Ich habe den Eindruck, viele überhöhen hier ihre Maßstäbe in nicht legitimer Art und Weise. Sicherlich, jeder kann seine Meinung zu Rekonstruktionen und/oder klassischer Architektur und Formensprache haben und äußern. Wenn aber alle jene, die Ideen oder Visionen in diese Richtung hegen, mit dem Attribut "Blödsinn" versehen werden, dann können wir angesichts dieser Anmaßung keine ehrliche und respektvolle Diskussion führen. Denn keiner von uns hat die Weisheit mit löffeln gefressen und keiner kann sagen, was richtig oder falsch sein kann. Denn richtigerweise gibt es in der Architektur kein "richtig" oder "falsch".
Angesichts dessen rufe ich zu einem Mindestmaß an Toleranz auf, welches ich bei manchem "Modernisten" absolut vermisse. Wenn in der Masse heute modern gebaut wird (einmal unabhängig von der Qualität), ist es dann zuviel verlangt, wenn man an anderer Stelle einem anderen Geschmacksempfinden ebenso Respekt (Anerkennung erwarte ich dagegen nicht) zollt? Wollt ihr all den Bürgern, die ihre Innenstädte in Dresden oder Frankfurt entscheidend mitgestaltet haben diesen Respekt versagen? Das wäre nicht nur ungebührlich, sondern unverschämt.
An anderer Stelle wurde bereits darauf hingewiesen, dass Rekonstruktion und die Verwendung klassischer Stilmittel grundsätzlich zu unterscheiden sind. Richtig - aber man muss auch sehen, dass die Übergänge oftmals fließend sein können. In der gesamten Architekturgeschichte wurde stets kopiert, was man als gelungen und wertig betrachtete. Mal war dies ein Gesims, mal ein ganzes Fenster, mal eine ganze Fassade. In all den Jahrhunderten zuvor wurde dieses Vorgehen anerkannt und natürlich wurde die Formensprache dabei auch weiterentwickelt. Lediglich in der Zeit der Moderne wurde eine Ablehnung dessen zum Diktat und führte zur Abkehr von der klassischen Lehre. Dabei verkennen die Apologeten der Moderne, dass auch sie sich stets selbst kopieren und das noch nicht einmal gut.
Nicht zu verkennen ist die Verve, mit der die moderne Architektur von ihren Erbauern verteidigt wird. Man versucht sich in einer intellektuellen Erklärung und erhebt die eigene Maßstabslosigkeit zum absoluten Maßstab. Dies gelingt ihnen oftmals innerhalb ihrer eigenen Zunft, die sich selbst gebührend zu feiern weiß, aber es gelingt ihr nicht gegenüber jenen, die diese Architektur annehmen und nutzen sollen: dem gemeinen Bürger. Dies wird aber auch schon gar nicht erst versucht, denn weshalb soll man dem unwissenden Laien die Tiefgründigkeiten der eigenen Formensprache beibringen, wenn er sie doch ohnehin nicht versteht. Die Vergangenheit offenbarte die zunehmenden Spannungen zwischen den Dienstleistern und der Gesellschaft, die sich nunmehr in eine Rebellion verwandelt hat. Nicht immer, nicht überall, aber sie ist in zunehmendem Maße erkennbar. Und das ist gut so, denn die Bauwerke, die Städte wurden nicht für ihre Designer entwickelt, sondern für die Menschen. Diese werden sich dessen bewusst und sind mittlerweile bereit sich dieses Recht auch zu nehmen. Der Architekt dagegen muss wieder lernen, in wessen Diensten er eigentlich steht. Denn diese Erkenntnis ist ihm oftmals abhanden gekommen.