Bahnhofsviertel auf Metaebene

  • Allerdings gilt es auch hier genau zu lesen

    Ok, das hätte deutlicher hervor gehen sollen. Es war nun der erste Post seit Mai 2019 in diesem Thread, daher war das Update angesichts der Brisanz und Dramatik auch wieder nötig.


    Ich habe selber mehr als 3 Jahre in der Nähe des Bahnhofsviertels gearbeitet. Das menschliche Elend habe ich täglich aus nächster Nähe erlebt, ein Schock für's Leben. Durch Corona entsteht nun ein ganz neues Risiko für das gesamte Viertel und die Stadt.


    Ja, die Lage ist ernst, sehr ernst. Es gibt kaum eine europäische Stadt, welche ein tieferes Problem mit seinem Bahnhofsviertel hat. Land und Stadt können nur im Tandem erfolgreich sein.

  • Guter Artikel vom Journal Frankfurt. Die Zustände sind traurig, schockierend, unfassbar. Ich finde es unbegreiflich, dass bei so krassem Elend niemand einschreitet und etwas ändern will. Der Zauber des Viertels von vor etwa fünf bis acht Jahren, wo sich ein paar Künstler und Studenten im ehemaligen „Gangster-Viertel“ getroffen haben und ein paar Läden mit neuer Ästhetik zu Hotspots einer urbanen Kultur wurden, ist verflogen. Damals gab es auch Junkies und Dealer, aber längst nicht in dem Ausmaß wie heute. Inzwischen herrscht selbst auf der Kaiserstraße eine aggressive Stimmung, die kaum zum verweilen einlädt. Die Politik scheint vor lauter Angst, eine Gentrifizierung anzuheizen, das komplette Gegenteil erreicht zu haben. Ich stimme dem Journal Frankfurt zu: das ist ein neuer Tiefpunkt des Viertels.


    Ich maße mir nicht an, eine Lösung für die Drogen-Problematik zu finden. Dass der jetzige Weg aber nicht erfolgreich ist, ist offensichtlich. Ziel sollte nun zunächst Schadensbegrenzung sein. Dazu gehört es auch, dass man die „normalen“, „mittigen“ Leute, die das Viertel noch besuchen, nicht weiter verschreckt. Hierbei spielen meiner Meinung nach die Gestaltung und Nutzung des öffentlichen Raums eine große Rolle.


    Grundkonsens sollte sein, dass erstens die Kaiserstraße als wichtigste Verbindung der Innenstadt mit dem Bahnhof halbwegs passierbar bleiben muss, dass zweitens die Zustände des Bahnhofsviertels nicht noch weiter auf den Willy-Brandt-Platz und die Taunusanlage überschwappen dürfen und dass drittens das noch intakte urbane Leben auf der Münchener Straße gefördert gehört.


    Ich will mich mal an ein paar Konkretisierungen zu den einzelnen Punkten versuchen: Zur Steigerung der Attraktivität der Kaiserstraße gehört für mich mehr Sauberkeit und ein aufgeräumterer Eindruck. Mülltonnen müssen nicht den ganzen Tag lang auf der Straße stehen, Sperrmüll-Container brauchen nicht wochenlang an gleicher Stelle stehen, und Bürgersteige können ab und zu mal gereinigt werden (je nach Jahreszeit sind derzeit sämtliche Wege regelmäßig voller Vogeldreck). Weiterhin sollte mit den Gastronomiebetrieben eine flexible Außenmöblierung vereinbart werden. Am Tag und am Abend sollte möglichst viel Gastronomie für Belebung sorgen, in der Nacht sollte eine bequeme Bestuhlung nicht noch weitere Dealer anlocken. Das gleiche gilt für die Sitzbänke, die letztes Jahr an den Kreuzungen (unbedarft?) installiert wurden. Außerdem sollte man die schönen Seiten der Straße mehr betonen - z.B. mit einer Beleuchtung der Gründerzeitfassaden, z.B. auch mit einer Wiederherstellung der ursprünglichen Erdgeschossgestaltungen. Ich bin nicht dafür, dass die Stadt Geld ausgibt, um Immobilienbesitzern ihr Eigentum zu verschönern, aber eine Initiative leiten und damit Bewusstsein schaffen, könnte sie durchaus.


