Berliner Messe und ICC

  • Vielleicht kam das aus meinem Text nicht genügend heraus, aber ich bin überhaupt kein Abrissbefürworter, sondern ein Fan des ICC. Es ist nicht weniger als ein Teil meiner Kindheit. Ich bin in dem Kiez aufgewachsen und hatte in dem Foyer auf dem Punkte-Teppich eines meiner ersten Vorstellungsgespräche für einen "Schülerjob" im Veranstaltungsservice (den ich nie angetreten bin, weil schlecht bezahlt wurde und Mindestlohn gab es noch nicht). Den Vergleich mit dem PdR/Stadtschloss habe ich aber gescheut, auch wenn er mir ebenfalls aufkam. Ich finde vor allem den Standort (zentrales Apex-Gebäude u.d.L. versus Autobahnauffahrt am Messe-Rand) schwer vergleichbar, weil das völlig verschiedene städtebauliche Funktionen sind.


    Was die politische Dimension betrifft, so mag die Einordnung zwar stimmen und insofern auch meinen Dank für die Abhandlung, aber wir haben ja auch Flughafen Tegel geschlossen, der eine ebenfalls riesige politische Bedeutung hatte. Der Aufschrei hielt sich auch hier in Grenzen, wahrscheinlich ist das Nostalgische für jüngere Generationen auch einfach nicht mehr so interessant. Wenn ich nach Zahlen schaue, dann finde ich hier relativ genaues:


    ICC

    "Die Betriebskosten für das ICC Berlin betragen jährlich etwa 14,2 Mio. €.

    [..]

    Somit ergeben sich nach den bisherigen Erkenntnissen nach der Sanierung des ICC theoretische jährliche

    Betriebskosten von rd. 7,9 bis 11,5 Mio. €."


    Stadtschloss/Humboldt Forum

    "Die jährlichen Unterhalts- und Betriebskosten liegen zwischen 10 und 20 Mio. €. Letzteres sind allerdings Schätzungen für 2020; wie sich das Haus im Betrieb mit Ausgaben/Einnahmen entwickeln wird, das ist zumindest der Senatsverwaltung noch nicht bekannt. Noch sind nicht alle Ausstellungssäle, noch ist das Restaurant auf dem Dach nicht fertig."


    In manchen Artikeln ist von bis zu 50 Mio. die Rede, allerdings ist mir unklar, was sich dort alles subsumiert.

  • Ich bin nach wie vor der Meinung der Berliner BDA sollte sich des ICCs annehmen- und hier seine beispielhafte Vision zum Umgang und zur Nutzung des schwierigen Erbes an moderner Architektur und Städtebau entwickeln.


    Hier könnte man sich in manifesten Ideen zu zukunftsrelevanten Fragen der Stadtentwicklung äußern, ohne von Vormodernen Strukturen, deren Rekonstruktionen oder nostalgischen und sentimentalen Bedürfnissen an historisch repräsentativen Identitätsräumen belästigt zu werden.


    Man muss sich dann auch nicht mehr am Klosterviertel, Schinkels BA oder der Schlossfassade abarbeiten, sondern kann sich ganz selbstkritisch auf die angerichteten Defizite der modernen Stadtcharakteristik in Verkehr, Architektur, Umwelt und Sozialleben konzentrieren.


    Vielleicht wäre auch der Erkenntnisgewinn für den Nachwuchs an Architekten und Stadtplanern der Berliner Hochschulen auch ungleich höher, wenn sie aus einem derart desolaten Milleu heraus über die Stadtwerdung und ihre Tapzierung sinnieren müssten.


    Kann mir jedenfalls gut entsprechende Fakultäten dort vorstellen.

    Einmal editiert, zuletzt von Endell () aus folgendem Grund: Grammatik

  • ^^ Die von Berlinier 2.0 genannte Quelle ist aus dem Jahr 2009. Das von der Messe Berlin GmbH gepachtete ICC (gepachtet nur zum Zweck der Stillstandsverwaltung) verursacht Stillstandskosten bei der Messe Berlin von 1,8 Mio €/Jahr. (Quelle); Stand 2020.

    Stillgelegt wurde das ICC 2014 durch den Technischen Überwachungsverein (TÜV) Rheinland aufgrund erheblicher Funktionseinschränkungen der technischen Anlagen (insbesondere der Sprinkleranlage sowie der Gebäudeleittechnik). Ein Fall von umfassender Totalsanierung, denn zur Gebäudetechnik kommt dieser Quelle zufolge noch die Schadstoffsanierung. Alles in allem also ein riesiger Verlustbringer, fragt sich ob das Land Berlin die Kosten für eine Sanierung aufbringt, die noch gar nicht ermittelt sind; das wiederum kann noch dauern.

