Technisches Rathaus und Umfeld - Neugestaltung nach Abriss

  • :) Morgen,31.5.07,kommt im Hessischen Rundfunk,3.programm,eine Film-doku über die Frankfurter Altstadt mit dem Titel:Als Frankfurt hundert Gassen hatte... sendebeginn ist 22.15 uhr...es geht um die altstadt in den 30er und 40er jahren.Gezeigt werden soll bisher unveröffentlichtes Filmmaterial.
    Das könnte als fortgeschrittene Visualisierung in diesem fred hier hilfreich sein.
    Also wers kriegt:anschauen.Siehe auch: Hessen-videotext S.338

  • ...und für alle dies verpasst haben, am Fr. den 1.6. um 04:35 kommt die Wiederholung, ebenfalls auf Hessen 3.

  • Äusserst altstadtkritische Dokumentation, die deutlich aufzeigte, dass wahrlich nicht alles Gold war, was glänzte.
    Meiner Meinung nach hätte der Bericht durchaus die volle Stunde komplettieren können, 15 Minuten für die aktuelle Reko-Diskussion hätte man schon reinpacken können. ;)

  • Andererseits wurde mal das mehr oder minder als Bausünde benannt, was Bausünde ist: Technisches Rathaus, Historisches Museum und ja, auch die Schirn.

  • Die FAZ im Interview mit dem TR-Erschaffer Anselm Thürwächter:


    http://www.faz.net/s/RubFAE83B…Tpl~Ecommon~Scontent.html



    Besonders hervorzuheben:
    Ich sehe darin durchaus eine Parallele zur Diskussion um die Frankfurter Altstadt. Kann man sie wieder so herrichten, wie sie einmal war, kann man Geschichte doch ungeschehen machen? In einer Stadt, die sich als progressiv versteht, die jeden Hochhausbau bejubelt, dann plötzlich eine solche Sehnsucht nach kleinteiliger Bebauung im Schatten der Hochhäuser - ich persönlich kann diesen Gedanken nicht folgen. Man soll sich bitte nichts vormachen: Niemand wird die Altstadt wieder so herstellen können, wie sie war. Deshalb hat für mich die Debatte um die Fachwerkhäuser etwas Gespenstisches.


    Äusserst "sympathisch", wie er die von den Frankfurtern bestehende Faszination des Alt-Neu-Kontrasts einfach mal untergräbt und dieses diesbezüglich erweiterte Gesamtkonzept wohl weniger über- und durchdacht hat.

  • Aha, Herr Thürwächter denkt, daß das Technische Rathaus nur in Frankfurt so verrufen ist und sonst auf der Welt als beispielhaft gefeiert wird. Ich glaube, der Mensch leidet unter Größenwahn. Er selbst gab zu, in seiner Jugend keine Probleme gehabt zu haben, Häuser von Kollegen abzureißen, die noch lebten und bei dem sogar noch eine Rokokko-Fassade eingemauert war.


    Aber er selbst meint dann, sein Bau wäre nur so unbeliebt, weil daran 35 Jahre außen nichts gemacht wurde. Tja, hat er halt Pech, wenn das Ding abgerissen wird, warum soll man plötzlich auf ihn Rücksicht nehmen?

  • @Le Fay
    So falsch liegt Thürwächter da gar nicht. Das TR ist kein schlechter Bau. Es passt sich sogar sehr rücksichtsvoll ein. Durch die Staffelung entsteht Rhythmus und eine gewisse kleinteiligkeit. Außerdem sind die größten Baumassen nach Norden verlagert. Die 13 Stockwerke nimmt man vom Archeologischen Garten nicht als solche war.
    Zwar wird kaum ein Mensch das verstehen, da Beton eben für die meisten ein rotes Tuch ist, dass alle anderen Qualitäten vergessen lässt.
    Edit: In diesen Stil gibt es aber nur wenige vergleichbare Bauten, vielleicht noch das Rathaus Bensberg:
    http://www.lust-auf-bensberg.de/bensberg/rathaus/rathaus.htm - wobei dieses ja schon den Übergang zur Postmoderne darstellt.



    In der Fachwelt genießt das TR auf jeden Fall seinen verdienten Respekt.


