Leipzig - die Hauptstadt des Historismus

  • Leipzig - die Hauptstadt des Historismus

    Hallo Architekturfreaks! Es wird Zeit für ein paar Fotos aus dem in diesem Forum leider unterrepräsentierten und noch immer unterschätzten Osten Deutschlands. Mein persönlicher Favorit ist neben Stralsund, Wismar, Potsdam und Görlitz, Leipzig. Die sächsische Messestadt verfügt über 17000 Denkmäler, davon entfallen allein 12500 auf Bauten, die zwischen 1870 und dem ersten Weltkrieg entstanden sind. Diese Gründerzeitbauten, also alles von Spätklassizismus über Neorenaissance, -barock, -gotik usw. bis hin zum Jugendstil, prägen das Gesicht der Stadt.
    Die Leipziger Innenstadt wurde im Krieg stark zerstört. In den 40er und 50er Jahren begann man zunächst behutsam die Altstadt wiederaufzubauen. Erst in den 60er Jahren wurde auf Drängen Walter Ulbrichts die „sozialistische Stadt“ zum offiziellen Entwicklungsziel für alle Städte der DDR. Auch wenn im Vergleich zu Ost-Berlin, Dresden oder Chemnitz in der Messestadt vergleichsweise wenig von den Planungen der 60er und 70er Jahre umgesetzt wurde, leidet die Innenstadt Leipzigs stark unter dem Substanzverlust der letzten 40 Jahre. Die Höhepunkte der Stadtzerstörung waren die Sprengung der völlig intakten Paulinerkirche, des wiederaufbaufähigen Augusteums (Universität) sowie des Gewandhauses Ende der 60er Jahre.
    Leider hat man aus diesen Fehlern nicht gelernt. Aktuelle Beispiele sind die Entkernungen von Messe- und Kaufhausbauten, die Anfang des 20. Jahrhunderts erbaut worden sind. Von ihnen bleibt leider nichts weiter als eine Schaukulisse hinter denen sich Allerweltskaufhäuser verstecken zurück. Die Individualität und Kleinteiligkeit, durch die sich einst die Leipziger Innenstadt auszeichnete, wird weiter sukzessive zerstört. Das Zentrum Leipzigs ist auf dem besten Wege es den westdeutschen Innenstädten gleich zu tun.
    Deshalb halte ich die Gründerzeitviertel, die unmittelbar an das Zentrum anschließen, für die eigentliche Attraktion dieser Stadt. Sie machen Leipzig lebens- und zeigenswert.



    Beginnen möchte ich mit Bildern, die die innere Stadt aus Westen zeigen (aufgenommen vom Oberrang des Zentralstadions im Sommer 2003).


    im Vordergrund das Waldstraßenviertel, im Hintergrund die Hochhäuser von Sachsenbank und the Westin sowie das Wohnhochhaus in der Wintergartenstraße, in der Mitte die Turmspitze der reformierten Kirche


    Blick in Richtung Innenstadt, im Hintergrund Fernsehturm, Oper, Nikolaikirche, Uni-Riese, Thomaskirche


    das Schwimmstadion im Vordergrund wurde wie das Zentralstadion in den 50er Jahren errichtet, ist aber bis auf eine Tribüne mittlerweile abgerissen; nicht zu verkennen: der Turm des neuen Rathauses rechts im Bild


    im Vordergrund die Arena Leipzig, im Hintergrund die Hochhäuser der Straße des 18. Oktobers, das Völkerschlachtdenkmal, die Peterskirche, das Reichsgericht, die Kuppel des Gebäudes der Leipziger Verkehrsbetriebe sowie die Lutherkirche



    Weiter geht’s mit der Südvorstadt, dem lebendigsten und buntesten Stadtteil Leipzigs:


















    Im Musikviertel südwestlich des Zentrums stehen beeindruckende wilhelminische Monumentalbauten, u.a. die Universitätsbibliothek Albertina, das Reichsgericht sowie einige Hochschulbauten. In diesem Stadtteil und im benachbarten Bachstraßenviertel befinden sich außerdem die wohl am aufwendigsten gestalteten gründerzeitlichen Wohnhäuser Leipzigs:




















    Die im Westen gelegenen Stadtteile Schleußig und Plagwitz profitieren vor allem durch ihre Lage an der Weißen Elster, die beide Stadtteile voneinander trennt. Während Schleußig ein reines Wohnviertel ist, war Plagwitz bis zur Wende das Industrieviertel Leipzigs schlechthin. Von den einstmals zehntausenden Industriearbeitsplätzen existieren heute keine 1000 mehr. Ein Teil der riesigen Fabrikanlagen wurde zu Wohnanlagen, Veranstaltungshallen oder Künstlerateliers umfunktioniert.









