Bahnhofsviertel auf Metaebene

  • Die vordere, offene Box wurde mittlerweile von der Szene in Beschlag genommen und zum Freiluft-Konsumraum umfunktioniert. 20 Meter daneben stehen Polizisten bei bester Laune und halten Smalltalk. Schon ein stückweit filmreif.

  • Sorry, was ist denn bitte die Erwartungshaltung? Alle für 4 Wochen am Stadtrand internieren? Rud


    Wir sind doch hier nicht in China. Ich kann verstehen dass die Maßnahmen wenig zufriedenstellend sind und auch keine Probleme wirklich lösen. Aber das wird Mike Josef wohl kaum mit dem Satz meinen, immerhin passiert ja einiges.

  • Er hat nichts mit spürbarem Effekt hingekriegt, dazu siehe die Historie der Diskussion hier.

    Eine realistische Maßnahme wäre gewesen, den Nordausgang samt Düdo-Strasse und den Kaisersack einigermaßen frei von Verkauf und Konsum zu machen, sodass Familien und Normalmenschen da entspannt durchgehen können. Es gibt genügend etwas abgelegenere Orte im Viertel für freien Verkauf und Konsum, man muss dafür nicht das zentrale Zutrittstor zur Stadt nutzen.

    Das hat er trotz großer Ankündigungen und vieler Ressourcen nicht hingekriegt. Stattdessen ist die Strasse jetzt zum zweiten Mal bunt gestrichen und es stehen am Kaisersack jetzt Container, die zum offenen Konsum verwendet werden.

  • Grundsätzlich ja, wenn nichtmal die Hauptverkehrswege vernünftig passiert werden können, ohne sicherheitsbedenken oder dass man den puren Brechreiz bekommt, dann ist das schlichtweg eine Bankrotterklärung und Rückstrittsgrund für die gesamte Stadtregierung. Offener Verkauf und Konsum, genauso wie die Wildpinkelei und Vermüllung sollte aber generell nirgendwo im Stadtgebiet geduldet werden. Da gehört endlich rigoros durchgegriffen, und das völlig unabhängig von irgendwelchen Fußballturnieren.

  • Alle für 4 Wochen am Stadtrand internieren?

    Alternativ die Leute bei toleranten Menschen wie dir zu Hause oder im Garten in der Hütte unterbringen. Ist allen geholfen, das Stadtbild ist wieder erträglich und Freiwillige können sich daheim vor Ort um ihre Schützlinge kümmern.

  • Nö, weil es nach wie vor gilt. Bei solchen Sachen bin ich intolerant, bestreite ich gar nicht. Toleranzbolzen sollten Taten und Eigeninitiative sprechen lassen, und net nur labern.

  • Ich bin mir nicht ganz sicher, aber würden sich da nicht ggf. auch etwas konstruktivere und kompromissbereitere Diskussions-Ansätze finden lassen, als Suchtkranke bei Forumsmitgliedern „zu Hause oder im Garten in der Hütte unterzubringen“  Äppler oder gleich wieder einen „Rückstrittsgrund für die gesamte Stadtregierung“ herbei zu fabulieren @Rhone ? Ich habe keine Idee, was man auf solche Aussagen antworten sollte und ob es überhaupt Sinn machen würde darauf nochmal zu antworten!?

  • Das war ohne Zweifel polemisches Geflame. Auf der anderen Seite kann ich aber auch Aussagen wie die folgenden (meistens von Ortsfremden getätigt ...) irgendwann einfach nicht mehr hören:


    1. "Was soll man denn in vier Wochen so erreichen?" (Josef ist seit über einem Jahr im Amt und selbst in vier Wochen könnte man sehr viel erreichen wenn man denn wirklich wollte)
    2. "Man muss gegenüber den Konsumenten und Dealern tolerant sein" Wer ist denn zu den Familien aus dem Viertel tolerant? zu den Kindern in der Schule in der Moselstrasse? Zu den Passanten und Messegästen? Toleranz sollte zwei Seiten haben.


    Ich bin seit 20 Jahren fast täglich im Viertel unterwegs und ich habe viel übrig für das Problempublikum, ich stehe grundsätzlich hinter dem Frankfurter weg, aber es muss eben für alle funktionieren und das tut es zurzeit nicht. Ich habe nur den Eindruck alle Verantwortungsträger verschanzen sich immer hinter dem "es war schon immer so, da kann man nichts machen".

