Berliner Stadtverkehr (Straße, Bus, Bahn, Wasserwege, Gebäude)

  • Eine echte Gefahrenstelle für alle Verkehrsteilnehmer (Fußgänger, Fahrrad, Straßenbahn und auch PKW) wird offenbar bald entschärft:

    Die Invalidenstraße zwischen Acker- und Gartenstraße in Mitte.

    Die bisherigen Auto-Parkreihen entlang der Fahrbahn werden aufgelöst, stattdessen wird ein durch Poller abgegrenzter Radweg je Fahrbahnseite angelegt. Außerdem wird die Haltestelle Pappelplatz mit Kaps ausgestattet und so barrierefrei.


    Finde ich sehr gut!


    https://www.tagesspiegel.de/be…ollerradweg/26157848.html


    d.

  • Ich denke, die Straßenbahn ist das größte Problem und Gefahrenverursacher in der Invalidenstrasse.

    Es macht einfach keinen Sinn eine Strassenbahn d urch eine enge Hauptverkehrsstrasse fahren zu lassen, die zudem noch äusserst beliebt ist , voller Geschäfte, Restaurants usw. Ich wohne um die Ecke und muss dieses Elend jeden Tag ertragen.

    Auch wenn der Aufschrei hier wieder groß sein wird, ich halte die Verkehrspolitik für die Ursache der ganzen Malaise. Die Invalidenstrasse ist keine Allee der Kosmonauten oder eine Seestrasse. Man kann die Strasse nicht breiter machen als sie ist. Es ist eine Verkehrspolitik vom 19. Jahrhundert.

    Seit spätestens 1995 war klar,dass der Hauptbahnhof öffnen würde. Über 10 Jahre allein hat es gedauert sich auch die Trassen zu einigen, bzw. alle Klagen abzuweisen und die zwei Strassenbahnkilometer zum HBF zu bauen. In der Zeit hätte man auch eine Ubahn bauen können und müssen, und selbst wenn diese 20 Jahre gedauert hätte, wäre es mehr als sinnvoll, gerade für diese Strecke.

    Ebenso lachhaft, dass der tragische Unfall vom letzten Jahr nun als Grund herhalten muss. Der Unfall hätte genauso gut mit einem Smart passieren können, aber klar ein Porsche ist da geeigneter. So weit ich gelesen habe, war der Fahrer nicht gesund und von daher ist die überhöhte Geschwindigkeit auch ein kein gültiges Argument.

    Es ist die übliche Alibilösung.

  • Der sicherlich "gefährlichste" Verkehrsteilnehmer ist und bleibt sicher das Auto. Warum?


    - Für die anderen Verkehrsteilnehmer ist das Verhalten eines PKW am wenigsten berechenbar - weil es sich potenziell schnell und flexibel bewegt

    - Autos sind außerdem zunehmend spurtstark und vor allem auch schwer - und das spielt ein sehr große Rolle wie man am Kudamm in den vergangen Tagen wieder erleben durfte


    Die Straßenbahn ist wohl schwerer und spurtstärker aber 100% berechenbar im Straßenraum weil schienengebunden und so gut wie immer defensiv gesteuert unterwegs. Unfälle mit Straßenbahnen in Straßen wie Invalidenstraße oder Kastanienallee sind meines Wissens sehr selten, weil die Passanten und Radfahrer sie eben nicht übersehen und gut berechnen können (Anders als an überbreiten Straßen wo sie gern mal von abgelenkten Fußgängern "vergessen" wird)


    Ich fände es am besten, wenn die Invalidenstraße für den Durchgangsverkehr gesperrt würde. Mit der Torstraße und der Bernauer stehen zwei geeignetere Alternativen für Durchreisende zu Verfügung. Eine U-Bahn wäre toll, aber löst kurzfristig hier kein Problem...


    d.

  • Die Argumente sind total gestrig.


    -Autounfälle? [x] Gibts in 20 Jahren kaum noch (Sensorik/AI/Automation).

    -Abgase? [x] Mit jedem E/WA-Auto abnehmend in unseren Städten.

    -Lärm? [x] Mit jedem E/WA-Auto nimmt er ab in unseren Städten.

    -Stress? [x] Der Autopilot bringt einen halbautomatisch und in 10-20 Jahren auch vollautomatisch ans Ziel.

    -Parkplatzsuche? [x] Das Auto sucht in Zukunft selbst einen und kommt auf Knopfdruck zu jedem Ort, um einen abzuholen (wie bei Knightrider).


    Quasi alle(!) Nachteile des automobilen Verkehrs werden gerade aus der Welt geräumt, bzw. sind dabei technisch überholt zu werden. Tatsächlich wird die E-Mobilität und die gestiegende Konkurrenz in der Automobilfertigung durch Tesla und Asien langfristig dazu führen, dass die Autos immer billiger werden, so billig, dass es sich auch wieder mehr Menschen leisten werden können eines zu besitzen. Was natürlich dazu führen wird, dass auch die Straßen wieder voller werden. Ich sehe mittel bis langfristig eher ein Revival des Individualverkehrs aufkommen, statt einem Abgesang, dabei ist natürlich das gesamte Paket der E-Mobilität zu berücksichtigen.


    Mit dem Neuro-Link, den Elon Musk gerade entwickelt, wird es dann in fernerer Zukunft sogar möglich sein, seinen Tesla per Gedanken zu rufen. Falls man das dann noch will, oder nicht schon gleich in ein Flugtaxi steigt.

  • Quasi alle(!) Nachteile des automobilen Verkehrs werden gerade aus der Welt geräumt, bzw. sind dabei technisch überholt zu werden.

    LOL, ist das dein Ernst? Die Probleme des Autos sind nicht nur seine Gefahr, sondern seine Ineffizienz als Massenverkehrsmittel in den Städten perse. 1,3 Leute im Schnitt in einem Fahrzeug, welches die 8-fache Fläche eines Fahrrads einnimmt und 23 Stunden am Tag rumsteht. Das sind die wirklich schädlichen Eigenschaften des Automobils, die die Stadtstrukturen seit den 50ern ausschließlich negativ geprägt haben. Und daran ändern die von dir aufgezählten Hoffnungen in keinster Weise etwas. Das Auto ansich ist das Problem, seine Größe, seine Struktur. Die Mangelnden Fähigkeiten der Menschen, mit diesen potenziellen Waffen entsprechend sorgsam umzugehen, kommen da noch oben drauf.


    Sieh es ein, das Auto als Massenverkehrsmittel, so wie wir es heute kennen, hat in unseren Städten keinen Platz mehr. Völlig egal, wer es fährt (Mensch oder Maschine) oder welcher Antrieb verbaut wird. Das kostbarste Gut einer Stadt ist Platz und der ist endlich. Autos, egal welche Form, Farbe etc., nehmen davon einfach zu viel ein und keine deiner Aufzählungen wird daran etwas ändern.

  • ^ "Quasi alle Nachteile" sind beseitigt – außer dem Flächenverbrauch, dem Rohstoffaufwand, der Vergiftung ganze Landstriche durch den Lithium-Abbau, dem immensen Energiehunger, der mit automatisiertem Verkehr verbundenen Totalüberwachung jeder Bewegung, etc. pp. Wirklich, ein Traum!

  • ^

    Ihr denk viel zu kurzsichtig. Wir sind bei der E-Mobilität am Anfang(!) der Entwicklung, die Verbrenner haben einen Grad an industrieller Reife erlangt, der im Vergleich geradezu obszön ist. Wenn der erste Ur-Verbrenner quasi die 1.0 Version der fossilen Motoren war, dann sind wir heute bei Verbrennern so ungefähr bei Version 2854.0 = enorm hoher Grad an "industrial sophistication". Bei den E-Motoren haben wir erst ein paar dutzend Versionen vom Band rollen lassen, der Grad an industrieller Reife ist niedrig. Materialaufwand/Effizienz sind Faktoren, die perspektivisch sinken werden je mehr Versionen von Band rollen, analog dazu, dass ein modernes Mobiltelefon heute längere Akkulaufzeiten bei größerer Leistung aufweist im Vergleich zu den ersten Smartphone-Modellen.


    Der Rohstoffaufwand ist auch eine Frage der Materialwissenschaft, weniger eine Frage von reiner Ingenieursleistung. Es gibt fantastische Konzepte für enorm effiziente Batterien, wir haben nur (noch) nicht das Knowhow, um das entsprechende Material zur Verfügung zu stellen. Rohstoffe werden ausgebeutet werden, solange keine nachhaltigen Alternativen da sind, ob es jetzt das neue Iphone, die neue Playstation oder das neue E-Auto ist, solange die Leute "Dinge kaufen wollen" wird das der Fall sein. Wenn es keine seltenen Rohstoffe auf der Erde mehr gibt (Tritium ect.), wird man Asteroiden&Weltraumschrott ausbeuten. Das ist heute schon mehr eine Frage des Geldes, als der Machbarkeit. Nicht zu vergessen auch die Möglichkeit, Ressourcen durch Synthese zu kreieren. Es ist bereits möglich, viele minerale Rohstoffe künstlich herzustellen (Diamanten z.B.) und je weniger Rohstoffe es in der Erde gibt, desto stärker wird die Entwicklung hier anziehen.

    Und das der automatisierte Verkehr eine Totalüberwachung ermöglichen würde, wo doch jeder die Totalüberwachung in der Hosetasche hat, ganz egal womit er fährt, ist eine nette Anekdote. Am S-Bahnhof Südkreuz konnte man sich bis vor kurzem noch beim Treppen rauf&runter gehen, von der Polizei sein Gesicht scannen lassen, "freiwillig", also vermeidbar, sofern man den Hinweisstickern auf dem Boden ausweichen konnte und sie nicht zu spät bemerkt hat. ;)

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  • ^ Sie meinen, wenn wir solange Auto gefahren sind, dass auf der Erde nichts mehr übrig ist, kann man ja auch in den Weltraum ausweichen? Und das alles nur, um die heilige Kuh MIV nicht schlachten zu müssen? Und ich werde hier als Ideologe bezeichnet! Zur Erinnerung: Die Ausbeutung der seltenen Erden ist alles andere als ein sauberer Prozess. Er verursacht, vergiftete Landschaften, vergiftetes Wasser und vergiftete Menschen. Das alles auf der Südhalbkugel – auch ein Grund, weshalb es soviele Leute in den Norden treibt.


    Und nein, der Materialaufwand wird nicht sinken, denn es geht nicht (nur) um die Motoren, sondern um die Autos selbst. Und die folgen ihren Verbrenner-Vorbildern: Immer größer, immer schwerer, immer stärker. Ein 2,5-Tonnen-E-SUV benötigt zur Produktion nicht weniger Material als sein Diesel-Ebenbild. Und er nimmt im Stadtraum auch nicht weniger Platz ein.


    (Was stimmt: Unsere tollen, digitalen Suchtmittel sind ein ökologisches und humanitäres Desaster. Wie überhaupt die ganze Digitalisierung einen Energieaufwand sondergleichen erfordert. Weshalb ich nicht verstehe, warum dieses Thema in der Klima-Debatte immer ausgeklammert wird.)

  • ^

    Wenn "nichts mehr übrig wäre" könnten überhaupt keine E-Autos mehr produziert werden, bzw. würden die Kosten für eine Ausbeutung der Rohstoffe die Kosten für die Automobilproduktion derart in die Höhe schnellen lassen, dass man Autos nur noch an Superreiche verkaufen könnte, die Industrie würde sich selbst kannibalisieren. Wie gesagt, wird die Wirtschaft schon dafür Sorge tragen (Recycling, Synthese, Weltraumausbeutung ect.) dass diese Ressourcen zur Verfügung stehen werden, oder nachhaltige Alternativen finden. Ich war erstaunt, aber gibt z.B. schon ökologisch abbaubares Plastik, natürlich noch nicht ganz so gut wie das auf Öl-Basis, aber auch hier ist zu erwarten, dass die Entwicklung besser wird, nicht schlechter. Henry Ford hat einst mit Karrosserien aus Hanffasern experementiert.


    Die Vorstellung einer autofreien Welt ist so naiv, wie die Vorstellung einer konsumfreien Welt. Das Bedürfnis des Menschen nach Status, Unterhaltung und Interaktion wird auch zukünftig Triebfeder unseres globalen Wirtschaftssystems und Katalysator für Fortschritt sein, die Frage ist nur, wieviel kann Europa noch dazu beitragen ohne konkurrenzfähige Digitalinfrastruktur und mit defizitären Forschungs&Förderungsbudgets. In den USA graduieren jedes Jahr etwa 3 Millionen Mathematikstudenten, in Russland 1,3 Millionen, in Großbritannien etwa 500.000 und in Deutschland ca. 220.000, so viel wie in Frankreich. In China sind es 27 Millionen. Das sind die Menschen, die die Digitalfirmen von Morgen gründen und bei ihnen arbeiten werden. Unsere Universitäten sind nur noch in den Fächern Geschichte und Theologie auf internationaler Augenhöhe. https://www.welt.de/wirtschaft…-beste-deutsche-Unis.html


    Die Ressource des 19. Jahrhunderts war Dampf, die Ressource des 20. Jahrhunderts war Öl und die Ressource des 21. Jahrhunderts ist Information/Strom.

    Vor diesem Hintergrund wäre eine "Begrenzung/Verteuerung von Energie/Strom" geradezu fatal, sie ist Grundvorraussetzung für jede Form digitaler Information. Hätte man in Europa damals nicht volles Rohr auf Dampf und später Öl gesetzt, würden wir heute noch mit Dampf oder Öl fahren. Die Notwendigkeit effizientere Antriebstechnologien zu entwickeln, wäre noch nicht da, der industrielle Reifeprozess um Jahrzehnte verzögert worden. Europa hat seine global einzigartige Forschrittsexplosion ausgelöst durch die Industrialisierung, die uns der restlichen Welt, die immer noch mit Pferden und Händen wirtschaftete, um Lichtjahre überlegen machte (wovon wir heute noch zehren),nur der effizienten Nutzung von Energie zu verdanken. Erst der ökonomische Reichtum und Überfluss, der daraus entstand, hat dann auch Bildung für die Massen gebracht und die freiheitlichen Errungenschaften unserer Zivilgesellschaften entstehen lassen. Wir erleben nun erneut einen Energiewechsel und noch viel mehr als der letzte, von Dampf zu Öl, wird dieser gewaltige Umwerfungen hervorbringen und erneut einzelne Länder/Kontinente weit über das Niveau aller anderen heben. Wer Information am effizientesten als "Antriebstechnologie" verwendet, kann auch das größte Wachstum daraus generieren. Die Industrialisierung hat uns einst zu Imperialisten gemacht, zu Kolonialisten. Wir sind von google heute aber schon nicht viel weniger abhängig, als Guatemala von Chiquita. Die Digitalisierung wird uns wieder zu Lohnsklaven machen, zu Abhängigen. Wir haben sie, einem Zuse, Einstein und Tesla zum Trotz, einfach nicht rechtzeitig genug kommen sehen. Wenn man im 22. Jahrhundert über das 21. Jahrhundert schreibt, dann wird man von Ma, Musk und Bezos lesen.

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  • Die Vorstellung einer autofreien Welt ist so naiv, wie die Vorstellung einer konsumfreien Welt. Das Bedürfnis des Menschen nach Status, Unterhaltung und Interaktion wird auch zukünftig Triebfeder unseres globalen Wirtschaftssystems und Katalysator für Fortschritt sein, ...

    Wenn das so wäre, ist die Menschheit zum sicheren Untergang verurteilt. "Fortschritt" im modernen Sinne hat immer zu mehr Ressourcen- und Energieverbrauch geführt, und langsam pfeift der Planet auf dem letzten Loch.


    Ich hoffe auf den Unterschied zwischen sozialer Prägung und anthropologischer Konstante. Letztere ändert sich, erstere nicht. Der Konsumismus ist eine – historisch betrachtet – sehr neue Erscheinung. Eine Prägung. Es ist umgekehrt: Nicht die Bedürfnisse der Leute sind die Triebfeder des Wirtschaftssystems, sondern das Wirtschaftssystem muss dauernd neue Bedürfnisse schaffen, um überleben zu können. Auch das gibt es erst seit ca. 250 Jahren. Aber es ist seitdem leider die herrschende Tendenz, und deshalb sehe ich für die Zukunft schwarz...

  • Der Konsumismus ist eine – historisch betrachtet – sehr neue Erscheinung. Eine Prägung.

    Nein, er ist keine Prägung, eine Prägung könnte man loswerden, wie eine schlechte Angewohnheit. Er ist eine Folge, eine Kausalität u.a. der psychischen Inflation, die unsere multipolare Welt mit ihren mannigfaltigen Karriere-, Rollen- und Lebensmodellen erzeugt und durch steten Abgleich mit den Potentialen der Verwirklichung von Erfolg, Glück, Spaß oder Zufriedenheit einem persistenten Optimierungsdruck unterwirft, der werbepsychologisch "exploitet" und gezielt stimuliert wird. Leider funktioniert diese Stimulation aber auch ohne die gesellschaftlich/politischen System-Zusammenhänge. Auch ein Urvolk-Mensch im brazilianischen Regenwald, der noch nie Kontakt zur Zivilisation hatte, wird durch Werbung beeinflusst und heiß auf Autos, Pizza und Feuerwasser werden, wenn er entsprechende Stimuli erhält. Chinesen stammen aus einem kulturell sehr anderen Lebensmodell als wir, fahren aber genauso auf "Kommerz" ab, ähnlich wie Orientale oder lateinamerikanische Völker in die Shoppingmalls strömen. Es ist kein Phänomen des "Kapitalismus westlicher Prägung" das sich hier zeigt, sondern die menschliche Natur, die sich im "kapitalismus/konsumismus westlicher Prägung" scheinbar am besten spiegelt.

    Einmal editiert, zuletzt von Berlinier ()

  • Sorry Berlinier, aber an meiner Einschätzung ist nicht "gestrig" sondern brandaktuell.


    Die Diskussion um die Antriebstechnik und der Ressourcenschonung führt wo anders hin und hat nichts mit der Frage der Sicherheit im Straßenraum zu tun. Du lenkst ab.

    Wenn in meinetwegen 15 Jahren Automobile autonom unterwegs sind mag das Problem gelöst sein. Nur heute ist dem einfach nicht so.


    d.

  • Zitat von Architektenkind

    Nicht die Bedürfnisse der Leute sind die Triebfeder des Wirtschaftssystems, sondern das Wirtschaftssystem muss dauernd neue Bedürfnisse schaffen, um überleben zu können.

    Ganz nach dem Motto: "Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß". Was andere haben, will ich auch, was Neu ist, muss Altes ersetzen, der permanente Vergleich mit anderen treibt an: besser sein, mehr anhäufen, es könnten ja schlechtere Zeiten kommen. Das ist bei unseren behaarten Vorfahren schließlich nicht anders und in zahlreichen Experimenten untersucht. So treten Bedürfnisse erst zu Tage, wenn ihre Befriedigung bei anderen beobachtet werden kann bzw. wenn andere etwas haben, was man selbst nicht hat.

    Das heißt jedoch nicht zwingend, dass diese Bedürfnisse nicht vorher schon vorhanden waren, ggf. konnten sie nicht explizit benannt werden, war ihnen ein zu geringer Stellenwert zugeordnet oder es fehlten schlicht die technischen Möglichkeiten. Ein Bauer im 16. Jh. hatte sicher auch das Bedürfnis nach einer warmen und trotzdem rauchfreien Stube im Winter, bis unsere Kanzlerin die tollen deutschen Fenster loben konnte, sollten jedoch nochmal 500 Jahre vergehen, eine thermostatgesteuerte Zentralheizung hatte sich der Bauer sicher auch nicht erträumt.

    Beide bringt ihr also gute Argumente Architektenkind  Berlinier, trotzdem würde ich es als Sisyphos Aufgabe ansehen, bestimmen zu wollen, wie sich die kausalen Zusammenhänge im Spiel der Bedürfnisse und Wirtschaftsdynamiken ergeben. Vielmehr besteht wohl eine gegenseitige Wechselwirkung und permanente Anregung, mal ausgelöst durch bahnbrechende Erfindungen und geistige Durchbrüche, mal durch die der Weltbevölkerung immanente Ungleichheit, Bequemlichkeit und Neugier, mal durch unser auf Wachstum angewiesenes kapitalistisches Wirtschaftstreiben.

  • Berlinier Zwei Anmerkungen. Erstens: "Prägung" ist viel mehr als "Angewohnheit" – sie schreibt sich, vermittelt durch vorgelebte gesellschaftliche Verhaltensweisen, tief in die Strukturen des Gehirns ein. Zweitens: Wenn der "Kapitalismus westlicher Prägung" die "menschliche Natur am besten" spiegelt, dann hat homo sapiens sapiens 99 Prozent seiner Zeitspanne auf diesem Planeten gegen "seine Natur" gelebt. Auf so eine Idee kann man m.E. nur kommen, wenn man vom Kapitalismus westlicher Prägung, nun ja... – geprägt ist (wie Sie und ich). Selbst die Vorstellung, die sich hinter dem Wort "Karrieremodell" verbirgt, war vor 300 Jahren völlig unbekannt (eine Ausnahme bildeten vielleicht Angehörige des europäischen Bürgertums, das damals gerade im Entstehen war).


    Ich glaube, "die Natur" des Menschen gibt es gar nicht. Er ist sehr anpassungsfähig. Dass Menschen sich ganz selbstverständlich dem dauernden Wechsel von Erwerbsarbeit und Konsum hingeben (ohne dabei sonderlich froh zu werden), macht die Sache nicht zu ihrer "natürlichen Lebensweise" (welche es auch nicht mehr gibt, seit wir von den Bäumen runtergeklettert sind und das Feuer nutzen). Übrigens Bedarf es doch eines längeren, sozialen Prozesses, bis das klappt. Die von ihnen erwähnten "Urvölker" gehen buchstäblich zugrunde, wenn sie unvorbereitet dem Dauerfeuer der Moderne ausgesetzt werden. Ihre sozialen Strukturen halten das nicht aus – die Sucht- und Selbstmordraten steigen exorbitant.


    MiaSanMia Ein sicherer, trockener Platz zum Schlafen gehört natürlich zu den Grundbedürfnissen. Ein Handy mit einer 16-Megapixel-Kamera nicht. Und dieses nagende Gefühl, dass die 16 Megapixel nach ein paar Monaten als mangelhaft erscheinen lässt und den Wunsch nach 20 Megapixeln weckt – das dürfte menschheitsgeschichtlich etwas sehr neues sein.

  • Ich wohne um die Ecke und muss dieses Elend jeden Tag ertragen.

    Nochmal eine Anmerkung zur Straßenbahn in der Invalidenstraße. Die fährt da seit mehr als 100 Jahren und hat, nehme ich daher an, die älteren Rechte? Die Straßenbahn in der Invalidenstraße, die "wie die Kuh vorm Neuen Tor" steht, ist sogar sprichwörtlich geworden (gemeint war wohl die Line Q vom Stettiner Bhf nach Charlottenburg, die an einer eingleisigen Stelle vorm Neuen Tor oft warten musste).

  • ^


    Also es fällt mir doch sehr schwer, diesen Beitrag als Argument zu werten, das ist einfach nur hanebüchen.

    Die älteren Rechte? Ernsthaft? Mit der gleichen Argumentation hätte man auch die Pferdekutschen behalten können als das Auto kam.

    Und davor hätten die Feldhasen die älteren Rechte gehabt als die Strassen und Häuser angelegt wurden.

  • ^Du missverstehst mich: Es ging mir nicht um die Technologie der Fortbewegung. Du bist doch dort hingezogen (und hast dabei wohl nicht übersehen, dass durch die Invalidenstraße eine Straßenbahn fährt) und kannst auch wieder wegziehen (um dem Elend zu entkommen). Es gibt für dein Elend also eine Lösung; warum meinst du, dass jenes durch eine Anpassung in deiner Umgebung gelöst werden sollte, auf Kosten der Allgemeinheit und nicht durch dich selbst? Not in my backyard?

  • Zwei Anmerkungen. Erstens: "Prägung" ist viel mehr als "Angewohnheit" – sie schreibt sich, vermittelt durch vorgelebte gesellschaftliche Verhaltensweisen, tief in die Strukturen des Gehirns ein. Zweitens: Wenn ...

    Kapitalismus ist der Tausch von Werten über einen freien Markt (freie/soziale Marktwirtschaft). Der Kern liegt hier in dem menschlichen Wunsch nach Akkumulation (Status, Unterhaltung ect.). Die Prägung "Güter/Werte zu akkumulieren" liegt aber weitaus tiefer, als nur im Konsumismus der Neuzeit, wir stammen aus Jäger- und Sammlergesellschaften. Die Akkumulation von Waren begann schon mit der zweiten Perlenkette, der dritten Nähnadel ect. was unweigerlich den Handel entstehen ließ und mit dem Handel kam die Notwendigkeit auf Gewaltverzicht und Kooperation, beides Grundvorraussetzung für Zivilisation. Der Kapitalismus/Marktwirtschaft ist die logische Weiterentwicklung dieses Ur-Prinzips, die soziale Marktwirtschaft quasi die modernste Version, ein notwendiges Update, um Revolutionen zu verhindern.

    Das Karrieremodell der festangestellten Lohnarbeit ist relativ neu, aber Arbeit und Lohn hat es immer gegeben. Der erste Mensch, der einem anderen Menschen ein paar Nüsse und Beeren dafür gegeben hat, dass der ihm hilft, sein Zeltdach abzudichten, war ein Arbeitgeber. Die ganzen "Auswüchse und Ungerechtigkeiten", die der Kapitalismus erzeugt, werden oft fälschlicherweise dem "System" zugerechnet, aber es ist im Grunde bloß ein Tauschsystem, das dem natürlichen Wunsch des Menschen nach "jagen und sammeln" Ausdruck verleiht. Dass wir horrende finanzielle Ungleichheit in der Gesellschaft haben, hat im Kern nicht mit Akkumulation/Handel zu tun, sondern mit Aristokratie. Wenige, die kollaborativ intregieren, um sich Vorteile gegenüber Vielen zu verschaffen. Diese Prägung ist leider ebenso Ur-menschlich, wir sind eben keine selbstlos-solidarischen Lebewesen, sondern dem Stammesprinzip nach, nur solidarisch mit Menschen, deren Solidarität sich auch vice versa einfordern lässt, in erster Linie mit der eigenen Familie und engen Kooperationspartnern, die schon fürs Jagen seit je her essentiell waren. Aus engen Kooperationspartnern werden, wenn sie besonders gut zusammenarbeiten, Aristokraten. Das Prinzip der Aristokratie war nie fort, wir haben auch die Aristokratie nie abgeschafft, wir haben sie bloß aus den Burgen und Schlössern unserer Städte in die Burgen und Schlösser diverser "Gated-Communities" vertrieben. Aus den Augen aus dem Sinn. Glücklicherweise hat die technologische Entwicklung dazu geführt, dass wir heute auch als "armes Bauernvolk" zumindest im Westen ein Leben im materiellen Überfluss und gesicherter physischer Existenz haben können. Es ist zum überwiegenden Teil bessere Technik, die den Unterschied in der gestiegenen Lebensqualität für im Schnitt alle Gesellschaftsgruppen ausmacht, es ist nicht primär gesellschaftlich errungene Teilhabe. Spätestens seit dem Aufstieg Chinas dürfte dies klar sein. Diese Form der Teilhabe war schon immer auf das beschränkt, was von der Königstafel an Restessen übrig bleibt, die Könige von heute tischen nur dank der technischen Revolution derart viel auf, dass wir auch noch gut satt werden. Mit sattem Magen geht niemand zur Revolution, mit Netflix und Ben&Jerrys erst recht nicht.

  • Cavendish


    Ich missverstehe dich überhaupt nicht.

    Dieser Standpunkt von "Wenn es Dir nicht passt, dann geh halt einfach" ist ja zunächst einmal nur ein Eingeständnis, dass man nicht mehr sachbezogen zu antworten weiß und deshalb personenbezogen reagiert, im übrigen ist es auch reaktionär. (Früher hat man den Leuten empfohlen nach 'drüben' zu gehen, wenn ihnen was nicht gepasst hat)


    Und nun zu dem zweiten Irrtum von Dir.

    Die Lösung, die jetzt präsentiert wird, geht zu Kosten der Allgemeinheit, nicht das, worauf ich und viele andere seit Jahren hinweisen.


    Infrastruktur ist ein elementarer Faktor (neben anderen) der die Zukunftsfähigkeit und den Wohlstand Berlins mitbestimmt.

    Es ist einfach nur fahrlässig was hier als Verkehrspolitik und vor allem als Verkehrswende präsentiert wird, das ist nicht mehr als heiße Luft.


    Die Strassenbahn als Verkehrsmittel in der Innenstadt zu preisen, ist Volksverdummung und reiner Populismus. Gerade diese Strecke ist ein Beleg für die ganze Misere. Es geht doch um viel mehr als ein paar Poller.

    Es wird alles ignoriert, was dagegen spricht, abgesehen vom krankmachenden Lärm, der Ineffizienz, der zusätzlichen Gefährdung - verhindert sie vor allem, dass Außenbezirke effizient angeschlossen werden und reduzieren die Attraktivität dieser Bezirke. Wenn man nach Ahrensfelde über 40 Minuten braucht, nach Hakenfelde oder Tegel, man baut doch kein Haus ohne WC. Es ist unfassbar, dass man Neubaugebiete plant und keine Anbindung, die kommt dann vielleicht 30 Jahre später.

    Man sabotiert so die notwendige Verkehrswende - weil viel zu viele das Auto weiter benutzen werden und reduziert die Attraktivität dieser Viertel und trägt dadurch massiv bei, dass Wohnen in der Innenstadt immer teurer wird, unerschwinglich für viele. Je attraktiver Aussenbezirke werden, und dafür ist eine direkte und schnelle Verbindung in die Innenstadt unerlässlich - desto weniger wollen die Leute unbedingt in der Innenstadt wohnen. So würde man Probleme weitaus besser lösen, als Mietendeckel und sonstiges restriktives Eingreifen es je vermochten.

    Der ewige Verweis auf die Kosten ist einfach falsch. Das sind sie nicht, nur weil man es behauptet, muss es noch lange nicht wahr sein. 1930 war Berlin als Kommune in der Lage jährlich um die 50.000 Wohnungen zu bauen und die U-Bahn. Klar andere Zeiten, schwer zu vergleichen usw. Aber es zeigt, dass man langfristig gedacht hat, darum geht es.

    Es geht um politische Prioritäten. Nur durch Ausgaben, die auch Investitionscharakter haben, und dazu gehört nun mal Infrastruktur, kann man sicherstellen, dass Berlin mittel- und langfristig prosperiert. Und diese Balance hat sich in den letzten Jahren mehr und mehr verschoben, da man Investitionen in sträflicher Weise vernachlässigt hat, um Klientelpolitik zu betreiben. Bei der Bildungspolitik sieht man das Ausmaß des Desasters und es kann nicht länger ignoriert werden, es wird Jahre dauern, der Schaden ist da, egal was man jetzt auch versucht. Bei der Verkehrspolitik sieht es kaum besser aus, aber weil weniger Menschen direkt betroffen sind, wird es weniger wahrgenommen. Klar es gibt ein Konzept, dass vieles richtig erkennt, es wird auch versucht einiges umzusetzen, aber es ist einfach unzureichend weil es einzelne wesentliche Punkte einfach ignoriert, zudem viel zu ideologiegesteuert ist und wird deshalb nicht funktionieren.

    Es geht nicht um ein paar Poller, es geht um soviel mehr.