    Der öffentliche Raum von Willy-Brandt-Platz und Taunusanlage benötigt ebenso eine viel stärkere Steuerung seitens der Stadt. Wie wäre es mit einem Liegestuhl-Verleih, um Leute zur Nutzung der Wiesen zu animieren? Wie wäre es mit ein paar Markt- oder Streetfood-Ständen, um Passanten zum Verweilen einzuladen? Wie wäre es mit kleinen Kiosks oder Cafés - nach Vorbild des „Fein“ in der Eschenheimer Anlage? Mit der Hochhauskulisse und einer kreativ-liebevollen Bespielung der Grünanlage könnte hier mit relativ geringem Aufwand ein belebter Statdmittelpunkt entstehen. Wie groß das Potential ist, konnte man im letzten Jahr sehen, als ab und zu ein paar DJs vorm Taunusturm aufgelegt haben und die Grünanlage zu einem entspannten Stadt-Treffpunkt wurde.


    Weiterhin sollten der Gastronomie um die Münchener Straße herum keine Steine mehr in den Weg gelegt werden. Was hier an urbaner Kultur vorhanden ist, sollte gefördert werden. Die derzeitige Corona-Außenbestuhlung der Lokale z.B. sorgt für eine angenehm improvisierte, leicht südländische Atmosphäre. Diese sollte auch nach Corona beibehalten werden. Weitere Parkplätze dürfen dafür gerne weichen. Mag sein, dass sich ein paar Bewohner von den Menschenmassen vorm YokYok belästigt fühlen. Die Alternative, nämlich auch die Münchener den Junkies und Dealern zu überlassen, ist sicher abschreckender. Deswegen wären an dieser Stelle weniger Eingriffe des Ordnungsamts wünschenswert.


    Es kann gut sein, dass sich einige dieser Ansätze bei näherer Betrachtung nicht umsetzen lassen. Das wesentliche ist meiner Meinung nach aber, dass es abseits der Drogen-Problematik zweier Dinge bedarf, um das Bahnhofsviertel wieder etwas angenehmer zu gestalten: einer Menge Tagesarbeit in Form von Organisation und Koordination und eines großen Gestaltungswillens bei der Steuerung des öffentlichen Raums. Wir brauchen mehr liebevolle Gestaltung, um die Härte des Viertels wieder in Balance zu bringen. Hoffentlich geht es jemand an.

  • Also eins jedenfalls steht fest: der "Frankfurter Weg" ist völlig gescheitert! Druckräume und sonstige Kümmerei um die Junkies gibts nach wie vor wie Sand am Meer, aber das ganze dazugehörende Thema der Repression ist gefühlt überhaupt nicht mehr Bestandteil.

    Man hat es hier natürlich mit vielen Problemen gleichzeitig zu tun, und würde halt keine zufriedenstellende Lösung erreichen wenn man sich nur auf Teilaspekte konzentriert. Neben dem generell viel zu laschen, teils sogar völlig ignorierenden, Vorgehen seitens Politik, aber auch Exekutive und vor Allem Justiz bei der Bekämpfung der immer weiter grassierenden Versiffung, Vermüllung, Verwahrlosung, Dealerei und offenem Drogenkonsum, hat sich ja auch insbesondere die Dealerszene in den letzten 5 Jahren vervielfacht. Zum größten Teil besteht sie bekanntermaßen aus Merkels "Fachkräften" von denen die allerwenigsten überhaupt Anspruch auf irgendein Bleiberecht in diesem Land hätten. Aber gerade bei diesem Personenkreis wird sich ja überhaupt nicht getraut mal mit der notwendigen Härte durchzugreifen, was diese Personen zu immer dreisterem Verhalten geradezu ermutigt.

    Hier braucht man endlich einen ganzheitlichen Ansatz mit hochfreqenter intensiver Reinigung, und auch wieder deutlich mehr und vor allem wirksamer Repression, vom Auflösen sämtlicher Treffpunkte der Drogenszene (und dies bereits im Entstehen und nicht erst wenn sie sich schon etabliert haben) über hartem kompromisslosem Durchgreifen gegen Dealerei und offenen Konsum, bis hin zu natürlich auch vermehrt Abschiebungen.

    Mal abgesehen davon, dass die Druckräume sich mitunter an für das Viertel an sich extrem ungünstigen Standorten befinden, sollten aber gerade diese doch zusammen mit der Polizei ganz besonders auch auf die öffentlichen Räume in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft achten. Neben nördlicher Moselstraße, dem westlichen Teil der Taunusstraße, sowie ihrer Kreuzung mit der Elbestraße hat man ja ausgerechnet vor den Druckräumen die größten Ansammlungen von Junkies von denen nicht wenige auch keine Hemmungen haben ihr Zeug mitten auf der Straße zu konsumieren.

    Weiteres Problem natürlich die Alkoholiker am Kaisersack, generell das Thema Bahnhofsvorplatz, und die mittlerweile unzähligen bestialisch nach Pisse stinkenden Gegenden.

