Technisches Rathaus und Umfeld - Neugestaltung nach Abriss

  • Der Einwurf eine Rekonstruktion sei nur schwer machbar und kaum wünschenswert wegen der schlechten Belichtung der Häuser und der Enge ist meistens ideologisch-motiviert.


    Ich behaupte, dass das quasi immer der Fall ist - ich für meinen Teil habe jedenfalls noch nie jemanden etwas wie "Ich würde nie in eine mittelalterliche Altstadt ziehen, viel zu eng und stickig!" sagen hören. Und ich kann mir beileibe nicht vorstellen, dass im Gegenzug ein 10-stöckiger Sozialbaublock auf der grünen Wiese für ein Gros der Menschen hierzulande die schönere Alternative ist. Und mag das Wohnen dort noch so viel moderner sein und weiß der Fuchs, solche Gebiete sind zumeist weder citynah, noch charmant, noch irgendwie urban oder lebendig. Wenn all die starrköpfigen Idealisten diese Art von Stadtleben bevorzugen, gern - soll mir Recht sein. Dieses Bedürfnis dann jedoch auf die gesamte Bevölkerung projezieren zu wollen ist in meinen Augen jedoch eine Unverschämtheit.


    Gebäude, die den modernen Ansprüchen voll genügen, gibt es in Frankfurt en masse.


    Ganz genau. Zumal ja nicht gesagt ist, dass eine Fachwerkfassade eine moderne Nutzung verhinderte. Das Ulkige an der ganzen Angelegenheit: Die Leute, die über den Köpfen des Volkes hinweg die Entscheidungen der Stadtentwicklung fällen und mutwillig dutzendweise Investorenkisten sowie Kraut-und-Rüben-Quartiere zulassen, leben oft genug in piekfeinen, prunkvollen Gründerzeitbauten. Kann mir echt nicht vorstellen, dass diese Leute unfreiwillig in Wohnungen/Häusern der von ihnen ach so verhassten klassischen Architektursparte leben :nono:


    Es ist für eine Stadt einfach auch immanent wichtig, zumindest ein paar charmante Ecken und Quartiere der Traditionsbewahrung, gemütlicher Einkehr und des Friedens zu haben. Ansonsten wirkt sie (nicht nur) meiner Meinung nach einfach seelenlos und absolut uninteressant. Für Frankfurt werden die wieder auferstehenden Kleinode einen unglaublich positiven Effekt haben, da bin ich mir absolut sicher. Man stelle sich nur mal vor, wie der Römerberg heute aussähe, hätte man ihn nach dem Krieg ausschließlich mit dreisten Waschbetonungetümen (á la Technisches Rathaus) zugestellt. :sensenman
    Diese einmalige Gelegenheit muss nun einfach voll ausgeschöpft werden, alles andere wäre schlicht enttäuschend.


    I sa ma so: I freu mi drauf!

  • Bezüglich "düster und stickig": Bezeichnenderweise redet niemand von den düsteren und stickigen Gassen von Rothenburg, Rom oder Regensburg. Dem Straßengewirr in erhaltenen, inzwischen gut sanierten und durchaus bewohnten (!) mittelalterlichen Städten wird dagegen Charme nachgesagt, die meisten finden die Atmosphäre einzigartig, die schmalen Wege pittoresk


    Neu gebaute Rekonstruktionen können kaum schlechtere Bausubstanz als sanierte Häuser aufweisen. Ich glaube auch nicht, es würden sich keine Mieter/Käufer finden.


    Der Einwurf eine Rekonstruktion sei nur schwer machbar und kaum wünschenswert wegen der schlechten Belichtung der Häuser und der Enge ist meistens ideologisch-motiviert. Eine "gegliederte, aufgelockerte" Fachwerkstadt mit Top-Belichtung und weiten Straßen wäre doch nur Verar***e.


    Die Frankfurter Innenstadt kam mir bei jedem zahlreicher Besuche eher dicht bebaut als "aufgelockert" vor. Es gehört zum Wesen der Innenstädte der Metropolen, dass sie dicht bebaut sind.


    Gebäude, die den modernen Ansprüchen voll genügen, gibt es in Frankfurt en masse.


    Ich bin sicher, man wird moderne Klos und sogar Elektrizität einbauen (wie es bei den Rekonstruktionen auch sonst so üblich ist).


