Karl-Marx-Allee/Frankfurter Allee

  • Es ist immer wieder frappierend, wie man mit ein paar blumigen Umschreibungen und Frühlingsbildern wirklich jeden anti-urbanen Unort zum zivilisatorischen Idyll verklären kann... :D
    Hast du dich nicht selbst mal gefragt, warum da immer so wenig Menschen zu sehen sind?

  • Dass die Plattenbauten an der 'Stalin'allee so trist wirken liegt ja wahrscheinlich noch nicht mal daran, dass es sich um Plattenbauten handelt. Es gibt sicher Beispiele, wo Wohnviertel aus Platten gut funktionieren und nicht leblos wirken (fragt mich jetzt nicht nach konkreten Beispielen :D).


    Meiner Einschätzung trägt die Stalinallee durch ihre Gestaltung die Hauptschuld daran dass es so ein Un-Ort ist. Die Allee wurde von der SED-Diktatur vornehmlich als Fassade für ihre Selbstdarstellung geplant und genutzt - wie beim jährlichen Aufmarsch zu 1.Mai. Wer sich davon ein Bild verschaffen will, kann sich mal auf Youtube umschauen, z.B. die heute sehr amüsant wirkende Live-Übertragung von 1989, wo die SED noch völlig ahnungslos gegenüber den beginnenden Widerstand war: http://www.youtube.com/watch?v=hS5w6cVypik.


    Als Aufmarsch-/Paradestrasse ist die Allee übermäßig breit, daher wirkt sie heute wie eine Schneise die die umgebenden Viertel zertrennt. 'Glücklicherweise' gibt es aber gar keine umgebenden Viertel, weil hinter der Fassade aus hohen Plattenbauten nur spärliche Bebauung zu finden ist. Der Grund hierfür ist dass für die SED-Führung die Plattenbauten wirklich nur als Fassade gedient haben um die dahinterliegenden Kriegsbrachen zu kaschieren damit die Parade durch die Stadt nicht ganz so peinlich ist... ;)


    Fazit: wenn man heute über die Stalinallee diskutiert, muss man sich immer auch diesen historischen Kontext vor Augen führen. Die Plattenbauten an sich haben nur geringen Wert, der ideelle Wert für das damalige System und seine heutigen Verehrer ist sicher ungleich höher.

  • Die Zuckerbäckerbauten hat man ja nicht weiter Richtung Alex verlängern können oder wollen, wohl wegen knapper Ressourcen. Die Grundanlage der Allee als Paradestrasse ist in Platten- und Zuckerbauabschnitt (:D) natürlich gleich. Beim Plattenabschnitt ist allerdings die Fassadenwirkung deutlich offensichtlicher... weil halt nichts hinter der Fassade ist.

  • Hast du dich nicht selbst mal gefragt, warum da immer so wenig Menschen zu sehen sind?


    Diese Frage hat mich jetzt doch einmal interessiert. Daher habe ich mich zur gleichen Zeit (mittags) bei gleichem Wetter (Sonne) in anderen Stadtteilen in Mitte umgesehen. Das ist das Ergebnis:


    Fehrbelliner Straße



    Choriner Straße



    Zionskirchstraße



    Griebenowstraße



    Wolliner Straße



    Fürstenberger Straße



    Rheinsberger Straße





    Kremmener Straße



    Ich will jetzt allerdings keine radikalen Veränderungen in den gezeigten Vierteln fordern. Ich finde es normal, dass auf den meisten Straßen nicht soviel los ist und sehe darin keinen Grund für negative Urteile.


    Alle Fotos: Klarenbach

  • ^Wielange hast Du denn gebraucht um in den Straßen leere Bürgersteige zu finden? Ich hätte ja bessere Ideen bei dem schönen Wetter als sage und schreibe 11 (!) Fotos von leeren Bürgersteigen zu machen.


    Wenn man aber die Sache so pseudowissenschaftlich angeht, wie Du es stets versuchst, lohnt das natürlich. Ich glaube jedoch kaum, dass das jemanden überzeugt. Ich kann Dir auch binnen 24 Stunden leere Bürgersteigfotos des Kudamms und der Linden liefern - alles eine Frage der Geduld.


    Trotzdem ist der Einwand von tel33 berechtigt, da deine Fotos des II: BA der KMA zufällig entstanden sind, ohne auf die Menschen zu achten. Ein belebtes Innenstadtquartier ist das eben nicht.


    Aber solange die Alt-68er im Landesdenkmalamt versuchen sich gegen die langsam reifende Erkenntnis zu stemmen, dass von der baulichen Modernen ausser ein paar hervorragenden Einzelbauwerken städtebaulich nicht viel Gutes bleibt, werden auch solche Vorstadtwüsten wie der II. BA der KMA geschützt. Langfristig wird das sicher wenig helfen.

