Leipzigs Süden: großbürgerliches Leben - lebendige Szene

  • Schon klar. Ich meinte eher zeitgleich in den 90ern durchgeführte Investitionen in westdeutschen Großstädten, wo es ebenfalls immer noch Sanierungsobjekte gab und gibt.

  • Geld allein macht auch nicht schön.


    In den 80ern herrschte Wohnuingsmangel, weil die Altbauten so runtergekommen waren, dass ganze Stadtteile abgerissen werden sollten. Um das zu verhindern, wurden nach der Wende alle alten Häuser unter Denkmalschutz gestellt.
    Um schnell an Baugenehmigungen für Sanierungen zu gelangen (und damit schnell Geld zu verdienen), haben die Investoren in den 90ern dem Denkmalschutz fast jeden Wunsch erfüllt und die Häuser meist mit Akribie wiederhergestellt. Seit ein paar Jahren gibt es Wohnungen im Überfluss. Nun muss erst recht hochwertig saniert werden, um Mieter/Käufer zu finden.


    Alles zusammen also eine Verkettung von Faktoren, die im Westen so nicht anzutreffen sind. Die Wende zehn Jahre später - und die Häuser auf den Fotos wären platt gewesen. Gerade noch mal Glück gehabt!

  • 1. Öffentliche Mittel
    2. Steuervorteile bei Investitionen im Osten.


    Da ja aber im Westen ebenfalls noch in Wohnbau investiert wurde und sicher die Nachfrage nach sanierten Altbau kein ausschließliches Ostmerkmal ist, hätte es auch im Westen mehr solchen Wohnbau geben müssen oder können.


    Es war ja nicht so, daß in Leipzig nur Sanierung möglich war, wie viele Neubaugebiete beweisen.


  • Auf das bereits gezeigte Gebäude Schwägrichenstraße 11 möchte ich noch einmal kurz zu sprechen kommen, denn es ist lt. dem Hoquélschen Architektur-Führer "Leipzig - von der Romanik bis zur Gegenwart" von besonderer kulturhistorischer Bedeutung. Erbaut wurde das Gebäude 1894 vom Architekten und Hofbaumeister Otto Brückwald (Richard-Wagner-Festspielhaus Bayreuth), gewohnt haben in ihm, die Ehefrau von Max Klinger, Elsa Asenijeff, Kirchenmusiker Günter Raphael und nicht zuletzt Kunsthistoriker Nikolaus Pevsner.


    Nikolaus Pevsner ist am 30.01.1902 als Sohn einer jüdischen Pelzhändlerfamilie geboren und studierte an den Universitäten Leipzig, München, Berlin und Frankfurt am Main Kunstgeschichte. 1934 emigrierte er nach England, wo er später zuerst in London, dann in Cambridge und ab 1968 in Oxford als Professor für Kunstgeschichte lehrte. Neben seinen bekannten Veröffentlichungen "Leipziger Barock", "Europäische Architektur" und das "Lexikon der Weltarchitektur" schuf Pevsner für England "The Buildings of England", das Pendant zum deutschen "Dehio", das "Handwerksbuch der deutschen Kunstdenkmäler".


    2002 bekam der Bauherr für die denkmalgerechte Sanierung der Schwägrichenstraße 11 den Hieronymus-Lotter-Preis für Denkmalpflege der Kulturstiftung Leipzig. Interessant in diesem Zusammenhang ein paar Aufnahmen des Treppenhauses.


    Ansonsten habe ich auch noch eine Website gefunden, auf der ein paar schöne Aufnahmen des von mir schon viel gelobten KPMG-Gebäudes zu sehen sind: KLICK!

  • @maxbgf:
    um für den immobilienmarkt häuser wieder derart herzurichten, bedarf es neben geld zweier aspekte: dass der bauherr es kann und muss.
    in bezug auf den ersten ist wichtig, wieviel originale substanz - von stuck über und bleiglasfenstern bishin zu türklinken noch vorhanden ist. viele häuser im osten haben ja von ihrer erbauung bis zur wende keinen eimer farbe gesehen. da hat der denkmalschutz nun mal bessere argumente, bauherren von einer originalgetreuen wiederherstellung zu überzeugen.
    bezüglich des zweiten aspekts ist es halt nicht unwichtig, ob es vor ort einen angebots- oder nachfragemarkt gibt. simpel zugespitzt: kann ich das haus vermieten, wenn ich das treppenhaus (wie üblich) tapeziere oder kann ich nur auf mieter hoffen, wenn ich (wie nebenan) die treppenhausmalereien wieder in schuss bringe.
    aber du hast recht: nachfrage für sanierte altbauwohnungen gibt es auch im westen. damit steigen auch der aufwand und die qualität der sanierungen. die ära der plastikfenster ist sicherlich vorbei.


