Stadtschloss Berlin: Der Thread für den Wiederaufbau

  • Das schwindende/fehlende Bürgertum ist die Ursache für sehr viele Probleme in der Bundesrepublik. Nicht nur im Städtebau, das Bürgertum war ja vorallem Träger der Aufklärung.Nachdem sich Jahrzehnte jeder über die Bürgerlichen, besonders über die "Kleinbürger" (quasi die negative Climax), echauffieren konnte wie er nur wollte gibt es diesen Typus eben kaum noch unter jüngeren Semestern. Das alte Bürgertum, aber auch die Kleinbürger in eingeschränktem Maße, haben sich durch ein relativ hohes Maß an Altruismus ausgezeichnet. Das meinte ich ja, etwas verkürzt und ohne hübsche Fremdwörter, mit meinem Statement. ;)

  • Reinhard
    Phoenix im Sand, ja richtig! Die gemordete Stadt ist jedoch zum Verständnis die Grundlage, denn die "Ermordung" hat ja so wenig an historischer Substanz übrig gelassen, dass dieses Werk erst mal von jedem Berufskritiker jeglicher Rekonstruktionen gelesen werden sollte.


    Moderation: Etwas weniger Chat bitte, dazu gibt es die PN-Funktion. Danke
    Bato

  • Bevor man hier endgültig W.J. Siedler dem Papst zur Heiligsprechung empfiehlt, sei vielleicht noch erwähnt, daß bereits einige Jahre vor seiner gemordeten Stadt mit "Death and Life of Great American Cities" von Jane Jacobs ein Schlüsselwerk erschienen ist, in dem die Fehlentwicklungen der modernen Stadtplanung fundiert kritisiert werden, ohne in Siedlers dünkelhafte bürgerliche Selbstbeweihräucherung oder restaurativen Kulturpessimismus abzudriften...

  • Ich kann Jacobs auch wärmstens empfehlen, das ist ein wirklich wesentliches Werk, welches man nie wieder vergessen wird. Gleichwohl man nicht alles auf heute und Deutschland übertragen kann, wird einem hier mehr als bei jedem anderen Werk (jedenfalls was ich kenne) klar, warum die Stadtlandschaft als Planungsmodell so extrem versagt hat.

  • Naja letztlich läuft es auf die Gesellschaft hinaus. Die meisten Menschen sind doch indifferent und apathisch gegenüber Politik, gar "Städtebau". Die Priorität dieser Themen in der Gesellschaft gibt die Realitäten vor. Darum kann ich mich nur wiederholen, die Öffentlichkeit muss hinter dem Stadtschloss stehen. Dann, behaupte ich einfach mal, würde die Politik letztlich sogar die Kostensteigerungen für Kuppel und Co. tragen.

  • ^So, ist es. Denn die Kosten für den Bau von Gebäuden, Infrastruktur, etc kommen sowohl dem Staat als der Gesellschaft voll zugute. Ein Teil der Kosten bekommt der Staat durch Steuern zurück. Firmen bekommen Aufträge und investieren vermutlich, Arbeitsplätze entstehen (zumindest über die Bauzeit). Jedenfalls besser als das Geld für Arbeitslosigkeit auszugeben. Nebeneffekt des Schlosses dürften ein plus für den Tourismus bedeuten und Selbstbewußtsein und Bürgersinn der Bevölkerung stärken. Rein rational gesehen spricht eigentlich nichts dagegen das Schloß zu bauen.

  • Rettet das Klima: Ein Hamsterrad für jeden Bürger !!!

    Typische ... wie sie in Berlin an der Tagesordnung sind. [...] Allein wird Berlin ... kaum ... können; dazu ist die Stadt viel zu hoch [...] Dresden ist ne Bürgerstadt ... Berlin war traditionell immer ... proletarisch ... von dem Aderlass ... nie mehr erholt. [...] Das schwindende/fehlende Bürgertum ist die Ursache für sehr viele Probleme in der Bundesrepublik.