    Daher muss auch kein Mensch aus Armut zwangshaft in den engen Quartieren der Altstadt wohnen, wie es vor dem Krieg ja war.


    Meistens sind sie so begehrt und teuer, dass man sich aus Reichtum darin "zwingt".

  • So, heut war wieder Sonderausschusssitzung.
    Hat einen spirituell aber nicht wirklich weiter gebracht. Die Bürgerrunde wurde unverschämterweise direkt an den Anfang gelegt, wo natürlich noch niemand großartig Kommentare abzugeben hatte.
    Zwei Berichtenswerte Sachen:
    1. Der Herr Dreysse fertigt gerade eine Dokumentation an (ähnlich wie die "Dokumentation Altstadt") über die vorhandenen Spolien. Es gab nur einen Zwischenbericht, Abschluss der Arbeiten wird Ende Januar/Februar erwartet. Durchsucht wurde vor allem der Bestand des Historischen Museums (nicht Spolien in Privatbesitz und auch nicht die Schutthaufen im Stadtwald für die schweres Gerät nötig wäre). Ungefähr 10% aller untersuchten Spolien waren tatsächlich von dem Gebiet um das es hier geht. In der Regel sind es steinerne Spolien wie Kragsteine, die Madonna vom Goldenen Lämmchen oder der Arm der die Waage hielt von der Goldenen Waage, zum Teil auch Fenstergitter und Ähnliches.
    2. Eher am Thema vorbei: die Erfahrungen aus anderen Städten mit einem Gestaltungsbeirat. Erst ein Vortrag aus Regensburg (wo die Altstadt ja noch fast vollständig erhalten ist), wo der Beirat im Prinzip zu Bauvorhaben in der gesamten Stadt mit einbezogen wird.
    Danach vom Herrn Fingerhut über eher Einzelbeispiele aus Basel, Karlsruhe, Köln (das Bankgebäude wo Kollhoff gewonnen hat), Salzburg und noch 2 anderen Städten.
    Sehr ernüchternd in meinen Augen: die meisten von den Vortragenden als positiv dargestellten Beispiele der Einflussnahme des Gestaltungsbeirates hatten meistens nicht wirklich eine Verbesserung des Ursprungsentwurfes zur Folge sondern eher sogar das Gegenteil. Da merkt man halt gleich, was rauskommt wenn da nur Architekten drin sitzen.
    Auch die Vorträge waren irgendwie in Architektenmanier angefertigt: ich trag hier nur vor was mich betrifft, auf die spezielle Situation in der Stadt für die ich diesen Vortrag machen soll (hier Frankfurt), was sich übertragen lässt und was nicht, gehe ich nicht im Geringsten ein...
    Nächste Sitzung ist nächstes Jahr, im Januar oder Februar.

  • Es trifft ja wieder mal genau ins Herz der "Bevölkerung" über deren Köpfe hinweg immer so hässliche Investorenklötze gebaut werden! Die arme Bevölkerung, die sich in den zwanziger jahren, bis in die fünfziger/ sechziger Jahre immer gern um die Neubauwohnungen geprügelt hat und die maroden Altbaugebiete eher den Studenten überlies, anstatt anzupacken. Noch heute findet die Zersiedlung des Umlandes Statt. die Leute, die zwar die Stadt unheimlich schön finden mit ihren Altbauten, möchten doch lieber ihre Ruhe haben und ziehen aufs Land, anstatt die marode Substanz ihrer schönen städte zu retten! Frankfurt kann doch nur nicht ertragen, dass es so eine gruselige Stadt geworden ist und denkt immer an vergangene Zeiten, wo alles noch "besser" war! Baut doch gerne wieder neu, aber modern neu! Deutschland hat die flexibelste und Menschennähste Architektursprache, offen für traditionelle Einflüsse. Klar gab es von der utopischen Moderne der 20er Jahre, bis heute Erkenntnisse, wie man es besser machen kann, näher am Menschen, aber alle wolln ja am liebsten wieder irgend eine pseudo- altstadt wiedererstehen lassen und vieleicht auch den Kaiser wieder, der sah doch immer so toll aus in Uniform und überhaupt, die schönen Paraden.