    Cowboy: beeindruckente fotos! es macht freude, wahlweise darüber zu staunen, dass solche häuser in leipzig gebaut wurden - oder dass sie immer noch (bzw. wieder) dort stehen.

  • Danke für die Bilder auch hier. Nach dem Besuch in Leipzig kann man wenigstens etwas vom nie wieder erreichten Niveau der Jahrhundertwende-Architektur erahnen. Wie schon richtig gesagt wurde, die Armut hat hier einen Reichtum und vor allem eine Breite an Architektur bewahrt, wie man sie - zumindest zusammenhängend - wohl in keiner zweiten Großstadt in Deutschland mehr findet. Und man kann sehen, dass vom Solidaritätszuschlag nicht nur Cargolifter-Hallen oder Autobahnbrücken in der Pampa gebaut werden. ;)


    Viel hilft viel, ist wertvoll??? :keineahn:


    EDIT:
    Das hier hab ich bei der Suche nahc Fotos gefunden.


    Wenn du einen Hass auf historische Bausubstanz empfindest, wieso postest du dann überhaupt hier? Ich weiß ja nicht, mit was für ästhetischen Vorstellungen du aufgewachsen bist, aber ausgerechnet "Friedrich-Ebert-Straße 81" bezüglich seines künstlerischen Wertes zu kritisieren, spricht entweder für Trollerei in Reinkultur oder schlicht Geschmacksverirrung. Du musst dem zweiten Weltkrieg ja regelrecht dankbar sein, hat er doch für die von dir vielgeliebten Brüche gesorgt, die heutige Nichtskönner mit Müll auffüllen können. :Nieder:


    Aber immerhin, bei den Bildern sind ja auch ein paar Plattenbauten für deinen Seelenfrieden dabei.


    -----------------
    Bitte sachlich bleiben.

  • Nun ja, der ornamentale Reichtum der ehemaligen Friedrich-Ebert-Straße 81 ist sicherlich Geschmacksache, jedoch kann man m.M.n. - im Gegensatz zu vielen anderen 08/15-Gründerzeitlern mit drangepappter Ornamentik aus dem Katalog - den künstlerischen Wert nun wirklich nicht abstreiten. Selbst für verwöhnte Leipziger Verhältnisse war dieses Wohnhaus ein Hingucker.


    Mal noch eine historische Ansicht des Musikviertels, offensichtlich vom Turm des Neuen Rathauses aufgenommen. Hier kann man mal sehen, was es heißt, eine durchdachte Stadtplanung an den Tag zu legen. Und wenn man noch bedenkt, dass die städtische Struktur im Prinzip nicht einmal historisch gewachsen ist, sondern aus der Not der Landflucht binnen weniger Jahre entstand, kann man einfach nur den Hut davor ziehen, welch wohlgefälliges Stadtbild da entstanden ist.

    Quelle: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig

  • Vielen Dank Cowboy! Von mir noch einige Anmerkungen:


    1. Öffentliche Mittel
    Den direkten Einsatz öffentlicher Mittel für private Gebäude kenne ich nur vom Leipziger Notsicherungsprogramm, bei dem kommunale Gelder und Mittel aus verschiedenen Fördertöpfen des Bundes bspw. für die Abdichtung von Dächern oder die Sicherung von Fassaden eingesetzt werden. Ca. 20 stadtbildprägenden Gebäuden hat dieses Facelifting in den vergangenen beiden Jahren die Rettung in letzter Minute gebracht, weitere 30 befinden sich noch in der Warteschlange.


    2. Steuervorteile bei Investitionen im Osten
    Staatliche Subventionen für die Modernisierung von ostdeutschen Wohnungen sind Schnee von gestern. Die Investitionszulage Ost kann seit 2005 nur noch für betriebliche Investitionen in Anspruch genommen werden. In dieser Hinsicht herrscht also „Waffengleichheit“ in Ost und West. Die Sanierungskosten bei einem Baudenkmal können aber nach wie vor entsprechend des bundesweit einheitlich geregelten „Baudenkmal-AfA“ abgeschrieben werden.


