Plattenbauten in Berlin

  • Kaktus,


    mir ist der Unterschied zwischen Ikonographie und Ikonologie bekannt und ich verwende die Begriffe im Sinne Erwin Panofskys (Archäologen vertauschen diese beiden Termini seltsamerweise).


    In Ihrem Beispiel sind aber nicht die Favelas das Kunstwerk, sondern die Photographie ist es.


    Nach Ihrer Diktion gibt also jeder verklinkerte Bau vor, etwas zu sein was er nicht ist? Und recht haben Sie! Genauso ist es. Schauen Sie sich das Neue Palais in Potsdam an. Oder den Stuckmarmor z.B. im Kloster Neuzelle. Fast jede moderne Façade gibt etwas vor, was sie nicht ist. Stehts sinds angehängte Platten. Ob diese nun aus Blech oder Stein sind, macht aus veristischer Sicht keinen Unterschied.

  • Ikonographie + Ikonologie, ok, dann wäre das geklärt.


    Ich sehe durchaus das ästhetisierende Potential einer Photographie, aber so war das nicht ausschließlich zu verstehen. Auch ärmere Viertel können beim Durchschreiten gewissen Qualitäten offenbaren, die Farben und Formen die ein Foto zeigt, werden durch Geräusche, Gerüche, Bewegung ergänzt.
    Nicht das man hier leben will, aber eine gewisse Ästhetik hat das ganze.


    Fassaden sind heute natürlich oftmals vorgehängt, hinterlüftet, etc.
    Wenn aber Bleche an einem Platte hängen, dann versuchen sie nicht das gebäude als etwas anderes erscheinen zu lassen, als das was es ist. Sie sollten das auch hinsichtlich der Typologie verstehen.


    Ich habe mich nochmals informiert, damit wir nicht nur fantasieren: Bei dem beschriebenen Hochhäusern seitlich eine vorgehängte hinterlüftete Kermamik-Fassade angebracht.
    Schwierig war die Umsetzung da neben der Dekorschicht (oder wie heißt das sonst) nur eine Tragschicht von 10cm vorhanden war, und das auf eine Fassade von ungefähr 80m. Es wurde dann ein patentiertes Verfahren mit festen und gelenkgelagerten Dübeln entwickelt, und eine innenliegende Wärmeisolierung.
    Sieht also schlecht aus für die Klinker;)

  • Ästhetik≠Charakter eines Kunstwerks. Auch eine Blume ist ästhetisch und ist dennoch kein Kunstwerk.


    Kein Klinker? Dann eben doch weg mit den blöden Hochhäusern! - Nein, mal im Ernst. Geht es uns hier um architektonischen Verismus? Nichts dürfte mehr aus rein optischen Gründen verschalt, verhängt, abgehängt, verspachetelt, lackiert oder gestrichen werden.


    Sie reden von Typologien. Wollen Sie die den Typus Plattenbau aus dokumentarischen Gründen nicht verändern, dürfen sie auch keine neuen Verkleidungselemente dranhängen. Egal, ob Ihrer Meinung nach Keramik immerhin noch besser paßt als Stein. Typus ist Typus und muß erhalten bleiben. Oder wo wollen Sie die Grenze ziehen? Weiß machen mit Keramik ist okay, rot machen mit Klinker ist verlogen? Plattenbauten sind typischerweise Leuna-braun. Also machen uns doch Ihre weißen Keramiplatten genauso viel vor wie meine Klinker.


    Ironischerweise hat man ja in der "DDR" sogar auf fast rührend diletantische Art versucht, die Konstruktionsweise eines Plattenbaus zu kaschieren. Da wurden dekorative Muster von einer Bauplatte zu nächsten weitergezogen, um sie optisch zu verbinden.


    Die Plattenfugen sind doch das schlimmste am ganzen Plattenbau und eben diese sollte man m.E. tunlichst verschwinden lassen, wenn man so einen Kasten schon nicht loswird.