  • ^Wielange hast Du denn gebraucht um in den Straßen leere Bürgersteige zu finden?


    Das kann ich Dir genau sagen: Alle Fotos sind innerhalb von 30 Minuten entstanden. Und ich habe auch keine Straßen gesperrt und keine Fußgänger gebeten, andere Straßen zu nutzen.

  • ^^ Überzeugend ist es trotzdem nicht! Nehmen wir mal die Schillingstraße. Von der Lage und Funktion her müßte sie mind. so belebt sein wie die Rosenthaler oder Kastanienallee. Ist sie aber nicht. Und die KMA III müßte eigentlich Volk haben wie die Torstraße. Vergleichsfotos sind auch eher innerhalb der ehemailgen Akzise ausschlaggebend: Gips, Mulack, Schönhauser, Linien... Ich habs auch schon an anderer Stelle gesagt: Die (DDR-) Moderne kann die soziale Funktion der Straße nicht leisten. Und Hinterplattenbereiche (es sind ja keine Hinterhöfe) werden zu nicht sozialgemeinschaftlich zu kontrollierendem Ghetto - weder privat noch öffentlich, vor allem nachts: Ich bin einmal im Dunkeln mit dem Fahrrad quer durch den Block der alten Landsberger Straße folgend durchs Viertel... (Hab leider keine Fotos ;) )... Macht mal, danach weiß man, was das "Problem" solcher Bebauung ist.

  • Wir sollten aufpassen, dass die Diskussion sich nicht verzettelt und durch solche Nebensächlichkeiten und Scheinargumente vernebelt wird. Die Passantenfrequenz hängt ja von einer Vielzahl an Faktoren ab und ist kein Maßstab für oder gegen Schutzwürdigkeit oder Wertigkeit eines Areals. In diesem Zusammenhang sei zu der Bilderserie aus Mitte noch ergänzt, dass es sich bei den abgebildeten Straßen durchweg um eher ruhige Wohnstraßen handelt, die in ihrer Funktion (als ruhige Wohnstraßen ohne Durchgangsverkehr) eben vergleichbar sind den abgebildeten Straßen im Wohngebiet um die KMA (auch die Schillingstraße ist ja m.E. "nur" eine ruhige Wohnstraße). Insofern ist das weder überraschend noch neu.

  • Gast14Jan hat Recht. Daher will ich wieder zum Wohngebiet Karl-Marx-Allee zurückkehren und ein paar Kunstwerke zeigen.


    Die Kunst ist ein wichtiges Gestaltungsmittel im Wohngebiet. Für das ganze Wohngebiet wurde ein Kunstkonzept entwickelt, das eine harmonische Verbindung von Städtebau, Architektur, Landschaftsarchitektur und Kunst zum Ziel hatte.


    Das Highlight ist zweifellos die Plastik "Freundinnen" von Werner Stötzer vor der Schule Berolinastraße 8. Werner Stötzer zählt zu den größten deutschen Bildhauern des 20. Jahrhunderts.



    In der Schule Berolinastraße gibt es auch ein Wandmosaik. Der Kontrast zu den sehr ernsten, etwas bedrückt wirkenden Mädchen von Werner Stötzer könnte nicht größer sein.



    Das ist die Hasensäule von Peter Fritzsche an der Berolinastraße:





    Der Pfauenbrunnen an der Holzmarktstraße von Margit Schötschel wird derzeit saniert:





    Diese Reliefarbeiten aus Keramik von Fritz Schulz sind am ehemaligen Kindergarten Neue Blumenstraße 5 zu finden. Sie zeigen Märchenmotive.







    Interessant sind auch die Strukturwände, die im Wohngebiet zu finden sind.
    Diese Strukturwand an der Schillingstraße, die einst zur Gaststätte "Pünktchen" gehörte, ist leider stark sanierungsbedürftig.



    Ebenfalls an der Schillingstraße:



    Am Cafe Moskau:



    An der Lichtenberger Straße:


    Der Eingang des Punkthochhauses Schillingstraße 30, das ebenfalls von Josef Kaiser entworfen wurde, erhielt eine ornamentale Gestaltung von Erika Lawrenz und dem Kollektiv Lothar Scholz:



    Alle Fotos: Klarenbach

  • Wir sollten aufpassen, dass die Diskussion sich nicht verzettelt und durch solche Nebensächlichkeiten und Scheinargumente vernebelt wird....


