Plattenbauten in Berlin

  • Vor allem zeigen die Bilder, wie das DDR-Bauwesen sukzessive vor die Hunde ging. Keiner der gezeigten Bauten ist älter als 25 Jahre. Bis auf die beiden letzten, die an der Karl-Lieknecht-, Ecke Memhardstraße stehen (Anfang 80er), sind das alles noch relatv junge Vorwende-Bauten.


    Die DDR hat ja erst relativ spät begriffen, dass der funktionsoptimierte Kahlschlag-Städtebau auf Dauer mehr Defizite mit sich bringt, als er nutzt (jedenfalls, so lange man die städtebaulichen Utopien nicht mal ansatzweise nach Wunsch umsetzen konnte und es Westfernsehen gab). Das hatte natürlich auch viel mit der späten Ressourcenknappheit zu tun, die die bis dahin eher extensive Siedlungspolitik zunehmend unökonomischer werden ließ und auch mit Fortschritten in der Anpassung typisierter Bauten an die vorhandenen innerstädtischen Gegebenheiten zu tun (z. B. den Platzbedarf von Baustelleneinrichtungen, Montagestraßen oder Kranbahnen betreffend). Paradoxerweise sind aber genau die gezeigten Bauten die Zeugnisse einer Ära, in der die DDR-Führung zunehmend sensibler mit dem Bestand umzugehen gedachte, in der tradierte urbane Qualitäten wieder stärker berücksichtigt wurden (Kleinteiligkeit, Baufluchten und Nutzungsmischung betreffend) und in der - nach dem Ausklingen neoklassizistischer Tendenzen Mitte der 50er - erstmalig wieder auf lokale Traditionen Bezug genommen wurde (Fensterformate und Unterteilungen, Gliederungen, Pseudo-Pilaster, Dächer, Gauben und das ganze Gedöns, was nicht selten kaum berlinisch war). Honeckers spät geplanter Prachtboulevard, die Friedrichstraße, hätte im Detail sehr ähnlich ausgesehen.


    Mich interessiert mal, ob die vergleichsweise ambitionierte Intention dieser Ära auch ihre Liebhaber gefunden hat. Deshalb würde ich sehr gerne erfahren, ob diese Lückbauten - Sanierung vorausgesetzt - bei Euch eher Zuspruch finden, als die deutlich älteren, wesentlich radikaleren DDR-Ergebnisse der näheren Umgebung, wie etwa die Rathauspassagen, die Bauten gegenüber an der Liebknechtstraße, die DDR-Fragmente am Alex inkl. Park Inn und Haus des Lehrers, die Karl-Marx-Allee Abschnitt II etc.



    Falls es jemanden interessiert: genau der Anblick dieser minderwertigen Kästen (übrigens auch im Innern grausam, was sichtbare Fugen in den Decken begrifft, Stahlzargen statt Türrahmen, Über-Putz-Installationen mit lautstarker Relais-Technik, billigste Beschläge und Dekore etc.), die aus meiner Sicht weder Fisch noch Fleisch waren, also sowohl neben den alten Häusern, wie auch neben den Bauten der Sechziger bis Siebziger Jahre sehr inkonsequent wirkten, hat (neben der Irritation durch das neue Nikolaiviertel) damals als Kind mein Interesse für die Architektur und den Mitgestaltungswillen erst geweckt :). Übrigens fand ich den stark gestaffelten Bau an der Nordecke zur Memhardstraße (neben dem Berliner Verlag)damals noch am Interessantesten. Lag vermutlich daran, dass er irgendwie völlig aus dem Schema fiel, was vor allem die DDR-untypische Staffelung und die durchgehende 'Kannelierung' der Platten anging. Wirkte daher auf mich irgendwie sehr 'weltstädtisch' :cool:. Inzwischen ist aber genau das zumindest in meinem Kopf nach hinten los gegangen. Heute erinnert mich der Anblick dieses versifften Kastens weniger an eine DDR-Hinterlassenschaft mit Optimierungspotential, als eher an eine Ruine in einer ehemaligen Krisenregion auf dem Balkan.