    Na da haben wir doch schon fast alle Klischees der Konservativen beisammen. Ohne Zweifel wäre der Stadt viel geholfen, wenn sich der Hass des Bürgertums auf das Proletariat in Berlin genauso breit machen dürfte, wie an den Stammtischen der C-regierten Bundesländer. Bedauerlicher Weise ist mit politischen Umwälzungen in Berlin nicht mehr vor 2011 zu rechnen. Und selbst dann stehen die Chancen für eine grüne Bürgermeisterin besser als für jeden bürgerlichen Kandidaten. So wird dieses monarchistische Bauwerk wohl auch weiterhin auf die Einlösung der verlogenen Unterstützungsbekundungen des selbsternannten Bürgertums wird verzichten müssen. Möglicherweise könnten sich die unausgelasteten Demagogen, (die sich selbst für den einzig produktiven Teil der Bevölkerung halten), die Zeit bis zur nächsten Abgeordnetenhauswahl mit einem kleinen Volksentscheid in Sachen Minaretverbot vertreiben? Hat ja schließlich auch irgendwie mit Architektur zu tun.


    P.S.: Es muss doch eine Möglichkeit geben all diese Energie sinnvoll nutzbar zu machen?! Wenn nur jemand einen Weg fände, konservative Parolen in elektrische Energie umzuwandeln. Deutschland allein könnte die ganze Welt versorgen.


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    Moderation: In den letzten Beiträgen schweift Ihr zuviel ab. Back to Topic oder ab in die Lounge. Vielen Dank, Jo-King.

  • Wie die Berliner Zeitung heute vermeldet soll auf dem Areal der ehemaligen Alexander-Barracks, einer früheren britischen Kaserne, eine Schlossbauhütte entstehen.
    Hier sollen Bildhauer Ornamente wie Adler und Löwenköpfe für die Barockfassade anfertigen und die noch erhalten gebliebenen Teile des 1950 gesprengten Schlosses überprüfen, ob sie für den Neubau wiederverwendbar sind. Außerdem soll dort die Qualitätskontrolle der Fassadenelemente erfolgen. Momentan würden die Eigentumsverhältnisse des Geländes geklärt.


    Artikel Berliner Zeitung


    Zudem wird die „Stiftung Berliner Schloss – Humboldtforum“ demnächst ihre Arbeit aufnehmen. Begonnen werden soll mit einer Kosten- und Terminanalyse. Eine wichtige Aussage ist sicherlich auch, dass die innere Organisation des Bauwerks so flexibel wie möglich werden soll um künftigen Generationen die Möglichkeit zu geben sich am Wiederaufbau des Stadtschlosses zu beteiligen.


    Artikel Welt

  • Sehr erfreuliche Nachricht zum Jahresende!


    Die Erfolgsaussichten für ein erneutes juristisches Vorgehen waren anscheinend zu gering, ganz abgesehen von dem Gesichtsverlust der Stella-Kontrahenten.
    Die Unterlegenen können nun aber eventuell darauf hoffen, Unter-Verträge im Zusammenhang mit dem Projekt zu erhalten.

  • Zur "Stadt"-Debatte die ja doch verwoben ist mit diesem Projekt, der Rückgewinnung einer historischen architektonischen "Mitte", sei gesagt dass sich der "Stadtbegriff" der Gesellschaft mit ihrer Transformation in eine Spaß- und Konsumgesellschaft grundlegend verändert hat. "Der Weg" (als Synonym für den Stadtraum) ist nicht mehr das "Ziel" sondern lediglich leeres Vakuum, Wegstrecke die zwischen "Party", Arbeitsplatz, Ladenkasse und heimischem Sofa schnellstmöglich hinter sich gelassen werden will. "Funktionsraum". In diesem Geiste wurde dieser Raum die letzten Jahrzehnte auch gestaltet, die Stadtplanung der letzten Jahrzehnte schreit quasi in ganz Europa jedem in's Gesicht "Hier ist kein Ort zum verweilen, schnell schnell sonst hupt dein Hintermann". In dieser Durchkommerzialisierung der Gesellschaft wird ja nicht nur die Biographie der Menschen zunehmend auf Leistung und "Nutzen" reduziert - also die Kriterien einer Maschine - sondern auch der Stadtraum.


