Bahnhofsviertel auf Metaebene

  • Was soll die Aussage des Beitrags sein? Im BHV ist eh alles zu spät, dann packen wir noch alle Probleme von der Ostzeil und aus Altsax da rein, macht ja dann auch nichts mehr aus? Bitte nicht. Das BHV ist das wichtigste Viertel der Stadt, wenn wir vom Transfer problematischer Mileus sprechen, dann bitte aus dem BHV in die genannten Randbezirke (wie es ja mit den Puffs auch schon einmal angedacht war) und nicht andersherum.


    Was soll sonst noch kommen? Wir verlegen den McDonalds in die Kleinmarkthalle, damit auf der Konsti keine Burgerpapierchen mehr rumfliegen?



    Aber der Reihe nach:

    • Geht es dem BHV-Süd schlechter als 2012? Ich denke nein. Ich würde sagen es ist mindestens auf demselben Level, gibt jede Menge nette, teilweise richtig gute Restaurants, Kneipen, Kioske und Bars, man kann bis spätabends draussen relativ laut sein (wird in dem Umfang geduldet), am Wochenende ist im Sommer der Teufel los. Zusätzlich gibt’s im Norden zwei Clubs, die echte Magneten geworden sind: Pik Dame (gibt’s zwar schon immer, aber erst seit Max so durchstartet fliegt das so richtig) und die Housebar55 (after hour-Schuppen wo Rotlicht auf Rave trifft), dorthin ziehen die Leute aus dem Süden dann gerne nach dem Restaurantbesuch und den ersten Drinks weiter. Bald kommen EZB, Fürstenhof und English Theater (zurück), dazu wird das FOUR ausstrahlen, die Gallusanlage kann weiterentwickelt werden, außerdem wird der Aufgang bei der Münchener Strasse ja irgendwann kommen samt Abbau des Bretterverschlags. Alles tolle Chancen, die dem BHV-Süd weiteren Auftrieb geben werden. Drogenszene gibt es kaum, die Jamaikaner am Anfang der Münchener Strasse sind egtl. Ganz nett und ticken ohnehin nur Cannabis und maximal Koks, aber kein Crack. Die Wegelagerei am Kaisersack muss aber beendet werden, ich kann gar nicht verstehen warum man sich da nicht kümmert. Was unten am Main abgeht, dazu kann ich allerdings nichts sagen, das ist für mich nicht mehr BHV. Die Art des Nachtlebens ist übrigens anders als in Altsax, ich würde sagen: Altsax ist prollig, Bornheim ist spießig, BHV ist eher edgy, z.B. für Hipster, Alternative, Künstler usw..
    • Ist das BHV-Nord unrettbar verloren? Absolut nicht, man hat es aber noch nie wirklich versucht. „Es war halt schon immer so“ ist halt nun auch wirklich die bequemste aller Ausreden. Die Situation ist durch die Crack/Kokain-Schwemme und mMn auch durch die Flüchtlingswelle eskaliert, jetzt gibt es erstmalig richtig Druck. Man kann viel machen, Manhatten war in den 90ern schlimm, in Zürich tut sich viel. Dezentralisieren (warum müssen wir Leute aus Stuttgart, Nürnberg, München usw. aufnehmen?), disziplinieren (80% der Abhängigen sind in der Lagen Regeln zu befolgen, wenn man es durchsetzt) und Angebot reduzieren (jeder weiß von wo aus das Zeug in Umlauf gebracht wird …), aufklären (verdammt nochmal Deutschland hat ein Mega-Crack-Problem: warum gibt es keine öffentlichen Aufklärungskampagnen?). Man hat hier über die Jahrzehnte paradiesische Zustände geschaffen: Anarchie und Amnestie, unendliches billiges Drogenangebot, Supportprogramme ohne Ende. Das muss man jetzt intelligent zurückdrehen, das wird nicht leicht, aber es geht. Crack ist eben auch nicht Heroin, das man das unbedingt unter Aufsicht nehmen sollte, so dass man Hilfe hat wenn man umkippt.
    • Zur wichtigsten Frage: warum sollte man die Zustände im Nord-BHV unbedingt verbessern und nicht noch weiter eskalieren lassen?
      • Für die Abhängigen: Es ist möglich vom Crack wegzukommen, aber in Frankfurt ist es viel schwerer als in anderen Städten, weil das Zeug so leicht verfügbar ist und man eben zwangsläufig irgendwann am Bahnhof vorbeikommt. Zwei Anekdoten
        • Ich habe kürzlich auf der Taunusstrasse einen jungen Mann gesehen (ist bekannt aus diversen Youtube-Clips …), er sah ungewöhnlich fresh aus. Das erste was ich sehe: er geht schnurstracks in einen bekannten Crack-Verkaufsort. Fünf Minuten später steht er neben mir im Kiosk, kauft sich nen Brenner und ne Pfeife. Fünf Minuten später sitzt er vor dem PULSE und raucht die Pfeife. Am nächsten Tag erzählt mir ein Bekannter, dass der Typ gerade ganz frisch aus nem halbjährigen Entzug kommt. Mittlerweile sehe ich ihn wieder regelmäßig, er ist wieder komplett unterwegs und in tiefste Sucht abgedriftet.
        • Kürzlich treffe ich einen Bekannten (crack-abhängig), den ich lange nicht gesehen hatte. Hat mir erzählt dass er paar Wochen im Knast war. Fragte wie es war: sagte er hat zwei Tage gebraucht um klar zu werden, danach war alles top, keine Entzugsymptome und nichts, ES GING IHM GUT, WEIL ER KEINE CHANCE HATTE AN CRACK ZU KOMMEN! Für ihn war das top, er hat es genossen. Erster Tag aus dem Knast raus: direkt wieder konsumiert. Warum? Er hatte den kleinen Mann im Ohr der ihm gesagt hat: fahr kurz zum Bahnhof, hol dir alle Utensilien, in zehn Minuten hast du den Kick. Konnte nicht widerstehen.
        • Schlussfolgerung: Wir müssen die Verfügbarkeit reduzieren, sonst machen wir es den Crack-Leuten so schwer abstinent zu bleiben. Ich meine Dan und Alina hätten auch mal so eine ähnliche Rückfallstory erzählt. Wir sollten es schaffen, dass wenigstens nicht mehr pro-aktiv überall der Stein angeboten wird. Ich denke es ist schon viel gewonnen wenn es im Viertel nur noch Roh-Kokain gibt und es die Leute im Viertel holen und daheim aufkochen, dann hört auch dieser 24/7-Belagerungszustand auf.
      • Außerdem ist es für die Business Community und die Stadtgesellschaft einfach absolut ein zentrales Viertel, Probleme hier betreffen viel weitere Kreise als woanders.