  • Ich habe auch länger überlegt, was man mit den Bauten noch anfangen kann. Einige der Platten sind ganz brauchbar angepasst, z.B auf dem Bild 3 und 4 oder im Nikolaiviertel. Bevor man die abreißt, sollte man erstmal wissen, ob danach nicht ein 0815 Bürokasten kommt.


    Bei diesen sonstigen Füllbauten muss man sehen. Mit etwas Sanierungen bekommt man fast auf den Level eines entstuckten Gründerzeitlers. Die vorstehenden Erker sollten ja wohl an diese Zeit erinnern.



    (Bild 6 überarbeitet)


    Die größeren isolierten Plattenbauten z.B. am Alex hätte man schon lange entfernen sollen, diese Umgebung kann ein Bremse für die Entwicklung eines ganzen Gebietes sein. Im Prinzip wäre jeder 90er Jahre Block an der Stelle besser.

  • Aaaaahhhh! Auf der einen Seite wirklich abstoßend, auf der anderen sieht das Ganze von oben dann wiederum echt interessant aus :)

  • Jede Stadt braucht halt auch ein richtiges Geddo :D


    Ne, Spaß beiseite.
    Also schön ist was anderes und wohnen wöllt ich dort schon gar nicht, aber eine gewisse Faszination wirkt diese Luftansicht tatsächlich aus. (wahrscheinlich ähnliches Phänomen wie bei nem Verkehrsunfall)


    Andererseits ists mir auch lieber wenn die Platten irgendwo gesammelt in einer Großwohnsiedlung stehen die man meiden kann, als wenn, wie im Westen vor allem Rhein-Main leider häufig beobachtbar, so ziemlich jeder Stadtteil mit ein zwei Solitären dieser Bauart "beglückt" wird.


    Ansonsten kann man dem Einen oder Anderen der von AeG verlinkten Bauten ein gewisses Maß an Gestaltungswillen nicht absprechen. Nicht unbedingt erhaltenswert, aber zumindest auch keine derartige Bausünde dass man Hals über Kopf abreißen sollte egal was danach kommt.

  • Berlins Ghetto ist nach wie vor das MV in Reinickendorf, das wird dir jeder Gangsterrapper bestätigen können. Die am Reisbrett entstandenen Plattenbaubezirke am Ostrand Berlins gehören hingegen zu den durchdachtesten Neubausiedlungen überhaupt, komplett geplant mit Schulen, Sportplätzen, Schwimmhallen, Straßenbahnen und allem drum und dran. Man darf auch nicht von Luftbildaufnahmen auf die Wohnqualität schließen. In einem renovierten 11-Geschosser mit viel Grün vor der Tür wohnt es sich eben doch viel besser, als in so manch einem entstuckten Innenstadtaltbau mit Stadtautobahn direkt vor dem Fenster. Die schönen Satteldächer sieht mal halt nur von oben und nicht von innen.

  • Ich glaube dieses MV galt unserem Tenever als Vorbild! Neulich war ich wieder mal in Tenever und konnte meinen augen nicht trauen. Da wird saniert bis zum geht nicht mehr, sogar Sandsteinplatten finden Verwendung. Jerder Block hat einen Portier und es gibt massig grün und unzählbar viele Freizeiteinrichtungen. Demnächst kommt sogar die straßenbahn. Wie sieht es da in berliner Hochaussiedlungen aus? Bei uns wurden sogar blöcke gesprengt.

