Staatsbibliothek Unter den Linden

  • Die Kuppel war übrigens vor dem Krieg auch nicht sehr ansehnlich und erst recht nicht stadtbildprägend sichtbar wie sich ganz gut auf diesem Foto sehen läßt.

    https://staatsbibliothek-berli…ightbox-group-78588&pid=0

    Dein Argumentationsstrang ist von daher nicht unbedingt nachvollziehbar. Die Kuppel hatte ungefähr das gleiche gestalterische Format und Aussehen wie die des Zentralgefängnisses Moabit.

    Der Lesesaal ist für mein Empfinden ganz außerordentlich gut gelungen. Vielleicht ist das Holz etwas hell geraten im Zusammenspiel mit dem Karminrot aber in ein Paar Jahren wird das sicherlich als stilprägend für diesen Zeitabschnitt angesehen.


    Inzwischen obsoleten Satz entfernt.

  • Die Kuppel war übrigens vor dem Krieg auch nicht sehr ansehnlich und erst recht nicht stadtbildprägend sichtbar wie sich ganz gut auf diesem Foto sehen läßt.

    Deswegen hätte man sich überlegen können, eine moderne Neuinterpretation der Kuppel umzusetzen, die besser als der historische Vorgänger ist. Es muss ja nicht immer eine Reko sein. Die Reichtstagskuppel ist schließlich auch eine gelungene Neuinterpretation. In diesem Fall hat man es doch gar nicht versucht, ernsthaft zu prüfen, ob eine Variante mit Kuppel eine realistische Option sein könnte.


    Und was das Kostenargument angeht: Bei den Kosten dieser Generalsanierung von 470 Mio. Euro dürfte eine Kuppel den kleinsten Teil ausmachen.

  • Als demütig würde ich den modernen Lesesaal auch nicht unbedingt beschreiben, doch ich muss Architektur-Fan dahingehend Recht geben, dass der Saal im Vergleich zu den monumentalen, festlichen Räumen davor ein starkes Gefälle in der Raumdramatik erzeugt. Die Erwartungen, die nunmal beim Durchschreiten der vorderen Räume aufgebaut werden - gut vergleichbar mit einem Musikstück, das sich zu einem dramatischen Höhepunkt steigert - werden vom modernen Saal gebrochen. Für meinen Geschmack verbleibt ein Gefühl der Enttäuschung, auch wenn der Lesesaal für sich genommen seine Qualitäten hat - andere hingegen werden den Bruch möglicherweise begrüßen.


    Zur Präsenz im Stadtbild: Wenigstens kann man sich über die rekonstruierte Dachhaube (korrigiert mich gerne terminologisch) auf dem Mittelrisalit freuen, die das Gebäude vom Boulevard aus gesehen deutlich hervorhebt.

  • ^... die Gefahr, dass wenn Du ein großes, prächtig aussehendes Gebäude betrittst, und Du enttäuschst bist, dass der Stil der Außen Dir Verheißung verspricht nicht stringend im Innern durchgehalten wird, ist in Berlin eben größer als anderswo. Wenn man sich nur ein wenig mit der Historie vertraut macht, erkennt man, dass dies bei fast allen großen Repräsentationsbauten in Berlin der Fall ist. Mein größter Schock diesbezüglich war die Alte Bibliothek der Humboldt-Uni am Bebelplatz, auch unter dem Namen Kommode bekannt.

    https://de.wikipedia.org/wiki/Alte_Bibliothek_(Berlin)

  • Zitat Theseus532: "Ich finde es auch schade, dass der Architekt keine bessere Lösung gefunden hat."

    Ich bin mir sicher, dass es kein Versehen war, dass er gar keine andere Lösung gewollt hat und genau diese Lösung -aus mir immer noch unbekannten Gründen- angestrebt hat. Es war absolut geplante Absicht, diese spannende Uhr, diesen "Hingucker" zu verdecken. Man muss sich mal vor Augen führen, dass die Uhr in der Bombennacht stehen geblieben war und auch die 4 Büchertürme in der DDR-Zeit überdauert hat. Es steht auch fest, dass diese Uhr ursprünglich nicht "Orange" war.


    Sie wurde also eingefärbt und hinter den Kulissen versteckt. So etwas ist doch für eine Architektur-Diskussion hoch interessant. Meinungsaustausch gelingt in diesem Forum teilweise ganz gut, wobei es die bekannten "Freunde der Moderne" sind, die bei einer Diskussion unsachlich, arrogant und unfreundlich werden.


    Zitat Theseus532: Um die Farbe geht es dir doch nicht, bei grün gelb oder blau würdest Du genauso rummotzen.

    Mir wird also unterstellt, ich will nur motzen?! Nein, aber ich finde die Farbe sehr leuchtend und unpassend. Dezente Farben -wie bei der Altbausubstanz wären sehr viel angemessener für Orte an denen man sich konzentriere will. Ich nutze die Bibliothek häufig.

    Die alte Kuppel würde auch angeblich den heutigen Ansprüchen nicht mehr entsprechen -dieser Glaskasten wärmt sich im heißen Sommer sehr auf, die Treppe in der Mitte stört, alle Seiten sehen orientierungslos gleich aus -ich finde, der heutige Entwurf ist völlig unlogisch und unpassend.


    Zitat TwistedRoad: "Die Raumwirkung des Lesesaals stelle ich mir grandios vor und die Architektur des Saals stellt die Bücher selbst in den Mittelpunkt, das gefällt mir sehr gut!"

    Hier wurde ungesehen versucht, das neue Konzept zu erklären. Vielen Dank! Das Buch soll im Mittelpunkt stehen und vorher wurde geschrieben, das Glas steht für Transparenz. Abgesehen davon dass Licht für alte Bücher schädlich und völlig unangebracht ist, gehen die Bücher in diesen gleichförmigen Regalen völlig unter, man nimmt sie kaum wahr -den Mittelpunkt verstehe ich wirklich nicht. Alles sieht monoton und gleich aus, wie in einem begehbaren Büchermagazin.