    Das Waldstraßenviertel nordwestlich des Zentrums ist das am besten erhaltenen Gründerzeitviertel Leipzigs, es steht komplett unter Denkmalschutz. Besonders interessant ist die architektonische Vielfalt, hier findet man alles von Spätklassizismus über Biedermeier und den Neo-Stilen bis hin zum Jugendstil.



















    Ich hoffe, euch hat`s gefallen.

  • Also, ich finde die Bilder erste Klasse. Ich hätte nicht gedacht, dass es soviele gründerzeitliche Bauten in Leipzig gibt, vor allem, weil ich vor einigen Jahren gehört hatte, dass Leipzig mit Büroneubauten, die im Rahmen des Steuerabschreinbungsmodells Investition in Büroräume im Osten = Möglichkeit der Steuerabsetzung entstanden regelrecht zugedeckt worden ist, was zur Folge hatte, dass der Leerstand bei den Büroflächen dort jetzt bei 1/3 liegt.
    Aber diese Neubauten liegen wohl in erster Linie periphär, oder!?

  • Beeindruckende Bilder! Stuttgart hat auch zwei grosse Gründerzeitviertel, diese haben aber keinen vergleichbaren repräsentativen Baubestand und wirken auch etwas verwahrlost.


    Danke für die tollen Aufnahmen und willkommen im Forum!

  • Ein sehr feiner Erstlingsbeitrag, danke.


    Deinen Pessimismus bezüglich der Innenstadt kann ich nicht ganz nachvollziehen. Anders als du bin ich natürlich immer nur Besucher, doch stets hatte ich den Eindruck einer überwiegend positiven Entwicklung. Von einer Tendenz zur Gesichtslosigkeit würde ich nicht sprechen. Um die drei von dir genannten Bauten, die in den DDR-Zeiten zerstört wurden, ist natürlich überaus schade.

  • joa auf jeden fall schöne bilder aus leipzig. viel kenn ich ja, komm ja selber aus leipzig. leider gelingt es mir nie, die skyline so schön einzufangen, auch wenn das wetter nich das beste war. haste noch paar bilder aus dem zentrum? oder paar bilder bei nacht? auf jeden fall sinds ein paar tolle fotos, die einen teil von leipzig sehr schön repräsentieren

  • Sehr schöne Bilder. Wusste gar nicht, dass Leipzig so schön ist. :daumen:


    Die Skyline gefällt mir allerdings überhaupt nicht. Vor allem mit dem Uni-Riesen (heißt der nicht Weißheitszahn?) kann ich mich nicht anfreunden.


    Aber Leipzigs Qualitäten liegen eh woanders.


    Danke.

  • Ich find Leipzig einfach super, ist wohl eine der lebenswertesten Städte in Deutschlands. Leider wird die Stadt durch die Unfähigkeit des Stadtplanungsamtes mehr und mehr perforiert, ein Gründerzeitbau nach dem anderen verschwindet anstatt saniert zu werden und reißt riesige Lücken ins Stadtbild, die durch Grünflächen ersetzt werden da es in Leipzig mehr Wohnungen gibt als man braucht. Doch Leipzig wird sich m.E. noch richtig entwickeln, momentan siedeln sich dort ja auch wieder viele Industrieunternehmen an.
    Die Häuser werden dort in einem vorbildlichen Stil saniert, keine Staffelgeschosse, rekonstruierte Stuckelemente und originale Innenräume. Nur im Zentrum wird viel entkernt (z.B. Petershof, Karstadt).


    Momentan ist auch noch eine große Debatte um den Abriss der Kleinen Funkenburg, einem klassizistischen Wohnhaus im Gange, das einer "Stadtautobahn" (unnötige 4-spurige Straßenerweioterung) im Wege steht.


    Und auch sonst macht die Stadt gerne das, was die Bürger nicht wollen, z.B. Neubau statt Rekonstruktion des Augusteums und der Paulinerkirche.


    Und das Gewandhaus sollte man dringend wiederaufbauen, es würde Bundesverwaltungsgericht und Uni-Bibliothek perfekt ergänzen. Leider wurde an dessen Stelle erst 2002 ein Neubau gesetzt... und das neue Gewandhaus am Augustusplatz ist ein Schandfleck!

  • Klasse Bilder :)


    Wieviel % dieser 17000 Denkmäler sind renoviert?
    Wem gehören diese (renovierten) Gründerzeitbauten größtenteils, Wessis?