  • ^


    Danke, dann muss aber auch die Post-Sanierungs-Prognose von 7,9 -11,5 Mio. deutlich nach oben korrigiert werden. Wahrscheinlich sind es nach der Sanierung bei den heutigen Energiepreisen 15-20 Mio. die das Haus (wohlgemerkt nach einer ca. 200-400 Millionen Sanierung) einspielen müsste, nur um sich zu erhalten. Das ICC hat aber vor seiner Schließung nur irgendwas um die 10 Mio. eingespielt, während es mit 14,7 Mio. bezuschusst werden musste (Link). Es müsste schon zu einer gewaltigen Steigerung auf der Einnahmenseite kommen und da bin ich pessimistisch welche Konzepte (außer Glücksspiel und Prostitution) so einen Pullfaktor darstellen könnten. Es wird davon ausgegangen, ein Hotel-Betreiber könnte das Parkhaus abreißen, dort einen Turm von der Bruttogeschossfläche (nicht Höhe) des 140m Edge-Towers errichten und beides zu einem Giga-Hotel-Komplex umbauen, so als stünde das ICC in Palm Beach, Florida. Ich sehe das nicht.


    Die Elbphilharmonie setzt ca. 40 Mio. (4x wie das ICC vor Schließung) um und die Stadt Hamburg bezuschusst den Betrieb mit ca. 7 Mio. im Jahr. Natürlich hat es Hamburg auch beinahe eine Milliarde gekostet die Elbphi zu bauen, aber das hat das ICC in D-Mark ebenfalls, inflationsbereinigt sogar deutlich mehr.

  • Wenn man diese ganzen Zahlen so durchgeht, weiß man, dass hier auch in den nächsten Jahren nicht viel passieren wird. Das sog. Konzeptverfahren ist doch wieder nur Zeitspiel um nichts entscheiden zu müssen. Welcher Privatinvestor ist schon bereit sich eine so gewaltige Immobilie mit unkalkulierbaren Risiken und starken Einschränkungen durch den Denkmalschutz ans Bein zu binden?

    Abreißen ist aber auch zu teuer und so scheint der Stillstandsbetrieb auch für den aktuellen Senat das kleinere Übel zu sein.

  • Das ICC gehört zum Sondervermögen Immobilien des Landes Berlin (SILB), das größtenteils auf Basis eines Geschäftsbesorgungsvertrages von der BIM, der Berliner Immobiliegesellschaft mbH gemanagt wird. Deshalb finden sich Ausgaben für das ICC teils im Landeshaushalt, teils in den Büchern der BIM. Zum Landeshaushalt gehört das Berliner Investitionsprogramm 2021-2025 (Quelle).


    Dies enthält im

    Einzelplan 13 - Wirtschaft, Energie und Betriebe -

    1330 Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe - Betriebe und Strukturpolitik -

    89123 Zuschüsse an das SILB zur Sanierung des Internationalen Congress Centrums Berlin (ICC)


    die Angabe, dass - nach kleineren Zuschüssen (1,7 Mio € zwischen 2022 und 2025 - evtl. an die BIM für Konzeptverfahren usw.) -ab 2026 über 197 Mio € eingeplant sind. Unter "Prognose Fertigstellung" lesen wir das Jahr 2040 und bis dahin "fiktive Gesamtkosten inkl. Index" von über 337 Mio € (siehe in der verlinkten Quelle S. 16 und S. 61).


    Die BIM wurde 2019 beauftragt, ein Interessenbekundungsverfahren mit dem Ziel durchzuführen, die Marktgängigkeit des ICC zu prüfen.

    Die im Interessenbekundungsverfahren, an dem 13 Unternehmen teilgenommen haben, eingegangenen Ideen und Vorstellungen zur zu-

    künftigen Nutzung des ICC wurden von der BIM in der als Anlage beigefügten Broschüre „Internationales Congress Centrum (ICC) - Ergebnisse des Interessenbekundungsverfahrens“ zusammengefasst. Diese wird, dem Wunsch des Hauptausschusses entsprechend,

    ausdrücklich nur den Mitgliedern des Hauptausschusses zur Einsichtnahme im parlamentarischen Datenraum zur Verfügung gestellt. Das war 2021.


    In einer Aktuellen Stundes des Abgeordnetenhauses im September 2023 wurde erklärt:


    "Die Wiederbelebung des ICC durch einen privaten Investor bzw. eine private Investorengruppe solle im Sinne des Senats und der Berlinerinnen und Berliner erfolgen. Das beziehe sich insbesondere auf die Bereiche Kunst, Kultur und Kreativwirtschaft, Technologie und

    Innovation – mit der klaren Vorgabe, dass das Messe- und Kongressgeschäft im dann neu eröffneten ICC möglich sein müsse. Ausgeschlossen worden sei der Betrieb eines Bordells, großflächiger Einzelhandel oder der Einzug einer Waffenfabrik.

