Dresden: Seevorstadt - Prager Straße

  • Aha, konsequent zu Ende gedacht, sollten wir dann auch das Konzept von Indudstriegebieten begraben, schließlich sind die außerhalb der Arbeitszeiten tot und nur mit dem Auto (PFUI) zu erreichen, während die Wohnungen der Arbeiter ja tagsüber tot sind. Schlimme Sache. Wäre doch viel schöner, wenn die Boschmitarbeiter direkt nebenan wohnen könnten. Wie wär's mit Blasewitz..?

    Es gibt in einer modernen Stadt nunmal Orte, die mehr oder weniger gut zum Wohnen geeignet sind. Dass heute niemand neben einer Feuerwache, Werkstatt, Tankstelle,..., wohnen muss, dort allerdings leicht hinkommen kann, ist kein Fluch, sondern eine Errungenschaft. Dort tagsüber zu arbeiten, ist allerdings kein Problem. Ja das sind räumlich getrennte Funktionen und daran ist nichts schlimm. Und dann immer dier Buhmann von der autogerechten Stadt, als wäre Mobilität der Teufel schlechthin und jeder solle doch bitte in einem 100m Umkreis arbeiten und leben. Das hat nichts mehr mit einer funktionierenden modernen Großstadt zu tun. Kleingewerbe und Gastronomie kann ja laut vielen Usern hier in jedes Erdgeschoss Dresdens, so als würde Bedarf gar keine Rolle spielen. Das war schon vor dem Krieg nicht der Fall und kann heute erst recht nicht funktionieren.

    P.S. Wir haben 2020, nicht 1920, und abgesehen vom Gestaltungswillen in der Architektur, trauere ich dieser Zeit nicht hinterher.

  • Das ist wohl etwas überspitzt aufgefasst worden, das war nicht beabsichtigt. Mit meiner Beschreibung der Lage an der Strehlener Straße wollte ich ausdrücken, dass dort nicht unbedingt ein reines Gewerbegebiet hin muss, sondern dass sie sich für mehr als das eignet.


    Es gibt natürlich einen Unterschied, ob man über Produktionsstätten, wie die Chipfabrik von Bosch, oder um innenstadtnahe Büroräume spricht. Erstere Gewerbe gehören natürlich in Industriegebiete, die alleine schon wegen der Lieferwege bevorzugt außerhalb der Innenstadt und an Verkehrswegen (Autobahn, Bahnstrecken, etc.) angesiedelt werden sollten. Das betrifft auch Tankstellen und Feuerwachen, usw. insoweit, als sie nicht mitten in (auch) zum Wohnen oder Aufhalten genutzten Gebieten vorgesehen werden sollten, sondern z.B. an Ausfallstraßen.


    Büros von Dienstleistungsbetrieben (z.B. Kanzleien, Designagenturen, Versicherungsmakler, etc.), können aber in gemischten Gebieten wunderbar mit Wohnnutzungen und Einzelhandel/Gastronomie harmonieren und so auch in der Innenstadt bestehen. Dadurch gibt es auch tagsüber, wenn die Bewohner auf Arbeit sind, Bedarf an Einzelhandel und Gastronomie vor Ort, sowie auch in Randzeiten, wenn der Bedarf privater Natur ist. In einem reinen Büro-Park muss es dann z.B. entweder eine Kantine geben oder in der Mittagspause wird woanders hin gefahren, um zu essen.


    Wie gemischte Nutzung heutzutage funktionieren kann, sieht man z.B. am "Haus am Schauspielgarten", wo im Erdgeschoss ein Supermarkt eingezogen ist (auch wenn die Architektur hätte besser sein können und die Schaufenster nicht verklebt sein müssten), der ansonsten ja auch "auf der grünen Wiese" in irgendeinem Industriegebiet hätte entstehen können. Wenn es momentan nicht so einen großen Bedarf an Wohnraum geben würde, hätte man sicher auch in einer Etage Büroräume vorgesehen, wie das z.B. auch in der Weißen Gasse in den 50ern gemacht wurde und sogar in Gorbitz auf der Braunsdorfer Straße in den Plattenbauten, wo die Erdgeschosswohnungen von Arztpraxen, Büros und Geschäften belegt waren.