  • Die Aussage ist relativ easy, Crack hat das Bhv grundlegend verändert und überall dort wo Drogen sonst noch in der Stadt vermehrt gedealt / konsumiert werden (Konsti / Ostzeil / Allerheiligen) ist Crack eben auch im Spiel mit all seinen Nachteilen. Warum sich Frankfurt mit Konsti / Allerheiligen gleich 2 Rotlichtviertel und Drogenumschlagplätze gönnt, will mir nicht einleuchten und zieht somit gleich 2 zentrale Stadtteile / Kieze runter. Es ist kein Wunder, dass gerade die Ostzeil als besonders schwer zu vermarkten gilt. Das Main Yard ist der erste richtige Impuls für diese Gegend seit dem Fall der Mauer. Warum wohl?


    Grundsätzlich liegt mir ein reines BHV-Bashing fern, aber die Erfahrungen, die ich dort (teilweise mit meiner Familie und Verwandten) sammeln durfte, könnten aus einem dystopischen Science Fiction Buch stammen. Ich habe selber 2 Jahre am Francois Mitterand Platz gearbeitet und habe das BHV Nord schon vor Corona mit allergrößter Skepsis gesehen.


    In den meisten meiner Posts betone ich übrigens welche Potentiale schlummern und was sich im BHV zum Guten wendet / wenden könnte. Durch den Nestle Zuzug sind selbstverständlich auch für das fast benachbarte Interconti und Kaia die Aussichten nicht schlechter geworden. Generell weht durch den OB ein neuer Wind, das gibt Hoffnung auf Besserung. Selbst die Bahn hat eingesehen, dass die Zustände so unhaltbar waren.