    Da erscheint ein Gebäude was solch hohe Summen für eine aufwändige Fassade, also (subjektive) Schönheit, benötigt dermaßen deplatziert da es diesen eingeschliffenen Kriterien zuwider läuft. Ich behaupte dass ein Gebäude ohne jegliche Rekonstruktion mit gleicher Kubatur und gleichen Baukosten am selben Bauplatz nicht diese Gegenwehr bewirkt hätte! Und da unsere Gesellschaft von einem Virus befallen ist der sich "Selbstgefälligkeit" nennt erscheint es natürlich als Affront einzugestehen dass man sich über Jahrzehnte auf dem Weg in die architektonisch-städtebauliche Sackgasse befand und durch zeitgenössische Architektur keinen Stadtraum hinbekommt der einem normalen menschlichen Bedürfnis nach Behaglichkeit zu dienen vermag. Industriehallen, Verkehrswege, ja..das können wir effizient und groß wie nie. Aber Behaglichkeit? Solch ein Projekt zwingt zum Nachdenken, es stellt das Paradigma des "Das Heutige ist stets besser als das Gestrige" in Frage, ja schon das Adjektiv "gestrig" dient heutzutage in Debatten unhinterfragt als vermeintliches "Kontra-Argument".


    Ich sage die zeitgenössische Architektur hat den Menschen nichts mehr zu bieten außer Industriearchitektur von der Stange. Kein "Geist", keine großen Ideen wie es selbst das junge Bauhaus noch hatte und strittige "Ästhetik" die ihre Bestätigung pointiert gesagt aus größtmöglicher Ablehnung durch die Öffentlichkeit zu beziehen scheint ("Alle hassen es, ein Meisterwerk!"). Das wahre "Armutszeugnis" ist für mich also nicht dass man an dieser Stelle eine Rekonstruktion durchführen wird sondern dass die moderne Architektur - das beweisen 20 Jahre "Aufbau Ost" anschaulich - schlicht nichts besseres zu bieten hat. Meine Meinung.

    Einmal editiert, zuletzt von bayer ()

  • bayer
    Wow!
    Wirklich gut formuliert, enspricht ziemlich genau dem was ich denke.


    Insbesondere der 1. und der 3. Absatz treffen, so denke ich, wirklich präzise zu.
    Geht man durch irgendeine beliebige Stadt, so laden gerade Plätze und Straßen mit überwiegend "älterer"Architektur zum verweilen ein, während Straßen, bzw Plätze mit moderner Architektur irgendwie immer,.. leer und identitätslos wirken.


    Von daher, danke für deinen Betrag :daumen:

  • Kann ich irgendwie nicht teilen, ich kenne auch Orte mit moderner oder zeitgenössischer Architektur, die mich zum Verweilen einladen. Kommt auch immer darauf an welche Architekturstile man selbst bevorzugt. Wenn man bestimmte Stile ablehnt, wird man auch automatisch ein gewisses Unwohlsein schon von vorne herein verspüren.

  • Hallo Bayer. Ich gebe Dir in weiten Teilen recht, doch kann man dies nicht so einfach über den Kamm der modernen Architektur scheren. Es gibt sehr wohl gute Beispiele moderner Architektur (wobei "modern" schon ein sehr weitläufiger, wenn nicht gar falscher Begriff ist), die auch zum Verweilen einlädt. Mit modern will ich mich jetzt mal auf die Abkömmlinge von Bauhaus bzw. den Abkömmlingen der "neuen Sachlichkeit" beziehen, die damals sehr revolutionär waren, und auch sehr wichtig, wie sie damals mit dem Überfrachteten, dem Überschnörkelten, dem Pompösen, ja auch Kitschigen, radikal gebrochen hat. Das war eine tolle Leistung.