  • Es geht, fahrt mal in Holland mit dem Zug hin und her.


    Die Bahnhöfe und die Vorplätze sind eine Freude, man fühlt sich wohl und willkommen, egal ob in Rotterdam, Utrecht, Den Haag oder Amsterdam.


    Es ist im Vergleich sauber und gepflegt. Der ÖPNV hat eine sehr hohe Akzeptanz, auch dadurch.


    Das war nicht immer so. Man fing aber irgendwann mal an, z.B. Aufenthaltsverbote auszusprechen und durchzusetzen. Leute, die sich nicht benehmen konnten, wurden sanktioniert, usw.


    Es ist also, auch in einer freiheitlichen Demokratie, eine Frage des Wollens und nicht des Könnens.

  • Interessant ist auch immer der Blick nach Zürich, wo sich von Mitte der 80er Jahre bis kurz vor der Jahrtausendwende Europas größte offene Drogenszene befand. Die Toleranz der Szene hat letztlich zu unannehmbaren Zuständen geführt, mit bis zu 3000 schwerst Suchtkranken täglich, die sich im sogenannten “Needle-Park”, dem Platzspitz direkt am Hauptbahnhof versammelt haben. Erst mit stärkerer repression gepaart mit Prävention haben sich die Zustände geändert. Heute ist der Platzspitz ein gemütlicher Park der zum verweilen einlädt, der Zürcher Hauptbahnhof nebenan gilt als einer der besten der Welt. https://de.m.wikipedia.org/wiki/Platzspitz


    Die Frankfurter Sicht, dass es komplett ohne Repression (= rechtsstaatliche Maßnahmen) zu spürbaren Verbesserungen kommen wird, ist leider illusorisch. Das ist das ganze Drama.

  • Die sehr erfolgreiche Bahnhofsviertelnacht, die mittlerweile durch dieses lauwarme "Open Viertel"-Fest ersetzt wurde, wird wohl nicht reaktiviert. So prominente Stimmen aus dem Viertel. Sehr schade, aber das war wohl extrem teuer und wir sehen auch an anderen Stellen, dass die Politik bei solchen Festen etwas sparen will.


    Das war ein Aushängeschild des Viertels und das mit Abstand spannendste Volksfest Frankfurts, insofern tut es weh.

  • Satte Zufriedenheit herrscht im Römer. Nicht nur die wunderbar kreative Straßenbemalung wertet den vom Kaisersack zum Kaisertor veredelten Teil des Bahnhofsviertels kolossal auf. Nein, weitere städtische Maßnahmen wurden einer PM zufolge umgesetzt. Der Auto- und Lieferverkehr wurde beschränkt, Parkflächen den anliegenden Gastronomen zur Erweiterung ihrer Außenflächen zur Verfügung gestellt und das E-Roller-Chaos per Geofencing beseitigt. Hurra.


    Ein potemkinsches Dörfchen reinsten Wassers. Willkommen in Frankfurt! So schöne städtische Pressebilder gab es zuletzt von Peter Feldmann.


    kaisertor_placetobe_1.jpg


    Wer möchte nicht hier im Liegestuhl verweilen und Spezi aus der Flasche trinken? Richtig - ausgelassene Menschen, die tanzen lieber!


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    Bilder: Holger Menzel / Stadt Frankfurt am Main

  • Leider hat die Bild recht. Ich selbst gehe nicht mehr ins Bahnhofsviertel, nur wenn absolut nötig. Wenn ich mit der Bahn verreise, dann nur noch mit dem Taxi direkt zum Bahnhof.

    Hatte man das alles in Zeiten vor Corona eigentlich ganz gut im Griff, man staune, es wurden tatsächlich Feste gefeiert, verkam das Viertel während Corona extrem.

    Dieser Zustand blieb und verschlimmert sich Monat zu Monat. Mittlerweile sind die Drogenkranken wieder in den Wallanlagen, weil es im BHFV zu voll wird. Die Spritzen liegen wieder in den Büschen, Albtraum-Erinnerungen werden wieder wach.

    Das alles braucht sich nicht mehr hinter amerikanischen Großstädten wie Philadelphia, Seattle oder San Francisco verstecken, es ähnelt sich mittlerweile. In den USA sind die Drogenkranken nur noch aggressiver und kennen keine Grenzen. (Die Amerikaner brauchen daher schon mal gar keine Warnungen auszusprechen).