    Die Vergabe erfolge in Erbpacht über 99 Jahre. Das Grundstück Messedamm 9 und das Parkhaus seien in diesem Verfahren inkludiert. Es handele sich um ein zweistufiges Verfahren, und im August 2026 wolle man eine Vergabeentscheidung treffen. Juristisch folge dann noch ein Anhandgabeverfahren. Auch die BIM sei involviert und solle das Konzeptverfahren für das Land Berlin organisieren. Senatsseitig solle Anfang Oktober die Entscheidung fallen, und in Kürze erfolge auch die Vorlage im Hauptausschuss. Zur Vergabeentscheidung gebe es eine breite Begleitung über den Steuerungsausschuss.

    ...

    Im Unterschied zum Interessenbekundungsverfahren ende das Konzeptverfahren mit einer Vergabeentscheidung – im vorliegenden Fall im August 2026. Damit ergebe sich auch eine Unumkehrbarkeit; jemand erhalte den Zuschlag und könne mit der Umsetzung beginnen. Spätestens 2027 erfolge dann die notwendige Sanierung des ICC, und je nachdem, welches Konzept den Zuschlag erhalten habe, dauere es eine gewisse Zeit, um diese Revitalisierung zu ermöglichen. – Alle Beteiligten seien sehr committet, diesmal zu einem erfolgreichen Abschluss zu kommen."

    Quelle (darin S. 3)


    Das Konzeptverfahren ist dann wohl der in #404 genannte Wettbewerb.

    Das würde für mich heißen, es geht nicht um's OB, sondern "nur" noch um's Wie. Auch dürften dann die oben erwähnten Beträge nicht mehr zu Lasten des Landeshaushalts gehen, oder?

    Einmal editiert, zuletzt von tunnelklick () aus folgendem Grund: Rechtschreibung und eine Jahreszahl korrigiert (2040 statt 2024)

  • Ich denke eine wirtschaftliche Revitalisierung und Erweiterung des ICC mit zum Beispiel einem Hotel- oder Wohnturm wie es Kleihues & Kleihues in etwa hier projektieren:


    https://kleihues.com/vorschlag…e-zukunft-des-icc-berlin/


    kann nur anheim gehen mit einem völligen Umbruch der weiteren Umgebung des ICC.

    Hierzu zähle ich die angedachten Pläne für einen neuen City-Zugang West, die Umgestaltung des Oympiageländes, eine weitere Aufwertung des Messegeländes, wie auch die Weiterverfolgung der Erweiterung des rbb, wie hier schonmal vorgestellt und diskutiert. Nur in einem gänzlich umgekrempelten und auf Vordermannn gebrachten Umfeld wird sich das wirtschaftlich rechnen lassen.

    Auch Christoph Langhof hat hier interessante Visualisierungen zu Westkreuz und Avus-Umbauuung im Zuge der Senatsinitiative Berlin 2030 geliefert:


    https://entwicklungsstadt.de/w…ausquartier-am-westkreuz/

  • Ich weiss nicht ob in der heutigen und zukünftigen Zeit der Bedarf für eine Nutzung wie vor 30 Jahren noch realistisch wäre.
    Aber wenn ich so Techmilliadär wäre ;) könnte ich mir diese stylische Architekturikone auch gut als Firmensitz, Rechenzentrum, riesigen Serverspeicher, EnergiespeicherPark oder Zentrum für KI- und Roboterentwicklung von mir aus mit einem Hotel-Wohnturm für Gäste und Mitarbeiter vorstellen.

    Sowas in der Art würde sich dann vielleicht sogar finanziell rechnen aber da müssten sich dann auch einige (zb. Denkmalschutz) flexibler zeigen.

    Irgendwie haben sich alle Seiten bei diesem Bau festgefahren und es wäre sehr schade wenn in weiteren 30 Jahren immer noch nichts passiert ist, was ja nicht unrealistisch ist in Berlin (siehe SEZ zb.)

  • Die Frage ist ja eher, ob das ICC sich betriebswirtschaftlich überhaupt rechnen muss, oder ob es nicht vielmehr Berlin als internationalen Kongressstandort derart stärken könnte, dass die volkswirtschaftlichen Effekte überwiegen. Ich behaupte gar nicht, dass es so sei, aber möchte den Gedanken beitragen, dass internationale Kongresse auch ein Türöffner für mehr Langstreckenverbindungen sein könnten. In den letzten Jahren haben wir zudem erlebt, dass viele Megastars einen Bogen um Berlin gemacht haben, weil die Kapzitäten von Uber-Arena und meinetwegen noch Waldbühne und Olympiastadion nicht ausreichen.