    Ein Beispiel in dem Architektur, die man gemeinhin als modern bezeichnen würde, sehr wohl Aufenthaltsqualität bieten kann, gibt es beispielsweise auf dem kleinen Platz an der Kreuzung Krausstraße/Mauerstraße. Ich werde später darauf eingehen warum.
    Ein zweites Beispiel sind einige der Townhäuser am Friedrichswerder, um genau zu sein die Häuser an der Niederwallstraße (die Kurstraße finde ich im städtischen Kontext ein wenig misslungen). Auch Hausvogteiplatz ist ein gutes Beispiel. Es fehlt an diesen Orten lediglich noch ein natürliches soziales Umfeld, das heisst: Menschen. Menschen die dort auch leben und arbeiten.
    Übrigens auch Teile am Potsdamer Platz (Eichhornstraße, Auguste-Hauschner-Straße) haben so etwas wie Verweilqualität. Ich nehme an, es geht Dir (und mir) um Intimität.


    Zum Problem mit dem "Verweilen" gibt es zwei Gründe:


    1) Bauhaus, bzw. Neue Sachlichkeit funktioniert nicht so gut in großen Maßstäben. Da diese Architektursprache eine Abkehr der Sinnlichkeit ist (was an sich, durchaus gut sein kann), kehr sich dieses Gegenteil der Sinnlichkeit, wenn sie sich als große Masse manifestiert, sehr schnell zu einem abweisenden Baukörper, er wird hermetisch, autistisch, will lediglich aus Abstand betrachtet werden. Daher funktionieren sie beispielsweise aus der Vogelperspektive wunderbar. Ich bin ein Fan des Hauptbahnhofes, ein großartiger Baukörper. Aus der Nähe bleibt aber nur Ehrfurcht übrig. Und Ehrfurcht ist nicht etwas, das man notwendigerweise mit Intimität verbindet.


    Um der Schwierigkeit mit dem Verweilen ein anderes Beispiel anzuführen:
    Man kommt zu Fuß aus Kreuzberg36 über dem Bethaniendamm zur Schillingbrücke. Vorher gab es Cafes, Bäume, beim Laufen hatte man ständig Abwechslung in den Augenwinkeln, das ist der Rythmus des Fußgängers, das Kleinteilige, wie der Mensch sich bewegt. Ein sehr zeitgenössischer Begriff (mittlerweile leider auch ein wenig strapaziert) ist: Entschleunigung.
    Sobald man sich der Schillingbrücke nähert, steht links das langgezogene Gebäude von ver.di, mit seinen langgezogenen Linien, seiner Zurückhaltung, seinem Autismus, wie ein Klotz an diesem Abschnitt bis hin zur Spree. In diesem Moment wird das Laufen nicht mehr zur Selbstverständlichkeit, sondern es wird zur Aufgabe, der Abstand erscheint größer, es gibt keine Anhaltspunkte, man nimmt diesen Abschnitt als Ödnis wahr, der Klotz erdrückt auch, wird übermächtig. Man neigt dazu, sich schneller fortzubewegen, will das Fahrrad, das Auto.
    Die hermetische Architektursprache fand ihren Siegeszug mit dem Aufkommen des Autos, die Kulisse geht schneller vorüber, mit dem Auto nimmt man den Stadtkörper anders wahr, nicht nur den Körper, sondern auch die Feinheiten, sie verschwimmen zu etwas Größerem. Und gleichzeitig hat das der Langsamkeit die Ästhetik genommen.
    Wodurch uns aus der Menschperspektive vieles kalt und leblos erscheint.
    Und an dieser Stelle müssen wir uns die Frage stellen, wie wir uns in Zukunft fortbewegen wollen. Mit dem Augenmerk auf die ökologische Belastbarkeit der Städte, dürften der Frage nur wenige Antworten folgen.