    Für mich stellen alte Bibliotheken und ihr Lesesäle die Bücher in den Mittelpunkt, denn sie sind ein Spiegelbild des Wissens, der Phantasie aus den Büchern, sie machen neugierig und zeugen Respekt -man wird von selbst ganz leise.


    Zitat Baukörper: "Hier geht es nicht um Repräsentieren von Macht, sondern, wie schon erwähnt, Präsentation von Büchern bzw. die Nutzung dieser Bücher und das im 21. Jahrhundert."

    Bücher haben und hatten immer "Macht"! Wir sind hier in der "Alten!" Staatsbibliothek der Hauptstadt eines großen bedeutenden Landes. Hier befindet sich die Original-Partitur der Zauberflöte, viele Handschriften von Bach, die Forschungsergebnisse Humboldts und von 17 Nobelpreisträgern der Humboldt-Uni usw.


    -aber dennoch hat so ein moderner Architekt "die Macht" genau an dieser Stelle eine "organge Kiste" einzubauen und historische Artefakte umzufärben und verschwinden zu lassen.

    Für mich ist dieser Umgang mit diesem Ort schwer nachvollziehbar und ich denke nicht es liegt daran, dass ich "dramatisch infantil radikalisiert" bin.


    Meine Großeltern waren in dem alten Lesesaal: Der Raumeindruck entsprach dem Berliner Dom und wurde von den Berlinern "als Kathedrale der Bücher" bezeichnet.

  • ...

    -aber dennoch hat so ein moderner Architekt "die Macht" genau an dieser Stelle eine "organge Kiste" einzubauen und historische Artefakte umzufärben und verschwinden zu lassen.

    Für mich ist dieser Umgang mit diesem Ort schwer nachvollziehbar und ich denke nicht es liegt daran, dass ich "dramatisch infantil radikalisiert" bin.

    Was ist ein moderner Architekt? Und welche Macht soll er haben?


    Ein Architekt (und sein Team) kann einen (modernen?) Entwurf machen und wenn der aber dem Auftraggeber nicht gefällt, hat er Pech gehabt.


    Bei einem solch großen öffentlichen Projekt gibt es einen Wettbewerb, meist mehrstufig, ein Auswahlverfahren, ein Preisrichtergremium. Nur wenn der Architekt eine Mehrheit dieser Protagonisten mit seinem Entwurf überzeugen kann, darf er ihn auch für den Bauherren umsetzen. Letztendlich hat der Bauherr die "Macht" und nicht der Architekt.


    P.S.: Ich finde das Ergebnis schlüssig und eine gute Mischung von alt und neu. Ein gelungenes Projekt.

  • P.S.: Ich finde das Ergebnis schlüssig und eine gute Mischung von alt und neu.

    Zwischen dem Lesesaal und dem Rest des Gebäudes gibt es einen Bruch in der Formensprache. Und ein Bruch ist niemals schlüssig. Schlüssig ist es vielmehr, die Formensprache konsequent durchzuführen.


    Fairerweise muss ich hinzufügen, dass man den Bruch nicht extra erzeugt hat. Der Lesessal wurde ja nicht absichtlich abgetragen, sondern im Krieg zerstört. Und das war auch die Ausgangssituation für die Sanierung. Dennoch verstehe ich nicht, warum so viele Menschen die abrupten Brüche einer harmonischen Kontinuität vorziehen. Für ein Gebäude von solch monumentaler Größe hat dieser Lesesaal einfach zu wenig Ambition. Da reicht es nicht, dass dieser Lesesaal groß, hell und hochwertig ist.

  • Ein Bruch ist niemals schlüssig.

    Das ist gerade für Berlin eine recht dogmatische Festlegung, die unweigerlich zu Enttäuschungen führen wird. Es gibt hier von Museumsinsel über Regierungsviertel bis Potsdamer Platz praktisch fast kein Ensemble ohne erhebliche Brüche. Und in Anbetracht der Geschichte ist das mE auch durchaus schlüssig wie auch reizvoll.


    Das gilt aus meiner Sicht übrigens auch für den Lesesaal. Er folgt tatsächlich einem anderen Stil aber ich habe hier nicht den Eindruck, dass jemand das geschichtsträchtige Bauwerk als Machtdemonstration "vergewaltigen" wollte. Ganz im Gegenteil habe ich vielmehr den Eindruck, dass hier jemand Bücher sowie Texte liebt und gekonnt inszeniert. Ich finde, man hat hier ähnlich wie beim Hauptbahnhof oder dem Plenarsaal des Deutschen Bundestags eine Art moderne "Kathedrale" geschaffen, die neben den funktionellen Aspekten durchaus ein entsprechend erhabenes Gefühl erzeugt. Und das generiert sich hier nicht wie bei tatsächlichen alten Kathedralen aus einem düsteren Einschüchterungsgebaren (hier wurde als Schlagwort auch "Ehrfurcht" genannt), sondern es verbindet sich hier vielmehr mit einem Gefühl der Leichtigkeit und Erleuchtung.


    Ich persönlich weiß jedenfalls, in welcher Atmosphäre ich besser lerne und lieber für eine wichtige wissenschaftliche Publikation arbeiten würde. Da ich ein klein wenig von Lernpsychologie verstehe, unterstelle ich zudem, dass es den allermeisten Menschen ähnlich gehen wird. Ich habe ja auch selbst mehrere Jahre u.a. viel in der Philologischen Bibliothek der FU Berlin studiert und die Licht- und Raumwirkung dort ist mE grundsätzlich recht ähnlich, wenngleich etwas weniger pompös (vgl. hier). Diese Bib war bei praktisch allen Studenten sehr beliebt.

  • Das ist gerade für Berlin eine recht dogmatische Festlegung, Und in Anbetracht der Geschichte ist das mE auch durchaus schlüssig wie auch reizvoll.

    ... In Berlin gibt es nur Brüche, deswegen wäre es viel "reizvoller" auch mal ein altes Gebäude in seinem "Originalkonzept" erleben zu dürfen. Es klingt fast so, als wenn das nach dem 3. Reich die logisch verdienten Resultate der Geschichte sein müssen (ich empfinde es als Strafe). Erstaunlich, dass z.B. die Feldherrenhalle in München original erhalten bleiben darf, obwohl die "braune Bewegung" von dort kam. Hier wird mit zweierlei Maß gemessen.