    Die andere Seite ist die historische. Auch in diesem Forum wird alles ultimativ nach dem heutigen Zeitgeist gewertet.
    Thürwächter zeigt da, mit seiner Anerkennung der Schirn, sogar etwas mehr Größe, als viele Rekofans.
    Letztendlich gelingt es ihm aber auch nicht, sich aus seiner Zeit zu befreien und insofern empfand ich den Artikel als interessanten Einblick in eine vergangene Epoche.


    Das TR ist ebenso ein historisches Relikt, genauso wie die Schirn und die 50er Jahre Häuser am Römer.
    Wenn man was davon abreißt sollte man es trotzdem in guter Erinnnerung behalten, denn nur an wenigen anderen Orten gibt es ein Ensemble aus den 3 großen Epochen deutscher Architekturentwicklung der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

  • mik, bitte gib' doch auch noch was zum Historischen Museum zum Besten. Ich habe schon immer nach Euphemismen für dieses Ungetüm gesucht, war aber aufgrund meiner mangelnden Intellektualität nicht dazu in der Lage, die darin zementierte große Epoche deutscher Architekturentwicklung zu sehen. :nono:


    Am besten aber das Argument, dass man die Größe vom Archäologischen Garten nicht wahrnimmt. Für moderne Architektur muss man also in neben sie gegrabene Löcher steigen, damit der Eindruck stimmt. Selten so gelacht.

  • Ich hab mit so ner Reaktion gerechnet :D


    Ja, auch das archelogische Museum gehört zur Geschichte. Architekturgeschichtlich ist es jedoch weit unbedeutender und weniger "gelungen" als das TR. Es ist städtebaulich sogar schlecht eingepasst und insofern was ganz anderes.


    Abgesehen davon stimme ich dem Abriss ja zu und sehe ein, dass das TR nicht mehr haltbar ist.
    Trotzdem hat es seine Qualitäten. Zu diesen zählt eben auch die Größenwirkung. Ich habe nicht behauptet, dass es wie ein Fachwerkhäuschen wirkt. Andererseits kenn ich ne Menge 13 stöckiger Gebäude die ganz anders reinhauen. Diese Qualität würdige ich eben als solche.
    Ach ja, ich meinte nicht unbedingt die Perspektive aus dem archeologischen Garten, sondern von Bodenlevel. Aber das ist wohl eher unwichtig, da das TR Konzept eigentlich von überall funtioniert. Selbst die Braubachstraße wird nicht total erschlagen, obwohl ihr die massivste Stelle aufgelastet wird. Insofern hat auch die heute zwar häßliche Fassade ihren Zweck erfüllt.


    Letztendlich bleibt zu sagen, wenn die bösen Modernisten Vorkriegsbauten so blind gehasst hätten, wie einige hier die Moderne, dann würden unsere Städte viel ärmer aussehen. Ich fordere nur Respekt, nicht Anerkennung und auch nicht den Erhalt von Bauten, über die die Geschichte hinweggegangen ist.
    Für unsere heutige Gesellschaft scheinen Gemütlichkeit und die Verbindung zu vorindustriellen Zeiten vor dem Hintergrund der sich immer schneller drehenden Welt aktuellere Bedürfnisse an diesem Ort zu sein, als die gebaute Ablehnung all dessen, was zufällig auch Nationalisten und Nazis propagandistisch missbrauchten.
    Trotzdem war der Bau des TR nicht falsch, sondern in seiner Zeit nötig.

  • ^
    Warum war der Bau des TR nötig? dass müsstest du schon mal erklären. Doch nicht etwa, weil Nazis die Altstadt propagandistisch missbraucht haben? Worin bestand überhaupt die Vereinnahmung durch die Nazis? Mir ist nur bekannt, dass es ein Sanierungsprogramm gab, ansonsten fällt mir jetzt kein konkreter Zusammenhang ein.

  • Ich habe mir Bilder ergoogelt vom TR. Da hat man hinten noch den archeologischen Garten gesehen und für mich wirkte das einfach nur noch trostlos.


    Die Schirn allerdings halt ich für einen gelungenen Postmodernen Bau, schon deswegen weil kein polierter rosa Granit oder achteckige Fenster verwendet wurden. Die Planung sollte ein Zeichen der Zeit sein, aber mit angemessener Raumordnung, damit die Blickachsen erhalten bleiben, auch wenn vorher die Sichtachsen nicht gegeben waren.


    Das TR mag zwei auffällig unauffällig sein, aber ich find es trotzdem trist.

