerke wieder zu errichten oder vllt einen Platz wieder wie früher zu gestalten wäre weder eine schlechte Stadtplanung noch eine Absage an die moderne.


    Nehmen wird doch gleich mal Berlin als Beispiel. Wenn das Schloss zusammen mit der Bauakademie fertig ist, ergibt sich doch wieder zusammen mit dem Dom und der restlichen Umgebung ein fantastischer Patz oder? Deswegen wird ja kein Rückschritt eingeleitet in der Stadtplanung, schließlich kann sich die Moderne ja sonst schon überall in Berlin entfalten.

  • Schnack:
    Sehe ich durchaus ähnlich. Ebensowenig habe ich prinzipiell etwas gegen Rekonstruktionen - mir geht es nur darum Kurzschlüsse wie: "alt=Identitätsstiftend" oder "modern=Identitätslos" zu hinterfragen.


    Nur nebenbei und allgemein:
    (..)zu enge Bebauung beschrieben bzw die dunklen Hinterhöfe(...)
    Aus heutiger Sicht zu enge Bebauung und eine gewisse Lichtarmut müssen sich aufs Stadtbild auch nicht zwingend nachteilig auswirken, die negativen Effekte die diese Arten der Bebauung noch im beginnenden 20.Jahrhundert hervorriefen sind heute auch abgemildert. Im Falle der Debatte um die FFM "Altstadt" halte ich das z.B. auch für ein eher schwaches Argument.


    Nochmal:
    "Identität" (wie auch immer sinnvoll verstanden) nur auf einen bestimmten (gewählten) Vergangenheitsbezug herunterzubrechen halte ich für verfehlt. Orte mit starker Identität müssen eben nicht unbedingt etwas mit den Wohlfühlvorstellungen zu tun, die dann manchmal als vermisst angeführt werden.
    So ist die Zerissenheit und teilweise Dysfunktionalität vieler deutscher Innenstädte eben genau zu deren Identität geworden, einen Verlust der Identität als solcher sehe ich darin nicht.*
    Aber: eine bestehende Identität muss deshalb noch nicht zwangsläufig bejaht und auch nicht beibehalten werden.
    Eine Entwicklung, die z.B. wieder zu einer stärkeren stukturellen Geschlossenheit des Stadtbildes führt muss aber eben auch noch lange keine stilistische Rückentwicklung ("Rückentwicklung" wertfrei verstanden) bedeuten - darum ging es mir in der Hauptsache.


    *EDIT: weshalb das eher wenig mit Architekturstilen zu tun hat s.o.

  • Um den letzten Absatz etwas anschaulicher zu machen:


    Ein Beispiel einer stilistischen "Nicht-Rückentwicklung" ist in meinen Augen z.B. der Anbau an das "Palau de la Musica Catalana" - selbst ein absoluter Höhepunkt des Modernisme - von 1983.




    (im Hintergrund die Fassade des Palau von Lluís Domènech i Montaner - leider z.Zt. fast völlig eingerüstet)


    Eingebundene Bilder von mir


    Bilder gibt es auch auf der HP des Palau de la Musica Catalana

  • ^
    herrlich und für mich ein schönes Beispiel für das passende Aneinanderreihen von verschiedenen Stilen. Solch ein Erscheinungbild vermisse ich in deutschen Städten all zu oft.


    Ich möchte mich dem Inhalt des Beitrags 16 von Agamemnon anschließen. Die Schwierigkeit und Zerwürfnisse liegen meiner Ansicht nach nicht primär in der Auswahl der Architakturstile, sondern in der unglücklichen (und oftmals brutal umgesetzten) Kombination zweier gegensätzlichen Stadtplanungsstilen.


    Wobei ich keinem der beiden, weder dem althergebrachten urban geschlossenen, noch dem aufgelockerten Stil alleinige Geltung zusprechen möchte. Beide haben ihre Vorzüge und auch negativen Inhalte. Das Problem liegt vielmehr in der Kombination, im krassen Bruch bishin zur Überformung.


    Nimmt man WOB als Beispiel, die als junge Stadt kaum alte Strukturen aufzuweisen hat und eben dort die moderne Planung großflächig ausgeführt wurde, kann ich den modernen Planungsstrukturen Sinn und Schönheit abgewinnen. Besonders deutlich wird mir das bei einer Stadteinfahrt über die Braunschweiger Straße von Braunschweig kommend.


    Ähnliche Planungen und Realisierungen in Braunschweig haben zu den an vielen Stellen schmerzlich unvollkommenen, unästhetischen und kränkelnden Stadtbildern geführt. Aufgrund der Kriegsfolgen in der Innenstadt, wie vielerorts, und den angrenzenden Gebieten.


    Meiner Meinung nach konnten die Versuche aus den 70ern, 80ern und auch noch 90ern, diese groben Brüche nicht ausgleichen, sowie eine Sehnsucht nach Ausgewogenheit, Einheit und Ansehnlichkeit großer wie kleiner Stadtbilder und damit einhergehend eine historisch wie architketonsich-ästhetische Harmonie in der Ablesbarkeit der Geschichte nicht befreidigen. Vllt wollten diese es bisher auch nicht. Evtl. hat die Reko-Retro-Debatte hierin eine ihrer Wurzeln?


    Mein Wunsch wäre es, ein Stadtplanungsprozedere zu haben, welches die Brüche insofern auszugleichen vermag, in dem sie historisch Gewachsenes, egal welchen Stils und aus welcher Zeit, respektiert und neue Bautätigkeiten sich als etwas Verbindendes darstellt, um Harmonie im Stadtbild zu erzeugen. Lieder finde ich, kommt der oft gelesene Satz "fügt sich ins Umfeld harmonisch ein, ohne nichtssagend zu bleiben" viel zu oft als leere Phrase daher. In Braunschweig sehe ich als positives Objekt das Langerfeldsche Haus (Graff) an. Viele neuere Gebäude schaffen eine solche Harmonie zwischen den Zerwürnissen bisher nicht. Sie kreuzen entweder erneut oder aber sie gehen im der glasflächigen Einerlei unter (wobei ich Glasfassaden schätze).


    Was meiner Meinung nach fehlt, ist die Bereitschaft, die Konzepte auszugleichen, wo es geht.. insofern kann ich ein Bedürfnis nach alten Strukturen verstehen. Weil das, was ist, keine Harmonie auslöst. Kein Schönheits- noch Wohlfühlmoment. Als seien wir immer noch auf der Suche nach einer neuen Ausrucksweise (Planung wie Architektur) für unsere Stadt.


    Ob es in der Ausführung dann zu Rekonstruktionen kommt oder andersartig gebaut wird, ist primär aus meiner Sicht nicht wichtig und bleibt eben auch eine Aufgabe in der Auseinandersetzung der Menschen der Zeit und des jeweiligen Ortes und leider viel zu oft eine Frage des Auftraggebers und des Geldes. Stures Rekonstruieren oder Retrobauen als neue Marxime in den Städten sähe ich als genauso unglücklich an wie vorausgegangene Baudogmen.

  • Ob es nun das Gleiche ist - oder nur "Erhaltung"
    auf jeden Fall ist es wünschenswert was in HH passieren soll:


    Bezirke kämpfen um das Gesicht der Stadt –
    Das sagt mir doch sehr zu – auch wenn das Vorhandene manchmal fraglich scheint, in der Zusammenstellung – so ist es halt wie ein Gesicht, welches sich auch im Laufe des Lebens formt und nicht anders sein kann.


    http://www.abendblatt.de/daten/2007/10/05/801386.html