    Das gilt aus meiner Sicht übrigens auch für den Lesesaal. Er folgt tatsächlich einem anderen Stil.


    ...da frage ich mich immer, was für ein Stil das sein soll? Ich kann überhaupt keine stilistischen Elemente erkennen. Eintönige, schmucklose (Ikea-Billy?) Regale, Geländer an den Galerien wie man sich an Fußgängerbrücken der Autobahnüberführungen in Vororten kennt?! Einfältig angeordnete Milchglasscheiben -ohne jede Abwechslung sind doch kein "anderer Stil", sondern durchschnittliche Gestaltungen, die man an Orten -ohne Bedeutung- antrifft.


    aber ich habe hier nicht den Eindruck, dass jemand das geschichtsträchtige Bauwerk als Machtdemonstration "vergewaltigen" wollte.

    ...wenn ein Architekt in ein so prachtvolles Gebäude, welches der Repräsentation des Wissens und der Geschichte dient, einen derartig extrem eintönigen minimalistischen Lesesaal hineinbaut, dann ist das für mich eine klare (Macht-) Demonstration seiner Auffassung von Gestaltung und dann wird nicht im geringsten Rücksicht genommen auf die Ideen des ursprünglichen Architekten oder auf die Menschen, die sich an klassischer Architektur erfreuen.



    Ganz im Gegenteil habe ich vielmehr den Eindruck, dass hier jemand Bücher sowie Texte liebt und gekonnt inszeniert.

    ...man kann als Architekt der Moderne wirklich etwas spannendes inszenieren. Das kann ich leider hier nicht entdecken. Es wäre nett, wenn Sie mir erläutern, was genau aus Ihrer Sicht hier das "Können" des Architekten ausmacht. Das soll Liebe sein? Aus meiner Sicht, muss der Arichtekt Bücher hassen.


    Ich finde, man hat hier ähnlich wie beim Hauptbahnhof oder dem Plenarsaal des Deutschen Bundestags eine Art moderne "Kathedrale" geschaffen, die neben den funktionellen Aspekten durchaus ein entsprechend erhabenes Gefühl erzeugt.

    ...die Frage wäre aber: Wollten und brauchten wir denn überhaupt noch eine moderne Kathedrale, und falls ja, warum genau an diesem Ort?! Der Hauptbahnhof mit seinen Rolltreppen, Sichtachsen, den vielen in sich verschobenen Ebenen und den gewölbten Dächern, kann man wirklich noch als "interessante Architektur" bezeichnen. Wenn man sich im Reichstag die Gestaltung der hängenden Zuschauertribünen und die spannende Entlüftung über die Kuppen ansieht, auch. Aber bei diesem Lesesaal, kann ich wirklich nichts finden -außer, dass man orientierungslos zurück bleibt, weil alles so gleichförmig aussieht. Oder soll der aggressiv orange Teppich, hier das Geheimnis sein? Mich strengt er nur an.


    Sie sprechen auch die "funktionalen Aspekte" an.

    ..Da möchte ich Sie ganz persönlich fragen: Hätte es Sie gestört, wenn Sie auch im neuen Lesesaal die alte Uhr gesehen hätten, die sogar alle Bombennächte überlebt hat? Mich hätte sie zum Nachdenken angeregt und sie hätte mir wenigstens einen Orientierungspunkt geboten. Finden Sie es sinnvoll, wenn man in die Mitte eines Lesesaal eine Treppe einbaut, wo ständig Leute Unruhe in den Raum bringen? Finden Sie es gut in Zeiten der Globalen Erwärmung einen großen Glaskasten zu bauen, den man dann mit teuren Klimaanlagen kühlen muss? Aus meiner Sicht sind die Veränderungen im neuen Lesesaal nicht so gut überlegt worden.


    Und das generiert sich hier nicht wie bei tatsächlichen alten Kathedralen aus einem düsteren Einschüchterungsgebaren (hier wurde als Schlagwort auch "Ehrfurcht" genannt), sondern es verbindet sich hier vielmehr mit einem Gefühl der Leichtigkeit und Erleuchtung.

    ...die Bilder des alten Lesesaals sehen düster aus, weil es nur Schwarz-Weiß-Fotographien gab und es hängt mit den Belichtungszeiten zusammen. Meine Familie stammt aus Berlin. Berichten meiner Großeltern zufolge, war der alte Lesesaal hell und farbenprächtig. Wenn ich Sie richtig verstehe, soll sich im neuen Lesesaal durch die öde, nüchterne, einförmige Gestaltung das schöne "erleuchtete" Gefühl von selbst bilden -ähnlich wie beim meditieren? Vielleicht bin ich -und viele andere Besucher- da nicht so trainiert, wie Sie. Wenn das so wäre und funktionieren würde, müssten wir doch gar keine Architekten mehr bemühen und viele Millionen Euro ausgeben. Ich würde, wenn ich nächstes Mal in ein begehbares Bücherarchiv gehe, einfach diese Technik anwenden. Man könnte auch die Augen schließen und träumen.


    Ich persönlich weiß jedenfalls, in welcher Atmosphäre ich besser lerne und lieber für eine wichtige wissenschaftliche Publikation arbeiten würde.

    ...ich freue mich, dass für Sie hier eine angenehme Lösung gefunden wurde. Da hätten Sie aber auch in den Lesesaal der neuen Stabi in der Potsdamer Straße gehen können. Ich persönlich finde nun gar keinen Ort mehr, wo ich inspiriert werde und gut arbeiten kann. Das Jacob-und Wilhelm-Grimm-Zentrum von der Humboldt-Uni wirkt auf mich auch überhaupt nicht "märchenhaft" und kommt daher auch nicht in Frage.


    Da ich ein klein wenig von Lernpsychologie verstehe, unterstelle ich zudem, dass es den allermeisten Menschen ähnlich gehen wird.