    Hast Du auch Bilder zu Stralsund, Wismar, Potsdam und Görlitz?

  • Vielen Dank für die nette Begrüßung.


    Ich werde versuchen auf alle Fragen einmal kurz einzugehen.


    Bürobauten - das stimmt, in Leipzig wurde nach der Wende was Büroneubau betrifft nicht gekleckert sondern geklotzt. Schwerpunkte waren die Stadtrandlagen, der Listplatz unweit des Hauptbahnhofes sowie die Prager Straße in der Nähe der Alten Messe. Die tatsächliche Nachfrage spielte keine Rolle, wichtig war vor allem die Möglichkeit zur Steuerabschreibung. Nur hat sich dieser Vorteil mittlerweile umgekehrt. Viele Investoren sind auf ihren Immobilien sitzengeblieben. Die Mitte der 90er Jahre exorbitant hohen Mieten haben sich gevierteilt, der Traum vom schnellen Geld im aufstrebenden "wilden Osten" ist für einige zum Alptraum geworden, so dass viele Immobilien inzwischen von Banken betreut werden.
    Der Leerstand ist mittlerweile leicht zurückgegangen, beträgt aber immer noch ca. 20%. Vor allem die Stadtrandlagen haben es schwer. Die innerstädtischen Objekte sind dagegen relativ gut vermietet.


    Innenstadt - Sicher, alles relativiert sich wenn man nur mal 15 Jahre zurückschaut. Es ist ohne Frage ein großer Erfolg, dass mittlerweile 90% der alten Substanz von Renaissance bis Jugendstil saniert ist, angesichts 40 Jahre Verfall fast ein Wunder. Leider wurde jedoch bei Umnutzung (Zentralmessepalast, Petershof), Modernisierung (Karstadt) und Neubau (Galeria Kaufhof, Petersbogen) wenig bis gar keine Rücksicht auf das typische Milieu, das vor allem die kleinteilige Parzellierung und die Nutzungsvielfalt ausmacht, genommen. Von Denkmalschutz ganz zu schweigen. Das ärgerliche ist, dass in Leipzig die gleichen Fehler gemacht wurden und werden, wie sie in den 60er, 70er und 80er Jahren in den westdeutschen Innenstädten gemacht worden sind. Einer reinen Einkaufscity, so wie sie nun auch in Leipzig entsteht, fehlt meiner Meinung nach einfach jede individuelle, ortstypische Ausstrahlung. Sie ist schlichweg langweilig und unattraktiv.


    Perforation in den Gründerzeitgebieten - Da machen die Stadtplaner in der Tat einen großen Fehler. Das Propagieren und Durchsetzen von verkehrpolitischen ("autogrechte Stadt") und städtebaulichen Leitlinien ("aufgelockerte Stadt") von vorvorgestern schadet der Stadt enorm. In der Innenstadt geschieht das, indem der Denkmalschutz ausgehebelt wird, in den Gründerzeitquartieren in dem wahllos ohne erkennbares Ziel Baudenkmäler zugunsten breitere Straßen oder sonst einem Vorwand (da ist man in Leipzig sehr erfinderisch) abgerissen werden.


    "Schandfleck neues Gewandhaus" - Ich stehe der "DDR-Architektur" in Teilen recht aufgeschlossen gegenüber. Sowohl die Bauten im Stile der sogenannten nationalen Bautradition ("Stalinbauten") in den 50er Jahren als auch einige Bauten der 60er und 70er Jahre empfinde ich als gelungene zeittypische Architektur. Einige Häuser der 60er und 70er Jahre wie z.B. die Hauptpost oder das neue Gewandhaus können durchaus dem internationalen Vergleich stand halten.


    wieviel saniert? - Man spricht in Leipzig immer vom "letzten Fünftel" wenn es um die noch zu sanierenden Baudenkmäler geht.
    Bilder aus anderen Städten habe ich leider nicht.

  • baukasten: Danke :)


    Wie sieht es eigentlich mit gewerblichen Großansiedlungen in und um Leipzig aus?


    Recht bekannt wie oft genannt sind Porsche, BMW und bald DHL.
    Aber was kommt danach und gibt es eigene Leipziger Unternehmen, die wenigstens größerer Mittelstand sind?

  • Großartige Bilder, eine Schande, dass ich mir diese wunderbare Stadt noch nicht angeschaut habe. Die Gründerzeit-Straßenzüge können sich wirklich gut sehen lassen! Ist die Südvorstadt atmosphärisch vergleichbar mit DD-Neustadt?