  • Ich bin zwar kein Frankfurter, habe aber dort mehr wie 25 Jahe gearbeitet und auch viele Jahre die S-Bahn mit umsteigen am Hbf genutzt. Das Umsteigen ist nicht wichtig, aber vor 40 Jahre schon lagen dort Drogenabhängige im "kleinen" Übergang von Gleis 1/2 zu 3/4 im Tiefbahnhof. Das schlimme ist auch, wie man abstumpft. Jeden zweiten morgen schauen ob sie noch leben? Will damit auch sagen, ein Gewöhnungsfaktor, läuft hier so, kann man nicht ändern usw usw. Weiter oben im Hauptbahnhof und Umgebung war ich auch öfters und habe natürlich auch meine Erfahrungen gemacht bzw erlebt.


    De Artikel vom Journal fast es ja gut zusammen, aber es wird sich mMn nicht viel ändern, eher wird es noch schlimmer. Härter durchgreifen hilft auch nur, wenn die Konsequenzen auch folgen. Aber das ist ein anderes Thema.

    Es ist irgendwie schade, weil das "Viertel" um den HBF herum immer noch einen Charme hat (auch heute noch) zwischen den Hochhäusern und der Altstadt. Eine Lösung für das Problem sehe ich, auch aufgrund der in dem langen Zeitraum wechselnden politischen Verhältnisse in den letzen 40 Jahren, nicht mehr. Es wird so weiter gehen.

  • Zusätzlich zum Drogenproblem (ich meide das Bahnhofsviertel komplett mittlerweile, aus Angst) kommt nun die vermehrte Sichtbarkeit der Obdachlosigkeit. Seit Corona hat das massiv zugenommen. Ich möchte betonen, dass ich mich daran nicht störe, es sind Menschen die unter die Gleise gekommen sind und wie wir alle lernen ist ja heutzutage nichts mehr sicher, dank Corona.

    Vor 2 Tagen wollte ich frühmorgens die Skyline Fotografieren, um 5.00 Uhr losgeradelt, unten am Mainufer.

    Das gesamte Mainufer war komplett verdreckt, vermüllt. Ganz schlimm aber im neuen Hafenpark.

    Das Licht war nicht so wie erhofft, also auf dem Rad wieder zurück nachhause durch die Innenstadt


    Überall schliefen Obdachlose, es waren locker an die 100 Stück, wenn nicht noch mehr. Mir ist das vorher noch nie so dermaßen aufgefallen.

    Und ich war nicht im Bahnhofsviertel...

    Sind die Hilfseinrichtungen wegen Corona geschlossen?

    Solche Massen an Obdachlosen sieht man eigentlich nur in Grossstädten der USA wie Seattle oder San Francisco...

    Einmal editiert, zuletzt von Adama ()

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    Die Masse ist mir auch aufgefallen. Vielleicht übersieht man außerhalb von Coronazeiten zwischen all den Touristen, Partygängern und Büroangestellten aber auch das wahre Ausmaß. Ein Faktor, neben den oben bereits genannten Problemen, sind sicherlich die aktuell noch gültigen Abstandsregeln. Viele soziale Einrichtungen können so nur einen Bruchteil der normalen Kapazitäten anbieten ...

  • Bei solchen Zuständen ist oftmals eine Kombination aus Inkompetenz und Korruption der Grund. Ich würde mich nicht wundern, wenn der eine oder andere Politiker oder Beamte sich “hier und da” bereichert und dafür halt mal ein Auge zudrückt. Spätestens aber dann, wenn die ersten namhaften Firmen nach Eschborn abwandern oder komplett wegziehen werden wird man aufwachen (aber dann wird es wohl zu spät sein).

  • Anlass: Der obige Artikel von Frau Merkel von JF. Habe darauf hin meinen Beitrag fertiggestellt und wieder gelöscht. Hat ne halbe Stunde gedauert, egal. Meine Meinung zu solchen kriminellen Machenschaften (explizit Rauschgifthandel) u.a. auch im FFM-Bahnhofsviertel (wie eigentlich überall in D an den sogenannten Hotspots, speziell Görli in B) ist schon im Strang Vandalismus zum Ausdruck gebracht worden. Das könnte ich auch hierhin kopieren. Auch hier verstehen einige einfach nicht worum es geht. Das man mit Wegschauen, Streicheleinheiten, und Nichtausnutzung der gesetzlichen Möglichkeiten aber auch keine bessere Welt schafft muss man diesen Spezies immer wieder zu Gemüte führen, und das dann die Demokratie nur so zusammengehalten werden kann, verstehe ich dann nicht mehr. Stimme stattdessen oben z.B. Adama und Rhone uneingeschränkt zu, ebenso vielen anderen natürlich auch, die einfach das Demokratieverständnis einer gutausgebildeten Bürgerschaft vorleben und Gut + Böse wohl schon noch auseinanderhalten können ohne irgendjemand was böses zu wollen.