  • … und Architektur-Fan , um Deine Frage irgendwie zu beantworten ob das ICC im Bereich der Messe- Architektur einzigartig oder modellhaft ist.

    Mir ging es bei dieser Frage eher darum, wie man das ICC in einer weltweiten Betrachtung von Messearchitektur einordnen muss. Dabei kommt es ja nicht nur auf die spezifische Situation in Berlin an (mit der Geschichte Berlins als geteilte Stadt), sondern auch auf die Einordnung in den weltweiten Maßstab. Ob das ICC einzigartig oder modellhaft ist, hängt auch davon ab, ob in anderen Städten dieser Welt - im gleichen Zeitabschnitt - auch solch ikonischen Messegebäude gebaut wurden und bis heute erhalten sind. Sollte es anderswo vergleichbare Gebäude geben, wäre das ICC ein Gebäude unter vielen anderen. Sollte es ein solches Raumschiff jedoch nur in Berlin geben bzw. erhalten sein, dann wäre das schon außergewöhnlich. Für eine solche Betrachtung fehlt mir aber einfach der Überblick, da ich nicht weiß, was man an anderen Messeplätzen dieser Welt in den späten 1970er Jahren gebaut hat.


    Vielleicht kann jemand was dazu sagen, ob es in anderen Städten in Europa, Nordamerika oder Asien auch noch solche krassen Messegebäude aus dieser Epoche erhalten sind.

  • ^

    Vielleicht wäre Selbststudium eine Möglichkeit dies herauszufinden. Die Ergebnisse würden mich dann auch interessieren.

  • rakete : Das ICC hat sich noch nie gerechnet - betriebswirtschaftlich. Es wurde trotzdem so lange betrieben, weil man sich positive volkswirtschaftliche Effekte versprochen hat. Also genau wie Du sagt: Architektur als "Stadt-Marketing-Instrument". Wie gut das funktionieren kann, zeigt das allseits bekannte Beispiel des Guggenheim Bilbao. Irgendwann war es dann halt aber so teuer, dass eine stetig weniger erfolgreiche Messegesellschaft einen Weiterbetrieb nicht mehr verantworten konnte. Das Land, als Besitzer der Messegesellschaft, hätte sich zu einer dauerhaften und wachsenden Verlustfinanzierung entschliessen müssen. Dazu war das Land nicht bereit - und dafür dürfte auch in Zukunft niemand bereit sein.


    Als Veranstaltungsort, der praktische Anforderungen erfüllen soll, war das ICC eh nie besonders gelungen. Dafür mussten sich die Architekten in einer Zeit des relativen finanziellen Überflusses nicht besonders interessieren. Bezahlt haben die Westdeutschen mit ihren Berlin-Subventionen.

    Als Veranstaltungs-Ort ist aber meines Erachtens auch aus vielen anderen Gründen der Zug abgefahren:

    - neue, effiziente, private Konkurrenz am Estrel und an der Uber-Arena mit stark wachsenden Kapazitäten.

    - vom neuen Flughafen aus viel zu umständlich zu erreichen. Was ein starker Standortvorteil bei Tegel war ist jetzt ein genauso starker Nachteil.

    - kein integrierter Standort. Heutzutage braucht man Messehallen plus Hotel plus Gastronomie plus Entertainment. Das war auch der Messegesellschaft klar. Deswegen sollte ja an der Messe auch mal ein Hotelturm entstehen. Die Schweizer haben das zum Beispiel an der Messe Basel (Link) wunderbar hingekriegt. Die Berliner leider nicht (Link)(Link)(Link). Die Isolation - am falschen Ende der Stadt stehen ein paar einsame Hallen in einer relativen Wüste rum - wird den Standort dauerhaft schwächen. Dem muss man sich stellen.

    Einmal editiert, zuletzt von Oranien ()

  • Das ICC hat sich noch nie gerechnet - betriebswirtschaftlich. Es wurde trotzdem so lange betrieben, weil man sich positive volkswirtschaftliche Effekte versprochen hat.

    Volkswirtschaftliche Effekte im eingekesselten West-Berlin? Ich würde sagen, es wurde nur betrieben, weil Berlin für jeden Scheiß Subventionen ohne Ende bekommen hat.

  • Kongresse und Messen haben durchaus einen begrenzten volkswirtschaftlichen Effekt; Stichwort Umwegrentabiliät. Die Gesamtbilanz für das ICC ist in der Vergangenheit in manchem Jahr vielleicht sogar positiv ausgefallen.

    Ein privater Investor wird sich aber kaum damit abfinden einseitig Verluste einzufahren.