  • Das größte Problem der Plattenhochhäuser ist ihr Konflikt zwischen dem Anspruch in die Höhe wachsen zu wollen und der gegenteilig wirkenden, stark horizontalen Gliederung. Solange man nicht versucht, die Horizontale Gliederung irgendwie auf zu lösen und in eine vertikale zu verwandeln, wird der Betrachte immer nur verstört sein, im Unklaren darüber gelassen, was das Gebäude will!

  • @ NewUrban


    Erst sprichst du von der stark horizontalen Gliederung. Dann sagst du es gibt eine vertikale Gliederung die zugunsten einer Betonung der Horizontale aufgegeben werden sollte...
    Man weiß nicht nur nicht, was das Gebäude will, sondern auch nicht, was du willst. Sorry:confused:


    Vielleicht meinst du die Unvereinlichkeit von einerseits Betonung der Horizontalen im Fassadenbild (Loggien) und andererseits eine übermäßige vertikale Betonung durch die Höhe (4fache Traufhöhe)?

  • Ach, er hat im zweiten Satz versehentlich die Begriffe vertauscht, weiter gar nichts.


    Reine Wohnhäuser besitzen oft eine horizontale Gliederung. Je weiter man Richtung Äquator kommt, desto häufiger ist das so. Zu versuchen Loggien, Balkone oder Laubengänge in eine vertikale Gliederung zu pressen, führt nicht selten zu zweifelhaften Ergebnisssen. Was dabei rauskommt, sind dann oft indifferente Lochfassaden ohne erkennbare Ausrichtung oder gar mangelhafte Grundrisse.


    Ich denke, den meisten wird bei den Hochhäusern an der Leipziger viel eher zu schaffen machen, dass ihre städtebauliche Funktion so uneindeutig ist. Sie changieren irgendwo zwischen Turm und Scheibe und werden dennoch nicht als kontrastbildende Solitäre zur horizontal ausgerichteten Bebauung der Nordseite wahrgenommen. Letztlich erfüllen sie vor allem den Zweck, für den sie errichtet wurden: eine Wand nach (Süd-)Westen zu bilden und das Springer-Hochhaus zu verdecken. Das ist nach heutigen Maßstäben freilich keine hinreichende Funktion.


    Dass die Bauten diesen Scheibencharakter besitzen, wie viele andere DDR-(Punkt-)Hochhäuser auch, liegt vor allem daran, dass - ähnlich wie auch heute - die Bauordnung recht rigide höhenbezogene Vorgaben in Sachen TGA und Erschließung machte. Die Ressourcen waren aber in der DDR noch knapper. (die Grenzen in der Bauordnung lagen bei "ab" sieben, zwölf und 22 Geschossen, weshalb beinahe sämtliche DDR-Typenserien ab Ende der Sechziger sechs-, elf- oder max. 21-geschossig waren). Durch die Doppelanordnung ließen sich hier zwei Fluchttreppen, ein Satz Steigleitungen samt Pumpen sowie diverse Fahrstühle und sonstige Installationen sparen. Denn Stahl war mangels Devisen knapp und Energie wurde zu großen Teilen ineffizient aus Braunkohle gewonnen.


    Entgegen der hier vorherrschenden Meinung wurde dieser Typ nicht aus tragenden Wandscheiben, sondern in deutlich aufwändigerer Gleitkernbauweise errichtet. Das Material Beton macht ihn deswegen noch längst nicht zur "Platte"! Diese Bauweise, die bei der Gebäudehöhe aufgrund nicht zu fertigender Laststufen in den Plattwerken nötig war, war aber im märkischen Sand recht tückisch und zur "Lösung der Wohnungsfrage als sozialem Problem bis 1990" (O-Ton Honecker) alles andere als ökonomisch. Deshalb existieren von diesem Typ nur sieben Gebäude: die vier an der Leipziger, eins am Anton-Saefkow-Platz in Lichtenberg und zwei am Helene-Weigel-Platz in Marzahn (wobei bei den letzten beiden der Rohbau längere Zeit und die Sockelgeschosse sogar mehrere Jahre brach lagen, bis sie sich gesetzt hatten; mit der Gleitkernbauweise schienen die DDR-Baukombinate eh etwas überfordert, an der Frankfurter Allee in Lichtenberg stand auch jahrelang der Rohbau eines Bürogebäudes).