  • Kann jemand was zu den potthässlichen Bauten an der Wilhelmstraße sagen? Diese Dinger kann man IMO überall hinstellen, aber doch bitte nicht in einer derart prominenten Lage in der Innenstadt. Klar war es zeitlich etwas unglücklich, dass mit dem Bau der Gebäude kurz vor der Wende gestartet wurde, und diese dann kurz nach der Wende fertig waren, jedoch verschandeln diese Bauwerke doch sehr die ganze Umgebung mit ihrer Präsenz. Da ist selbst die US-Botschaft ein phänomenales Meisterwerk gegen. Ich hatte (hier?) irgendwo mal gelesen, dass demnächst in einem der Gebäude die Mietverträge ablaufen und man sie auch nicht verlängern will. Kann jemand Näheres dazu sagen, und evtl. auch etwas zu einer Neubebauung des Areals?

  • Uff! Die Dinger werden uns sicherlich noch lange erhalten bleiben...und im Gegensatz zu manchem Gebäude in der Leipziger sehen die ja auch noch annähernd annehmbar aus...

  • Da muss ich dir in der Tat Recht geben, einige Bauten in der Leipziger beweisen, dass es sogar noch schlimmer geht. Dennoch kann ich nicht nachvollziehen, warum man diese Gebäude nicht damals schon wieder abgerissen hat (auch wenn sie gerade erst fertig waren, aber besondere Ereignisse [Wende, Hauptstadtbeschluss] sollten doch auch besondere Maßnahmen erfordern).

  • Ich glaube das hatten wir hier schon paarmal und soweit ich mich erinnern kann hieß es: Das sind Eigentumswohnungen.

  • Hier widersprechen sich die Angaben. Laut diesem Posting gibt es (so könnte man es zumindest rauslesen) nur in _einem_ dieser Gebäude Eigentumswohnungen, hier wiederum wird gemutmaßt, dass wohl "in einem Großteil" der Platten EW sind. Im gleichen Posting steht dann aber auch, dass in einer Platte die Mietverträge auslaufen und sie abgerissen wird...


    Wie dem auch sei, diese Platten verschandeln einen der "wichtigsten" Bereiche Berlins maßgeblich und gehören darum so schnell wie möglich weg.

  • Die Baukörper der genannten Platten sind gar nicht so sehr das Problem... man könnte eventuell neue Fassaden anbringen?

  • Schon seit einiger Zeit Verfolge ich das Forum hier, besonders interessiere ich mich für die Architektur der DDR seit geraumer Zeit versuche ich etwas über den Plattenbaustil QP 64 aus Berlin herauszufinden. Leider gibt es sehr wenig darüber im Welt Weiten Gewebe. Und nun erhoffe ich mich von euch Hilfe. Vielleicht wisst ihr mehr über den Baustil oder habt ein paar Links zur Verfügung. Ich würde mich über eure Hilfe sehr freuen:daumen:

  • Speziell zur DDR-Architektur ist einiges an Literatur in den letzten Jahren entstanden. Um Dir einen Hinweis zu geben solltest du deine Frage etwas präzisieren. Die Plattenbauten der DDR werden überwiegend in der Gesamtheit ihres Bestandes unter Berücksichtigung des Bauen im Bestandes besprochen.


    Falls Deine Frage eher auf die konstruktive Errichtung und Baupläne abzielt, kann ich leider nicht aushelfen.

  • Einen interessanten Artikel über die Plattenbausiedlungen in Hellersdorf hat der Wiener Standard herausgegeben. In dem Artikel wird beschrieben, dass selbst die neuesten Platten aus DDR-Produktionen erst einmal für viel Geld auf westlichen Standard umgebaut werden mussten. Während der letzten Jahre wanderten die Immobilien durch verschiedene Hände, so waren die Bauwerke auch in den Händen von offenen Fonds. Diese hatten ohne Rücksicht auf die Mieterstruktur vermietet und somit die Wohnqualität erheblich verschlechtert.
    Ein anderer wichtiger Faktor ist der demographische Wandel, der zu einer neuen Ausrichtung der Anlage geführt hat. So wurden Kindergärten abgerissen und durch Schrebergärten ersetzt.


    http://derstandard.at/12851993…n-Abrissbirne-und-Moderne


    Dieser Artikel wurde im Stile Sigmund Freuds verfasst.