  • Julian


    Ich meinte damit, dass der Bau nötig gewesen sei, die gesellschaftliche Entwicklung.
    Es ist ein Stück Aufarbeitung der Vergangenheit, dass auch durch solche Bauten bewältigt wurde. Man hat durch diese Intensive Ablehnung einen Schnitt geschaffen, durch den heute ein unbeschwerter Neuanfang mit rückgriffen auf Vergangenes möglich ist.


    Ich werde jetzt keine neue Nazi-Diskussion starten. Vor allem, da die Nazis selbst in ihrem Architekturgeschmack eher modern als reaktionär waren. Insofern liegen wir meinungstechnisch nicht wirklich auseinander. Regiert wird die Welt aber von Halbwahrheiten und Klischees!


    LeFay


    Gerade die Schirn halte ich für besonders trostlos.
    1. Die Innenräume sind unpraktisch.
    2. Die monotone Kolonade an der Außenseite ist absolut toter Raum. Hätte man die Säulen weggelassen wäre es auf dieser Seite noch etwas heller. Da die Schirn nämlich an der Südseite steht nimmt sie alle Sonne. Also ist auch die äußere Form fragwürdig
    Der Wiederaufgriff historischer Formen in dieser Art hat für mich nur geschichtlichen Wert. Architektonisch ist das alles andere als gelungen.

  • Man hat durch diese Intensive Ablehnung einen Schnitt geschaffen, durch den heute ein unbeschwerter Neuanfang mit rückgriffen auf Vergangenes möglich ist.


    Das halte ich aber mal für ein Gerücht. In München musste man sich auch nicht erst ohne Ende Bausünden in die Altstadt setzen um auf Vergangenes zurückgreifen zu können. Ganz abgesehen davon, dass die Vergangenheit aus etwas mehr besteht, als nur den 12 unseeligen Jahren, und die Architektur erst recht von vor 1933 nunmal überhaupt nichts mit dem Nazionalsozialismus zu tun hatte. Also bitte...


    Das Technische Rathaus ist architektonisch aus manchem Blickwinkel für seine Zeit durchaus gelungen. Aber städtebaulich ist es (ebenfalls wie die Schirn) eine einzige Katastrophe, und das ziemlich unabhängig vom Zeitgeschmack. Würd es in der Bürostadt Niederrad stehen, hät ich nichts dagegen es unter Denkmalschutz zu stellen (auch wenns schon noch arg früh ist, jetzt schon Gebäude die grade mal 30 Jahre alt sind zu Denkmälern zu küren), aber doch nicht mitten in der Altstadt.

  • Interessant ist dass für die Akzeptanz eines Gebäudes eben nicht immer die Architektur-Stile oder die Nutzungseffizienz eine Rolle spielt, sondern der gesellschaftlicher Kontext bei seiner Errichtung. Zur Zeit seines Baus wurden die Frankfurter nicht gefragt ob sie das TR in dieser Form wollen oder nicht. Sie hätten mit Sicherheit NEIN zu solch einem Klotz inmitten der "guten Stubb" gesagt. Mangelnder Bürgersinn rächt sich also irgendwann und genau das ist das Kainsmal an diesem Gebäude. Es war noch nie gewollt. Das und die Tatsache dass es auch in seiner reinen Funktion geschlossen und abweisend ist, die meisten Bürger der Stadt waren schliesslich noch nie drin (was sollten sie auch dort) machen es zum hässlichen Klotz. Das uralte Zentrum der Stadt wurde durch dieses Gebäude abgeriegelt, entöffentlicht und zu einer NoGo Area gemacht. Seitdem die Stadt seit Ende der Achtziger bei der Errichtung von Hochhäusern diesen Umstand berücksichtigt und dafür sorgt, dass neuere Gebäude entweder öffentlich begehbar sind oder aber Geschäfts- und Erlebnisflächen auf Strassenniveau bieten, hat sich die Einstellung der Frankfurter zu moderner Architektur entschieden zum Positiven verändert. Das heißt vielleicht auch im Umkehrschluss: Wären einige der Museen in dieser Gegend keine öffentlich begehbaren Gebäude, sondern z.B Polizeipräsidien oder Finanzämter, dann würde wahrscheinlich auch längst deren Abriss gefordert.