    ...da kann ich Ihnen nicht zustimmen und ich habe Lernpsychologie studiert. Warten Sie, bis man einem Besucher ein Foto vom alten Lesesaal zeigt. Die Mehrheit der Menschen verbindet mit "alten Büchern" aufregende Architektur, deswegen findet Hogwarts bei Harry Potter so viel Zuspruch -so etwas regt die Phantasie an, und das hat schon Ernst von Ihne vor langer Zeit gewusst.

    Wie Sie vielleicht wissen zählt nach der Besichtigung des Capitol-Gebäudes in Washington-DC ein Blick in die die Library of Congress zu den Highlights der Besucher, weil die Menschen mehrheitlich solche Gebäude lieben. Ebenso wird der Berliner Dom sehr geschätzt.


    Auch wenn Sie recht haben würden und die Mehrheit der Bevölkerung Raster-Glaskisten mögen sollte: Warum muss man mit der "modernen" Architektur wirklich jedes alte Gebäude "überformen"? Das ergibt doch gar keinen Sinn, oder ist die Moderne derartig "überlegen" und es muss deshalb jedes andere Gebäude nachträglich nach typisch deutscher Art "korrigiert" werden?

  • Es klingt fast so, als wenn das nach dem 3. Reich die logisch verdienten Resultate der Geschichte sein müssen (ich empfinde es als Strafe).

    Erstaunlich, dass z.B. die Feldherrenhalle in München original erhalten bleiben darf, obwohl die "braune Bewegung" von dort kam. Hier wird mit zweierlei Maß gemessen.

    Das ist doch eine Legende – als gäbe es in Berlin kein Gebäude aus dem 19. jahrhundert, das im Original erhalten oder entsprechend wieder aufgebaut wurde. Oder als hätte man an der Bibliothek eine völlig intakte Kuppel als eine Art Reparation abgerissen. Stimmt beides nicht.


    Und was die Feldherrenhalle in München damit zu tun haben soll, weiß ich auch nicht. Ein passenderer Vergleich wäre vielleicht die bayerische Staatskanzlei – dieses Gebäude (ehemaliges Armeemuseum) wurde auch teils restauriert, während die kriegszerstörten Teile modern ergänzt wurden.

  • Das ist doch eine Legende – als gäbe es in Berlin kein Gebäude aus dem 19. jahrhundert, das im Original erhalten oder entsprechend wieder aufgebaut wurde.

    Du sprichst von ganz Berlin. Dabei spielt es eine entscheidene Rolle, ob sich die im Original erhaltenen oder entsprechend aufgebauten Gbäude an zentralen Orten Berlins befinden (wie z.B. Berlin-Mitte, Breitscheidplatz, Alexanderplatz) oder irgendwo in den Außenbezirken.


    Du kannst ja gerne die Rathäuser in Reinickendorf oder Köpenick aufzählen. Genauso, wie es in den Bezirken viele schöne Schulgebäude aus dem 19. Jahrhundert gibt, die den 2. Weltkrieg unbeschadet überstanden haben. Das bringt mir aber alles nichts, weil meine Auffassung von Stadtplanung davon ausgeht, dass es die im Original erhaltenen oder entsprechend wieder aufgebauten Gebäude an zentralen Orten einer Stadt geben sollte.


    Deine obige Aussage macht (für mich) nur Sinn, wenn du die Betrachtung auf Berlin-Mitte eingrenzt. Und deswegen möchte ich dich bitten, mir ein solch genanntes Gebäude aus dem 19. Jahrhundert zu nennen, dass sich in Berlin-Mitte befindet? Wohlgemerkt: Gebäude, bei denen nur die äußere Hülle "alt" ist (wie man es beim Humboldt-Forum gemacht hat) gelten in dieser Betrachtung natürlich nicht.

  • Die sanierte Staatsbibliothek ist herrlich geworden. Wahrhaft ein würdiger Tempel gesammelten Wissens.
    Allerdings bezieht sich das, meiner Meinung nach zumindest, vor allem auf die erhaltene und sanierte oder wiederhergestellte historische Architektur.
    Die neue/alte Kuppel über der Hauptfront imponiert und zieht von weitem an. Der Brunnenhof ist würdevoll und beschaulich, die Treppenhalle ist grandios und pathetisch. Schöne, historische Details überall im Bau, wie Wandbrunnen, Bänke, Uhren, Statuen, Reliefs, Stuck etc., sie lassen einen immer wieder innehalten und staunen.
    Ähnliches schafft, meiner Meinung nach, keine der modernen Ergänzungen. Das wirkt alles unterkühlt, minimalistisch und lediglich zweckdienlich. Es wirkt außerdem bereits leicht angestaubt und aus der Mode gekommen. Vielleicht wegen der klaren 70er Jahre Design-Reminiszenzen.
    Der moderne Hauptlesesaal ist, ganz anders als ursprünglich gedacht, nicht mehr der Höhepunkt des Hauses, sondern fällt nach dem grandiosen, historischen Treppenhaus deutlich ab.

  • Architektur-Fan Wäre es nicht viel plausibler und berechtigter anders herum zu fragen: Welche historische Substanz aus dem 19. Jahrhundert wurde denn seit der Wende gezielt zerstört? Welche wurde umgekehrt bewusst ertüchtigt, saniert oder aber sogar rekonstruiert? Zur ersten Kategorie fällt mir spontan überhaupt nichts ein. Zur zweiten Kategorie gehören für mich eindeutig auch Humboldtforum und Stabi aber auch bspw. der stetig auszubessernde Dom. Und wo wir weiter oben schon von der Zauberflöte gelesen haben: Der moderne U-Bahnhof Museumsinsel wurde bewusst an ein historisches Bühnenbild von Schinkel angelehnt. Auch so etwas gibt es also und es ist für mich ein schöner Rückbezug, ohne dass man das Original 1 zu 1 rekonstruiert hat. Aber warum muss man erst 100% rekonstruieren, damit es bei Dir für irgendwas zählt (alles oder nichts, weiß oder schwarz)? Warum sollte man keine Kompromisse machen, um auch halbwegs vertretbare Kosten sowie eine zeitgemäße Nutzung oder auch im Spannungsverhältnis aus alt und neu eine spannende neue Sinnstiftung zu ermöglichen?