    viele häuser im osten haben ja von ihrer erbauung bis zur wende keinen eimer farbe gesehen. da hat der denkmalschutz nun mal bessere argumente, bauherren von einer originalgetreuen wiederherstellung zu überzeugen.
    Mit einem Eimer Farbe war es in dem meisten Fällen aber nicht getan. Insbesondere die bereits zu DDR-Zeiten unbewohnten Gründerzeithäuser waren in einem baulich so schlechten Zustand, dass eine Wiederherrichtung mit einem erheblichen finanziellen Mehraufwand verbunden war. Da sinkt eher die Bereitschaft zusätzlich noch denkmalpflegerische Auflagen zu erfüllen. Dass dies zumindest mehrheitlich trotzdem geschah, ist m.E. vor allem der nahezu flächendeckenden Unterschutzstellung und dem „Baudenkmal-AfA“ zu verdanken. Was also im Westen fehlt sind nicht die finanziellen Anreize, denn der AfA galt und gilt ja bundesweit, sondern schlicht und einfach die als Denkmäler eingetragenen Häuser. Dass sobald dies nicht der Fall ist, auf Teufel komm raus mit den üblichen Begleiterscheinungen wie Kunststofffenstern und Wärmedämmung modernisiert wird, kann man an verschiedenen Stellen auch in Leipzig gut sehen. So etwas kommt glücklicherweise aber immer seltener vor. Mittlerweile werden die Stadtbezirkskonservatoren von Bauträgern eher dazu gedrängt, Häuser ohne Denkmaleintragung nachträglich noch unter Schutz zu stellen. Da wird dann rekonstruiert was die historische Bauakte hergibt. Hier mal ein Beispiel.



    Die naTo ist Szenetreff seit vielen Jahren im Viertel.



    Bis in die 70er Jahre diente dieser Pavillon übrigens als lokaler Versammlungsort der Nationalen Front, dem überparteilichen Zusammenschluss der SED und der Blockparteien. In den 70er und 80er Jahren avancierte die naTo - damals noch als „Kulturhaus der Nationalen Front” - zum zentralen Ort der Stadtteilkultur. Aufgrund des unangepassten Programms wurde das Kulturhaus schnell über die Stadtgrenzen hinaus bekannt. Gelegentlich traten sogar westliche Musiker auf. Viele dieser Konzerte und Feiern wären sicher im Vorhinein verboten worden, hätte man sie nicht als Betriebsveranstaltungen getarnt. Eine Anmeldung bei Polizei und Kulturamt konnte so umgangen werden.
    Die politische Nutzung verschwand aber nie völlig. Bis zur Wende fanden während der Leipziger Messe in der naTo regelmäßig Einsatzbesprechungen und Schulungen für Mitarbeiter der Stasi statt. Diese schon etwas bizarr anmutende Nähe von eher unangepassten Bürgern und Stasihelfern dürfte für Leipzig einmalig gewesen sein.



    Das Betriebsgelände der ehemaligen VEB Feinkost ist total heruntergekommen. Ein Investor plant nun an dieser Stelle ein Einkaufszentrum.



    Die „Feinkost“ war ursprünglich eine große Brauerei („Actien-Vereins-Bierbrauerei“, Bj. ca. 1850) mit angeschlossener Gastwirtschaft, einem Festsaal (Gildesaal) und einem Wohnhaus für die Brauburschen (Braustraße 26). Bereits in den 20ern wurde die Brauerei stillgelegt, die Gebäude aber weiter genutzt und an Gewerbetreibende vermietet. Im Gildesaal in der Braustraße kamen verschiedene Kultureinrichtungen unter (Kabarett, Variete, Kino). Nach dem Krieg siedelte sich auf dem Gelände eine Marmeladen- und Konservenfabrik an, aus der nach der Verstaatlichung 1954 der VEB Feinkost hervorging. 1990 ging das Gelände in den Besitz der Treuhand über, die den Betrieb sofort einstellen ließ und in den folgenden Jahren vergeblich nach einem Investor suchte. Von der Treuhand geduldet, zogen unterdessen alternative Gewerbetreibende, Handwerker und Künstler auf das Gelände. 2004 sollte dann alles vorbei sein. Zwei Discounter wollten sich auf dem Gelände niederlassen, das Gelände platt gemacht werden. Erst nach heftigem Protest (innerhalb kürzester Zeit wurden 20.000 Unterschriften gesammelt) schritt die Stadt ein und vereinbarte mit dem Treuhand-Nachfolger TLG einen Flächentausch. Der vordere Teil des Geländes an der Karl-Liebknecht-Straße gehört seit dem der Stadt. Im hinteren Teil konnte die TLG einen Discounter (Aldi) realisieren, für den neben einigen Nebengebäuden und Kellern der alten Brauerei auch das bemerkenswerte, spätklassizistische Wohnhaus Braustraße 26 weichen musste.
    Für den verbliebenen vorderen Hof wollten die ansässigen Gewerbetreibenden und Künstler sowie die benachbarte naTo ursprünglich ein gemeinsames Konzept zur Erhaltung des Geländes vorlegen. Das zog sich bis zum letzten Jahr hin, letztlich gingen sie zerstritten auseinander. Die Alteingesessenen der Feinkost versuchen seit dem ohne die naTo ein Kultur- und Gewerbezentrum aufzubauen. Geplant ist, die alten, sehr weitläufigen Kelleranlagen (vom Umfang her dürften sie die Moritzbastei locker übertreffen) kulturell zu nutzten. Der Gildesaal, von dessen Inneneinrichtung nichts erhalten ist, soll zur Markthalle umgebaut werden. In den übrigen Gebäuden möchte man mehr Platz für neue Gewerbetreibende und Handwerker schaffen.