  • also...ich bin auch für eine (teil-)rekonstruktion, fand auch den aufbau der frauenkirche in dresden nicht schlecht, kann mich evtl. auch mit dem schloss in berlin anfreunden.


    was ich an den bemerkungen von "new urban" aber richtig treffend finde ist der hinweis auf die "bevölkerung". die "bevölkerung" hat den abriss ihrer altstädte mitgemacht und trägt zur "verödung" der innenstädte auch bei (ist schon klar, dass viele innenstadtbereiche auch nicht zum wohnen mit kindern einladen). das entscheidende ist aber, dass zum teil auf sehr populistische weise von "dem volk" und "dem kleinen mann" geredet wird, die im gegensatz "zu den politikern" und "zu den modernen architekten" stehen.
    in einer demokratie (in der sich jeder engagieren könnte, wenn er wollte...) sollte man einfach nicht mehr in solchen gegensatzpaaren sprechen, die aus dem absolutismus stammen!

  • Die Identität einer Stadt ist immer etwas was zur eigenen Identitätsfindung dienen soll oder funktionsgebunden etwas anderes tun muss. Man kann das nicht einfach als eine Frage der Ästhetik sehen. Was ich interessant finde, ist das man der historischen Architektur eine Unverwechselbarkeit ausspricht. Diese mag auch vorhanden sein, aber alleine der Begriff Florenz wirkt im Kontext alter Architektur als abgewetzt und mehrfach für verschiedene Städte benutzt. Natürlich sind alte Häuser schön und geben Geborgenheit, aber müssen wir uns deswegen streiten?
    Zum Thema ein schöner Link der Kulturzeit von dieser Woche: http://www.3sat.de/kulturzeit/themen/116208/index.html


    Ohne jede Frage muss der kleine Teil der Altstadt rekonstruiert werden. Stellen wir uns den Herausforderungen der Zukunft mit einer Brise Ästhetik, ohne andere wohlwissend zu verletzen.

  • Sagt ja auch keiner dass die ganze Altstadt rekonstruiert werden soll und von Florenz hat auch noch nie jemand gesprochen. So eine Altstadt wie Frankfurt hatte gibts ansonsten eigentlich nur noch in Limburg und selbst da sind für den Nichtlaien schon einige stilistische Unterschiede erkennbar. Von daher unverwechselbar frankfurterisch was hier entstehen soll (zumindest die Gebäude die rekonstruiert werden). Über Jahrhunderte hinweg war das das Identitätsmerkmal der Stadt, bis es in einer Nacht und während einem anschließenden rücksichtslosen "Wiederaufbau" vollständig verloren ging - wird also Zeit dass auch die Generationen die nicht das "Glück" hatten vor dem Krieg geboren zu sein dieses wieder erleben dürfen. Zumal mans ja öfters hört dass der Stadt die Verwurzelung in der Vergangenheit fehlt. Jede Wette dass dies einen nicht unbedeutenden Anteil daran hat, dass Frankfurt zumindest in Deutschland nicht den allerbesten Ruf hat (wenn man von einigen Vorurteilen die längst nicht mehr der Wahrheit entsprechen absieht). Nur die Skyline als Identitätsmerkmal reißt das eben doch nicht raus. Wie heißt es so schön was den Blick in die Zukunft betrifft? Wer bestimmen will wo die Reise hingehen soll, muss wissen wo er herkommt.

  • Mir auch, Frankfurt sieht erbärmlich aus und dieses Psycho-Gewäsch von Intoleranz der angeblich Ewiggestrigen geht mir auch auf den Keks. Dieses Global-City Gewäsch der (Un-)Kultur-Zeit nervt nur.