  • Würd es in der Bürostadt Niederrad stehen, hät ich nichts dagegen es unter Denkmalschutz zu stellen (auch wenns schon noch arg früh ist, jetzt schon Gebäude die grade mal 30 Jahre alt sind zu Denkmälern zu küren), aber doch nicht mitten in der Altstadt.


    Richtig. Bringen wir es doch mal geradlinig auf den Punkt:
    Der Römer ist Frankfurts Herz, Schmuckstück, "Wohnzimmer", Vorzeigeobjekt. Das TR passt definitiv nicht in diese Umgebung, Punkt, aus, Ende.



    Zur Zeit seines Baus wurden die Frankfurter nicht gefragt ob sie das TR in dieser Form wollen oder nicht. Sie hätten mit Sicherheit NEIN zu solch einem Klotz inmitten der "guten Stubb" gesagt.


    Wie erläuterte Mäckler neulich erst:


    Am Ende von Nazi-Terror und Weltkrieg "wollte niemand mehr zurückschauen auf eine Vergangenheit, die nur furchtbar war", führte Mäckler aus. Das zum Abbruch stehende Technische Rathaus verkörpere "genau das, was die Gesellschaft damals wollte. Soll das heute anders sein, hat sich die Gesellschaft eben gewandelt".


    Quelle:
    http://www.fr-online.de/frankf…frankfurt/?em_cnt=1141502

  • Ich seh schon, ein halbwegs freundlicher Nachruf wird für das TR nicht möglich sein ;)


    Was diesen gesellschaftlichen und historischen Kontext betrifft:
    Ja, das TR war wahrscheinlich nicht von der Mehrheit gewollt.
    Was den Zusammenhang mit der Nazibelastung betrifft, so sehe ich das ähnlich wie in dem Mäckler Zitat oben.
    Der Stil war ein finaler Befreiungsschlag von allen Altlasten der Vergangenheit. Es geht dabei nicht mal darum ob Nazis einen Stil verwendeten oder nicht. Es ging dabei generell um den Blickwinkel in eine utopische Zukunft und weg von aller Tradition. Schließlich lehnte man nicht nur den NS ab sondern auch das Kaiserreich und die ganzen Gesellschaftsstrukturen, welche die älteren Stile verkörperten.
    Es war einfach notwendig dass brutalistisches Selbstbewußtsein ins Herz irgendeiner Großstadt stach um einen Wendepunkt zu markieren.
    Nur so können wir heute Rekonstruktionen als Denkmäler für Geschichte sehen und nicht mehr in der Kontinuität reaktionärer Gesellschaftsordnungen.

  • [...] Zur Zeit seines Baus wurden [...] nicht gefragt ob sie [...] in dieser Form wollen oder nicht. Sie hätten mit Sicherheit NEIN zu solch einem Klotz inmitten der "guten Stubb" gesagt. Mangelnder Bürgersinn rächt sich also irgendwann und genau das ist das Kainsmal an diesem Gebäude. Es war noch nie gewollt. Das und die Tatsache dass es auch in seiner reinen Funktion geschlossen und abweisend ist, die meisten Bürger der Stadt waren schliesslich noch nie drin (was sollten sie auch dort) machen es zum hässlichen Klotz. Das uralte Zentrum der Stadt wurde durch dieses Gebäude abgeriegelt, entöffentlicht und zu einer NoGo Area gemacht.


    Diese Argumentation trifft absolut deckungsgleich auch auf einige heute mehrheitlich gewollte Bauten zu. Folglich ist sie nicht viel wert. Stellvertretend nenne ich mal das Berliner Stadtschloss. Auch hier bedurfte es erst einiger Jahrzehnte Tabula rasa, dann eines diktatorischen Prunkbaues und schließlich einer völlig gesättigten Gesellschaft, die ihr Heil wahllos in den Tapeten der Vergangenheit zu finden glaubt, bis ein (inzwischen parlamentarisch legitimierter!) Sinneswandel eintrat.


    Es wäre schön, wenn einmal der Gegenbeweis angetreten würde, dass also eine Architektur "aus dem Volke heraus" lebenswerter wäre. Heute gilt es doch eher umgekehrt, genau die Bauten und Anlagen werden als erwähnenswert humanistisch angesehen, die einst diktatorisch, aristokratisch, klerikal oder in Folge menschenverachtender Profitsucht initiiert wurden.