    Braustraße 26 mit Gildesaal 2005,


    und während des Abrisses im letzten Jahr. Im ersten Obergeschoss befand sich ein kleiner Festsaal. In den Geschossen darüber wohnten die Brauburschen.


    Heute befindet hier die Zufahrt des Aldi-Marktes.


    Ein kleiner Teil der Kelleranlagen wird bereits wieder genutzt.


    Die auf dem Bild zu sehende Löffelfamilie, die nachts in neongrellen Farben leuchtet, ist im ganzen Viertel, ja in ganz Leipzig kult.



    Die Löffelfamilie in der Nacht:


    Die Fassade der Beethovenstraße 8 kurz nach der Sanierung vor zwei Jahren (Cowboy zeigte bereits das Portal).


    Blick von der Dachterrasse in Richtung Innenstadt.


    Ein weiteres szeniges Highlight in Connewitz ist das Werk II, ehemals eine Fabrik, das mit vielen Veranstaltungen unterschiedlichster Art aufwartet.



    Nur 100 Meter entfernt befindet sich das UT Connewitz. Das alte Kino (Bj. 1912) stand lange leer und verfiel zusehends. Seit ein paar Jahren finden wieder verschiedene Kulturveranstaltungen statt.


    Bilder: Eigene

  • dieses "moritz-euler-palais" ist wirklich ein gutes beispiel, was ausgangslage, sanierungserfolg und auch die besitzverhältnisse tausender gründerzeitler anbelangt.
    letztes jahr wurden in leipzig rund ein drittel mehr altbauten saniert als noch 2005. dieses jahr werden es noch mehr werden. und das nicht, weil neue förderprogramme aufgelegt wurden, sondern weil andere (z.b. eigenheimförderung) wegfielen. zumindest für städte mit hohem (sanierungsbedürftigen) altbaubestand ist das ein segen. man kann es auch mal so sagen: bauminister tiefensee und sein staatssekretär lüdke-daltrup konnten dadurch für den erhalt von altbausubstanz mehr tun, als wenn sie oberbürgermeister und baustadtrat von leipzig geblieben wären. gut so. und wie die bilder zeigen: auch schön so.

  • ^ ...und amüsant finde ich, dass die Eckkneipe beim Moritz-Euler-Palais (beim Namen hamse aber auf die Kacke gehauen, angesichts des gewöhnlichen Gründerzeitlers) mal "Film-Riss" hieß. Da schien eine gewisse Klientel ausnahmsweise mal richtig erwünscht gewesen zu sein.


    Vielen Dank baukasten für die sehr aufschlussreiche Ergänzung, die mir im Detail weit weniger bekannt war. Sehr interessant. Dass die spätklassizistische Braustraße 26 dieser Aldi-Einfahrt weichen musste, ist natürlich wieder mal so typisch für diese Stadt: Einerseits reißt man sich den Hintern auf, um weit weniger qualitätsvolle Gründerzeitler zu erhalten, aber sobald die Infrastruktur betroffen ist (und sei's drum, dass Tante Lotte und Opa Erwin mit dem Hyundai Getz zum Aldi vorfahren können), dann ist es aus und vorbei. Ähnliches Schicksal droht ja der Scheffelstraße 36 am Connewitzer Kreuz.


    Die Beethovenstraße 8 ist wirklich schön geworden. HIER gibt es noch eine Ansicht des Gebäudes vor dessen Sanierung. Wie man sieht, wurde im Dachbereich einiges rekonstruiert. Sehr schön.