  • Ich hab ja mittlerweile schon eingesehen, dass die Frankfurter unbedingt ihre Altstadt brauchen. Trotzdem sollte man über den Wiederaufbau nicht ganz so abfällig urteilen.
    Wenn ich z.B. gerne einige 50er Häuser unter Denkmalschutz sehen würde, dann nicht, weil mir der Stil so gut gefällt, sondern weil sie mehr als einen Zeitgeist wiederspiegeln! In der Nüchternheit und Bescheidenheit findet man eine ungleublich komplexe und äußerst sensible gesellschaftliche Haltung.
    Ich finde "rücksichtslos" war der Wiederaufbau deshalb nie.
    Selbst die Beton-Utopie des TR sollte als solche anerkannt werden. Schließlich steckt auch hier ein gesellschaftliches Idealbild dahinter. Emanzipation, Utopie und Selbstbewußtsein einer Generation lassen sich im TR wiedererkennen.
    Es ist schon fast ein gezielter Angriff auf die traditionelle Stadt und kann deshalb schon nicht "rücksichtslos" sein.
    Es mag auch sicher sein, dass so ein Gebäude heute nicht mehr akzeptabel und geradezu asozial ist. Trotzdem erkenne ich es als teil bundesdeutscher Geschichte an. Gleiches gilt letztendlich auch für die Werke der Postmoderne, welche bis heute die dritte Wiederaufbauphase darstellen.


    Dieses historische Ensemble aus 3 unterschiedlichen Entwicklungsphasen der BRD, kombiniert mit den Resten historischer Stadtstruktur und historischer Bauten mag euphemistisch ausgedrückt "schwierig" sein, aber es verdient doch eine gewisse Anerkennung. Zumindest auf kunsthistorischer und wissenschaftlicher Basis.
    Wenn der Abriss also feststeht, so sollte doch der Nachruf eine gewisse Pietät aufweisen?

  • Altstadtthese

    Hallo, hier ist meine These über die Altstadt.


    Ob ganz oder nur punktweise (meine Bevorzugung) restauriert spielt gar keine so grosse Rolle. Viel entscheidender sind zwei Dinge:


    - die Grösse der einzelnen Gebäude. Ich finde das TR eigentlich schön und gelungen, viel besser als die städtischen Ämter zwischen Westhafen und Bahnhof, aber es ist total deplaziert und viel viel zu gross. Auch der Keil der Schirrn ist viel zu lang und undurchlässig an dieser Stelle.


    - verwinkelte Gassen. Frankfurt hatte soviele davon, die nun verschwunden sind.


    Mit einem Satz, man sollte versuchen, die alte Struktur wiederherzustellen. Wenn man grob die alten Grundrisse und Gassen wiedererschaffen würde, mit zumindest einigen Leitbauten, dann würde meine Meinung nach die Historienfrage gar nicht mehr so schwer wiegen.


    Eigentlich will man doch nicht die Altstadt wie ein Freilichtmuseum hinstellen, dazu ist sie zu "echt", sondern man möchte gern da wieder anknüpfen, wo Frankfurt vor dem Krieg war. Wahrscheinlich hätten sich viele Häuser verändert (zumindest einige), aber hätte man denn ganze Straßenzüge geschlossen und die Gebäude vollkommen anders ausgerichtet? Ich denke nicht. Deswegen ist das Wiederherstellen der Struktur, wenn möglich, das Entscheidende.

  • Blick nach Breslau als Beispiel

    Eigentlich will man doch nicht die Altstadt wie ein Freilichtmuseum hinstellen - Etwa in Breslau wurde die Altstadt nach dem Krieg wiederaufgebaut; sie wurde im Krieg fast komplett zerstört. Bis auf ein einziges Gebäude aus dem Anfang des 20. Jahrhunderts wurden alle um den Marktplatz nach dem Krieg neu gebaut - von den 50er Jahren bis zum Anfang der 90er Jahre als die letzte Lücke geschlossen wurde. Das Ergebnis wirkt keinesfalls wie ein Museum, der Platz ist bis tief in die Nacht belebt.


    Die Nutzung entspricht den aktuellen Baujahren - in zahlreichen Häusern mit historischen Fassaden wurden Wohnungen der Größe und des Standards untergebracht, wie sie nun mal in den 1950er Jahren üblich waren. In einem hat man vor ein paar Jahren eine moderne Buchhandlung auf mehreren Etagen eingerichtet (Empik), die so auch in Frankfurt oder Köln funktionieren könnte. Hinter einer Fassade (in den 1950er Jahren errichtet - siehe unter dem ersten Weblink zweites Foto oben; ganz links ist ein Teil sichtbar) hat man vor wenigen Jahren den Innenhof mit Glasdach überdeckt und eine moderne Passage eingerichtet, wie sie überall in Europa üblich sind - im Hof werden allerdings moderne und historische Elemente geschickt kombiniert.