    Ich vermute jedoch, erst wenn der letzte Kriegsverlust rekonstruiert wurde wird man erkennen, dass Fassaden allein auch nicht glücklich machen und gegen andere Geister zu Felde ziehen.




    Mäcklers Hinweis auf die Nazivergangenheit und die daraus resultierenden Abkehrwünsche halte ich für zu kurz gegriffen. Die Industrialisierung, Normierung und die jeweils radikal gewünschte Abkehr von den scheinbar unbefriedigenen Errungenschaften der Elterngeneration sind der Menschheit über den Globus verteilt schon lange inne. Mit zunehmender Mobilität und Kommunikation wird die regionale historische Komponente immer mehr in den Hintergrund gedrängt. Das galt auch schon 1974. "Technische Rathäuser" der betreffenden Stilistik bzw. städtebaulichen Figur gibt es weltweit. Ausschlaggebende Tendenzen dazu keimten bereits auf, bevor Hitler nach Deutschland kam. Die Architektur war stets das Abbild der gesellschaftlichen Verhältnisse ihrer Zeit. Auch in der Gotik dachte niemand, "wir bauen jetzt mal anders - aber historisch". Wider diesen Verhältnissen zu agieren (speziell im Sinne ökonomischer, ökologischer, juristischer oder gesellschaftspolitischer Erfordernisse/ Rahmenbedingungen), mag im Einzelfall funktionieren. Wer aber daraus eine Ideologie macht, deren Opfer alles wird, was gerade aus Geschmacksgründen nicht in den individuell präferierten historischen Kontext passt, der ist nicht besser als das, was er angeklagt. Darunter fällt meines Erachtens auch, Verwahrlosung pauschal mit Hässlichkeit gleichzusetzen - ein Fehler, den man im letzten Jahrhundert schon mindestens dreimal in großem Stil wiederholte, den man bis heute aber nicht als solchen erkennen will.

  • Warum sollen "Fassaden" denn nicht glücklich machen? Warum werden unzerstörte Städte, ohne nachkriegsbedingte Brüche von der Mehrheit der Menschen als schön empfunden, obgleich auch historische Bauten nur Fassaden sind? Selbst das Interieur der kunsthistorisch bedeutendsten Räume der Menschheit ist letzten Endes nur auf eine nackte Ziegelwand aufgeblendet und damit "Fassade"!


    Dieser Logik nach wäre z. B. ein nie verwirklichtes Rokokoschloss, dass man nach zufällig in der Gegenwart aufgefundenen Bauplänen heute ausführen würde, hässlich und unehrlich, nur weil es jetzt gebaut ist? Warum wird der Schönheitsbegriff an "Originalität" fest gemacht?


    In meinen Augen ist das dann wieder nur die 1001ste Umdeutung der uralten hohlen Phrase, dass die Form der Funktion folgen muss und alles darüber hinaus hinzugefügte Ornament Verbrechen ist. :Nieder:

  • Nun ja, hättest Du Loos gelesen wüsstest Du, was hier mit "Verbrechen" gemeint ist. Es handelt sich nämlich keinesfalls um eine hohle Phrase (die den Verschwörern nur dazu dient, das Schöne aus der Welt zu tragen). Loss tätigt nachvollziehbare Bezüge, die allenfalls von den Protagonisten der Moderne später hin und wider sinnentstellt mißbraucht wurden. Man kann diesen Ausruf aber kaum losgelöst von den vor 120 Jahren geltenden Verhältnissen betrachten.


    Um die Fassaden als solche geht es doch überhaupt nicht. Selbstverständlich sind diese die "Gesichter der Städte". Sie tragen deren Bauten nach aussen und transportieren vielfältigste Emotionen. Es geht aber darum, dass sich jede Ästethik nur im Wechselspiel mit dem zeitgenössischen Kontext entwickeln kann. Und die Mechanismen, die sich dahinter verbergen, sind zwar durchschaubar, aber doch etwas komplexer, als Du es wohl vermutest. "Schönheit" entsteht nicht abstrakt aus dem Vorhandensein von Ornamenten, sie entsteht nicht durch Kleinteiligkeit oder durch die Verwendung eines begrenzten Baustoff- und Konstruktionskanons.