    Ich sage nur, dass die Stadt weiter sehr am Ball bleiben muss, denn bei aggressiver Beschaffungskriminalität, die Crack eben bei manchen auslöst, werden die Drogenopfer zu Tätern. Die Waffen Verbotszone war der richtige Weg, aber bisher wurde ich immer wieder enttäuscht als ich das BHV nach Corona mal wieder eine Chance geben wollte.


    Über Alt-Sax (und den Trend weg vom Ballermann Pub Crawling) kann man dann im dazu gehörigen Thread weiter debattieren.

  • In einem Interview mit der Rundschau hat die Gesundheitsdezernentin Elke Voitl mal ausgeführt, dass nicht die Drogen das größte Problem im Viertel wären, "sondern der Verkehr. Es gibt viel zu viel Verkehr im Stadtteil."*


    Und da liegt das Kernproblem: Man wird die Probleme des BHV nicht lösen, so lange die Entscheider:innen aus Ideologie Realitätsverweigerung betreiben.


    Und da schließt sich der Kreis zu deiner Kernforderung, Rud: Die Verfügbarkeit der Drogen wird man nicht reduzieren, so lange man glaubt, die Flut von zugewanderten Dealern mit Waldorf-Pädagogik bekehren zu können. Da grinsen die doch nur drüber.


    Natürlich kann man lange darüber sinnieren, dass die Verteilung von Reichtum auf der Welt unfair ist, nichtsdestotrotz ist die Realität: bei der Mehrheit der Dealer auf den Straßen des BHV gilt, selbst wenn die tatsächlich mal ein paar Tage in den Knast wandern, dann sehen die das als Urlaub mit sauberem Bett, 3 Mahlzeiten am Tag, fließend Warmwasser und kostenloser medizinischer Versorgung. Ginge es vom Urteil direkt an den Flughafen hätte das sicher eine deutlich abschreckendere Wirkung.


    Denn in dem Punkt bin ich ganz bei dir: Je schlechter verfügbar die Drogen sind, gerade das Crack, desto weniger Neukonsumenten züchtet man ran. Gibt doch das berühmte Meme mit dieser Nelly: "Bin für nen Wochenende nach Frankfurt gekommen, jetzt sind es zehn Jahre." Will sagen, die meisten Einsteiger denken nicht, dass sie genauso enden werden wie die Junkies, die auf der Straße liegen.


    Man sieht das gut am Vergleich mit Zigaretten: Auch da ist die hessische Politik bedauerlicherweise unfähig, die Bevölkerung zu schützen, hier darf ja selbst noch Drinnen in Lokalen geraucht werden. In Frankreich dagegen gibt es Zigaretten nur in werbefreien Einheits-Verpackungen an wenigen Verkaufspunkten - statt überall in Supermärkten, an Tankstellen etc. - und selbst draußen, z. B. vor Schulen, in Parks und auf Spielplätzen gelten strikte Rauchverbote. In Italien ebenso. Und natürlich fangen viel weniger Jugendliche das Rauchen überhaupt erst an, wenn Rauchen denormalisiert ist und nicht überall vorgelebt wird.


    Im Übrigen bin ich bez. der Drogenszene in Frankfurt in einem Punkt ganz bei Golden Age: Dass man es nicht schafft, wenigstens die zentrale, flächenmäßig durchaus überschaubare Konsti "clean" (= dealerfrei) zu halten, ist traurig und echt eine Schande.



    *Quelle: https://www.fr.de/frankfurt/el…icht-helfen-92545730.html

    Einmal editiert, zuletzt von *Gerald ()

  • Ideologie wäre ja OK, so lange man ehrlich ist.