    Es funktioniert also. Ein paar Bilder, schnell ergoogelt: http://www.elke-ondrusch.de/Re…olen/Breslau/breslau.html - darunter gibt es auch ein Foto der Kriegszerstörungen.


    Ach ja, und der Wiederaufbau eher hilft der Entwicklung der ganzen Stadt als verwandle sie in ein Museum - hier: http://www.skyscrapercity.com/…read.php?t=457550&page=92 sieht man den Baubeginn des höchsten Hochhauses in Mitteleuropa; höher als alle derzeit existierenden in Frankfurt (etwa 1.5-2 Km südlich vom Marktplatz). Im Beitrag von Rafis vom 6.12.07/9:50 sieht man eine Visualisierung auf einem Foto aufgenommen vom Turm der Elizabethkirche (ca. 100 m vom Markt entfernt), auf dem ersten Plan sieht man die Reste des ehem. preußischen königl. Schlosses (kürzlich renoviert; ein Museum drin), dann den Grüngürtel an der Stelle der ehemaligen Wallanlagen (sowas hat Frankfurt ja auch). Das Einkaufs/Vergnügungszentrum links im Bild (mit einem Hochhaus, um 13 Etagen) wurde erst in diesem Jahr fertiggestellt. Irgendwie haben genauso solche Bauten wie auch Rekonstruktionen ihren Platz in der Stadt.

  • Warum in Herrgottsnamen kommen immer Beispiele aus Polen wie Danzig, Warschau oder Breslau? Kennt sich denn hier überhaupt jemand in Polen aus? Weiß hier jemand warum man in Polen rekonstruiert, oder wann man zum ersten Mal versucht hat eine Stadt in Polen zu rekonstruieren? Wenn man hier die Stadt Kalisz kennen würde, wüsste dass diese ein nationales Symbol in Polen ist weil sie im 1.Weltkrieg von deutschem Artilleriefeuer und Brandstiftung vollständig zerstört wurde, obwohl diese Stadt zeitweise Hauptstadt war und älteste Stadt in Polen ist, dann hätte man hier vielleicht mal einen anderen Blick auf die polnischen Rekonstruktionen, und wüsste die auch mal besser zu bewerten. Vor allem würde man die Gründe für die polnischen Rekos etwas besser verstehen.

  • Und welche nationalhistorischen Gründe sollen die Polen bitte für den Wiederaufbau von zuvor mehrheitlich deutschen Städten wie Danzig oder Breslau gehabt haben? Diese waren ganz sicher keine nationalen Symbole, sofern man nicht ganz, ganz tief in die historisch-ideologische Mottenkiste greift...


    Ganz abgesehen davon ist das Argument hier nicht, dass man die Rekonstruktionen aus den gleichen Gründen wie die Polen betreiben soll. Abgesehen von der Widerlegung des wider bessern Wissens immer noch gerne vorgetragenen Gerüchts der technischen Unmöglichkeit geht hier vor allem darum, dass wieso auch immer rekonstruierte Altstädte eben keine Freilichtmuseen werden, sondern funktionierende Stadtquartiere, in denen sich die Menschen wohlfühlen. Wieviele Neubausiedlungen, die uns die Modernisten in den letzten 50 Jahren beschert haben, erfüllen auch diesen Anspruch?

  • Also Bitte, Natürlich sind das alles Freilichtmuseen. Oder Touristenghettos, wenn man's negativ ausdrücken will.


    Eine rekonstruierte Altstadt kann man doch nicht ernsthaft als ein natürliches Stadtquartier verkaufen.
    Egal wo ich hinsehe, aber die Menschheit lebt von Lidl und Mediamarkt. Das BIP wird in den Gewerbe, Industrieanlagen und den Glaskisten erwirtschaftet.
    Wohnraum muss für die Masse großzügig und gleichzeitig billig sein...


    Mal ganz im Ernst, die Stadt der Zukunft wird eine Reko genauso wenig sein, wie das Armenviertel, dass es vielleicht im 19. Jhd. war. Auch die Beispiele in Polen sind gekünstelt und vor allem sind das winzig kleine Bereiche.