    Auch bei der Stabi U.d.L. wurde wohl gemerkt sehr viel mehr Geld und Energie FÜR die alte Substanz eingesetzt als "dagegen" (wobei schlichte moderne Elemente/Ergänzungen mE auch keine Ablehnung der teuer parallel ertüchtigten historischen Strukturen bedeuten, das wäre ja auch schizophren). Hier wird jetzt trotzdem geradezu so getan, als wenn die Nicht-Rekonstruktion des alten Lesesaals schon eine Art gezielte Machtdemonstration/ Hinrichtung etc. darstellt. Dabei hätte diese eine astronomische Summe Geld gekostet, ohne dass es für die Nutzer einen entsprechend höheren Gegenwert gebracht hätte.

    Aber nochmal zur Präzisierung: Wenn der Lesesaal originalgetreu erhalten geblieben wäre, hätte ich ihn sicher nicht abgerissen und ersetzt. Aber identisch neu erschaffen würde ich ihn nicht wollen. Das hat auch nichts allein mit der Farblosigkeit und Lichtwirkung alter Bilder zu tun. Die ganze Komposition erinnert mich an den Dom und andere große alte Kirchen, die ich von innen auch erschlagend finde. Zum Besichtigen ist es sicher Mal ganz interessant: "Wow, so hat man solche Bauten früher gestaltet." Zum Lernen (Stabi) oder aber zur Erbauung (Dom) wäre es aber absolut nicht meins.


    dermont

    Das sind eine Menge Punkte. Ich möchte mich ungerne zu jedem einzelnen davon erneut auslassen und ggf. wiederholen. Es ist völlig ok, wenn Du eine andere Meinung dazu hast.


    Zum neuen Lesesaal jedoch: Orange ist doch eine kraftvolle, lebendige Farbe. Wenn Babies neben dem Herzschlag der Mutter auch irgendwelche visuellen Reize wahrnehmen und positiv assoziieren sollten, dann sehr wahrscheinlich in orange-rot. Laut einer großen deutschen Krankenkasse führt die Farbe orange jedenfalls "nachweislich zu einer Ausschüttung des Belohnungshormons Dopamin", womit sie "Motivation und Lebensfreude" steigere. Auch die Wirkung von natürlichem Licht auf Körper und Psyche ist allgemein bekannt und anerkannt (selbst Zoos investieren inzwischen enorme Summen, damit die Wildtiere im Inneren der Häuser für Wohlbefinden und Gesundheit möglichst viele Anteile des natürlichen Lichtspektrums erhalten - warum sollte das für bildungswillige Menschen also nicht gelten?).


    Übrigens wird die Stabi und werden konkret die Lesesäle in den Google-Rezensionen sehr positiv bewertet (insgesamt starke 4,5 von 5 Sternen). Lediglich die leider wohl seit längerem defekte Klima-Technik wird im Sommer sehr negativ erlebt (ein einziger Nutzer bemängelte zudem noch, dass die Treppe knarzt.), sonst wäre die Gesamtwertung sogar noch positiver. Davon, dass es hier brutale Brüche geben soll und der große Lesesaal eine Enttäuschung darstelle, habe ich beim Überfliegen nirgendwo gelesen. Und ich glaube kaum, dass die Stabi positive Rezensionen einkauft oder aber negative massenhaft löschen lässt.


    Meine These: Das Meinungsbild hier im DAF ist deshalb ein deutlich anderes, weil viele hier die historische Architektur kennen und ganz besonders schätzen (völlig ok) - und deshalb den modernen Saal primär im entsprechend voreingenommenen Vergleich betrachten (mE schon etwas schade). Die Andeutungen, dass der Architekt angeblich die alte Substanz oder aber Bücher hassen muss, finde ich absolut absurd und das deckt sich eben auch nicht mit den beschriebenen Eindrücken der Nutzer.


    Zu den Brüchen: Wir erleben sie wie gesagt einfach deutlich anders. Ich würde sie jetzt auch nicht künstlich schaffen wollen, dann wären sie ja auch nicht authentisch. Aber sie bereiten mir auch keine pauschalen Phantomschmerzen. Ich bewerte es eher von Fall zu Fall, sodass eine Reko oder Teilreko durchaus einen Gewinn darstellen und ein Ensemble aufwerten kann, manchmal aber auch bei sorgfältiger Abwägung verzichtbar erscheint oder aber eine Synthese aus alt und neu mich deutlich mehr überzeugt und begeistert. Von daher kann ich mit dieser mE immer leicht pathetischen "Selbstrichtungs-" oder auch "Harikiri-Rhetorik" - oder wie immer man das sonst nennen will - auch nicht sonderlich viel anfangen. Für mich ist der Reichstagsbau gerade durch die moderne Kuppel ein viel spannenderes Wahrzeichen des modernen Berlins und Deutschlands als er es im Original wäre. Und ich freue mich, im altehrwürdigen Stabi-Bau so einen schönen lichtdurchfluteten Lesesaal vorzufinden (auch wenn man es in Sachen Energieeffizienz heute womöglich anders geplant hätte).

  • ...nicht im geringsten Rücksicht genommen auf die Ideen des ursprünglichen Architekten oder auf die Menschen, die sich an klassischer Architektur erfreuen.

    Der wilhelminische Architekturstil war ein historistischer, eklektischer Mischmasch, hier NEO Barock, dort NEO Renaissance und sollte gerade bei Bauwerken wie dem Berliner Dom, der Kaiser Wilhelm Gedächtniskirche und auch der Staatsbibliothek unter anderem das Deutsche Reich und damit den Deutschen Kaiser preisen.

    Austauschbar war dieser Stil im Grunde auch: Wer den Berliner Dom nicht kennt, könnte auch die Bilder des zentralen Lesesaals dafür halten, die Stilelemente ähneln sich schon sehr.

    Leichtigkeit und Heiterkeit waren diesem Architekturstil fremd. Zudem häufig ins pompöse gesteigert. Bei der Staatsbibliothek

    hielt Herr von Ihne sich da noch wohltuend zurück.


