Bahnhofsviertel auf Metaebene

  • Ich möchte bitten die Diskussion beim eigentlichen Thema zu belassen. Sonst geht es vom Hunderstel ins Tausendstel und die Diskussion gehört hier nicht her.

  • Die Diskussion ist aus meiner Sicht am Kern des Themas. Es ist ja nicht so, dass der Frankfurter Stadtregierung samt der Sicherheitsbehörden die Ressourcen, Ideen oder Fähigkeiten fehlen, um die Situation zu ändern. Selbst jedes noch so verarmte südeuropäische Land schafft es, solche Zustände zu verhindern.


    Die relevante Frage ist: warum will man nicht? Warum ist man nicht einmal willens die zentralen Verkehrswege für Normalbürger und Familien akzeptabel zu gestalten? Und meine Hypothese ist: das liegt and der reflexhaften und kompromisslosen Parteinahme für den "Underdog", in diesem Fall die Drogenszene. Vielfach von Leuten, die weder diese Szene, noch die Anwohner oder die Details des Viertels wirklich kennen.

  • Vielleicht liegt es daran, dass es hierzu keine einfache Lösung gibt. "Vertreibt" man dieses Klientel an der Stelle siedelt sich dieses an anderer Stelle an. Und dann hat man die nächsten Betroffenen. Du redest bei verarmten süderuopäischen Ländern von welchen, wo man Abhängige einfach wegsperrt? Oder über die Länder, wo die Hauptsädte nahezu flächendeckend nach Urin stinken und nur die Zombies aus den Touri-Gebieten vertrieben werden und dafür sich in den Problem-Vororten die Agressionen aufstauen?

  • Auf dem Omonia-Platz in Athen z.B. sehe ich weder Verelendung noch offenes Gedeale oder Konsum oder Ähnliches mehr. Die Polizei ist dort 24/7 präsent und der Platz ist nach meiner Erfahrung für jeden und immer gut nutzbar. Mega-Fortschritt verglichen mit dem Kaisersack.


    In den umliegenden Strassen ist es teilweise anders, da sieht es ähnlich aus wie in der Nidda-Strasse (ca. 20% davon), aber immerhin können Normalbürger und Familien den Verkehrsknotenpunkt Omonia-Platz nutzen. Respekt an die Griechen.


    Dass Frankfurt so etwas trotz all der Ressourcen nicht hinkriegt ist für mich ein Ding des Wahnsinns. Der Grund kann nur ein mangelnder Wille sein, siehe oben.

  • Ich bin aktuell in Kalifornien und das ist auch ein grosses Thema in San Francisco und Santa Monica. Dort wird mittlerweile in den Medien offener gesprochen. Das ganze ist ein ‘Business‘ für einige Politiker in der Stadtverwaltung: Man kann gewisse Fördermittel anzapfen, Programme entwickeln und man will alles nur ‘managen’, aber die Probleme nicht wirklich lösen.


    Hinzu kommen auch andere Theorien, bestimmte Ladenbesitzer sollen vertrieben werden, so dass globale Marken sich ansiedeln können. Habe das lange nicht glauben wollen aber genau das passiert gerade hier in SF und LA - und Phoenix soll dazu die Blaupause sein.

    Bsp Santa Monica: Viele lokale Ladenbesitzer haben resigniert und sind nach x Jahren ausgezogen und die globalen Marken uebernehmen jetzt langsam auch diese (letzten) freigewordenen Ladenflächen hier.


    Ich denke, dass das auch teilweise auf Frankfurt zutreffen könnte…

  • Zu Hersch Bekers Glanzzeiten, als die Frankfurter Stadtverwaltung zudem auch noch ein korruptes Loch war, wäre so etwas sicherlich auch in Frankfurt denkbar gewesen, aktuell kann ich mir das nicht vorstellen.

  • Hochinteressantes Interview von Mike Josef zum Viertel: MIKE CHECK - #EP 2 - Die Zukunft des Bahnhofsviertels (youtube.com)


    Man merkt, dass ihm das Thema wichtig ist.