    Das spricht natürlich alles nicht gegen eine Rekonstruktion, aber man sollte das Thema doch auf den Boden der Tatsachen zurückführen.
    Städtebaulich ist das eben kein realistisches Modell. Es ist ein abgeschlossenes Element, ähnlich einem Park oder meinetwegen einer "Gatet Comunity" oder auch eine Fußgängerzone. So wird es für seinen Zeck auch funktionieren, aber bietet kein gesamt städtisches Konzept um moderne Proble zu lösen.
    Angefangen vom Verkehr, über den Konsum des täglichen Bedarfs bis hin zu kritischen sozialen Problematiken.

  • Ich möchte hier eigentlich nur mal kurz zum Ausdruck bringen, dass der verlinkte Artikel aus #1115 mein ganz persönlicher Anwärter für den schlechtesten Beitrag des Jahres ist.

  • Also Bitte, Natürlich sind das alles Freilichtmuseen. Oder Touristenghettos, wenn man's negativ ausdrücken will.


    Verständnisfrage: Sind für dich dann die Altstädte von Heidelberg, Regensburg oder Nürnberg, Rothenburg o.d.Tauber (nach dem Krieg rekonstruiert oder historisierend neubebaut) auch nur Touristenghettos?



    Egal wo ich hinsehe, aber die Menschheit lebt von Lidl und Mediamarkt. Das BIP wird in den Gewerbe, Industrieanlagen und den Glaskisten erwirtschaftet.
    Wohnraum muss für die Masse großzügig und gleichzeitig billig sein...


    Mal ganz im Ernst, die Stadt der Zukunft wird eine Reko genauso wenig sein, wie das Armenviertel, dass es vielleicht im 19. Jhd. war. [...]
    Städtebaulich ist das eben kein realistisches Modell. Es ist ein abgeschlossenes Element, ähnlich einem Park oder meinetwegen einer "Gated Community" [...] .


    Also Lidl- und Saturn-Bunker in die Frankfurter Altstadt um den Anteil solcher Firmen an der Wirtschaftsstärke Deutschlands zu würdigen?


    Ich halte Rekonstruktionen auch nicht für die "Stadt der Zukunft", da sie ja explizit auf die Vergangenheit verweisen. Rekonstruktionen sind vielmehr Lösungen, um zerstörte, Stadtstrukturen wiederherzustellen und die Geschichte besonderer, geschichtsträchtiger Orte erlebbar zu machen. Ein unverwechselbar und vielfältig gestaltetes Zentrum ist für eine Stadt wirtschaftlich als auch kulturell ein großes Plus. Die letzten 50 Jahre haben jedoch gezeigt, dass die Moderne und was danach kam, dies in den alten Stadtkernen kaum realisieren konnte oder wollte. In Städten wie Würzburg oder Nürnberg, die beim Wiederaufbau "bewahrend" verfahren sind, ist das schon eher gelungen. Deswegen sind Rekonstruktionen für Areale wie die Frankfurter Altstadt ernstzunehmende Vorschläge, wie sich städtebauliche Missstände beheben lassen!


    Eine mehr oder weniger rekonstruierte Altstadt kann man nicht mit einer umzäunten, bewachten und nur beschränkt zugänglichen Siedlung vergleichen! No way!

  • Jo, Heidelberg und Co. sind Tourighettos, keine Frage. Is aber auch nicht schlecht so, oder?
    Die Discounter hats in den neueren Teilen der Städte.


    Mein Beitrag sprach nicht gegen eine Rekonstruktion der Altstadt. Ich habe lediglich kritisiert, dass diese Stadtstrukturen so überhöht als vorbildlicher Städtebau präsentiert werden. Ich will da bestimmt keinen Disounter drinn sehen. Das würde ich auch bei einer modernen Bebauung des Quartiers nicht wollen. Mir geht es lediglich darum festzustellen, dass diese ganzen Altstädte zwar nette Viertel sind (und das gilt auch für die polnischen), aber eben nicht Leitbild für die Gestaltung einer kompletten Stadt sein können.
    Diese Forderung aber lese ich zumindest aus dem Grundtenor der unbedingten Rekonstruktionsbefürworter heraus.


    Persönlich respektiere ich den Wunsch nach einer Rekonstruktion der Altstadt. Letztendlich hat sowas ja jede europäische Stadt, also warum nicht auch Frankfurt?
    Aber den kulturellen oder sozialen Wert eines solchen Quartiers für die Reststadt halte ich hier für maßlos überschätzt.