    Geschmäcker sind halt verschieden. Ich habe als Messdiener Teile meiner Kindheit im Dom zu Neviges verbracht, ich liebe den Ort noch heute. Den Berliner Dom finde ich furchtbar und halte es für ein Unding, den "Schinkel"Dom (klassische, klassizistische Architektur!) für dieses Ungetüm geopfert zu haben.


    Sie behaupten, die Liebhaber der modernen Architektur hier im Forum wären arrogant und würden sofort beleidigend und unsachlich werden. Ich finde, Ihre Einstellung zeigt ebenso eine Arroganz denjenigen gegenüber, die eben einem modernen Baustil etwas abgewinnen können und mit einem modernen Zentrum in einem historischen

    Bauwerk leben können.


    Hier im Forum geht es bei Brüchen zwangsläufig meist um Stilbrüche, aber die viel größeren Brüche sind doch die:

    Während in der "Kathedrale der Bücher" studiert wurde, wurden keine 50 Meter entfernt Bücher öffentlich verbrannt.

    Insofern kann ein zerbombter Lesesaal eine gerechte Strafe sein, ja.

  • Austauschbar war dieser Stil im Grunde auch: Wer den Berliner Dom nicht kennt, könnte auch die Bilder des zentralen Lesesaals dafür halten, die Stilelemente ähneln sich schon sehr.

    Den Vergleich kann man sicher auch auf den neuen Lesensaal und ne moderne Kirche anwenden. Die Philologische Bibliothek der FU zeigt, dass es ja auch anders geht. Lesesäle und Kirchen sind eben Orte, wo viele Leute hinkommen, um sitzend dasselbe tun. Da bietet sich so ein offener zentraler Raum eben an. Überichtlichlich, kurze Wege usw.


    Gebäude, die zur selben Zeit entstanden, ähneln sich eben. Das nennt sich Stil oder Zeitgeschmack. Das gilt für die echte Renaissance und Barock, für Fachwerk und Bauhaus. Natürlich auch für heutige Architektur. Das kann man also keinem Gebäude zum Vorwurf machen.


    Im Gegensatz zum Dom oder dem Bodemuseum, ist hier in den letzten Jahren nichts in irgendeiner Weise markantes "zeitgenössisches" entstanden. Nichts, was hier entsteht oder entstehen soll, hat einen Wiedererkennungs- und in wenigen fällen einen ästhetischen Wert.

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  • Der wilhelminische Architekturstil war ein historistischer, eklektischer Mischmasch, .... Austauschbar war dieser Stil im Grunde auch:

    Der wilhelminische Architekturstil gibt dieser Stadt ihr Gesicht. So wie der Arc de Triomphe typisch für Paris ist, ist der Berliner Dom (und eben auch die Staatsbibiothek UdL) typisch für Berlin! Die Gebäude des wilhelminischen Architekturstils geben der Stadt Berlin ja erst ihr typisches Aussehen. Von einer Austauschbarkeit des wilhelminischen Architekturstils zu sprechen, ist absurd!

  • Du vergleichst hier zweierlei völlig unterschiedliche Dinge.


    Es handelt sich bei der Staatsbibliothek nicht um eine Universitätsbibliothek. Das ist ein völlig anderes Paar Schuhe. Und mit Hauptstadt hat das weniger zu tun als mit ihrer Funktion als Nationale Bibliothek. Theoretisch könnte die aber auch wo anders stehen.


    In Münster, Heidelberg oder wo auch immer gibt es Universitätsbibliotheken und in Berlin mit dem Grimm Zentrum jetzt auch, das kannst du meinetwegen vergleichen, auch wenn das wie jeder Vergleich relativ ist und es dabei viele Aspekte zu berücksichtigen gilt.


    Deine ganze Argumentation zeigt mehr und mehr, dass dir die Funktion eines Lesesaals und deren bestmögliche Gestaltung völlig egal ist, Hauptsache er sieht bombastisch aus und zwar genau so wie er mal war. Das kommt mir ehrlich gesagt schon etwas borniert und irrational vor.


    Ebenso ist in diesem Zusammenhang dieser permanente Hinweis auf Demutsarchitektur schon sehr fragwürdig.

    Dieser Begriff wird eigentlich nur von völlig frustrierten Nationalisten verwendet, denen es nicht um Architektur oder Geschichtsbewusstsein geht, sondern in erster Linie um nationale Repräsentation von irgendeiner gefühlten Größe.

    Fühlst Du Dich etwa besser, wenn da jetzt eine Wilhelminische nachgebaute Kuppel steht oder bringt das den Nutzern irgendetwas bei diffusen Licht sich die Augen zu ruinieren oder wird Deutschland dann in den UN Sicherheitsrat gewählt weil wir der Welt zeigen wie wenig demütig wir sind?

    Das hat doch alles mit Architektur nichts mehr zu tun.


    Deine ganze Argumentation läuft - wie bei vielen die so insistent der Vergangenheit nachtrauern - darauf hinaus, dass sie nicht begreifen wollen, dass Architektur immer durch ihre Zeit in der sie entsteht bestimmt wird und der Gesellschaftsordnung, die dann herrscht.


    In einer demokratischen Gesellschaftsordung und nach einem nationalen Trauma gibt es weder Akzeptanz noch Notwendigkeit eine zerstörte wilhelminische Kuppel wiederaufzubauen. Wofür?


    Und das hat absolut nichts mit mangelnden Respekt von vergangener Architektur zu tun. Denn Denkmalsplege wird in Deutschland, gerade weil es so viel verloren hat, sehr ernst genommen. Alles was gerettet werden konnte, wurde sorgfältig wiederhergestellt, davon gibt es jede Menge. Aber alles was weg ist, ist weg und kommt nicht wieder. Ganz einfach.

