Neue Ornamentik?

  • Neue Ornamentik?

    Habe gerade ein interessantes Beispiel für Ornamentik in der heutigen Zeit gefunden:



    quelle: http://www.hildundk.de / www.neumarkt-dresden.de


    Erklärung zum Bau:

    "(...) Während den Exegeten der Architekturszene noch die Köpfe rauchten, holten Hild und K zu weiteren Schlägen aus. In Berlin renovierten sie ein Haus der Gründerzeit, dessen Putz nach dem Krieg abgeschlagen worden war, auf besondere Weise. Die Originalzeichnung für das Fassadendekor wurde im Computer vergrößert; dadurch wurden die Linien unscharf und bröselig. Diese enorm vergrößerte, leicht unscharfe Zeichnung wurde per Laser aus einem Kunststoff geschnitten und durch eine Schablonenputztechnik auf die Hauswand übertragen. Auf der Fassade ist also eine vergrößerte Zeichnung zu sehen - die gleichzeitig Skulptur ist. Die Fassade ist ein Vexierbild: Das Dekor ist einerseits nur Projektion, andererseits - weil ins Material gefräst - auch dreidimensional; eine Reliefzeichnung, die zwischen Abbild und Original oszilliert, ein halbes Trompe-l'oeil, das die Vergangenheit in die Fassade zurückzaubert, ohne sie nachzubilden. Wie Gewächs wuchern die Zeichnungen über die einst geglättete Fassade und wirken wie ein neuer Jugendstil: Der Entwurf kriecht als Gewächs über den fertigen Bau.
    Die Fassade ist die Rückkehr des Staunens und des Rätsels, der Architektur als Erzählung und Labyrinth im Stadtbild. Die Stucklabyrinthe der Gründerzeitbauten wirkten wie eine Metapher der chaotischen Verschränkungen und Entwicklungen der Biographien ihrer Bewohner(...)"
    (von hier)


    Die Architekten waren das Münchener Architektenbüro Hild und K. (-> http://www.hildundk.de )


    Ist dies vielleicht die Lösung für die jetztige Architektur, die noch zwischen Kubismus, Traditionalismus und Glaskästchenbauens hin- und hergerissen ist? Was haltet ihr davon?


    p.s: vielleicht noch ein ganz passender Artikel aus dem Berliner Magazin "Scheinschlag": "Angriff der Zuckerbäcker" zu lesen hier

  • Vereinzelt anwendbar, da doch sehr reduziert. Ganze Straßenzüge in diesem Stil wären wohl ebenso attraktiv wie weiß getünchte Plattenbauten. Ich bevorzuge die Ornamentik der nebenstehenden Gebäude.

  • Ich find's hässlich. Wenn das Muster jetzt ordentlich aufgebracht wäre, dann würde ich's mir noch gefallen lassen, aber so? Lieber nicht.

  • Warum konnte man nicht einfach die alten Verzierungen wieder anbringen? Nein, es mußte wieder etwas ganz besonders Originelles gemacht werden... :(

  • Mal wieder so was unheimlich "zum nachdenken anregendes"...man könnte ja sonst aus Versehen nur sowas schrecklich profanes wie eine originale, plastische und damit sehr viel schönere Nachbildung der Stuckfassade machen. Immer dieser bedeutungsschwangere Ansatz, es ödet an.

  • ich finde es einen sehr interessanten ansatz- es ist eine auseinandersetzung mit dem thema wiederherstellung einer fassade.Nicht einfach kopieren, sondern zeigen, das in den letzten 50jahren was passiert ist.
    Einerseits eine Bekenntniss zur Vergangenheit, andererseits eine Bekenntniss zur Gegenwart, mit architektonischen Mitteln, die der Gegenwart entsprechen.


    Es ist mit Sicherheit ein ganz anderer Anspruch dahinter zu sehen als jener, den viele hier im forum vertreten, nämlich aufgrund des Wunsches nach "optischer lieblichkeit" ganze Viertel in damaligen stilrichtungen neu zu bauen(oder zumindest die fassaden).