    PS. Ich würde mir viel mehr Zivilcourage wünschen das alles kriminelle angezeigt wird und offen thematisiert wird. Der Staat verlangt das doch auch von seinen Bürgern.

  • Apropos mediale Wahrnehmung des Problems: Wer die Artikel zum Bahnhofsviertel der letzten Monate in der FAZ oder FR liest, könnte meinen, dass eigentlich nur die dortigen Betriebe unter der momentanen Situation leiden und die anderen Probleme mit Dealern, Drogensüchtigen, abartigen Zuständen, Ansteckungsgefahr für Passanten ausgeblendet werden können. Mit anderen Worten: "Nothing to see here, move along".


    Die FAZ-Artikel „Zukunftssorgen im Frankfurter Rotlichtmilieu“ (hier soll tatsächlich auf die Tränendrüse gedrückt werden, dass das Rotlicht nicht mehr die gewohnten Einnahmen erzielt und es schwer hat à also ganz genauso wie alle anderen Gewerbe auch, die von Corona betroffen sind) und „Tote Hose im Rotlichtviertel“ - bezogen natürlich nur auf das tote Nachtleben (und die aberwitzig hochstilisierte Münchener Strasse) - verniedlichen die Zustände geradezu.


    Die Frankfurter Rundschau hatte genau denselben Einfall und hat zuletzt zwei Artikel mit den Titeln „Frankfurter Prostituierte: Ich habe große Angst vor Corona“ und „Viele Prostituierte sind jetzt obdachlos“ ins Netz gestellt. Am 01.04. gab es zumindest einen Artikel in dem die offene Drogenhilfe auf katastrophale Zustände aufgrund der Corona-Beschränkungen hinweist. Allerdings war dieser Artikel extrem kurz gefasst und ohne jegliche journalistische Tiefe. Kein Wort davon, dass sich 500 Dealer im Bahnhofsviertel aufhalten, die Probleme sich auf Saar-Carree, Polizeipräsidium, Mainufer, Taunusanlage oder Platz der Republik ausweiten. Eine Gefahr für den Allgemeinbürger scheint als völlig unerheblich oder nicht berichtenswert zu gelten.


    Hier muss man sich schon fragen, warum die überregionalen Zeitungen, die sich einer gewissen journalistischen Qualität verschreiben, nicht mit offeneren Augen durchs Viertel gehen und stattdessen geradezu realitätsverweigernde, weichgespülte Berichte verfassen. 2-3 gut recherchierte, kritische Artikel zum Bahnhofsviertel im Jahr reichen da bei weitem nicht aus. So wird der Frankfurter Magistrat sicherlich keinen sonderlichen Handlungsdruck verspüren und der seit Jahrzehnten geltende Laissez-Faire fortgeführt. Die wenigen Verschärfungen werden auf diese Weise auch eingestellt sobald auch nur eine minimale Besserung eingetreten ist. Man könnte fast meinen, dass politisch unbequeme und vor allem hochbrisante Wahrheiten immer weniger in den Frankfurter Lokalnachrichten ihren Platz finden.

  • Nach der ganzen Kritik an dem Viertel sehe ich mich dazu gezwungen, meine Sicht der Dinge klarzustellen.

    Das Bahnhofsviertel macht Frankfurt zur Metropole. Der krasse Unterschied und die Abwechslung ist genau das, was eine Metropole ausmacht. Man stelle sich nur vor, was passieren würde wenn die Bordelle, Obdachlosen, Dealer, o.ä. der Gentrifizierung zum Opfer fallen würden. Aufwändig sanierte Häuser und blank geputze Straßen. Todlangweilig.

    Frankfurt will sich mit den globalen Hotspots messen, aber vergisst dass genau solche Themen wie das Bahnhofsviertel völlig normale Begleiterscheinungen sind. Obdachlose findet man ohne Ende in den Metropolen der Welt.


    Ich kenne so viele Kollegen, die die wohlverdiente Arbeitswoche im Bahnhofsviertel ausklingen lassen. Damit meine ich weder den Besuch von Bordellen, noch den Genuss von Drogen. Es ist die Atmosphäre, das Verbotene und Andere was dieses Viertel so besonders macht. Ich habe keine negativen Erfahrungen in diesem Viertel gemacht, Bars und Restaurant haben das gewisse Extra, das ich nicht missen möchte. Weder Dealer, noch Obdachlose haben mich belästigt und das obwohl mein Erscheinungsbild ein komplett anderes als das der genannten Personengruppen ist.