    Zwei Dinge will er anstoßen:


    1) Es gibt 3000 hart Abhängige im Viertel (die Zuständige Frau aus der Stadtverwaltung hat kürzlich von 500 gesprochen, aber Josefs Zahl wirkt plausibler), davon sind 55% nicht aus Frankfurt und 30% nicht aus Hessen. Insbesondere kommen viele Abhängige aus dem Süddeutschen Raum nach Frankfurt. Er will sich dafür einsetzen, dass die süddeutschen Städte sich mehr selbst bemühen und sich nicht einfach alle auf Frankfurt verlassen. Ich bin sehr gespannt. In München gibt es aktuell mal wieder eine Diskussion um einen Konsumraum (die Stadt will, das Land nicht).


    2) Das Gerücht, dass es ein Crack-House (durch die Stadt betrieben, im (siehe auch hier (Paywall): Frankfurt: Früheres Bordell im Bahnhofsviertel könnte Crack-Suchtzentrum werden (faz.net)) geben soll wurden noch einmal bestätigt. Das wäre dann wohl die fünfte (!!) Anlaufstelle der Stadt für Abhängige.


    Ansonsten sieht er die Situation und die Entwicklung sehr positiv, finde ich etwas übertrieben. Aber wenn er mit Gewerbetreibenden wie Nazim, Babak Farhani und Max Coga spricht, sagen die ihm natürlich was er hören will.

  • Ein relativ einfacher aber effektiver Schritt wäre, die ganzen Einrichtungen (Druckräume etc.) in ein Industriegebiet am Stadtrand zu verlagern.


    Denn ein Hauptgrund, warum viele Süchtige und deshalb auch die Dealer im Bahnhofsviertel abhängen, sind genau diese Einrichtungen. Und wenn dann die Polizei wenigstens nur etwas Druck auf die Dealer im Bahnhofsviertel ausüben und gleichzeitig in diesem neuen Gebiet die Polizei untätig bleiben würde (wie es quasi jetzt im Bahnhofsviertel der Fall ist), dann würde man schon viel erreichen im Bahnhofsviertel.


    Das Problem löst man damit nicht, aber den Glauben daran habe ich schon längst verloren.

  • Hinter der Paywall verbirgt sich ein Interview mit Elke Voitl, die die Sozialarbeit im Viertel koordiniert:


    Gefahr von Fentanyl: Wie Frankfurt mit der Drogenszene im Bahnhofsviertel umgehen will (faz.net)


    Paar interessante Punkte: das Crackzentrum, das aktuell in der Elbestrasse geplant ist, soll als bundesweites Modellprojekt etabliert werden und in der maximalen Ausbaustufe sehr umfangreich ausgestattet werden, bis hin zu Appartments für Abhängige.


    Sobald das Zentrum läuft, würde sie sich für verstärkte Repression (aka rechtsstaatliche Maßnahmen) gegen öffentlichen Konsum einsetzen. Die Situation in der Nidda- und Moselstrasse sei aktuell "nicht in Ordnung".


    Ich persönlich bin etwas skeptisch, was das Crackzentrum angeht: Crackkonsum unterscheidet sich stark von Heroinkonsum, man braucht dafür weder Ruhe noch eine Sitz- oder Liegegelegenheit, auch dürfte das OD-Risiko sehr gering sein und man braucht nicht unbedingt medizinische Überwachung. Dass sich die Crackkonsumenten analog zu den Heroinkonsumenten freiwillig in dieses Haus begeben, da habe ich so meine Zweifel. Dann muss es die Polizei regeln, das Instrumentarium dafür ist ja vorhanden, denn Ausreden gibt es dann nicht mehr. Wenn schon die Sozialarbeiterin sagt, dass es mehr Law-und-Order braucht, dann muss sich die Polizei dann auch bewegen.


    Zwei Randnotizen:

    1) Wenn ich den Artikel richtig verstehe, gibt es Ideen Crack durch Kokain und Heroin zu substituieren. Ok ...

    2) Fentanyl spielt angeblich in Frankfurt noch keine Rolle: widerspricht etwas meiner Erfahrung, aber ich bin kein Experte.