  • Da in diesem Thread auch das Thema Fördergelder und Subvention angesprochen wurde: In Lindenau, einem gründerzeitliches Arbeiterstadtteil und sog. Problembezirk im Westen der Stadt, werden seit einigen Jahren EU-Fördermittel zur Aufwertung und Reurbanisierung gepumpt. Neben diesem Stadtteil bekommen meines Wissens aber nur noch der Stadtteil Volkmarsdorf-Neustadt/Neuschönefeld, ähnliche Beschaffenheit wie Lindenau, EU-Finanzhilfen. Eine Übersicht zu allen Einzelheiten des Förderprogramms Urban II gibt es in dieser PDF


    RMA 2000 ist jüngst mit seiner Kamera durch Lindenau gelaufen und hat die gegenwärtige Situation vor Ort mit seiner Kamera eingefangen. Sehr gute, hochauflösende Bilder (Doppelklick!) von seinem Rundgang gibt's HIER



    PS. Bitte nicht stören lassen, dass DAF-User Jörg hier und da ins Bild läuft;)

  • Wenn du einen Hass auf historische Bausubstanz empfindest, wieso postest du dann überhaupt hier? Ich weiß ja nicht, mit was für ästhetischen Vorstellungen du aufgewachsen bist, aber ausgerechnet "Friedrich-Ebert-Straße 81" bezüglich seines künstlerischen Wertes zu kritisieren, spricht entweder für Trollerei in Reinkultur oder schlicht Geschmacksverirrung. Du musst dem zweiten Weltkrieg ja regelrecht dankbar sein, hat er doch für die von dir vielgeliebten Brüche gesorgt, die heutige Nichtskönner mit Müll auffüllen können. :Nieder:-----------------
    Bitte sachlich bleiben.


    Ich zeige keinen Hass gegen irgend welche Gebäude, Epochen, Architekten, oder sonst etwas. Das ist alleine deine Interpretation.
    Wenn man ein Gebäude blumig als eines der architektonisch wertvollsten Leipzigs beschreibt, dann sollte man das mit mehr als 6 Worten begründen können. Eine in architektonischem Sinn gelungene Ornamentik ist nicht deshalb gut, weil sie spektakulär ist. Ein 500m Turm am Römer wäre auch spektakulär, erlaubt aber nicht den Rückschluss, es handele sich um gute Architektur.
    Ich habe erwähnt, dass ich ohne Wertung gerne wüsste, was an dem Gebäude so besonders sei und bislang keine Antwort bekommen. Das viele Leipziger das Gebäude "Märchenhaus" nennen sagt nicht nur, dass viele es schön finden, sondern sagt auch etwas über den architetonischen Wert.


    Ich verbitte mir irgend welche dummen Komentare, die meine Person und WWII in einem Satz nennen. Würdest du meine Familie und ihre Geschichte im 2. Weltkrieg kennen, müsstest du dich in Grund und Boden schämen.


    Leipzig erinnert sehr an BS, mit dem Unterschied, dass man hier alle halben lang Industriedenkmale abreißt, und mal nen Hornbach, mal eine Altenresidenz drauf setzt. Da kann man noch was von Leipzig lernen.
    Bleibt diese Aldi-Einfahrt so, oder passiert da noch was? Und warum gibt es in einem großbürgerlichen Wohnviertel Industriebauten?

  • Also als erstes möchte ich betonen, dass sich mein ansonsten sehr geschätzter RMA mit seinem Beitrag ganz ordentlich im Ton vergriffen hat. Zur Sache:


    Eine in architektonischem Sinn gelungene Ornamentik ist nicht deshalb gut, weil sie spektakulär ist. Ein 500m Turm am Römer wäre auch spektakulär, erlaubt aber nicht den Rückschluss, es handele sich um gute Architektur....was der eine oder andere hier im Forum gewiss bestreiten möchte;)
    Aber ehrlichgesagt weiß ich nicht, worauf du hinaus willst. Sei die Ornamentik für manche kitschig, spektakulär oder - wie für dich - im architektonischen Sinn gelungen, Fakt ist doch, dass diese Ornamentik an einem Wohnhaus Seltenheitswert besitzt und nebenbei erwähnt, ein über 100 Jahre altes Haus auch einen Denkmalstatus besitzt.