    Ich denke, das es auch aufgrund der Methode als ein einmaliges kunstwerk zu sehen ist.
    Meiner meinung nach sehr gelungen und reflektiert.


    Es eignet sich aus architektonischer und städtebaulicher Sicht aber garantiert nicht dazu, in grossem Umfang kopiert zu werden, was aufgrund der Tatsache, das es sich eben um ein Kunstwerk handelt, auch gar keinen sinn macht.
    (Genausowenig wie sich 10 gleiche kopien eines Bildes eines Künstlers ins wohnzimmer zu hängen.)

  • Sowas ist mal ganz interessant, aber ich muß sagen, daß ich das Ding eher häßlich finde. Die Ornamente wirken ein bißchen wie bei nachträglich mit Barockschnörkeln beklebten mittelalterlichen Häusern. Die Ornamente sind zu dünn, man sieht, daß sie nachträglich aufgesetzt (oder hier: eingefräst) wurden. Man merkt, daß sie - in dieser Form - zum Haus eigentlich nicht dazu gehören. So interessant diese Technik auch ist, so sehr der Versuch berechtigt ist, so etwas einmal auszuprobieren - mir würde die glatte, unverzierte Fassade fast besser gefallen.

  • Und den Maßstab der "optischen Lieblichkeit" ( schöner Ausdruck ) zum Allgemeinstandard erheben, den die Masse der "sehenden" bzw. "Geschmack aufweisenden" Bevölkerung durch egomanisch private Neigungen durchpeitschende Modernisten verwehrt bekommt.


    Was ja auch stimmt.


    Zum Haus...besser als gar nichts aber es wirkt halt ein wenig wie gewollt und nicht gekonnt.

  • wenn es eine glatte fassade wäre, mit den einfräsungen wäre es okay. aber da dieser erker und der balkon in form eines kubus hervorstehen, stört dies den gesamteindruck des hauses und lässt es äußerst billig wirken. ich finde es interessant, aber nicht gelungen. aber es ist ein anfang, dass so etwas überhaupt gemacht wird.
    ich respektiere es als einmaliges kunstwerk, aber es sollte meiner meinung nach nicht x-mal kopiert werden.

  • Das Problem ist, daß Vertreter modernen Bauens, nach meiner bisherigen Erfahrung zumindest, den Laien jede künstlerische Kompetenz absprechen.
    Und den Maßstab der "optischen Spärlichkeit" ( auch ganz netter Ausdruck ) zum Allgemeinstandard erheben, den die Minderheit der "sehenden" bzw. "Geschmack aufweisenden" Architekten durch hysterisch öffentliche Neigungen durchpeitschende Nostalgiker verwehrt bekommt.


    Ideologiedebatten überfrachten also immer aufs Neue, mit gebetsmühlenhaft vorgetragenen Standardfloskeln wie "Disneyland", "mißverstandene Moderne" oder "unehrliche Kopie" diese fallspezifischen Betrachtungen.

  • Ist es wirklich "bisherige Erfahrung" oder passts halt einfach gerade gut in die Argumentationskette?
    Wirf doch mal einen Blick in die Schweitz- da wird moderne architektur, und damit meine ich nicht irgendwelche Kommerz-boxen, oder bauhaus-kopien, sondern eine auch geistig weiterentwickelte form der moderne praktiziert und auch von künstlern und architekten "gelebt", und die ist alles andere als "optisch spärlich")absolut nichtssagender begriff!). Da wird bis ins kleinste Detail hin überlegt, wie man welche materialien kombiniert und einsetzt.
    Schau Dir doch mal die Therme von Peter Zumthor oder auch seine anderen Werke an-
    Oder wirf mal einen blick in den Allianz arena Bauthread, mit wieviel begeisterung dieses bauwerk aufgenommen wird - gebaut von Vertretern der "Schweizer Moderne" Herzog und de Meuron.


    Ach was solls, es ist eh umsonst....... :(

  • Guck doch einfach mal auf den Beitrag von TowerCat etwas weiter oben. Einen eleganteren Hinweis auf das Prinzip mit dem Balken im eigenen Auge kann man sich kaum denken.