  • Diese Forderung aber lese ich zumindest aus dem Grundtenor der unbedingten Rekonstruktionsbefürworter heraus.


    Liest man das tatsächlich? Hab ich ehrlich gesagt noch nie. Zumindest wär das mir neu dass man auch Neubaugebiete mit mittelalterlichen Stadtbildern zu überziehen oder gar Rekonstruktionen (was soll man dort bitte Rekonstruieren) fordert.
    Vielleicht interpretierst du hier was falsches in die allgemeinere Kritik an moderner Architektur und Städtebau, die ja nun wirklich nicht unberechtigt ist.

  • Vielleicht interpretierst du hier was falsches in die allgemeinere Kritik an moderner Architektur und Städtebau, die ja nun wirklich nicht unberechtigt ist.


    Ich finde man merkt immerhin ganz deutlich, dass regelmäßig versucht wird, modern und alt so in Zussammenhang zu bringen, dass ein Zusammenspiel der beiden unmöglich scheinen soll. Die berechtigte Kritik, dass die Altstädte zu Tourie-Vierteln verkommen wird wird durch die Globalkritik an der Moderne heruntergespielt.


    Wenn ich in Warschau bin, was etwa alle 2 Jahre zu einem längeren Besuch avanciert (oder in Breslau oder Lodz wo ich auch oft bin) dann fällt mir schon auf, dass man in die "Altstädte" als Alteingessesener nicht hingeht. Es ist einfach so. Wenn man Kaffe trinken will, dann geht man in Warschau in eine Milchbar in Praga oder im Centrum, aber einen echten Warschauer musst du erstmal bitten mit dir in die Altstadt zu gehen. Zur Identität der Warschauer trägt die Altstadt auch nicht bei.


    Wenn ich durch Braunschweig gehe (genauer die Fussgängerzone), dass ja noch eine ganze Menge Altstadt hat, dann sehe ich auch vorwiegend ein Tourie-Viertel. In den Ladenzonen sind natürlich ganz viele Läden, tagsüber ist die Altstadt auch gerappelt voll, aber in den Obergeschossen herrscht Leere, ganze Strassenzüge sind nach Ladenschluss vollständig verweist. Mit etwas Glück finden sich in den Jahrhunderte alten Gebäuden noch Büros, ein Gros ist aber nur noch eine Kulisse zum Einkaufen, für den Urlaub und die Hochzeit.


    Und welche nationalhistorischen Gründe sollen die Polen bitte für den Wiederaufbau von zuvor mehrheitlich deutschen Städten wie Danzig oder Breslau gehabt haben? Diese waren ganz sicher keine nationalen Symbole, sofern man nicht ganz, ganz tief in die historisch-ideologische Mottenkiste greift...


    Ich habe über den Zusammenhang zwischen dem ungezwungenen Verhältniss der Polen zur Reko allgemein geredet, nicht über nationalhistorische Gründe.
    Gleichsam gab es sie, und Danzig und Breslau wurden zu nationalen Symbolen gemacht. In Polen, das dürfte bekannt sein gibt es viel weniger Abgrenzung zwischen den verschiedenen deutschen Geschichtsepochen, natürlich unterscheidet man Preußen und das 3.Reich, da aber beides für Polen keine besonders guten Nachbarn waren, eher beide recht harte Regime nimmt man die deutsch-polnische Geschichte, was mir zuwider ist, eher als eine Kontinuierliche Abfolge von Eroberungen durch Deutschland auf. Ich weiß von meinem Großvater, dass sich damals viele Menschen gefreut haben, diese für sie polnischen Städte nun wieder in Polen zu sehen.
    Dass ich persönlich ohnehin nichts davon halte in der Vergangenheit zu schwelgen, finde ich aber natürlich keinen Sinn in solchen national-historischen Auslegungen der Zugehörigkeit irgendwelcher Städte zu Nationen oder der besonderen geschichtlichen Erhebung von Orten oder sonst einem Graben in der Historie. Man muss das m´nehmen, was man hat und daran weiterbauen, dass macht man eigentlich überall, da sollte es in der Architektur auch möglich sein.


    gruß
    dvorak