    Wesentlich verantwortlich für das jeweilige Empfinden ist z. B. der Seltenheitswert, der mit den ihn auslösenden und gleichzeitig bedingenden Moden - die es zwangsweise auch in der Architektur gibt(!) - in stetiger Veränderung begriffen ist. Natürlich steckt dahinter noch weit mehr. Dass Du eventuell ornamentierte Fassaden an Häusern mit mittelalterlichem Charakter magst hast Du mit Sicherheit gerade auch der Tatsache zu verdanken, das diese rarer werden (da unter den derzeitigen Rahmenbedingungen kaum reproduzierbar) und dass Du genügend "Gegenbeispiele" kennst, mit denen Du aufgewachsen bist. Wenn du das verinnerlichst wird Dir auch klar, weshalb vorangegangene Generationen teils andere Vorlieben besaßen und man sich deshalb noch lange nicht so weit aus dem Fenster lehnen sollte zu behaupten, alle Entwicklungen, die vor uns lagen und im Ergebnis nicht den heutigen Moden entsprechen, seien Irrwege gewesen. So klingt das aber leider viel zu oft bei Meyer-Schlau und Müller-Klugscheiß. Ornament beseitigt? Verbrecher, Verschwörer und Kulturbanausen!




    Eins noch. Mal wieder die Mehrheit ins Spiel zu bringen, ist ohne Beachtung der realen Umstände völlig zweckfrei. Deine "Mehrheit" kann die bevorzugten Bauten in der gewünschten Massierung nie bezahlen, besitzt keine ausreichenden handwerlichen oder künstlerischen Fahigkeiten mehr, die dazu notwendig wären, sie aus eingener Kraft zu errichten und entscheidet sich in exakt eins Komma fünf Generationen für genau das Gegenteil von dem, was heute gelten soll! Letzteres zeigt die Geschichte (und sei bitte nicht so vermessen zu glauben, Du würdest der Generation angehören, die die entgültige Wahrheit gefunden hat).


    Im Übrigen gibt es auch "Mehrheiten", die sich nicht ans Tempolimit halten, "Mehrheiten", deren einzige Tageslektüre das Horoskop, der Wetterbericht und vielleicht noch ein Artikel über Brust-OP's darstellt und in manchen Gegenden sogar "Mehrheiten" für Angriffskriege oder Völkermord. Die Sachverhalte sind selbstredend nicht mit dem Wunsch nach "schönen" Fassaden gleichzusetzen. Ich bin eigentlich ganz froh darüber, in einer Gesellschaft leben zu dürfen, die zwar demokratisch geführt wird und in der das Recht auf freie Meinungsäußerung gilt, die aber deshalb nicht gleich jeder Wortmeldung einzelner Individuen oder aufgeputschter Gruppen unter Aufgabe des Verstandes volles Vetorecht einräumt.

  • Selbst das Interieur der kunsthistorisch bedeutendsten Räume der Menschheit ist letzten Endes nur auf eine nackte Ziegelwand aufgeblendet und damit "Fassade"!


    Du weißt glaube ich nicht was du da redest! Weißt du überhaupt, wie die griechischie klassische Architektur entstanden ist? Wie sind denn bitte diese kunsthistorisch wertvollen Räume entstanden? Wieso haben sich die Griechen ihre Cella ausgedacht, und angefangen Säulen drum herum zu bauen? Es gab für all das Gründe, die weit stärker waren, als einfach eine Fassade vor einem Mauerwerk schaffen zu wollen. Es geht mir auch gar net darum, dass es jetzt kein Mauerwerk ist, sondern darum, dass diese Architektur nicht einfach aus einer Art Geschmack geboren wurde, der einfach nur eine Konstruktion verschönern wollte. Genauso ist es z.B. beim gotischen Spitzbogen, der nicht Fassade ist, sondern ganz wichtiges Konstruktionselement. Hätte man gotische Kathedralen mit Rundbögen überwolben können, dann hätte man es auch getan. Da ist gar nichts Fassade dran. Wenn überhaupt, dann ist es das irgend wann geworden, wie auch griechische Säulen irgendwann zu Zierrat wurden, grundlegend sind sie aber wesentlich mehr als einfach nur Fassaden, weshalb dein Vorwurf alle kunsthistorischen Räume seien auch nur Fassade grundlegend falsch ist.


    PS: Die Form folgte schon immer der Funktion. Nur weil es vor hundert Jahren mal wer gesagt hat, heist das nicht, dass es vorher nicht so war.