  • Der Leiter des Hilfszentrums in der Elbestraße hat sich schon vor Jahren darüber beklagt, dass es viel zu wenig Polizei gibt. Bei solchen Sozialarbeitern ist übrigens ein ziemlicher Hass auf die Dealer spürbar.

    Was den Beitrag davor betrifft: Die Szene ist nicht im Bhf.-Viertel, weil dort die Einrichtungen sind, sondern weil sie vor Jahrzehnten dorthin verdrängt wurde. Danach kamen dann die Einrichtungen dahin. Die Szene in ein Industriegebiet zu verlagern, das wird nicht klappen. Man kann den Dealern so was schlecht vorschreiben, die werden sicherlich immer zentrumsnah zu finden sein. Dort können sie auch leichter in der Masse untertauchen. Die Abhängigen sind auch eher dort zu finden, z.B. wegen der Beschaffungskriminalität.

    Die Sozialarbeiter hatten zwischenzeitlich sogar schon Angst, dass durch die Maßnahmen der Polizei die Abhängigen zu weit abgedrängt werden und man sie dann nicht mehr erreichen kann.

  • Was den Beitrag davor betrifft: Die Szene ist nicht im Bhf.-Viertel, weil dort die Einrichtungen sind, sondern weil sie vor Jahrzehnten dorthin verdrängt wurde.

    Ich habe jetzt auch schon ein halbes Jahrhundert auf dem Tacho. Ich kenne es nicht anders. Mich hat früher in der Jugend das Ausprobieren von Drogen abgeschreckt, weil ich die Szenen rund um Bahnhof gekannt habe und auch die fortgeschrittenen Stadien dieser Sucht quasi täglich erleben konnte.

  • Man sollte deswegen aber nicht so tun als ob das schon immer so gewesen wäre und solche Zustände gottgegeben sind. Andere Städte bekommen das ja augenscheinlich deutlich besser hin als Frankfurt. Vor dem Krieg waren solche Szenen auch in Frankfurt gänzlich unbekannt. Gerade das Bahnhofsviertel war zusammen mit dem Westend der vornehmste Stadtteil der gesamten Stadt überhaupt, was man auch bis heute noch an dem für frankfurter Verhätnisse überaus exzessiven Stuck an den Altbauten erkennen kann. Demgegenüber sehen die meisten Altbauten in den anderen Stadtteilen regelrecht ärmlich aus (natürlich immer noch die reinsten Augenweiden im Vergleich zu dem was heute in der Regel so gebaut wird). Das Viertel mit diesen architektonischen Juwelen hat besseres verdient als die gegenwärtigen Zustände, noch dazu da es ja das Eingangstor zur Stadt ist das für fast jeden Frankfurt-Besucher den immer bleibenden ersten Eindruck schafft!

  • "Andere Städte bekommen das ja augenscheinlich deutlich besser hin als Frankfurt" ...

    da muss ich bei aller total berechtigter Kritik an der Stadt auch ein bisschen einhaken. Der Frankfurter Weg, diese grenzenlose Toleranz hat ja auch einen Grund: Sichtbarkeit bringt Sicherheit.


    In Frankfurter Druckräumen ist in all den Jahrzehnten noch nie jemand gestorben, es gibt sehr umfangreiche Unterstützungsprogramme, wer am Karlsplatz umkippt, bekommt Hilfe, auf den Strassen wird auch sicherlich weniger geraubt, vergewaltigt und verprügelt als das im Untergrund der Fall wäre. Das Ergebnis ist: die Zahl der Drogentoten in der Stadt ist von einstmals 150 auf ca. 40 runtergekommen, das ist halb so viel wie in München, obwohl die Szene deutlich grösser sein dürfte.


    Dafür opfern wir sehr viel: Ruf, Stadtbild, sicherlich auch viel Geld, das durch Ansiedlungen und Tourismus kommen könnte.

    Es ist ein Akt grenzenloser Barmherzigkeit.