    2) Der zweite Punkt: das Problem vieler Architekten mit dem Stadtkörper. Der Drang zum Individualismus. Dazu gehört unter anderen, sich dem Blockrand einzufügen. Das wird (verständlicherweise) als Knechtung verstanden. Ich kann den Widerwillen nachvollziehen, mit dem man sich der soldatischen Aufstellung der Häuser entziehen will.
    Der Architekt will: ein tolles Ding bauen.
    Das ist schön und gut, aber nicht besonders edel. Natürlich wollen wir schöne und/oder besondere Bauten sehen: Den Fernsehturm, das Brandenburger Tor, den Hauptbahnhof, die Türme am Potsdamer Platz, ja sogar das Alexa, und natürlich sollen diese weiterhin gebaut werden, das sind die Solitäre, sie haben eine besondere ästhetische Aufgabe, doch das Gros der Bauten sind Teil des Stadtkörpers und sollen auch den Stadtkörper ausmachen, man kann nicht nur Solitäre bauen, Architektur muss in erster Linie seinen Einwohnern und Nutzern dienen, weshalb ein wichtiger Aspekt der Lebensraum ist, und der Lebensraum erfordert nach wie vor Intimität, Schutz auch, was einer der Gründe der Blockrandbebauung war.


    Mir ist klar, dass es im intellektuellen Diskurs schwierig ist, Begrifflichkeiten wie Intimität einfließen zu lassen, so ist die Lobby der Intimitätsfreunde ja meistens auch die Lobby der Barockfreunde, und damit gleich in einer bestimmten Ecke zu finden, bzw. zuzuordnen.
    Und das ist schade. Aber nicht notwendig.

  • Es war "neu" und "anders", das ist aber per se keine große "Leistung" und zudem verbraucht es sich. Vor paar Jahrzehnten war es "unerhört", ja "gewagt" in Jeans und T-Shirt bestimmte Orte aufzusuchen wo noch eine bestimmte Kleiderordnung herrschte. Heute schaut da kein Mensch mehr auf wenn mal wieder jemand in Turnschuhen und Kapuzenpulli angeschlappt kommt. Trotzdem bevorzuge ich ein gepflegteres Outfit. Macht ja auch spaß sich so herzurichten etc... das mag daran liegen dass ich Jahrgang 1986 bin und unsere Generation ja keinen prickelnden "Tabubruch" mehr braucht/machen kann weil es keine Tabus in dem Sinne mehr gibt. Das meine ich wenn ich sage dass sich Dinge "verbrauchen" die ihre Legitimation daraus zu beziehen scheinen "anders" zu sein, was über die Güte noch gar nichts aussagt. Und in echtem Individualismus muss es genauso möglich sein sich in klassischer Herrenmode fein rauszuputzen ohne dass mit dem Finger auf einen gezeigt wird...oder eben auf andere Architektur als "Sachlichkeit" zurückzugreifen.


    Dieses "anders sein" wollen verkommt zudem zum puren Konformismus, indem lediglich eine Norm gegen eine andere getauscht wird ohne echte "Wahlfreiheit" zu erreichen, wenn Architekten zB regelrecht abgekanzelt werden wenn sie sich eines anderen Stilrepertoires als Kuben und Beton bedienen. Wobei dieses ach so avandgardistische Repertoire bei Lichte betrachtet sehr langweilig ist, die ganzen Jahrhunderte der vorherigen Architekturgeschichte werden dabei ausgeklammert, ein richtiger Tunnelblick. Und so wie heute alle mit den selben betont "lässigen" und "modernen" Baseball Caps und Sneakern rumlaufen so ist das halt mit der Architektur... ich hab' diesen Vergleich gewählt weil es das ganze etwas anschaulicher macht und auch zeigt dass dies meiner Meinung nach ein nicht auf die Architektur beschränktes Phänomen ist sondern Folge größerer Entwicklungen. Darüber hinaus kann ich nicht verstehen dass man schmuckvolle Architektur per se ablehnt und bei kahlen Wänden in's Schwärmen gerät. Das erscheint mir all zu "gewollt", tut mir leid.