  • Ich finde auch, dass Bahnhofsgegenden einen eigenen Flair haben dürfen und

    sollten, aber es ist mir bisher nur in Frankfurt passiert, dass ich in meiner 45 min Wartezeit am Bahnsteig! von 3 Junkies angequatscht und angebettelt wurde... und ich war schon in einigen Großstädten.


    Frankfurt ist schon ein besonderes Negativbeispiel, dabei wäre der HBF und das Viertel drumherum echt schön... irgendwas sollte man langsam schon unternehmen.


    (Kann auch weg^^)

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    Urban:


    Ob das Bahnhofsviertel nun der entscheidende Faktor ist, der Frankfurt zur Metropole macht, wage ich zu bezweifeln, da gibt es bessere. Ich gebe dir insofern Recht, dass in einer Großstadt nicht alles herausgeputzt und aufgeräumt sein muss. Ob es deshalb aber gleich offenen, fast schon ungebändigten Drogenkonsum geben muss, Bordell an Bordell braucht? Dies ist übrigens auch in weitaus größeren Städten wie London, NYC oder L.A. keineswegs ein gewünschter Zustand, sondern meist Ergebnis hoffnungslos überarbeiteter Behörden und zahlenmäßig unterlegener Polizei.

    In manchen asiatischen Metropolen wie Tokyo mangelt es nicht an Urbanität oder Abwechslung, ganz im Gegenteil. Die vermeintliche "Kreativität" entsteht dort jedoch ganz ohne Zustände, wie sie in vielen Bahnhofsvierteln Deutschlands / Europas heute auszumachen sind, sodass sich dort jeder sicher und damit wohlfühlen kann.

  • Dieser Strang ist immer nur schwer auszuhalten, mittlerweile wird hier sogar schon ganz frisch neu-rechts von "Merkels Fachkräften" gesprochen. Aber das wird man sicher alles noch sagen dürfen, weil man ist ja Experte und bei "hochfrequenter intensiver Reinigung" sollen auch nur die schlechten Menschen entfernt werden. Ich finde, dass ist ein asozialer Jargon. Bezeichnend ist auch, dass meist die paar gleichen Leute, die irgendwann mal im Viertel gearbeitet haben oder manchmal am HBF umsteigen oder Freunde durch Frankfurt führen als Experten auftreten und erklären, wie es besser zu machen ist. Ich als Bewohner finde das nervig und meist auch absolut unqualifiziert. Es fehlt gänzlich an einem umfassenden Verständnis der Situation.


    Noch gestern Abend war das Viertel mit tausenden fröhlichen Menschen gefüllt, die meisten sahen eher nicht wie Dealer, Junkies oder Geflüchtete aus. Die Leute tanzten vor dem Chango, saßen auf den Bürgersteigen und tranken Bier, aßen in einem der zig Restaurants. Diese generelle Abwertungslogik, die hier in diesem Strang und gerade mal wieder im Qualitätsmagazin JF gebracht wird, ist also erstmal zumindest zu hinterfragen. Gleichzeitig wird überall im Viertel gebaut, saniert, machen neue Läden auf... meist wird ein solventerer Publikum adressiert als zuvor. In meinem Haus sind in den letzten 5 Jahren alle migrantischen Familien ausgezogen. Hier wohnen nur noch Leute mit höherem Einkommen. Zwar schließen auch Läden und machen die soziale Situation im Viertel verantwortlich (prominent ein Musikinstrumenteladen) aber könnte das nicht auch der Strukturwandel sein, den auch die Berger und andere Straßen erleben?! Wohnraum ist auf jeden Fall im Viertel teuer und gefragt, nicht anders als in anderen "besseren" Lagen.


    Gleichzeitig ist das, was hier an menschlichem Elend beschrieben wird, sicherlich ein Problem aber nicht das Problem des Bahnhofsviertels, sondern unserer (Stadt-)Gesellschaft. Es manifestiert sich nur im Bahnhofsviertel, was historische, organisationssoziologische und sozialpsychologische Gründe hat, die ebenfalls komplex sind und die hier noch nie jemand hinterfragt hat. Stattdessen wird wahlweise entweder die materielle Säuberung oder die soziale Säuberung des Viertels vorgeschlagen. Ich finde das vor allem schwierig, weil alle von euch beschriebenen Personengruppen im Bahnhofsviertel vor allem versuchen zu überleben und denken, dass dies dort am besten gelingt. Einige der lokalen Praktiken sind dabei allerdings nicht tolerierbar, vor allem immer dann, wenn sie anderen direkt oder indirekt schaden.