    So lange man im Rahmen eines demokratisch legitimierten, legislativ sauberen Prozesses zu folgender Regulierung fände, wäre es für mich OK:


    • Drogenhandel, Besitz und Konsum sind überall im BHV-Nord erlaubt, insb. wenn es sich dabei um unbegrenzte Mengen an Crack handelt
    • Müll und Fäkalien dürfen überall platziert werden
    • Wegelagerei ist auf öffentlichen Wegen generell gestattet
    • Strassenprostitution ist erlaubt


    Man müsste eben Sonder-Rechts-Zonen schaffen, ähnlich ausländischen Botschaften, keine Ahnung ob es möglich ist.

    Wenn es nicht möglich ist, aber trotzdem gewünscht wird, dann erwarte ich von ehrlicher Politik zumindest, dass sie sich dazu bekennt, dass das eben der Wunschzustand ist. Evtl. gibt es sogar ähnlich bekannter Puffstrassen (Herbertstrasse HH, Brunnenstrasse KA usw.) die Möglichkeit, pauschale Betretetungsverbote (z.B. für viertelfremde Kinder) einzurichten. Dann müsste man das Ganze noch mit Schildern entsprechend markieren, so wie es bei der Waffenverbotszone ja schon is.


    So einen Prozess anzustoßen, das würde gehörig Courage erfordern, aber wenn es der Wille der Bürger ist, meinetwegen.

    Stand jetzt ist: die Politik und Administration ist weitgehend zu feige die Zustände wirksam zu ändern, aber eben auch zu feige sich klar dazu zu bekennen. Selbst das Zielbild von Mike Josef und Boris Rhein ist mir nicht klar.


    Wenn man echt etwas ändern wollte, wäre es evtl. am Besten so vorzugehen wie Donald Trump in den USA: erstmal die zuständigen Führungskräfte aus der Verwaltung feuern, dann neue Leute, mit anderen Vorstellungen, die zudem unbelastet sind, einstellen. Falls das in Deutschland so nicht möglich ist, müsste man das eben durch Frühverrentungen und Versetzungen regeln.


    Mal sehen ob der aktuelle Druck reicht, damit sich wirklich etwas ändert. Spätestens wenn die AFD eine hinreichend starke Drohkulisse darstellt, würde das wahrscheinlich sehr schnell Besserung ergeben und Undenkbares wäre plötzlich möglich.

    Aber ob das wirklich wünschenswert ist?

  • Der Grund für die beiden Rotlichtviertel ist einer der grössten Skandale der jüngeren Frankfurter Stadtgeschichte.

    So what? Nur weil die Entstehung eines zweiten Drogen- und Rotlichtviertels in Frankfurt ein Skandal war, heißt doch nicht, dass man sich in alle Ewigkeit damit abfinden muss. Auch das Sudfass stand noch vor wenigen Jahren am Main direkt am Eingangstor zur EZB als Relikt aus einer schlechten Zeit. Es ist logisch die Probleme zu bündeln und nicht überall über die Stadt zu verteilen.


    Das Vorgehen von Trump den Verwaltungs Apparat auszutauschen, wenn er denn überhaupt ernst gemeint ist (ähnlich wie die baldige militärische Einnahme von Grönland und Umbenennung des Gulf von Mexico), möchte ich auf keinen Fall in Europa angewandt sehen. Die USA ist auf einem völlig falschen Weg angekommen und wird in entscheidenden Ministerien bald von Verschwörungstheoretikern und Impfgegnern besetzt. Genau diese Leute haben in der Politik absolut gar nichts zu suchen. Und wenn wir schon über die angeblichen Vorzüge des Trumpismus reden: Musk kann sich seine infame AfD Wahl-Empfehlung gerne an den Hut stecken und auf seinen Elektro Trump-Schlitten (oder steht das “T” für Tyrann?) sitzen bleiben. Auf einen zweiten Henry Ford hat gerade Deutschland in diesem Moment ganz bestimmt nicht gewartet.

  • Ich will hier keine globalpolitische Debatte vom Zaun brechen ...

    Aber die politisch verantwortlichen für das BHV sind und waren weder Herr Musk, noch Herr Trump, noch die AFD oder Impfskeptiker aus amerikanischen Ministerien und auch nicht Henry Ford, das waren ganz andere.


    Das Ergebnis würden die meisten Menschen wohl als Totalversagen bezeichnen.