    Ihr könnt auch mal langsam davon wegkommen, hinter allem, was Euch nicht in den Kram passt und was trotzdem nicht sofort weggerissen wird (oder Eurer Meinung nach ähnlichen, durchaus geschützten Bauten entspricht), den Denkmalschutz zu vermuten. Das Ensemble in der Leipziger Straße ist bis heute in keiner Kategorie als schützenswert eingetragen!



    Uundifferenziertes, tendenziöses Geschreibsel wird übrigens nicht besser, wenn man es mit exotischer Terminologie würzt (im Gegenteil, ich vermute dahinter oft die Absicht, das blanke Unwissen kaschieren zu wollen ;))

  • Wobei Henselmann unter den Genannten derjenige war, bei dem die größte "Überzeugungsarbeit" zu leisten war, der die Aufträge am widerwilligsten umsetzte und der letztlich auch der opportunistischste war, wie spätere Werke belegen. Aber seine hochwertigen Beiträge in den 50er Jahren und die Federführung beim nationalen Aufbauprogramm entschädigen dafür.

  • @ AeG,
    Ja, ist richtig, hast du gut herausgearbeitet! In Bezug auf Henselmann sei nur an die berühmte Unterredung mit Bert Brecht erinnert!

  • Henselmann hat die Stalinallee eigentlich nur sehr wiederwillig entworfen. Sein Ideal ist die blanke Platte gewessen. So sagte er es jedenfalls in einer rbb Doku über die Allee.

  • Ja und, kommt es nicht darauf an, was daraus geworden ist?
    Wer hat denn das Hochhaus an der Weberwiese gestaltet?

  • Lars, kannst du nicht irgendwann mal damit beginnen erst nachzudenken und dann zu reden? Erstens, Henselmann hat keineswegs die Karl-Marx-Allee entworfen, auch wenn er zu der Zeit Chefarchitekt Ost-Berlins war. Er zeichnet innerhalb dieses Ensembles lediglich für den Straußberger Platz (ohne die südlichen Turmhäuser, die gehören zur MW Hartmann) und für die Kreuzungsbebauung an der Warschauer Straße (inklusive der beiden Türme mit den Gontardschen Kuppeln) verantwortlich. Zweitens, richtig ist, dass Henselmanns frühe Werke eindeutig in der (klassischen) Moderne zu verorten sind - genau wie die seiner meisten Kollegen in dieser Zeit. Er hatte sich hier aber letztlich dem Büro unterzuordnen, in dem er arbeitete. Ursprünglich liefen die Bauten nicht einmal unter seinem Namen (wie das in der Branche leider üblich ist, erst wenn man berühmt wird, wird rückwirkend aufgedröselt und ggf. geschönt). Diese Entwürfe aber mal eben mit "Platten" zu assoziieren, zeugt von arg mangelnder Differenziertheit! Es ist kaum vorstellbar, dass der RBB das so gesendet haben soll.


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    Mod: Beitrag geteilt.

  • @ AEG Das ist doch in diesem Zusammenhang nicht wichtig was genau er an der Stalinallee gebaut hat. Der Punkt ist doch das er diese Form der Architektur verachtet hatte und die blanke Platte favorisiert. Das hat der rbb so gesendet.
    "Millionen Menschen wären verreckt, wenn wir nicht überall in der Welt Plattenbauten errichtet hätten."