    Lange Rede, kurzer Sinn. Ich möchte ganz stark dafür plädieren, genauer hinzuschauen und zu überlegen, wogegen "die Stadt" vorgehen soll und wo sie lieber nach besseren Möglichkeiten suchen sollte, die Menschen zu unterstützen. Außerdem ist klar, dass das Viertel nicht das Nordend ist und hier andere Menschen wohnen/sich aufhalten. Das ist auch total ok, solange niemand in Gefahr gerät. Richtig ist, dass eine Großstadt von derartigen Kontrasten profitiert, Räumliche Diversität schafft neue Angebote und erhöht den sozialen Austausch und die Sichtbarkeit der real existierenden sozialen Unterschiede. Zuletzt braucht es aber einen handlungsfähigen Staat, der besser für Sicherheit sorgt (für alle Menschen im Viertel) und zuverlässig und nachhaltig alle sanktioniert, die die Sicherheit vor Ort stören. Dazu muss die Politik handeln. Das haben, und da bin ich hier glaube ich sogar mit allen einig, alle Parteien bisher komplett verbockt.

  • Zuletzt braucht es aber einen handlungsfähigen Staat, der besser für Sicherheit sorgt (für alle Menschen im Viertel) und zuverlässig und nachhaltig alle sanktioniert, die die Sicherheit vor Ort stören. Dazu muss die Politik handeln. Das haben, und da bin ich hier glaube ich sogar mit allen einig, alle Parteien bisher komplett verbockt.

    Danke für die Ausführungen. Diese Diskussion lohnt sich zu führen und sollte in einem freien Land eigentlich schon mit mehr Gelassenheit auszuhalten sein. Das Journal Frankfurt, das man an dieser Stelle nicht verunglimpfen oder veralbern sollte ("Stichwort: Don't shoot the messenger"), hat völlig zurecht auf die Zustände im Viertel hingewiesen. Medien sollen anecken und hinterfragen, sie sind nicht als weitere "Filter Bubble" gedacht, wo unbequeme Wahrheiten per Mausklick ausgeblendet werden können.


    Mich würde interessieren welche Handlungsfelder denn zu nennen wären, wenn von "Dazu muss die Politik handeln" gesprochen wird. Das ist dann doch etwas zu abstrakt bzw. erlaubt immer ein Hintertürchen jede Maßnahme als "zu radikal", "zu Law & Order", "zu ideologisch verblendet" abzustempeln. Wichtig wäre an dieser Stelle etwas konkreter bzw. basis-naher zu werden, denn das jetzige Festhalten am Status Quo verspricht wenig Aussicht auf Besserung, wie sich ja bereits alle einig waren. Erwähnt wurden ja bereits die Anregungen aus Köln und das angestrebte Alkoholverbot am Kaisersack. Ich würde noch hinzufügen, dass die Ausbreitung der Drogenproblematik auf weitere bislang nicht betroffene Gegenden (bspw. Saar-Karrée) und ans Mainufer mit mehr Präsenz der Polizei eingedämmt werden muss.


    Etwas einseitig ist es die Münchener Strasse (Chango & Konsorten) und die dortige (vor allem sich selbst abfeiernde) Hipster-Szene als Argument zu verwenden, dass doch alles nicht so schlimm sei. Das Viertel ist nur für die Leute ein Amüsierviertel, die es abends auch wieder verlassen oder sich dort in Ruhe zurückziehen können. Bitte mal bei den erwähnten neuen Hotspots Saar-Karree, Platz der Republik (besonders Höhe Sparkasse), Polizeipräsdium Rückseite vorbei schauen. Zudem sollte ernst genommen werden, wenn die Polizei von ca. 500 Dealern spricht. Die mögen an der Münchener Strasse vielleicht nicht sichtbar sein, aber wer mal bei der Kinley Bar ansteht, wird schnell eines Besseren belehrt.


    Die Schließung des "Cream Music" (gegründet 1904 an der Taunusstrasse und sicherlich nicht irgendein Geschäft) auf die Gentrifizierung zu schieben, halte ich ebenfalls für irreführend. Cream ist in das gehobene Sachsenhausen umgezogen, so dass man hier nicht vor einer Flucht vor zu hohen Mieten sprechen kann. Die Cream-Besitzer fühlten sich vor allem komplett im Stich gelassen und die Kunden sich dort nicht mehr wohl. Die Schließung des Stammhauses der Parfürmerie Lehr nach 100 Jahren an derselben Stelle, also der Kaiserstrasse, erfolgte aus sehr ähnlichen Gründen (Quelle). Der zum Anfang als große Verheißung gefeierte Club "OYE" der Brüder Zeleke hat es ebenfalls nicht lange an der Taunusstrasse ausgehalten. Es mag sein, dass steigende Mieten manche Betriebe zum Aufgeben im Bahnhofsviertel zwingen, aber der Wegzug von Cream war dann doch eine größere Zäsur für das Viertel als wie es hier dargestellt wurde.