    Die autogerechte Stadt ist ja nicht durch natürliche Entwicklung der Nutzungstrennung entstanden, sondern wurde zusammen mit dieser so geplant - und das hat sich eben als nicht nachhaltig herausgestellt. Mobilität ist natürlich wichtig, aber in der Innenstadt sollten kurze Wege ermöglicht werden, was die autogerechte Stadt absichtlich verneint und die Möglichkeit verweigert, Wege zu Fuß, mit dem Fahrrad oder den Öffentlichen zu erledigen, weil die Verkehrsflächen vorrangig für MIV ausgelegt sind. Wer bei Bosch arbeitet, soll natürlich auch mit dem Auto hinfahren können. Es geht aber überhaupt um die Möglichkeit, in 100 Meter Entfernung zum Wohnort zu arbeiten, einzukaufen usw., ohne erst irgendwohin fahren zu müssen. Im Übrigen ist auch bzgl. der Architektur diese kleinteilige Parzellierung und Mischnutzung vorteilhaft, denn das schafft Abwechslung und verhindert überdimensionierte und langweilige Baukörper.


    Wenn um 1900 im EG eine Bäckerei einzog und der Geselle evtl. mit einem Lastenfahrrad das Mehl vom Großmarkt am Bahnhof Mitte holte, und die Bewohner der umliegenden Straße auf dem zu Fuß oder per Straßenbahn zurückgelegten Nachhauseweg von der Arbeit dort einkauften, klingt das für mich genau nach der Verkehrswende und dem Nachhaltigkeitskonzept für die Stadt, das heute doch überall gepriesen wird. Das Vorbild des Städtewachstums um die Jahrhundertwende ist nämlich genau aus diesem Grund ein solches: Weil es kaum private PKW in der Stadt gab, hat die Stadt ohne selbige funktioniert.

  • Mir ist schon schlecht. Und jetzt kommt die Pointe: das ist nicht mal auf dem Mist eines einsamen ortsfremden Architekten gewachsen, sondern das Ergebnis monatelanger mehrstufiger Bürgerbeteiligung und der Bewertung einer Jury. Unfassbar. Da hätte man die Stadt einfach in den Robotron-Gebäuden unterbringen sollen und hier den Parkplatz erhalten können und Dresden wäre weniger verschandelt gewesen. Ich werde mich in Zukunft für die Erhaltung jeder Brache in dieser Stadt einsetzen. Die Bauherren wollen nicht vernünftig bauen und die Architekten können es nicht, so sieht die Wahrheit aus.


    edit: Hallo, Gestaltungskommission, gibt's euch noch?

  • Hab mir die beiden Entwürfe gerade mal zum Spaß angeschaut und muss sagen das mir der erste Entwurf, zumindest losgelöst vom Standort, gut gefällt. Ich war vor ein paar Monaten zum ersten mal in Dresden und hatte ehrlich gesagt nicht das Gefühl als ob man an der Prager Straße oder deren näherem Umfeld wirklich viel verschandeln kann. Das liegt nicht so sehr an der Qualität der Bauten dort sondern eher am etwas wilden Mix an Stilen und Gebäudevolumen. Was hätte man sich in Dresden denn an dieser Stelle gewünscht?

  • Beide Entwürfe sind absolut unterirdisch und dieses zentralen Standorts in unmittelbarer Nähe zum Rathaus unwürdig. Das habe ich auf der entsprechenden Plattform auch so zum Ausdruck gebracht.


    Leider ist das Kind schon mit dem Bebauungsplan in den Brunnen gefallen. Dieser schreibt für die Bebauung am Ferdniandplatz Flachdächer zwingen vor.

    Zitat:


    "Die Vorgabe für Flachdächer in Verbindung mit Höhenbegrenzungen und den Einschränkungen auch für technische Aufbauten soll ein homogenes Erscheinungsbild des Gebietes sichern und orientiert sich an den Bauten der näheren Umgebung."