    Der Blockrand ist keine "Knechtung" sondern eine Gesellschaft benötigt ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Gemeinschaft und Individuum, wenn sich eine der beiden Seiten in den Vordergrund drängt gibt es ein Problem. Der Reflex auf den deutschen Totalitarismus scheint in den späteren Nachkriegsjahrzehnten das absolute Gegenteil gewesen zu sein, um wieder den breiteren Bogen zu spannen. Auch sind architektonische "Solitäre" keine Solitäre mehr wenn alle Gebäude mit schiefen Winkeln, Lichteffekten oder Industrieglasfassade daherkommen. Erneut hat man lediglich eine Norm durch eine andere ausgetauscht und feiert das als "Fortschritt".


    Und nun komme ich zum Kern: der moderne Architekt nimmt sich meiner Meinung nach oft selbst zu wichtig anstatt sich in den Dienst der Architektur, der Stadt und nicht zuletzt seines Auftraggebers zu stellen. Viel moderner Architektur geht nicht nur Behaglichkeit sondern auch ganz "profane" Nutzbarkeit gehörig ab. Menschen haben eine gewisse Größe, gewisse Bedürfnisse, gewisse Erbanlagen die zB organische Formen - das ist nichts was man "bewusst" steuern kann - kantigen Formen bevorzugen, ... all das, sowie die alltägliche Nutzbarkeit (alte Leute wollen möglichst keine Treppen oder Stufen, Brandschutz, riesige Fensterfronten bringen nicht nur Tageslicht rein sondern auch Sommerhitze und Winterkälte...), geben halt einen gewissen Grundrahmen vor. Ich finde dass ein Architekt der das als "Einschränkung" statt als Herausforderung empfindet ein sehr seltsames Verständnis von seinem Beruf hat.


    Da werden dann gerne mal "Nebensächlichkeiten" wie Badezimmer vergessen die dann nachträglich irgendwo reingeplant werden, fensterlos, so eng dass man gerade noch die Tür aufbekommt...aber hey, zumindest ist die Wohnküche so schön hell und "loftig". Es werden regelmäßig Materialien gewählt die der Witterung genauso wenig standhalten wie der normalen Nutzung und dann sehr schnell zerschlißen sind. Weite Teile des Häuserparks der in den 1970ern entstanden ist, vom privaten Flachdachbungalow bis zu riesigen Behördenkomplexen, ist inzwischen stark baufällig und marode und wird reihenweise abgerißen weil eine Sanierung unbezahlbar ist. Weil Architekten meinten sich von "Raum und Zeit" verabschieden zu können und "Visionen" bauen zu können. Architekten sind für mich aber Baumeister, mit Betonung auf "Bau", und keine Skulpteure. Dabei sind sie nicht nur an ihren Visionen (siehe "Großwohnanlagen" etc.) gescheitert sondern auch an vermeintlichen Lapalien wie der Bautechnik oder an Flachdächern die in unseren Breiten nun einmal fast nicht dauerhaft dicht zu bekommen sind.