    4 Mal editiert, zuletzt von Golden Age () aus folgendem Grund: Zäsur nicht Zänsur :-)

  • Guten Tag - hab mich eben angemeldet, um nach schon langem Mitlesen der vielen interessanten Postings aus meiner Geburtsstadt nun doch der Kette der Bahnhofsviertelmetabeiträge eine weitere Meinung hinzuzufügen: tut mir leid, Urban, bitte um Verständnis, aber ich sehe den Bourgeois vor mir, dem es wohlig kalt den Rücken runterläuft - und der nach der wohlverdienten (?) Arbeit unbewußt bei sich denkt '... danke Dir, dass ich nicht bin wie jene'. Es ist kein Puritanismus, den Ausfall von politischer Gestaltung zu beklagen!

  • Cream ist in das gehobene Sachsenhausen umgezogen, so dass man hier nicht vor einer Flucht vor zu hohen Mieten sprechen kann. Die Cream-Besitzer fühlten sich vor allem komplett im Stich gelassen und die Kunden sich dort nicht mehr wohl.

    Die Frage ist natürlich immer, ob solche öffentllichen Aussagen tatsächlich den internen Entscheidungsprozess widerspiegelen. Manchmal passen einem solche externen Faktoren auch gut in den Kram, um einer Diskussion zu unbequemen Entscheidungen aus dem Weg zu gehen. Stichwort Onlinehandel etc.


    Jedenfalls sah das Viertel - auch und gerade dort wo Lehr und Cream ihre Läden hatten - Ende der 1980er / Anfang der 1990er viel schlimmer aus. Ich kann mich an Ladenbesuche im Bahnhofsvietrel erinnern bei denen wir wortwörtlich über Junkies steigen mussten, um an die Türklingel des Geschäfts zu kommen. Ständig hat man Drogentote in den Grünanlagen und auf öffentlichen Klos gefunden, es waren teilweise fast 150 im Jahr. Heute sind es noch um die 20.

  • Wie schon erwähnt, Cream ist in eine teurere Gegend (Sachsenhausen-Ost) umgezogen. Lehr hat wieder an der Leipziger Strasse 21 aufgemacht (und hat zwei weitere Filialen an Berger und Berliner Strasse). Somit entfällt das Argument, dass betriebswirtschaftliche Probleme hier ausschlaggebend waren und man die Probleme des Bahnhofsviertels nur als Vorwand genommen hat um eigenes Versagen zu verdecken. Ich finde es nicht ganz in Ordnung die Ehrlichkeit der Ladenbesitzer von Cream und Lehr in Frage zu stellen. Es ist doch genauso plausibel, dass sie die Zustände kritisieren, da sie selber Jahrzehnte lang eng mit dem Stadtteil verbunden waren.

  • Golden Age


    Ich finde Quellen zu checken, ist schon wichtig. Und so wie ich den Journal Artikel lese, handelte es sich um einen subjektiven Bericht von dort arbeitenden Menschen. Demnach wäre meine Schilderung ja zumindest eine neue Perspektive. Trotzdem darf natürlich jeder seine Meinung haben. Wenn von sozialer Säuberung gesprochen wird, ist für mich aber eine Grenze überschritten. Aber manche fühlen sich in derartigen Grauzonen halt wohl.


    Aber zum Thema: vor dem Chango und an vielen anderen Orten stehen eben nicht nur die Hipster (die vllt. ja sogar nicht nur sich selbst feiern), sondern ganz verschiedene Menschen kommen hier zusammen. Gerade das macht das Bahnhofsviertel aus. Außerdem ist längst nicht nur die Münchener abends und auch tagsüber angenehm belebt und sozial durchmischt. Gleichzeitig gibt es im Viertel und andernorts in der Stadt Hotspots für alle möglichen Sorten von Kriminalität, die bekämpft werden sollten. Da waren wir uns schon vorher einig, trotzdem danke für die erneuten Ausführungen. Mein Hauptargument ist aber: es hilft nichts, den Ort der Kriminalität immer weiter zu sanktionieren, es müssen vielmehr die sozialen Probleme angegangen werden.


