Guderian,
dieses textnahe Zitieren ist zwar wunderbar analytisch und methodisch korrekt, jedoch unter Beachtung der Möglichkeiten, die die Forensoftware bietet, leider nur unhöflich. Schließlich hat der Antwortende nicht die Chance, darauf ähnlich dezidiert einzugehen und dabei den ursprünglichen Kontext zu beachten. Eine Zitat-des-Zitates-Funktion ist nicht existent.
Aber ich halte zunächst fest:
- Beton ist ein minderwertiges Material (genau wie seine Hauptbestandteile Wasser, Kies, Kalk und Eisen in der Bewehrung, was man vom Hauptbestandteil des Sandsteines natürlich nicht behaupten kann)
- größere homogene Flächen sind de facto unästhetisch (Sie tragen nie unifarbene Kleidung und lassen sich regelmäßig Strähnchen färben, richtig?)
- je jünger das künstlerische Resultat, desto schlechter seine ästhetische Qualität (für diese Denkstrukturen gibt es auch einen pathologischen Begriff, der mir nur gerade nicht einfällt)
- die politische Ausrichtung einer Treppe hängt im Wesentlichen davon ab, wer sie baut (bei der letzten Sonntagsfrage gaben nahezu 100 Prozent aller Betontreppen an, den rot-roten Senat zu unterstützen, während Treppen aus anderen Materialien eher einen Machtwechsel zu Gunsten des konservativen Lagers wünschten, unter ihnen nahezu 100 Prozent aller befragten Patzschke-Treppen); gilt analog für unbebaute Flächen und die Frage, ob man auf ihnen Nippes verkauft oder sie zum Entspannen einladen
- vier Fenster sind besser als zwei, zwei besser als eines usw. (woran man erkennen kann, dass Kinder stets die größten Künstler sind, ihre Hausbilder haben immer viele Fenster, sind meist symmetrisch, verfügen über ein rotes Satteldach und oft sogar einen Schornstein mit Qualm, nicht selten besitzt die Sonne in der Bildecke sogar ein Gesicht)
- der Architekt ist nichts, der Computer alles (naja, wenigstens der Software- oder Prozessorarchitekt sonnt sich dann noch in Ihren Gnaden)
- Proportionen sind nachrangig, vordergründig zählt die naturorientierte Detailgestaltung (lieber geblümte Shorts auf Zuwachs, als langweilige Anzüge mit perfektem Schnitt)
- rund ist besser als eckig (siehe "Fleischwürfelbrüste")
- Sie lassen keine anderen Meinungen als die eigene und die Gleichgesinnter gelten ("so und nicht anders ...")
Da stellt sich mir folgende Frage: wenn es doch jedermann bekannt ist, dass die Resultate der Künste der Abwärtsspirale unterliegen (sehr gut am Beispiel Schinkels erkennbar, zunächst ein Protagonist des Klassizimus, später hat er nur noch englische Industriearchitektur nachgeäfft), weshalb haben dann ausgerechnet jene, die sich schon von Berufs wegen intensiv damit beschäftigen oder auch ein paar andere Schreiberlinge dieses Forums davon noch nichts mitbekommen? Wer ist eigentlich "jedermann"? Sind das nur jene, die ihre Meinung teilen? Jene die schreien, "entweder Blümchentapete oder garnicht renovieren"? Warum sind Sie nicht in der Lage, Ihre Meinung auch als individuell aufzufassen? Klar, wenn man den ganzen Tag im Netz nach Erna Mischkes Leserbriefen fahndet, findet man irgendwann gnügend Gleichgesinnte. Die restlichen Ungläubigen sind dann wohl kranke, fehlgeleitete Gestalten.