  • verreckt wäre wohl keiner! Man muss sich nur mal die Situation vor Augen führen, welche in Deutschland, wohl so bis heute einmalig war. 1/3 des gesamten Wohnraums war komplett zerstört! Das heißt Wohnraum für damals etwa 20 Millionen Menschen, die nun verteilt werden mussten. hinzu kamen nochmal etwa 10 Millionen Vertriebene. Da musste schnell Wohnraum her, sonst hätten Millionen Menschen ewig in slums gehaust. Da mit einer schnellen Genesung des Landes nicht zu rechnen war, wurde so preiswert und rationell wie möglich gebaut. Wir als Nachfolgegeneration stören uns natürlich daran, haben aber auch die Möglichkeit vieles zu verbessern! Was mich heute stört, ist diese unsägliche Zeilenbauweise, welche sich für Vorstädte und siedlungen gut eignet im dichten Stadtbild jedoch fehl am Platze ist.


    Die DDR hat mit ihren Möglichkeiten versucht, das Wohnungsproblem zu lösen. Ich finde das serielle Bauen nicht schlecht, solange man den Gebäuden ihre Herkunft nicht ansieht. Wenn es verschiedene Haustypen gibt, die durch den Bauherren nochmals individuell Gestaltet werden können, finde ich serielles Bauen gut. Die Demokratisierung des Bauens sollte doch mit der "Geschmacksbildung" der Bauherren einhergehen! Was die alten DDR Platten angeht, so haben sie das Potenzial durch geschickte Sanierung deutlich an Atraktivität zu gewinnen!

  • :applause:



    Und warum hat er die Platte "favorisiert", Lars? Weil er sie im Gegesatz zu Dir als ästhetische Offenbarung empfand? Oder vielleicht doch nur wegen ihrer Effizienz bei der Lösung dringlicherer Probleme, als es damals die Schaffung schnuckeliger Straßenzüge gewesen wäre? Das kann man ihm wohl kaum vorwerfen. Und das ist doch genau der Streitpunkt, um den es hier geht: die Unterscheidung zwischen Wunsch und Notwendigkeit.


    Oh sorry, ich hatte vergessen, dass Du ja glaubst, Rekonstruktionen wären auch nicht wirklich aufwändiger und teurer gewesen (und hätten vermutlich nicht länger gedauert, stimmt's?). Aber wir drehen uns im Kreis und finden uns gleich im Fischmarkt-Thread wieder.

  • Ja, könnte man denken. Aber H. ging es auch um den Ästhetischen Aspekt. Du scheinst ja das Interview ebenfalls zu kennen. Ein richtiges Wohnungsbauprogramm gab es ja erst unter Honecker, nach dem Staatsstreich gegen Ulbricht.


    Natürlich ist eine Rekonstruktion teurer und der Bauherr macht keine prallen Proftite. Die historischen Gebäude des Kaiserreiches sind doch viel komplexer und anspruchsvoller. Da ist nichts mit Stahlgerüst und fertigen Großteilen. Es wurde eben noch Stein auf Stein gemauert. Die Wände waren ja auch viel dicker, deshalb sind diese Häuse auf unbestimmte Zeit gebaut.

  • Jetzt sind wir also schon bei den Profitinteressen der DDR-Baukombinate. :nono: (hätten'se ma' die Mieten von 20 Pfennich uff zwee Mark fuffzich fürn Kwadratmeta anjehobn, ditt wer noch schlaua als Plattenbauten jewesen!)


    Die Wände in Mietshäusern der Gründerzeit sind deswegen viel dicker, weil a) Mauerwerk aus gebranntem Ton eine relativ geringere Festigkeit und Tragkraft besitzt und weil es b) vor 1924 keine verbindlichen Normen dafür gab. Jede Charge konnte anders beschaffen und auch mal recht minderwertig sein. Statiker im heutigen Sinne gab es auch nicht. Auch aus diesen Gründen waren die Wandstärken recht großzügig bemessen. Nach oben hin nehmen sie übrigens ab.