    Das viele Leipziger das Gebäude "Märchenhaus" nennen sagt nicht nur, dass viele es schön finden, sondern sagt auch etwas über den architetonischen Wert.
    Auch hier kann ich dir nicht folgen. Was sagt das Gebäude denn deiner Meinung nach über seinen architektonischen Wert aus, wenn viele Leipziger es `Märchenhaus´ nannten? Also für mich sehr viel.


    Und warum gibt es in einem großbürgerlichen Wohnviertel Industriebauten?
    Nun ja, Leipzig war neben der Messe sowie seinem stolzen und reichen Großbürgertum in erster Linie Industrie- und Arbeiterstadt. Die Industrie wuchs so rasant, wo hätte man den Bedarf an Fabriken in Zeiten beschränkter Mobilität auch decken sollen? Nicht selten bauten reiche Fabrikantenbesitzer ihre Villen neben oder sogar auf dem Fabrikgelände (damals fuhren selbst reiche Leute für gewöhnlich noch mit 2 PS, und nicht wie heute mit 300 in Nullkommanix ins grüne Umland).

  • Ich kenne das Haus leider zu wenig, um wirklich ernst und sachlich über die Fassade zu diskutieren, ich habe aber das Gefühl, dass ein Großteil der Ornamentk einzig und alleine dazu da sind vermeintlich leere Flächen zu füllen, um möglichst viele, und möglichst verschieden Stilmittel zu vereinen. Wenn ich gotische Spitzbögen, Voluten, einzelne Rustikasteine die wahllos über die Fasade verteilt sind sehe, dann dreht sich mir der Magen um. Ich finde es toll, wenn sich jemnd die Mühe macht richtig klare gotische kirchen zu konstruieren, das habe ich selber schon zum Zeitvertreib gemacht, und ich finde es auch in Ordnung, wenn sich jemand in seinen Garten einen klassizistischen Pavillion baut. Bei dem Haus über das wir reden, scheint der Architekt sehr viel Effekthascherei mit sehr quantitativen Mittel betrieben zu haben. Viele Entscheidungen des Architekten erscheinen mir auch sehr unlogisch. Die ganze Fassade wirkt mit der Rustika, und überhaupt der ganzen Masse an Ornament extrem schwer, wieso benutzt er dann gotische Spitzbögen, wo die Gotik doch so sehr durch Leichtigkeit glänzt? M.M.n. ist die Fassade sehenswert (gewesen) und auch relativ einmalig, aber nach den Bildern die mir vorliegen, und das sind nur deine Cowboy ist die Gestaltung der Fassade in sich nicht schlüssig und ist auch kein großer Vertreter einer Epoche. Das Hamburger Rathaus, (ich nehme das mal als Beisiel, weil das jeder kennt) glänzt dadurch, dass es sehr harmonisch italienische und flämische Renaissance miteinander verquickt. Da greifen die Stilmittel einfach sinnnvoll ineinander, weshalb es sich der Architekt sparen konnte besonders viel Ornament zum kaschieren herzunehmen. Anderes Beispiel wäre Berlages Börse in Amsterdam. In dem Leipziger Märchenschloss erkenne ich kein gestalterisches Konzept, es sei denn die Anhäufung von Ornament ist eines, was ich aber nicht glaube, bzw. nicht gut heiße.
    Wenn ich Märchenschloss höre denke ich immer an Touristen im Pensionärsalter, die die immer gleichen sachen (schlecht) fotografieren, um dann die Familie mit diesen Schnappschüssen zu nerven. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass das was oft als besonders märchenhaft, schön, kitschig ... empfunden wird von eher magerer Qualität ist. Neuschwanstein ist so ein Fall. Hübsch anzusehen, hält aber keinerlei Vergleich mit Palladios oder Brunellescis Bauten stand.
    Wenn du mehr zu der Fassade weißt, wär ich dir verbunden, wenn du dein Wissen weiter teilen würdest.


    Das mit den Fabriken in Wohngebieten ist so eine Sache. In Hannover z.B. ist das sehr untypisch, weil man sehr früh Bebauungspläne so gemacht hat, dass man Industrie und Wohnen getrennt hat. In anderen Städten war das teilweise verboten. Besonders in den Großstädten hatte man schon früh große Industriezonen ausgewiesen, und die Wohngebiete frei gehalten. Ich hab vermutet, dass das bei Leipzig ähnlich gewesen ist, besonders da es ja auch kein Arbeiter- sondern ein Bürgerviertel war/ist. Gibt es denn noch mehr Fabriken die umgenutzt werden? Umbauten von Industriebrachen finde ich immer besonders spannend.