Ich halte Ihnen zugute, dass sie als Berliner offenbar die jüngere Bautätigkeit und den hier genutzten Baustoff Beton vorrangig in Form von Sozialbauten oder als sozialistische Utopie kennengelernt haben. Und selbstverständlich führt die gesellschaftliche Liberalisierung auch in der Kunst dazu, dass sich Scharlatane und Marketingfüchse unter die Leute mischen können, um ihren Nonsens für teures Geld an den Mann zu bringen. Aus solchen Beobachtungen aber eine Weltanschauung zu machen, die allem Zukünftigen Schaffen das Stigma des Unvollkommenen im Vorfeld anlastet - es sei denn, Sie persönlich oder Herr Jedermann, die von dieser Degeneration offenbar ausgenommen wurden, legen noch einmal letzte Hand an - halte ich für maßlos selbstgefällig und in den gesellschaftlichen Auswirkungen geradezu für fatal (warum erinnert mich Ihre Argumentation eigentlich sehr entfernt an die der Islamisten?).
Sie wollen scheinbar nicht zur Kenntnis nehmen, dass sich der klassische Kunstbegriff einem Bedeutungswandel unterzogen hat. Er musste es sogar. Das fotorealistische Malen ist heute nicht mehr erforderlich, allenfalls die Sujetwahl ist es noch. Auch die "verzierte", da sonst sehr wuchtige Stütze, die etwa nach dem Vorbild frühester abendländischer Kulturbauten wie ein gestauchtes Strohbündel aussieht und sich das Prädikat einer beliebigen antiken Ordnung anheften kann, ist heute nicht mehr konstruktiv erforderlich. Deshalb konnte sich die (Bau-)Kunst von einigen Fesseln lösen. Auf der anderen seite musste sie es auch, da wir heute nicht mehr nach Hütten und Palästen unterscheiden und die Arbeitsleistung einen ganz anderen Stellenwert angenommen hat. Das einfach zu negieren und zu behaupten, früher war alles besser, ist - Entschuldigung - wirklich pathologisch! Sie kritisieren zwar die Kunst, meinen damit jedoch lediglich deren handwerklichen Aspekt. Und richtig, in Zeiten von Computern würde es besonders leicht fallen, eine Kollektion von altertümlichen Idealsäulen einmalig zu entwerfen und anschließend millionenfach industriell zu fertigen. Denken Sie intensiv darüber nach, weshalb ein Künstler heute nicht tut, was ein durchschnittlicher Baumarktkunde gerne hätte.
Sie, der hochgeschätzte Kunstkritiker, fallen statt dessen auf die Masche der Patzschkes herein. Am Ende glauben Sie vermutlich noch, ausser diesen Beiden (und ihrem Sohn) ist kein lebender Architekt mehr in der Lage, mit dem Vokabular vergangener Epochen zu arbeiten. Ein Irrtum, über den hier schon sehr viel diskutiert wurde. Statt dessen sollten Sie sich fragen, weshalb das Kopieren unten und das Erfinden oben innerhalb der künstlerischen Degenerationsspirale anzusiedeln ist.
Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass ich mit keinem Wort den konkreten Entwurf Chipperfields verteidige. Um diesen geht es mir an dieser Stelle überhaupt nicht, auch wenn ich den Architekten sehr schätze und für einen der besten unter den Aktiven erachte. Ich selbst würde mir z. B. jederzeit anmaßen, einen Patzschke-Bau bzw. dessen Vorlage wenn es sein müsste zu imitieren (leistungsstarke Hardware vorausgesetzt), Chipperfields Bauten hingegen sind für mich nicht so einfach reproduzierbar. Andererseits gibt es aber vielleicht auch kleine Gemeinsamkeiten zwischen uns. Ich lehne die Erfindung um der Erfindung Willen in der Mehrheit der Fälle strikt ab. Auch Kontraste, die nur provozieren und polarisieren sind mir zuwider. Statt dessen setze ich mich lieber einmal mehr für die Fortführung einmal eingeschlagener Wege ein (ws ich im Übrigen bei Chipperfield in eher angemessener Weise zu erkennen glaube)
Ich trete aber entschieden auf gegen die einfältige Populärkritik, die Sie hier wortgewandt mit jedem Satz üben!