  • :)



    Häuserkauf - Ex-Rennfahrer gibt Gas


    Projektentwickler GRK-Holding ist in aller Stille zu einem Großen der Immobilienbranche herangewachsen. Laut Gutachterausschuss der Stadt waren 35 Prozent aller denkmalgeschützten Wohnungen, die 2004 in Leipzig saniert wurden, Projekte dieser Gruppe. Ihr Inhaber Steffen Göpel ist vielen noch als Rennfahrer bekannt. Jüngst trat er wieder aufs Gaspedal - und erwarb 30 Gründerzeithäuser, um sie vor dem Ruin zu retten.


    Erst diesen Montag wurde eine schwarz-weiß-orangene GRK-Plane am wichtigsten Haus am Ostplatz hochgezogen. Sieben Jahre lang hatte hier der kommunale Wohnungskonzern LWB vergeblich nach einem Investor gesucht. Niemand wollte den geforderten Preis für die 1903 errichtete "Schwanen-Apotheke" bezahlen. Das prächtige Gebäude mit barocken Fassadenelementen verfiel immer mehr. Jetzt endlich ging der Zuschlag an ein Connewitzer Unternehmen, das sich durch Nobelsanierungen empor gearbeitet hat. "Die GRK kauft regelmäßig bei uns einzelne Objekte", sagt LWB-Sprecher Gregor Hoffmann: "Wir sind froh, dass sie den Ostplatz 2 bald sanieren will."


    (...)


    Weit über 100 000 Quadratmeter Wohnfläche hat Göpels Unternehmensgruppe seit der Gründung 1991 rekonstruiert - das entspricht mehr als 1000 Wohnungen und zwar fast nur in denkmalgeschützten Altbauten. Der Umsatz 2004 lag bei über 30 Millionen Euro. Und die Objekte, die die GRK jüngst erwarb, machen noch mal 65 000 Quadratmeter aus und sollen in den nächsten beiden Jahren abgearbeitet werden.


    (...)


    "Wir sichern uns heute bestimmte Lagen für die Zukunft und haben zum Glück die Finanzkraft, das weitgehend ohne Banken tun zu können. Bald wird in Leipzig ein Mangel an guten Gründerzeitobjekten herrschen", glaubt der 39-jährige Chef [Steffen Göpel].


    © Leipziger Volkszeitung vom 6. April 2005

  • Endlich mal ein Unternehmen, das begriffen hat, dass nicht alle ihr Leben in Plattenbauschachteln oder gesichtslosen Neubauten mit 2,20m Deckenhöhe verbringen wollen. Schade nur, dass es in anderen Städten für sowas meist zu spät ist.

  • Herrliche Bilder. Meine Erfahrung mit dem Leipziger Sommer sagt mir aber, dass der Esprit deutlich mehr Farbe bekommt. Eventuell nochmal mit blühender Natur, die schönsten Häuser ablichten - traumhaft!

  • Zitat von Booni

    Leider wird die Stadt durch die Unfähigkeit des Stadtplanungsamtes mehr und mehr perforiert, ein Gründerzeitbau nach dem anderen verschwindet anstatt saniert zu werden und reißt riesige Lücken ins Stadtbild, die durch Grünflächen ersetzt werden da es in Leipzig mehr Wohnungen gibt als man braucht. (...)


    Momentan ist auch noch eine große Debatte um den Abriss der Kleinen Funkenburg, einem klassizistischen Wohnhaus im Gange, das einer "Stadtautobahn" (unnötige 4-spurige Straßenerweioterung) im Wege steht.


    Zu diesen Punkten ist ein kleiner Artikel in der Art erschienen. Ein paar bemerkenswerte Punkte


    - Bereits 2000 wurde mit dem schönen, gründerzeitlichen Henriette-Goldschmidt-Haus ein Juwel abgerissen


    - Kleine Funkenburg soll der Straße wegen flüssigeren Verkehrs zur WM 2006 weichen, es gibt aber schon eine gute Alternative. Nur Herr Stadtbaurat Engelbert Lütke Daltrup bleibt stur. Seine (Achtung, Ironie!) geniale Argumentation: Immerhin würden von 2500 das Stadtbild prägenden Gründerzeitbauten nur höchstens 50 (!) jährlich (!!) abgetragen...


    Wenigstens ist ein vorläufiger Baustopp des Straßenausbaus erwirkt worden.

  • Die Funkenburg ist allerdings nicht mehr zu retten, Montag oder Dienstagabend wird sie wohl vollendends abgebrochen, diese Woche wurden schon Fenster etc. demontiert, dabei wurden auch wertvolle Malereien entdeckt.