    "Einer bestimmten Ecke" (ersetze "Ecke" mit "Schublade"), welcher auch immer, werden Leute höchstens zugeordnet, was den Anschein erweckt "die" müsse man ja eh nicht ernst nehmen; Selbstreflexion erfolgreich vereitelt, zurück an den Betonmischer. Ich bin nicht bereit das zu akzeptieren bloß weil das die letzten Jahrzehnte routiniert so gemacht wurde. Jetzt wächst eine neue Generation heran und die hat das Recht - und nimmt es sich - die Dinge wieder neu zu bewerten und wenn das für manche als "Rückschritt" wirken mag, so bezeichne ich es als "Rückbesinnung". Nicht zuletzt weil man die sog. "Entschleunigung" mit Sicherheit nicht mit einem Städtebau hinbekommen wird der erst den Bedarf zu dieser "Entschleunigung" produziert hat - die Architektur der Industriegesellschaft hat in der postindustriellen Gesellschaft keinen Platz mehr. Wenn man sich anschaut welche Welt uns die Nachkriegsgenerationen hinterlassen ist ein "Schritt zurück" eh nicht verkehrt.

    11 Mal editiert, zuletzt von bayer ()

  • Ich gewinne den Eindruck, dass du, mit Verlaub, ein bisschen spießig bist. Nichts gegen schöne Altbauten, aber die sollten dann auch wirklich "alt" sein und nicht neue Gebäude, die auf alt getrimmt werden, nur weil es so schnuckelig ist. In der Architektur ist es inzwischen schon ein bisschen wie bei Jugendkulturen: Es gibt nicht mehr DIE Jugendkultur, sondern es exisitieren verschiedenste Kulturen nebeneinander und genauso ist es mit der Architektur und der (Post-)Postmoderne. Ja, es gibt viel hässliche zeitgenössische Architektur, es gibt aber genauso sehr viele bedrückend wirkende alte Gebäude, auch wenn sie saniert sind, eine Baumasse wird nicht dadurch gemütlicher indem sie hübsch verziert wird, sondern dadurch, dass sie entweder geringe Höhe oder genug Freiraum drumherum aufweist.
    Zudem besteht bei Retrorisierenden Bauten immer die Gefahr der Überfrachtung und des Kitsches bzw. auch der Unauthentizität.

  • Nur kurz dazu:
    Die Gefahr der Überfrachtung sehe ich bei retrorisierenden Bauten überhaupt nicht. Selbst wenn Architekt und Auftraggeber sich weitreichend Fassadenschmuck wünschen wird im Vergleich zum frühen 19./späten 18. schon aus finanziellen Gründen nie überfrachtet geschmückt.
    Du wirfst bayer mangelnde Toleranz für moderne Architektur vor - schränkst aber selbst erlaubte Stilmittel ein.
    Ich verstehe nicht warum Personen, die Offenheit in unserer Stilwelt fordern selbst nicht bereit sind diese Offenheit zu haben. Ich spiele damit auf deinen zweiten Satz an.

  • Schade, dass uns für die Epoche der "Moderne" kein besserer Begriff einfällt. Selbst "klassische Moderne" impliziert ja immer eine gewisse Aktualität (trotz mittlerweile grob 100-jähriger Vergangenheit!), während z.B. in "Historismus" immer eine Überholtheit mitschwingt. Um das aufs Thema zu lenken, ist im Schloss per se das Innere aktuell und das Äußere antik - die Idee, dass das Äußere genau deshalb aktuell sein könnte, weil es sich in diesem Ringen um einen neuen Bau durchgesetzt hat, kommt einem gar nicht so recht.


    ps: Ich glaube diese Diskussion ist etwas schwierig an einer "Rekonstruktion" zu führen - also ins Stadtgespräch verschieben!?

  • ^
    Eventuell werde ich sie in die Lounge verschieben. Mal sehen was noch so zur pösen Architektenverschwörung kommt (finstere Typen die im dunklen Kämmerlein sich abgrundtief hässliche Bauten einfallen lassen bloß um sie hinterher dem Auftraggeber aufzudrücken und unsere Augen mit hässlichen Stadtbildern zu knechten). Fakt ist, diese Diskussion hatten wir schon oft und das fast mit genau der gleichen Wortwahl. Insofern sollte von nun an bitte wieder der Themenbezug hergestellt werden! Danke.