    Sorry, aber:
    1. Die "Nebensächlichkeit und Scheinargumentation" einer Annahme von Stadtraum durch die Bevölkerung spielt natürlich eine Rolle.
    2. Für die Schilling als Wohnstraße müßten dann wie geschrieben als Referenz Wohnstraßen innerhalb der Akzise herhalten. Also mindestens Gips, Linien, Mulack, gern aber auch mal einen Schritt Richtung Boxi. Und KMA III hat natürlich Ausfallstraßenfunktion.
    3. Wer Bilder postet und "nachreicht" stimuliert Reaktionen. Sind wir hier eigentlich in einem Forum, wo über Architektur und Stadtplanung diskutiert wird oder auf einer "Chearleading-bzw-Egobestätigungs-Pinnwand", einem Social Network der Architekturinteressierten und alle schreien Yeah. Das ist ne erstgemeinte Frage, dann gäbe es solche "Missverständnisse" nicht und ich würde nur noch die Renomeepunkte klicken und Blub und Bla Posts an Fotos adden.
    4. Überraschend oder neu ist an den Bildern gar nichts. Die Ableitungen sind nur völlig unterschiedlich.

  • Ich denke auch, dass wir wieder zum Thema kommen sollten, da die Diskussion langsam groteske Züge annimmt. Es geht bei Architektur und Stadtplanung zwar immer auch um politische Systeme und in allen Systemen wird der Architektur und Stadtplanung anders betrieben. Das ist ein Fakt, den wir hinnehmen müssen und um den es hier auch nicht gehen sollte. Wir können darüber diskutiere, ob, wie und weshalb die KM und andere Gebiete entwickelt werden sollen und ob es nicht möglich ist, die für die Geschichte Deutschlands wichtige Epoche der Teilung, städtebaulich Sichtbar zu lassen. Ob es dieses Gebiet, oder ein anderes ist, ist Sicherlich auch zu diskutieren. Die Eindrücke von der KM Allee sind jedenfalls interessant (danke dafür Klarenbach) und lassen mich etwas anders auf dieses mir sonst eher fremde Gebiet blicken. Ich denke auch das sollte Aufgabe eines Architektuforums sein, dass der Horizont erweitert wird und der Austausch über unterschiedliche Architekur- und Städtebauansätze vorangetrieben wird, abseits persönlicher und ideologischer Präferenzen.
    Wünsche einen sonnigen 1. Mai.

  • ^^Wo bitte gings heute und gestern um politische Systeme und Ideologie??? Oder persönliche Referenzen? Es geht um die Annahme von Stadtraum durch die Wohnbevölkerung iniziiert durch die Bemerkung, dass da keine Leute zu sehen sind. Das gleiche gilt ja auch für das Gebiet Mehringplatz Richtung Luisenstadt bis Prinzenstraße z.B.!

  • In meinen Augen wird die Diskussion nicht erst seit gestern geführt (Kann mich natürlich auch täuschen). Die explizit auf die Belebtheit der Straßen bezogene Diskussion natürlich schon, da muss ich dir Recht geben. Auch wenn gerade diese Diskussion natürlich viele persönliche Eindrücke einbezieht, also alles andere als Objektiv ist. Ausschnitte mit und ohne Menschen kann man immer und überall finden, das ist dann doch der persönlichen Auswahl geschuldet. Hab auch schon Felder voller Menschen gesehen (z.B. Wacken :cool2: ).
    Also, wenn man einen Kommentar falsch verstehen will, bitte. Muss aber nicht!

  • ^^ Es ist doch kein Hirngespinst, wenn man die Stalinallee als relativ menschenleer bezeichnet. Man muss sich doch nur mal dort umsehen. Es gibt kaum interessante Ziele, weder zum Shoppen oder Chillen (das einzige war mal das Cafe Moskau, was mir aber nicht so zusagt) .



    Hab auch schon Felder voller Menschen gesehen (z.B. Wacken :cool2: ).


    Dieses Jahr wieder da... du auch? :)

  • Da es mehrere Fragen nach der Zukunft des Wohngebietes Karl-Marx-Allee 2. Bauabschnitt gegeben hat, will ich jetzt ein paar Informationen zu diesem Thema geben.


    Zunächst einmal: Die Nachfrage nach Wohnungen in diesem Gebiet ist sehr hoch. Derzeit sind wirklich alle Wohnungen belegt. Interessenten müssen sich auf Wartelisten setzen lassen und Wartezeiten von mehreren Monaten einkalkulieren.



    Was die Weiterentwicklung des Gebietes betrifft, so wird sie bekanntlich sehr stark vom derzeit laufenden Antrag auf den UNESCO-Welterbestatus bestimmt. Daher ist es nötig, alle weiteren Schritte in diesem Gebiet so zu gestalten, dass die Welterbebewerbung nicht gefährdet wird. Zu diesem Zweck hat die Bezirksverordnetenversammlung Mitte bereits 2012 für große Teile des Gebietes Veränderungssperren für zwei Jahre beschlossen, diese wurden in diesem Jahr um ein weiteres Jahr bis Anfang / Mitte 2015 verlängert. Diese Veränderungssperren sollen eine sorgfältige Erarbeitung von Planungen zur weiteren Entwicklung dieses Gebietes möglich machen. Über diese Zielstellungen besteht übrigens ein breiter Konsens, der von der CDU bis zu den Linken reicht. Daher wurden die entsprechenden Beschlüsse einstimmig gefasst.