    Damit orientiert man sich


    - nicht am Rathaus,

    - nicht an der Hauptsparkasse,

    - nicht am Sparda-Bank-Gebäude,

    - nicht am Kaufhof-Gebäude,


    sondern an den Platten aus den 70ern...


    (Und diese Platten sind um Vergleich dazu geradezu kleinteilig, sie weisen klare horizontale und vertikale Fassadengliederungen auf, betonen die Ecksituationen im Quartier, haben ein echtes Erdgeschoss, mit Läden, für Menschen, haben einen wie ich finde schönen Innenhof, unterschiedliche Gebäudehöhen und und und. Ich gebe meinem Vorredner Recht, besser wäre es gewesen, man hätte diese Fläche zu einer Grünfläche umgewandelt. Mögen die Sprayer sich dieses Klumpens in Zukunft annehmen.)

  • Und was hätte man sich gewünscht? Mehr Kleinteiligkeit oder eine historisierende Fassade? Zumindest Gestalterisch kann ich jetzt keine Analogien zu den Plattenbauten in feststellen, das man sich an Struktur und Höhe der näheren Gebäude orientiert finde ich eher konsequent.

  • Und was hätte man sich gewünscht?

    1. eine in menschlichen Proportionen gegliederte Fassade: sichtbar abgesetzte Erdgeschosszone als Sockel, Mittelzone, die bei der Höhe und Geschosszahl differenziert gestaltet werden sollte, ggf. Attikazone (v.a. bei Flachdach) und eigentlich auch ein Sattel- oder Mansarddach, zumindest in Richtung Neues Rathaus und Georgplatz
    2. ein geringerer Anteil Fensterfläche im Bezug auf Wandfläche, um überhaupt Fassadengestaltung möglich werden zu lassen. Zudem sind bodentiefe Fenster bei einem Verwaltungsgebäude unnötig, zumal die Innenraumgestaltung es nicht wert sein wird, übermäßig nach außen getragen zu werden
    3. eine Unterteilung der Fassade in Anlehnung an kleinteilige Parzellierung; bei so einer langen Fassade kann ja sonst nur Eintönigkeit entstehen. Das Gebäude sollte klar erkennbare Abschnitte haben und nicht als großer Klotz einfach auf der Ecke stehen.
    4. Zum Ring (also in Richtung Innere Altstadt) sollten v.a. mehr Anlehnungen an historische Gestaltung in der Stadt enthalten sein, z.B. bogenförmige Arkaden, Risalite, Zwerchhäuser, Portale, etc. - v.a. aber regionaltypische Materialien und viel weniger Stahl, Beton und Glas. Sandstein oder Meißner Granit ist hier das Mittel der Wahl für eine Einbettung in den gewachsenen Stadtraum.
    5. Weniger Glasflächen aus Gründen der Energieeffizienz und Umweltverträglichkeit, v.a. aber der Ästhetik. Nicht umsonst wurde die riesige Glasfläche bei Dämmerung visualisiert, wenn es ringsum zu dunkel für Reflektionen und innen noch voll beleuchtet ist. Bei (grauem) Tag oder abends am Wochenende wird sowas zu einem abweisenden Unort.

    Im Übrigen geht es bei Architekturentwürfen nicht darum, welcher Entwurf am wenigsten die Umgebung verschandelt, sondern welcher sich - unter Berücksichtigung von Funktion und Ort, sowie Geschichte der Umgebung - am ästhetischsten in das Stadtbild einfügt. Dieses öffentliche Verwaltungsgebäude kann dabei natürlich ein Solitär sein, aber selbst das riesige Neue Rathaus gegenüber fügt sich in den Stadtgrund- und Aufriss harmonisch ein. Das neue Verwaltungszentrum wird ein Mittler zwischen dem "modernen" Süden (Prager Straße, Sankt Petersburger Straße) und dem historischen Norden/Osten (Innere Altstadt/Ring, Pirnaische Vorstadt, Bürgerwiese) sein und muss daher besonders sensibel gestaltet sein.