  • Es ist ja allgemeinhin bekannt, dass die scheinbar wahllose Verquickung verschiedener Stile Kritikpunkt Nr. 1 am Historismus ist. Dein Vergleich mit Berlages Börse oder dem Hamburger Rathaus hinkt insofern, dass die beiden Gebäude Repräsentationsbauten sind, während es sich bei der Ebert 81 um ein "normales" Mietshaus (und kein "Märchenschloss", wie du es geschrieben hast) handelte. Leider weiß ich nicht viel mehr über diese Fassade zu berichten, außer, dass die Ornamentik (da war ich selbst überrascht) größtenteils Bestandteil des Mauerwerks war, weshalb eine Bergung der Fassade technisch sehr schwierig gewesen wäre. Ich glaube nicht, dass das Wohnhaus qualitativ minderwertig war, zumal es 100 Jahre überstand (inkl. Kriegsbeschädigung, 40 Jahre Sozialismus und Brandstiftung), ohne dass es einer nennenwerten Ausbesserung widerfuhr. Und warum es den Beinamen "Märchenhaus" erhielt, kannst du an den Fotos von "baukasten" nachvollziehen. Dein Argument mit Neuschwanstein ist für mich nachvollziehbarer, aber es geht nicht darum, welche Vorlieben wir für Gebäude haben, sondern darum, dass solche Gebäude erhaltenswert bleiben müssen (oder hättest du nichts dagegen, wenn Neuschwanstein der Abrissbirne zum Opfer fiel?).


    Gibt es denn noch mehr Fabriken die umgenutzt werden? Umbauten von Industriebrachen finde ich immer besonders spannend.
    Ja, es gibt eine ganze Reihe von Umnutzungen ehemaliger Farbikbauten in Leipzig. Da die ganze Stadt voll mit Industriedenkmälern ist (oft in sehr schlechtem Zustand), werden diese vielmals in Loft-Wohnungen, Gewerberäume oder Kunstateliers umfunktioniert. Ein bekanntes Objekt z.B. ist die ehemalige Baumwollspinnerei in Plagwitz), wo Künstler wie Neo Rauch ihre Ateliers haben. Aktuell wird in Wahren das ehemalige Wellenwerk zu noblen Eigentumswohnungen umgebaut.


    Die ehemaligen Buntgarnwerke im Stadtteil Plagwitz, eines der größten Industriedenkmale in Deutschland, sind vielleicht die bekanntesten Umnutzungsprojekte. In ihnen befinden sich nun Lofts- und Penthouswohnungen sowie Gewerberäume. Letzten Sommer habe ich (und 2 Freunde, Veröffentlichung erlaubt) im Rahmen einer Feier ein paar - leider schlechte - Schnappschüsse gemacht, die ich hier mal zeigen werde. Zuerst aber mal ein schönes Foto vom Buntgarnwerke-Komplex aus der Fotocommunity


    Buntgarnwerke in der Nonnenstraße (Bj. 1879-1888 als sächsische Wollgarnfabrik Tittel & Krüger):


    Buntgarnwerke von der Weißen Elster aus gesehen (die Verbindungsbrücke wurde um 1927 errichtet):



    Detail. Ganz rechts angeschnitten der Bau, wo aktuell umfangreiche Sanierungsarbeiten laufen. Darin vorgesehen sind weitere Lofts und Penthouse-Wohnungen:



    Das ehemalige Heizwerk auf der gegenüberliegenden Seite der Weißen Elster wurde vor 2 Jahren nach altem Vorbild wiederaufgebaut. In ihm befinden sich ebenfalls Wohnungen:



    Ein Stück weit den Karl-Heine-Kanal rauf befindet sich das Stelzenhaus (Bj. 1937 - 1939 für die Wellblechfabrik Grohmann & Frosch). Heute befinden sich in dem Gebäude ein Restaurant, Wohnungen und Ateliers.



    An der Weißen Elster hat man vor kurzem diese Stadthäuser gebaut...