    Dieser Planungsprozess läuft derzeit. Nach meinem Eindruck gibt es eine sehr konstruktive Zusammenarbeit zwischen dem Stadtplanungsamt Mitte, dem Landesdenkmalamt und den betroffenen Bürgern. Diese Zusammenarbeit wird auch dadurch erleichtert, dass es eine große Einigkeit zur Zukunft dieses Gebietes gibt. Es gibt einen breiten, parteiübergreifenden Konsens darüber, dass die städtebauliche Eigenart dieses Gebietes gewahrt bleiben soll und dass es nur ganz behutsame Veränderungen geben soll. Gestritten wird eigentlich mehr über die Mittel und Instrumente, mit denen dieses Ziel erreicht werden kann. Ich bin aber zuversichtlich, dass am Ende ein gutes Ergebnis stehen wird.

    Zum Schluss will ich noch auf die Erfolgsaussichten des Welterbeantrages eingehen. Die große Stärke dieses Antrages besteht darin, dass über ihn ein breiter Konsens in der Berliner Stadtgesellschaft besteht. Der Antrag wurde ja von Bürgerinitiativen aus West- und Ostberlin initiiert, maßgebliche Unterstützung erfuhr er von Volker Hassemer von der CDU und Thomas Flierl von den Linken. Schon diese Konstellation ist eine kleine Sensation, da ja CDU und Linkspartei nicht gerade als natürliche Bündnispartner gelten. Zudem wird der Welterbeantrag von allen im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien unterstützt. Dieser Antrag bietet also eine große Chance, die Denkschablonen des Kalten Krieges endlich zu überwinden und die unterschiedlichen Teile Berlins miteinander zu versöhnen.

    Diese Entwicklung ist umso erfreulicher, weil noch 1996 ein heftiger Kalter Krieg um dieses Wohngebiet tobte. Damals hieß der zuständige Staatssekretär noch Hans Stimmann, und der erste Entwurf des Planwerkes Innenstadt von Dieter Hoffmann-Axthelm und Bernd Albers sah noch eine radikale Überplanung des Gebietes mit Neubauten und der Wiederherstellung von Straßenzügen aus der Vorkriegszeit vor. Bürger, die gegen diese Pläne protestierten, rief Hoffmann-Axthelm zu: "Wer hat denn nun den Kalten Krieg verloren - wir oder Sie ?" Der heutige Konsens zeigt, dass sich die Diskussionen der letzten 18 Jahre gelohnt haben und dass Berlin mittlerweile ein ganzes Stück weiter ist. Ich finde, darauf können wir Berliner auch ein bisschen stolz sein.

    Weiterhin will ich auf ein Interview mit Jörg Haspel aus dem Neuen Deutschland vom 17.2.2014 hinweisen. Jörg Haspel ist ja nicht nur Leiter des Berliner Landesdenkmalamtes, sondern auch Präsident von Icomos Deutschland. Daher ist er ganz nah an den Entscheidungsgremien dran, und er kann wie kaum ein anderer die Chancen dieses Welterbeantrages einschätzen. Haspel schätzt die Chancen für den Antrag als "hervorragend" ein. Als Begründung führt er folgende Punkte an:
    - Die Karl-Marx-Allee / Hansaviertel könnten die Welterbeliste ausgewogener gestalten, da derzeit Bauten und Ensembles des 20. Jahrhunderts unterrepräsentiert wären.
    - Ein Alleinstellungsmerkmal wäre, dass der Antrag sowohl die Ostmoderne und die Westmoderne umfassen würde und dass er daher die Systemkonkurrenz auf architektonischem Gebiet gut dokumentieren könnte.
    Allerdings dürfte es noch eine Weile dauern, bis die Karl-Marx-Allee / das Hansaviertel wirklich Welterbe ist. Haspel rechnet mit einem Zeitraum zwischen 2025 und 2030.


    http://www.neues-deutschland.d…e-des-kalten-krieges.html

    Foto: Klarenbach

  • ... na in der Autobahnüberbauung an der Schlangenbader Straße (Degewo) ist auch nichts mehr frei und es gibt Wartelisten. Ist der Grund die herrliche Architektur oder ein kommender Welterbestatus?


    Uns so ganz Friede, Freude, Eierkuchen scheint bzgl. des Welterbestatus auch nicht zu herrschen: