Unter den Linden
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Es geht doch!
Berlins erste Rekonstruktion seit der Wende: Heute weiht Bertelsmann das Kommandantenhaus ein
von Rainer Haubrich
Noch fremdelt das Kommandantenhaus. Zu perfekt, zu frisch, zu hell wirkt der Bau. Aber die Spuren der Witterung werden schon bald für eine Wiedereingliederung des Spätheimkehrers in den Boulevard Unter den Linden sorgen. Ein halbes Jahrhundert lang war das Gebäude aus dem Berliner Stadtbild verschwunden. Jetzt ist es wieder da, äußerlich originalgetreu rekonstruiert, als Berliner Repäsentanz des Bertelsmann-Konzerns.
Was für ein Erlebnis sind die solide aufgemauerten Wände mit ihrem dezenten Schmuck wenn man sie vergleicht mit den Vorhangfassaden des neuen Berlin aus Glas und Stahl oder dünnen Natursteinfliesen mit offenen Fugen dazwischen, aus denen der Isolierschaum quillt. Woher nur nehmen so viele zeitgenössische Architekten den Hochmut, sich über den "Kulissenzauber" von Rekonstruktionen zu mokieren? Der Boulevard Unter den Linden ist, wie jede Prachtstraße, eben auch eine Kulisse. Und in der Tat eine zauberhafte - mit den untereinander kommunizierenden klassischen Architekturen.
Den Ursprungsbau hatte 1653 der kurfürstliche Architekt Johann Gregor Memhardt als sein Privathaus errichtet, seit 1799 war das Gebäude Wohnsitz des Berliner Stadtkommandanten. 1873 wurde das barocke Mansarddach durch ein weiteres Geschoss ersetzt und die Fassade im Stil der Renaissance umgestaltet. Die DDR riss das im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigte Haus ab, um Platz zu schaffen für den weißen Riegel des Außenministeriums, der wiederum 1995 abgerissen wurde.
Die Rekonstruktion der Fassaden durch die Berliner Architekten Stuhlemmer war mühsam, weil es keine Baupläne mehr gab. Sie mussten anhand von historischen Fotos des Preußischen Messbildarchivs neu erstellt werden. Auch die Schmuckelemente wurden nach digital geschärften Fotovorlagen von Bildhauern nachgebildet.
Das Kommandantenhaus war architektonisch belanglos, wie uns die Bauhistoriker versichern. Aber was besagt das schon? Für seine fulminante Wirkung ist gar nicht entscheidend, ob es sich um große Architektur handelt. Der profilierte Kubus gibt dem Auftakt der Linden wieder Halt und dem prächtigen barocken Zeughaus ein Gegenüber. Er stellt die Folge der Palais' bis zur Staatsoper wieder her und komplettiert damit das staunenswerte Aufbauwerk der DDR, die Unter den Linden nach und nach das Zeughaus, die Neue Wache, das Forum Fridericianum mit Opernhaus und Prinzessinnenpalais wiederherstellte. In den sechziger Jahren wurde sogar das benachbarte Kronprinzenpalais komplett rekonstruiert, dessen Ruine nach dem Krieg abgetragen worden war. Wer sich einmal vorstellt, alle diese Gebäude wären im jeweils aktuellen Zeitstil neu errichtet worden, kann ermessen, welch glückliche Hand die Verantwortlichen hier durch Zeiten und Systeme hinweg bewiesen haben.
Im Inneren des Kommandantenhauses, das der Kölner Architekt Thomas van den Valentyn gestaltet hat, fremdelt man erneut. Denn man betritt nicht das Foyer eines Palais', sondern den Messestand eines Global Players, der seine "corporate identity" vermitteln möchte. Das Erdgeschoss besteht im Prinzip aus einem einzigen kühlen Raum, multifunktional nutzbar für Pressekonferenzen, Lesungen oder Partys. Den Besucher empfängt eine Mediawand in den "corporate colors" des Unternehmens aus dunkelblauen Holzpaneelen und orangefarbenen Fugen. Sie ist gesprenkelt mit kleinen, Orange glühenden "plug-and-play"-Steckdosen, in die kleine Screens gesteckt werden können, die wechselnde Themen illustrieren sollen.
Klassische Interieurs findet man nur in der Beletage, wo gediegen repräsentiert wird: Kronleuchter aus Verona, Vertäfelungen aus schön gezeichnetem Makassar-Ebenholz, Eichenparkett, Ledersessel, fein profilierte, hohe Fußleisten und über dem wuchtigen Bartresen eine Lichtdecke aus Alabaster.
Originell ist Valentyns neuer Wintergarten. Das historische Kommandantenhaus hatte einen U-förmigen Grundriss, wodurch auf der Rückseite ein kleiner Hof entstand. Den hat der Architekt mit einer feinen, gebäudehohen Stahl- und Glaskonstruktion geschlossen. In diesem neu geschaffenen Raum wirkt Valentyns kühle, saubere Repräsentationsästhetik stimmig. Sie wird gekrönt von einem spektakulären, zwölf Mal drei Meter großen Bildschirm, einer modernen Interpretation des Deckengemäldes. Hier lassen sich Lichtstimmungen kreieren, brillante Wolken- und Sternenhimmel zaubern und eigens kreierte originelle Filme abfahren, die Seiltänzer zeigen oder eine Fahrt vorbei an bekannten Berliner Bauwerken. Anders als im Foyer steht hier die neueste Medientechnik ganz im Dienste des Raumes.
Es gehört nicht viel Fantasie dazu, im Kommandantenhaus einen der künftig attraktivsten Treffpunkte der Hauptstadt zu sehen. Zugleich wird seine äußere Gestalt als glänzendes Beispiel die Diskussion um weitere Rekonstruktionen bereichern. In Sichtweite steht bereits die erste Musterecke von Schinkels Bauakademie.
Quelle:http://www.welt.de