    ...für die eigens ein Kanal angelegt wurde, damit nun jeder von seinem Gärtchen aus, ins Wasser steigen kann:



    Ansonsten gibt es in Leipzig noch unzählig weitere Industriedenkmäler, die so oder so ähnlich umfunktioniert wurden und noch immer werden. Natürlich werden darüber hinaus auch hier etliche für Aldi & Co. abgerissen, sehr schade. Für's erste aber noch ein paar Eindrücke aus Plagwitz:



    Das ehemalige Gebäude von May & Edlich. Soweit ich weiß, besaßen diese beiden Partner vor dem 2. Weltkrieg den größten Versandhandel, sowas wie Quelle heute, in Deutschland (bin mir da aber nicht ganz sicher). Auf alle Fälle ist leicht zu erkennen, was sich heute darin befindet: Wohnungen



    Könneritzbrücke, eine Stahlbogenbrücke aus dem Jahr 1899:


    Dahinter wieder ein umgenutztes Industriedenkmal:



    ...und vorerst noch ein letztes:

  • Wenn es darum geht, ob ein Gebäude schlüssig von vorne bis hinten durchgeplant ist, dann hinkt der Vergleich mit Börse und Rathaus nicht. Zwar haben diese Gebäude einen viel höheren Anspruch, als ein "normales" Wohnhaus, wenn man ein Gebäude aber architekturgeschichtlich wertvoll nennen will, dann muss man es auch mit architektonisch wertvollem vergleichen und nicht mit dem etwas besseren Durchschnitt. Bei Berlage kann man sehr schön sehen, wie er mit Hilfe eines Rasters alle Objekte auf der Fassade positioniert hat, und das gleiche Raster verwandt um im Detail den gleichen Effekt zu erzeielen. Da passt einfach alles sofort auf den ersten Blick. Aber ist ja auch egal. Erhaltenswert war es, das will ich nicht bezweifeln, nur den ganz besonderen Wert des Gebäudes sehe ich nicht.


    Die Fabriken sind wirklich klasse. Leider gefallen mir die pastellfarbenen Neubauten gar nicht. Die wirken nicht im geringsten "industriell", eher sehr einfallslos, und in vollkommen unpassender Farbe gestrichen.
    Bei der Konneritzbrücke muss man auch erst zwei mal hinsehen, um nicht den Eindruck zu bekommen es handele sich um zwei Brücken.

  • aus erfahrung kann ich dir sagen:
    um bei der könneritzbrücke den eindruck zu bekommen, es handele sich um zwei brücken, bedarf es nicht eines flüchtigen blickes, sondern zwei flaschen weines.

  • Boah, das sieht ja sowas von genial aus! Die Umnutzungen der Industriegebäude ist ja super! Ich will dort auch ne Wohnung! Ist wohl nicht ganz billig! Sowas schönes in Deutschland... das ist ja fast das Paradies!

  • Die Umnutzung der Industriebauten zu Wohnungen ist wirklich vorbildlich. Selbst wenn die Neubauten dabei ihre Schwächen haben, richtig schlecht sind sie trotzdem nicht.
    Schlecht ist was hier im Westen an Einfamilienhaus und Reihenhausgebieten hochgezogen wird. Grad in Rhein-Main ist die Qualität da unter aller Sau. Das ganze Riedberg-Projekt in Frankfurt ist zwar städtebaulich noch stark, die einzelnen Bauten aber überwiegend Katastrophal schlecht.


    Die alten Industriebauten sind das größte architektonische Kapital des Ostens und tausendmal interessanter als die immer gleichen Gründerzeitviertel. Diese sind zwar schützenswert, aber im Moment auch in genau der richtigen Menge noch vorhanden. Durch solche Umnutzungsprojekte gewinnt Leipzig hingegen eine ganz neue Dimension an architektonischer Vielfalt.


    Was diese "Könneritzbrücke" betrifft denke ich, das Dvorak damit meinte, dass die Konstruktion des Fachwerks nicht wirklich logisch aussieht?
    Ich sehe das zumindest so. Anstelle eines, als Fachwerk ausgebildeten Bogens, an dem dann über Zugbelastung durch Gusseisenprofile??? die Fahrbahn hängt, wäre die Entscheidung für ein klareres System, also nur Fachwerk oder ein tiefer liegender Bogen wahrscheinlich statisch sinnvoller und nicht weniger ästhetisch.
    Die Konstruktion sieht eben nach Firlefanz aus. Andererseits ist das aber auch wieder Ausdruck dieser Zeit und dadurch erhaltenswert. Ein Dokument historischer Mode und Ästhetik, heute unschätzbar Wertvoll und trotzdem architekturgeschichtlich Trash...
    Wobei ich mich bezüglich der Konstruktion auch irren kann, anhand des einen Fotos kann man das ja nicht beurteilen. Dennoch lässt sich diese Kritik eben auch auf andere Bauwerke dieser Epoche übertragen.


    Der Wert liegt oftmals in der historischen Distanz, der Seltenheit und weniger in wirklich tiefgründigem Niveau.