    Dass es heutiges Wunschdenken ist, damalige Baumeister hätten für die Ewigkeit geplant, habe ich schon vor kurzem an anderer Stelle dargestellt und auf Anfrage auch mit einer Quelle belegt. Du warst dort auch anwesend. Wenn man dir folgt, dann müssten die Häuser der Karl-Marx-Allee ja sogar für die doppelte Ewigkeit (hin und zurück?) geschaffen worden sein. Dort sind die Wände im EG und darüber sogar 60cm stark. Aber keine Bange Lars, dass sind sie in Wahrheit nur, weil diese Bauten a) viel höher sind und deshalb unten viel mehr Last abzutragen haben und b), da sie aus den Kriegstrümmern errichtet wurden und man hier erst recht nicht wissen konnte, welche Qualität jeder einzelne Stein besitzen würde. In Chicago stand übrigens mal ein 18-geschossiger Mauerwerksbau. Da waren die Wände unten fast zwei Meter stark. Er wurde um 1890 errichtet, als die Stahlskelett-Bauweise auch in Chicago noch in den Kinderschuhen steckte. Hat ihm aber auch nichts genutzt. Trotz Wandstärken "für die Ewigkeit" ist der schon wieder längst futsch.



    Und falls Du denkst, ich mühe mich hier vergeblich mit einem Unverbesserlichen ab: falsch! Ich habe zwar noch einen Funken Hoffnung bei Dir, sehe das hier aber im Wesentlichen als Präventionsmaße, um andere davon abzuhalten, Deine Weisheiten nachzuplappern. ;)

  • Die Profitinteressen bezogen sich natürlich auf die heutige Zeit. In der DDR wurden doch Profite nicht mit Immobilienspekulation gemacht, AEG !! :lach:
    Die Wände der heutigen Häuser sind so dünn, das keines der heute gebauten Häuser auch noch in 100 Jahren stehen wird. In Rom dagegen gibt es Tonstein Gebäude die seit über 2000 Jahren Stand halten.. Alles klar ? ;)


    Und jetzt ist Schluss mit OFF TOPIC !!

  • Du schweifst vom Thema ab. Gerade ging es noch um Henselmann und die DDR. Auf einmal nicht mehr? Wenn es in der DDR also keine Immobilienspekulation gab (in der die Gründerzeitler übrigens die unangefochtenen Meister waren!) und wenn Rekonstruktionen auch nicht schlechter gewesen wären, weshalb wurden dann trotzdem wahllos Platten über das Land verstreut? Hat denen vielleicht nur ein schlauer Lars gefehlt?


    Könntest du mal etwas genauer auf die römischen "Tonstein-Gebäude" eingehen? Wie wurden die errichtet und woraus genau? Was war ihr Zweck und wie lange sollten sie welche Ansprüche tatsächlich befriedigen? Und wie tragen die klimatischen Bedinungen dort dazu bei?


    Wenn auch vor 120 Jahren in Berlin nicht für die Ewigkeit gebaut wurde bedeutet das übrigens nicht, dass die Häuser ein physisches Verfallsdatum am Tag X gehabten hätten, an dem sie einfach so in sich zusammengebrochen wären. Nimm einfach zur Kenntnis, dass auch diese Bauten aus ganz simplen wirtschaftlichen Erwägungen errichtet wurden und nicht in weiser Voraussicht dazu dienen sollten, einem Lars viele Jahre später den Nachteil von Plattenbauten aufzuzeigen und sich somit nachträglich für die Ewigkeit zu empfehlen. Das ist eine Kopfgeburt! Die ökonomischen Interessen der Bauherrn haben es verlangt, eine Mindesterhaltungdauer anzunehmen, schon der Kredite wegen. Irgendwann hat sich so ein Bau auch mal amortisiert und dann ist die Wirtschaftlichkeit der Erhaltung mit der eines Neubaus abzuwägen. Der Verschleiß war damals auch viel höher, durch Umwelteinflüsse, durch die Haushaltsgrößen, durch produzierendes Gewerbe innerhalb der Häuser etc. bedingt, und die Haltbarmachung war längst nicht so ausgefeilt wie heute. Ausserdem ist man von einem anhaltenen Wachstum ausgegangen. Deshalb entstanden eben diese Richtwerte zur Lebensdauer. Nach Deiner Logik hätte man auch die Vorgängerbauten der Mietskasernen auf weiten Gebieten des ursprünglichen Berlins stehen lassen sollen, die oft eine mehrgeschossige Mischform zwischen Stall und Militärkaserne waren.