    Dass in den ersten zwei Jahrzehnten nach dem Krieg noch vieles wiederaufgebaut wurde, ob in Frankfurt oder München und anderswo ist nachvollziehbar, weil viele Identifikation gebraucht haben nach diesem Desaster und das konnte eine Münchener Residenz oder Altstadt vielen geben. Aber 80 Jahre nach dem Krieg gibt es niemanden mehr der irgendetwas vermissen kann, was er selber nie erlebt hat, Das sind maximal Phantomschmerzen.


    Und ich finde dieses Leitmotiv - einige Ausnahmen bestätigen die Regel - wunderbar, weil er einerseits bauliche Zeugnisse unserer Geschichte ehrt und bewahrt, selbst solche die wir heute so nicht mehr bauen würden - ob Hermannsdenkmal oder manche Nazibauten und anderes, aber andererseits eben zulässt Neues zu bauen, das unseren heutigen Vorstellungen entspricht zu bauen. Und dass dabei Brüche entstehen, das liegt an unserer Geschichte und haben wir uns selber zuzuschreiben.

  • Und Befürworter eines Kuppelaufbaus bleiben bei der Entscheidungsfindung besser außen vor, damit keine "falschen" Entscheidungen getroffen werden.

    Also ich weiß nicht welchen Frust Sie schieben, aber ich bin kein "Entscheidungsträger" der irgendetwas in dieser Stadt zu sagen hat, ich darf aber doch meine Meinung kundtun und nach meinem Geschmack entscheiden ob mir etwas gefällt oder nicht.

    In Bezug auf die Staatsbibliothek steht eine Entscheidung für oder gegen eine Rekonstruktion des Lesesaals doch überhaupt nicht an, das hätten Sie, mit Verlaub, vor 20 Jahren diskutieren können!


    Btw: In den letzten 20 Jahren ist in Mitte u.a. die Schlosskuppel wieder erstanden, die Parochialkirche hat ihre Turmhaube wieder erhalten und auch die Staatsbibliothek hat ihre Dachhaube zurück. Dass hier die großen Verhinderer historischer Architektur am Werke sind, kann ich nicht erkennen!


    Dermont behauptet, dass speziell die "Liebhaber moderner Architektur" hier im Forum arrogant, unsachlich und beleidigend werden, dabei ist es wohl eher so, daß einem unterstellt wird, man würde jederzeit die Anna Amalia Bibliothek sprengen lassen um dort einen schönen Betonkasten hinzustellen.


    Daher handhabe ich es wie Architektenkind: Ich bin da raus aus der Diskussion...

  • Du vergleichst hier zweierlei völlig unterschiedliche Dinge. Es handelt sich bei der Staatsbibliothek nicht um eine Universitätsbibliothek. Das ist ein völlig anderes Paar Schuhe.

    …und genau deshalb, weil es eine Staatsbibliothek und keine kleine Uni-Bibliothek ist, könnte man beim Bau des Lesesaals andere Maßstäbe ansetzen, denn hier kommen Menschen aus allen Teilen des Landes und aller Welt, die sich mal spannende „Schätze“ anschauen wollen.

    Ihre Aussage war richtig, Ihre Schussfolgerung daraus erschließt sich mir nicht.


    Deine ganze Argumentation zeigt mehr und mehr, dass dir die Funktion eines Lesesaals und deren bestmögliche Gestaltung völlig egal ist, Hauptsache er sieht bombastisch aus und zwar genau so wie er mal war. Das kommt mir ehrlich gesagt schon etwas borniert und irrational vor.

    …Sie scheinen die Beiträge der Kritiker des neuen Lesesaals aber auch nicht so genau zu lesen. Es ist genau die Funktion des neuen Lesesaals, die nicht gegeben ist. Bei der Berliner Philharmonie lohnt sich die neue Form im Zusammenhang mit ihrer Funktion. Moderne Architektur kann natürlich auch gelungen und spannend und gut sein.

    Die Lesesaal-Glaskiste heizt sich jedoch gewaltig auf -jetzt sagen Sie bitte nicht, dass von der globalen Erwärmung bei der Planung noch nichts bekannt war. Die Treppe (sie knarrt sogar) in der Mitte eines Lesesaals ist völlig störend und unpassend. Alle Seiten sehen völlig gleich aus, man hat keine Orientierung in diesem Raum, der Teppich hat eine aggressive unpassende Farbe. Die Änderung des Grundrisses (von rund -wie immer- auf eckig) hat dazu geführt, dass die erhaltenen Teile des Saals zugebaut wurden und nicht mehr sichtbar sind. Die große, alte historische Uhr wurde zugebaut.

    Deswegen muss ich Ihre Aussage umdrehen: Die Funktion für den neuen Lesesaal war offenbar völlig egal, Hauptsache es ist ein moderner-Raster-Glaskasten ohne jede Dekoration.


    Ebenso ist in diesem Zusammenhang dieser permanente Hinweis auf Demutsarchitektur schon sehr fragwürdig.

    …Den Begriff „Demutsarchitektur“ habe ich nie benutzt und ich bin auch kein Nationalist. Ich hätte es trotzdem für mich und die Besucher unseres Landes und unserer Staatsbibliothek nicht verkehrt gefunden, wenn es bei der Auswahl der Geländer der Galerien einen gewissen Unterschied zu Autobahnüberführungen gegeben hätte und wenn die Regale das „Billy-Ikea-Niveau“ etwas übertroffen hätten.


    Fühlst Du Dich etwa besser, wenn da jetzt eine Wilhelminische nachgebaute Kuppel steht oder bringt das den Nutzern irgendetwas bei diffusen Licht sich die Augen zu ruinieren …

    …Fühlen Sie sich jetzt besser, dass sie nun auch hier wieder in einem Glaskasten sitzen, der sich (auch an sonnigen Wintertagen!) aufheizt und den man mit zahlreichen Sonnenblenden zuhängen muss, so dass ein diffuses Licht entsteht. Die Klimaanlage schafft es leider nicht und diese künstliche Luft schadet den Augen.Die Aufnahmen des alten Lesesaals sehen dunkel aus, weil es Schwaz-Weiß-Bilder sind und dies lag damals an den Belichtungszeiten. Meine Großeltern erzählten mir, dass es dort angenehm hell und kühl war.


    Das hat doch alles mit Architektur nichts mehr zu tun.