    Geht mal an einem Sonntagmorgen durch das BHFV, falls Ihr Euch traut. Da liegen die Menschen auf den Straßen in Ihren Fäkalien. Es ist der reinste Horror. Vom Müllproblem ganz zu schweigen.


    Insofern danke ich Schmittchen für den sarkastischen Beitrag, der den Nagel auf den Kopf trifft (bester Beitrag des Jahres '24 bisher dieses Thema betreffend). Man lebt in einer Parallelwelt und macht sich seine eigene, wie sie einem gefällt. Hauptsache, die Foto-OPs stimmt und man kann sich selbst wieder loben.


    Ist es zu viel verlangt, sich in seiner eigenen Stadt sicher und wohlfühlen zu wollen?

    P.S. Es geht mir nicht darum, die Drogenkranken wegzusperren oder dergleichen (in einem normalen Rahmen gehört tatsächlich auch so etwas zum Stadtbild), es müssen aber viel mehr Programme (Entzug, Drogenräume) her, die Polizei muss endlich mehr und effektiver durchgreifen, ebenso auch unsere Gerichte den vollen Strafrahmen nutzen und das Übel an der Wurzel packen, nämlich bei den Dealern (auch den Klein-Dealern) und letztendlich der Organisierten Kriminalität.

  • Nicht nur die Bild, auch das Pendant auf der anderen Seite des politischen Spektrums, die FR, veröffentlichte heute einen ähnlich lautenden Artikel ("Auch die belgische Polizei warnt Fans vor Zombieland in Frankfurt").


    Ein Sprecher der belgischen Polizei wird zitiert, dass aktiv von einem Besuch des Viertels abgeraten wird oder dieses schnell wieder verlassen werden sollte. Das Intellektuellen-Blatt "The Sun" spricht von 5.000 Drogensüchtigen und 300 Dealern auf engstem Raum, mag sein.


    Ich störe mich schon ein wenig an dem Begriff "Zombieland" (No Go Area wäre passender), wenn gerade einige sogenannte Fans genau diesem Begriff gerecht werden. In ein paar Tagen werden wir sehen, was für wohl erzogene Musterschüler und höfliche Schwiegersöhne aus England anreisen.


    Man muss aber auch so ehrlich sein, dass Corona nur der Beschleuniger für eine sich vorher schon abzeichnende Abwärtsspirale war. Schon lange vor Corona war in der Taunusanlage, Mainufer und Willy-Brand-Platz das Milieu in zunehmenden Zahlen anzutreffen. Die Feldmann-Wähler dürfen sich in diesem Zusammenhang gerne nochmal eine Runde schämen einen der unfähigsten, korruptesten Oberhäupter dieser Stadt jemals nicht nur ins Amt gewählt, sondern auch noch wieder gewählt zu haben. Unter OB Boris Rhein, der wohl gut positioniert ist Scholz in ein paar Jahren als Kanzler abzulösen, wäre dieser "Low Point" wohl nicht erreicht worden.

  • Aktuell gibt es ja diese Diskussion um den Zaun am Görli, die mich ein wenig an unsere Diskussion im Viertel erinnert:


    Protest gegen Görli-Zaun: Rapper K.I.Z. treten heute in Kreuzberg auf (tagesspiegel.de)


    Und zwar in folgender Hinsicht: bei solchen Problemstellungen gibt es oft verschiedene betroffene Gruppen, oft eine total unterprivilegierte (Drogenszene im Görli und bei uns im Viertel) und eine ebenfalls stark betroffene, aber nicht generell unterprivilegierte Gruppe (die Anwohner). Und oft ergibt sich dann eine absolute (oft überregionale und teilw. sogar internationale) Solidarisierung (oft junger, linksorientierter Menschen) mit der unterprivilegierten Gruppe ohne jegliche Berücksichtigung der legitimen Interessen der anderen betroffenen Gruppe. Jeglicher Kompromiss und Interessensausgleich mit minimalen Konsequenzen für die unterprivilegierte Gruppe wird abgebügelt.


    Selbst der Israel-Konflikt erinnert mich mittlerweile an dieses Muster: in vielen Kreisen (siehe Diskussion um das Fusion-Festival in Lärz), werden die Opfer und Interessen der betroffenen israelischen Bevölkerung komplett negiert, voller Fokus liegt auf dem Leid und den Interessen der palästinensischen Bevölkerung.


    Ein sehr primitives und destruktives Denkmuster aus meiner Sicht.