    Ich habe übrigens überhaupt nichts gegen die Verlegung des Polizeireviers aus der Gutleutstraße an zb. die Kaiserstraße, an mehr Polizeipräsenz im Viertel störe ich mich auch nicht. Das hilft bestimmt auch, damit die sichtbare Kriminalität in der Ecke weniger wird. Aber es ist doch viel zu kurz gedacht, dass damit die Süchtigen und die Beschaffungskriminalität verschwinden. Die suchen sich neue Orte. Es braucht neue Konzepte in der Sozialpolitik, der Frankfurter Weg hat schließlich eine lange Zeit sehr gut und international anerkannt funktioniert. Sozialpolitik hat damals gewirkt, NEUE Sozialpolitik kann auch heute wirken. Ich bin leider kein Sozialpolitiker oder Experte in dem Bereich (vertraue gleichzeitig aber Wissenschaft und Experten in ihren Bereichen), deshalb werde ich dir keine Lösung für dieses hochkomplexe Problem präsentieren können. Law and Order allein wird das Problem aber auf jeden Fall nicht lösen, da bin ich mir sicher.


    Was ich mir wünsche würde, wäre eine starkes neues Bündnis von Polizei, allen sozialen Einrichtungen im Viertel, der Stadtverwaltung, dem Land, der Justiz und anderen, die gemeinsam neue GRUNDLEGENDE Modelle erarbeiten, wie den Hilfsbedürftigen besser geholfen und Kriminalität wirkungsvoller bekämpft werden kann. Das Bahnhofsviertel könnte dann wieder zu einem Modellprojekt werden (im guten Sinne). Ich befürchte aber, das gelingt nicht, weil engagierte und kompetente Führungsfiguren in der Politik in diesem Bereich fehlen. Frühere wenig nachhaltige Versuche in den letzten Jahren belegen dies.

  • Im Falle Cream ist es ja recht einfach eine verlässliche Quelle zu zitieren, nämlich Inhaber Bernhard Hahn. Man klicke auf diesen FAZ-Artikel von Ende 2016 als der Umzug aus der Taunusstraße verkündet wurde. Danach sind es eben die Zustände im Viertel die ihn zu diesem Schritt bewegt haben.

    Da mein Büro unweit der Ecke Karlstraße, Niddastraße und Moselstraße liegt, kenne ich die Zustände in der Gegend rund ums "Drückerhäuschen" aus täglicher Erfahrung und kann bestätigen, dass sich die üblen Zustände in den letzten beiden Jahren nochmals verschlimmert haben. Das Elend der Abhängigen und das Gebaren der Dealer ist wirklich unbeschreiblich und verstörend. Auch in der Mittagspause kann es einem passieren, dass einem eine Flasche am Kopf vorbeisaust weil sich Dealer über Geld und Stoff zoffen, sich quer über die Straßen jagen (eigene Erfahrung). Meine persönliche Einschätzung: gegenüber dieser Klientel hilft nur Repression und solange auch nach duzenden Festnahmen keine Konsequenzen (i.d.R. die Abschiebung) folgen, wird sich an den Zuständen wenig ändern. Die Junkies dagegen wollen meist in Ruhe gelassen werden.

  • Ständig hat man Drogentote in den Grünanlagen und auf öffentlichen Klos gefunden, es waren teilweise fast 150 im Jahr. Heute sind es noch um die 20.

    Nun sind Drogentote üblicherweise ein Zeichen für ein hartes Durchgreifen des Staates. Drogentote gibt es dann, wenn der Stoff keine kontinuierliche Qualität hat und zwischendurch - nach Ausfall einzelner Marktteilnehmer - plötzlich deutlich reinere Drogen verkauft werden, so dass aus der bisherigen Regeldosis eine Überdosis wird.

    Eine lockere Haltung des Staates führt dazu, dass langfristig aus den gleichen Quellen in gleicher Qualität bezogen wird, so dass der Junkie ziemlich genau weiß, was er gerade gekauft hat.


    Jedes harte Durchgreifen wird also die Zusammensetzung des Marktes auf der Anbieterseite verändern und damit zunächst einen Anstieg der Drogentoten bewirken.


    Der einzige Weg, eine Drogenszene wirklich nachhaltig zu (zer-)stören, besteht m.E. in einer legalisierten, staatlich kontrollierten Abgabe der Drogen in konstanter Qualität zu überschaubaren Preisen. Damit entzieht man der Anbieterseite die finanziellen Mittel und vermeidet auf Konsumentenseite die mit hohen Preisen des illegalen Marktes einhergehende Beschaffungskriminalität - Lehren aus der Abschaffung der Alkoholprohibition in den USA. Dass die dann verfügbare konstante Qualität Drogentote vehindert und "saubere" Drogen ohne zusätzliche Schadstoffe aus der illegalen Produktion auch den körperlichen Verfall weniger fördern, so dass teilweise sogar eine Aufnahme einfacher Arbeit wieder möglich wird, ist eine positive Nebenwirkung.