    In München bettelt die Stadt darum, endlich Konsumräume anbieten zu dürfen, das Land blockiert. Da sterben die Leute in den Katakomben, niemand hilft ihnen bei einer OD, teilw. verwesen die da über Wochen. Dafür wird man von Touris gefeiert, weil die Oberfläche blitzblank ist.


    Das alles sollen wir immer bedenken, wenn wir Richtung "the grass is always greener on the other side" tendieren.

  • Vor dem Krieg waren solche Szenen auch in Frankfurt gänzlich unbekannt.

    Das mag sein ... aber die Zeiten ändern sich grundlegend. Und auch da gab es schon eine Drogenszene, die sich aber aufgrund des Preislevels nur auf höheren Ebenen abgespielt hat (wie heute auch noch). Das Massenphänomen gibt es erst, seit es so viele und so günstige Transportwege gibt.

  • Angeblich hat sich die Situation seit der EM deutlich verbessert, ich persönlich merke davon nichts:


    Drogenpolitik in Frankfurt: Wie geht es weiter mit dem Bahnhofsviertel? (msn.com)


    Ausblick: Das Crack-Zentrum soll kommen, man will verhindern, dass sich dadurch noch mehr Auswärtige hier ansiedeln (wie?), man wünscht sich, dass benachbarte Städte bessere Infrastruktur für Abhängige schaffen (wie will man das durchsetzen?).


    Ich persönlich frage mich, ob die Proponenten des Crack-Zentrums die Kousumenten und deren Vorlieben und Konsummuster wirklich kennen. Meine Hypothese: die werden das freiwillig nicht nutzen, weil es einfach ein komplett anderes Verhalten als bei Heroin oder anderen Opiaten ist. Wenn die Stadt Frankfurt dann erwartbar wieder zu schwach ist, rechtsstaatlich durchzusetzen dass der Konsum nur in diesem Zentrum und eben nicht am Kaisersack und anderen öffentlichen Orten stattfindet, wird der gewünschte Effekt (Entlastung des öffentlichen Raums) verpuffen.



  • Es gibt jetzt eine Initiative von ansässigen Unternehmen, die die Situation verbessern wollen:


    Gemeinsam für Frankfurt: Neue Unternehmensinitiative unterstützt Sozialprojekte im Bahnhofsviertel (db.com)


    Man achte auf die ungewöhnlich scharfen Formulierungen.


    Ich finde es unermesslich peinlich für Frankfurt, dass Unternehmen sich hier noch finanziell einbringen müssen, statt dass die Stadt das aus ihren riesigen Steuertöpfen alleine hinkriegt.

    Die Zaghaftigkeit und Passivität der Stadt empfinde ich mittlerweile als unerträglich. Ein Rechtsstaat muss es sich keineswegs gefallen lassen, dass überall auf öffentlichen Plätzen und Wegen harte Drogen konsumiert werden. Außerdem können und sollten wir nicht allen Elendsgestalten dieser Welt hier eine Herberge bieten. Auch ist die Müll- und Hygienesituation einfach untragbar.

  • ^ Die Initiative besteht derzeit aus elf Unternehmen, acht davon sind große Finanzinstitute. Bemerkenswert #1: Die Bundesbank ist dabei. Bemerkenswert #2: Ebenfalls Mitglied ist die gerade im Bahnhofsviertel neu eintreffende Nestlé Deutschland - ein erster Nebeneffekt des Umzugs aus Niederrad.

  • ^^


    Na ja, die Bürger Frankfurts haben demokratische Parteien gewählt, die Buntheit und Diversität verehren und fördern. Von daher sind die Verhältnisse im Viertel folgerichtig.


    Hier gibt es nur schwarz oder weiß:

    Weiter so und noch mehr ( bin ich dafür, da ich in Nordhessen wohne und mir das Ganze genüsslich angucken kann ) oder klar Schiff machen wie damals in der Taunusanlage.


    Ich tippe mal, Option 1 wird´s werden.

  • Wenn Stadt und Behörden sich nicht in der Lage sehen zumindest maßvoll auch rechtsstaatliche Mittel einzusetzen, dann wird es wohl Option 1 werden. Einen rein auf Freiwilligkeit setzenden Ansatz sehe ich als gescheitert an.