    Nochmal EDiT: hätte man damals tatsächlich für die Ewigkeit geplant, wären im ausgehenden 19. Jahrhundert als erstes sicher mal die Holzbalkendecken gestrichen und durch so genannte "Berliner Decken" ersetzt worden (tonnenartige Mw-Gewölbe zwischen T-Profilen in engem Raster, gelegentlich durch Verputzen geebnet). In Gewerbebauten, frühen Bürohäusern und teils auch als Podeste in den Treppenhäusern einfacherer Arbeiterhäuser waren die sehr üblich. Und dann hätte man sich vermutlich auch etwas langlebigeres als Gips mit Farbüberzug an Stahlankern als Fassadenschmuck überlegt.

    Fischmarktthread, wir kommen! Edit: doch nicht. Es hat sich noch ein viel besseres Quartier gefunden, diesmal sogar ohne feste Schließzeiten :).

  • In Rom dagegen gibt es Tonstein Gebäude die seit über 2000 Jahren Stand halten.. Alles klar ? ;)



    Es gibt sie, aber das sind Ausnahmen, meist solide gebaute, repräsentative Bauten. Die Regel sah anders aus! Rom war die erste Megacity und hatte mit extremer Wohnungsnot zu kämpfen. Das rief die Spekulanten auf den Plan (ja, die gabs damals schon) Damals entstanden Mietskasernen mit bis zu
    sieben Stockwerken! Die Zustände waren katastrophal. Es gab fensterlose Kellerunterkünfte, Spelunken, Prostitution. Aber die wichtigste Info für dich Lars, die dinger stürtzten nicht selten ein! Was nicht weiter schlimm für die Immobilienhaie war, sie bauten die Dinger billig wieder auf und verlangten erneut horrende Mieten! Genauso wie jede andere Epoche, in der wir nicht gelebt haben, verklären wir das Römische Reich, die griechische Antike, die Gründerzeit!


    Das älteste Betongebäude, welches ich kenne ist 97 jahre alt und sieht noch sehr solide aus, ich denke die Platten können ebendso alt werden! Die ältesten Platten Berlins sind immerhin 82 Jahre alt! http://de.wikipedia.org/wiki/Plattenbau#Geschichte

  • Es ist schon richtig, dass man die Lebensdauer vieler Montagebauten ursprünglich mit 60 bis maximal 100 Jahren kalkuliert hatte. Für manche galten noch kürzere Zeiten. Das lag vor allem daran, dass man annehmen musste, die Armierung würde irgendwann korrodieren und die Elemente damit ihre Zugfestigkeit einbüßen. Mittlerweile gibt es aber ganz gute Möglichkeiten die Fugen dauerhaft zu versiegeln. Damit kann man die Korrosion noch eine Weile hinauszögern.


    Lars, ich hoffe nur, das Eigenheim, das du in der Nähe von Hellersdorf bewohnst, besteht nicht vorwiegend aus Holzrahmen, Rigipsplatten, Folie und Dämmung("Fertighaus"):). Denn das sind aus meiner Sicht die wahren Wegwerfhäuser von heute! Hier erkauft man sich mit der kurzen Bauzeit und den lustigen Ökosiegeln eine unwirtschaftliche spätere Sanierung und vor allem eine ungenügende Flexibilität.