    Die Jury wird übrigens erst im Januar entscheiden und bekommt die Ergebnisse der Bürgerbeteiligung vorher vorgelegt. Die Gestaltungskommission wird normalerweise erst später hinzugezogen, wenn klar ist, was konkret gebaut werden soll.


    Ein Vorschlag von StadtbilDD, entwickelt von den Patzschkes, wäre mir hier viel lieber.

  • Also der Vorschlag von Patschke Architekten erinnert mich stark an Gebäude die man in den späten 80ern und Anfang der 90er gerne gebaut hat, zumindest meine ich da leicht postmodernistische Ansätze meets Historismus zu erkennen. In Stuttgart hatten wir übrigens eine etwas ähnliche Situation wo vor ein paar Jahre ein Neubau zwischen dem historischen Karlsplatz, mit dem alten Waisenhaus, und dem Kaufhaus Breuninger errichtet wurde. Auch da galt es einen Brückenschlag zwischen alt und neu, sowie unterschiedlichen Traufhöhen zu schaffen. Herausgekommen ist dabei das "Dorotheen Quartier" https://behnisch.com/work/projects/0646

  • Da es nun kein Hochhaus sein soll, muß die angestrebte Geschossfläche nun irgendwie anders verteilt werden. Das sieht man beiden Entwürfen meiner Meinung nach überdeutlich an. Wobei dieses "abgesägte" Hochhaus auf der Ecke, im zweiten Entwurf irgendwie gar nicht geht. Das wirkt auf den ersten Blick mutlos, verdruckst und zu kurz gesprungen. Die Fassadenfarbe gibt dem Ganzen dann den Rest.


    Pro Patzschke

  • ^Na dann könnt ihr ja froh sein, dass es einer der beiden Entwürfe im Wettbewerb wird und weder das Dorotheen Quartier noch dieser historisierende Müll von Patschke. Wie gesagt, viel kaputt machen kann man dort ohnehin nicht.

  • Mir persönlich gefällt der erste Entwurf aus mehreren Gründen ganz gut. Er ist ein eigenständiger Entwurf mit einer gewissen Unverwechselbarkeit. Es ist ein repräsentativer Bau, der auch hoch genug ist, um die benachbarten riesigen Verkehrsschneisen zu fassen. Die Fassade mit den abwechselnd kupferfarbenen Elementen finde ich durchaus interessant. Ich bin sonst auch ein Freund von Parzellen und abwechslungsreichen Fassaden, aber hier ist ein Solitär angebracht, denn das Gebäude hat ja eine zentrale Nutzung und sollte das auch nach außen zeigen. Der Eingangsbereich mit der Öffnung zur Schulgasse ist großzügig und die Fassadenöffnung zur St. Petersburger Str. fast ein bisschen weltstädtisch. Weniger gut gefallen mir die gedrungene Erdgeschosszone und der dunkle Farbton der beiden obersten Etagen, wobei man das auch als Stadtkrone deuten kann; dann hat es eigentlich auch wieder etwas.


    Ganz schlimm finde ich hingegen Entwurf 2. Der ist furchtbar austauschbar und provinziell.

  • Wie gesagt, viel kaputt machen kann man dort ohnehin nicht.

    Trifft auf 99% von Stuttgart auch zu, also wenn ihr noch architektonische Dillettanten braucht, meldet euch, hier gibt es noch genug. Kisten der Kategorie Getränkemarkt^3 brauchen wir hier nicht.

  • Wie du schon richtig sagst, in Stuttgart verhält sich manches ähnlich wie in Dresden. Den ersten Entwurf würde ich in Stuttgart dankend annehmen, der zweite wäre mir einfach zu banal. Der Standort in Dresden scheint wohl emotional beladen zu sein, oder geht es darum dem Rathaus nicht zu sehr Konkurrenz zu machen? Oder gibt es in Dresden einen generellen Wunsch nach mehr Rekos oder historisierenden Fassaden?

  • Oder gibt es in Dresden einen generellen Wunsch nach mehr Rekos oder historisierenden Fassaden?

    Du bist neu hier, oder?

    Dass die weiter oben verlinkte StadtbilDD-Katastrophe hier so viel Zuspruch erhält, kommt nicht von ungefähr.