    …ich finde, dass dieses einfältige begehbare Büchermagazin -der neue Lesesaal- überhaupt nichts mehr mit Architektur zu tun hat. Diese vier Linien kann ein Statiker oder Ingenieur von einem Computerprogramm erstellen lassen.


    Deine ganze Argumentation läuft - wie bei vielen die so insistent der Vergangenheit nachtrauern - darauf hinaus, dass sie nicht begreifen wollen, dass Architektur immer durch ihre Zeit in der sie entsteht bestimmt wird und der Gesellschaftsordnung, die dann herrscht.

    …Sie haben Recht, dass sich alles weiterentwickelt. Jede Architekturepoche hat an die vorhergehenden angeknüpft und etwas dazu gedichtet. Selbst die Römer haben Schmuck auf ihre Rundbögen gesetzt und griechische Kapitelle dazu kombiniert. Die Moderne hat jedoch mit allem gebrochen, man erkennt kein Dach, kein Portal oder Sockelgeschoss mehr.

    Bei dem Lesesaal erkennt man nicht wo vorn oder hinten ist -eine Uhr wurde „weil sie nicht sein darf“ zugebaut.

    Die Vertreter der Moderne kopieren "ihre 3 Stilelemente" immer wieder in trostloser, langweiliger Monotonie -das ist armselig und überhaupt nicht zeitgemäß. Jeder Koch verwendet bei einem neuen Rezept trotzdem Pfeffer und Salz -wie können Modernisten nur glauben, dass ein Gebäude ohne jeden Schmuck auskommen kann: Das war ideologischer Irrsinn. Ich denke, Sie erleben gerade, dass die Mehrheit der Menschen keine Lust mehr darauf hat.


    In einer demokratischen Gesellschaftsordung und nach einem nationalen Trauma gibt es weder Akzeptanz noch Notwendigkeit eine zerstörte wilhelminische Kuppel wiederaufzubauen. Wofür?

    …gab es denn die Akzeptanz das Berliner Schloss wieder aufzubauen (Frankfurt, Potsdam?). Ja, es gab so viele Spender und begeisterte Fördervereinsmitglieder, dass sogar die Kuppel ermöglicht wurde. Sie liegen auch hier völlig falsch. Wofür? Weil der alte Lesesaal wunderschön, hell, farbenfroh und kühl war und weil er funktioniert und den Menschen gefallen hat und wieder gefallen würde. Rekonstruktionen sind übrigens oft deutlich preiswerter und nachhaltiger. Denken Sie nur an die „nicht überschrittenen“ Kosten für die Schlossfassaden im Gegensatz zur Elphi, oder AdK, das „Band des Bundes“ usw.


    Und das hat absolut nichts mit mangelnden Respekt von vergangener Architektur zu tun. Denn Denkmalsplege wird in Deutschland, gerade weil es so viel verloren hat, sehr ernst genommen.

    … das sieht man aber beim Umgang mit der historischen Uhr des alten Lesesaals leider nicht. Wer hat entschieden, dass sie mit der Farbe Orange des Teppichs bestrichen und hinter einem Treppenhaus zugebaut wird?


    Alles was gerettet werden konnte, wurde sorgfältig wiederhergestellt, davon gibt es jede Menge. Aber alles was weg ist, ist weg und kommt nicht wieder. Ganz einfach.

    …man kann auch Dinge -die weg waren- wieder aufbauen, siehe Opernhaus von Venedig, Frauenkirche und Berliner Schloss -das ist auch ganz einfach und von vielen Menschen gewollt und geschätzt.

    3 Mal editiert, zuletzt von dermont ()

  • Camondo und dermont Das Glas heizt sich schon stärker auf, was man auch vorhergesehen (und wahrscheinlich in Abwägung mit der beeindruckenden Lichtwirkung doch toleriert) hat. Auch heizen völlig unabhängig von der gewählten Architektur die vielen Besucher und die zusätzlichen Leuchtelemente den Saal erheblich mit auf, was man ebenfalls alles vorher wusste. Nur funktioniert leider wohl die Klimaanlage noch nicht richtig. Ansonsten will ich aber umgekehrt nicht wissen, wie man den alten Lesesaal im Winter beheizt hätte. Angenehm hell und kühl halte ich eher für eine Legende. Stein leuchtet nun mal nicht hell und spätestens im Winter friert man sich bei so einer Gestaltung Füße und Hintern weg oder man heizt dann ohne Ende. Hier wird die neue Gestaltung dann entsprechende Vorteile zeigen. Was über das Jahr mehr Energie frisst, kann ich nicht beurteilen. Was ich atmosphärisch bevorzuge, hatte ich bereits erläutert (wohlgemerkt ohne dass ich den alten Saal im hypothetischen Falle deshalb abgerissen hätte).


    Der Rest ist an sehr vielen Stellen Geschmack. Hier im Forum teilt sich dieser ziemlich stark, wobei viele (wie auch ich) ja beide Varianten schätzen und daher nur die einseitige Verdammung des modernen Konzeptes übertrieben finden. Bei der Allgemeinheit schlägt das Pendel dagegen sogar sehr viel positiver aus, was man mE auch nicht ignorieren oder weg diskutieren sollte. Das sind keine empfindungslosen Zombies, sondern ganz normale Menschen und dazu genau die Zielgruppe der Bibliotheksnutzer, die den alten Lesesaal weder kennen noch vermissen. Da jetzt mit aller Gewalt irgendwelche künstlichen Defizite und Verlustschmerzen hinein zu projizieren, erinnert mich etwas an Don Quichote, der ja auch so seine Probleme mit den Dämonen der Moderne hatte (auch wenn solche Windmühlen heute wohl bei vielen von uns viel eher nostalgische Gefühle auslösen würden)...


    P.S.: Das mit der "zugebauten" Uhr kann ich noch halbwegs nachvollziehen. Ich finde sie in der Farbe aber eigentlich recht hübsch, so wie ich das Orange auch insgesamt angenehm belebend/aktivierend statt aggressiv wahrnehme - wieder so subjektive Geschichten).