  • PS: Es ist immer so, das die vertreter einer bestimmten "Glaubensrichtung" in Kunst, Musik, Architektur, Politik oder sonstwo versuchen, ihre Wiedersacher (oder leute die sie nicht respektieren, sprich "laien") erstmal damit ruhig stellen wollen, das sie ihnen jegliche kompetenz absprechen. Das ist nichts typisch architektur oder gar "moderne" spezifisches.
    Was anderes machen die "traditionalisten" ja auch nicht;)

  • Dirk1975


    Sehr gut! :daumen:


    Man könnte es vielleicht auch so formulieren: "Wer die Welt nur in "Reis (= Stahl, Glas und Beton) und Nudeln (= Bauhausstil)" unterteilt, kriegt Probleme, wenn er auf eine Bohne stösst" :D

  • Finds eigentlich ganz gut. Errinnert ein wenig an den traditionellen islamischen Baustil. Könnte mir durchaus auch mehr Farbe an dem Objekt vorstellen.

  • rec: ich glaube du hast da was falsch verstanden ;)


    Ein kennzeichen der Architektur der Gegenwart ist doch ihr stilistischer Pluralismus.
    Während es früher immer eine Richtung gab, die gerade "Mode"war, und weltweit oder teilweise auch national bis zum Exzess gebaut wird, (Barock, Rokkoko, Klassizissmus, klassische Moderne...) leben wird doch heute in einer Zeit in der die verschiedensten Richtungen mehr oder weniger akzeptiert nebeneinder existieren.
    Aus einem Baustil der Epoche ist ein Baustil der Architekten geworden.


    Jeder namhafte Architekt hat "seinen" Stil, seine Interpretation einer bestimmten Stilrichtung oder gar eine gänzlich neue Definition. Siehe Zaha Hadid, MVRDV oder REM Koolhaas...
    Das gehört zur heutigen zeit, ist einerseits ein Zeichen der künstlerische Freiheit aber auch wirtschaftlcher Notwendigkeit( stichwort "Markenbildung")


    Es ist ein Zeichen dafür, das wir in einer freien Welt leben.


    Niemand wird dich daran hindern, dir ein neobarockes Wasserschloss zu bauen (wenn du`s selber finanzierst), genauso wie dich niemand daran hindert, eine 1:1 Kopie von Corbusier`s Maison Citrohain(Ikone der klassischen Moderne) zu bauen.


    Diese Stilfreiheit (und die technischen Möglichkeiten)ist es, die das 21.Jhd zur meiner Meinung nach besten Zeit für Architektur überhaupt machen.


    Was wir brauchen, sind lediglich ein stück Akzeptanz und vor allem ernstgemeinte Diskussionen, die auch mal einen Positionswechsel zulassen.



    (PS: Was passiert eigentlich, wenn alles rekonstruiert ist? jetzt mal rein hypothetisch)

  • Oder laß es mich so formulieren: Vielleicht denkt ja manch Einäugiger beim Anblick eines Menschen mit zwei Augen, er hätte einen Blinden vor sich.


    Jawie? :doof:


    Dazu müßte der Einäugige ja wohl schon blind sein. Aber kann man ihn dann noch als einäugig bezeichnen? Oder aber er hat recht: Mancher Mensch hat zwei Augen und kann trotzdem nicht sehen. Hinzu kommt, daß man sich angesichts dieses Zitats:


    Aber allem Spaß zur Seite gestellt: Das Erheben des eigenen Geschmackes zum allgemeingültigen Standard (selbstverfreilich entspricht der auch der schweigenden Mehrheit der "Laienschar") habe ich tatsächlich immer nur aus einer Richtung gehört.


    nicht nur über Einäugigkeit, sondern auch über das Phänomen der Einohrigkeit unterhalten müßte. Fragen über Fragen. Sicher ist nur eins: Dogmatisch sind die jeweils anderen. :cool:


    Merke: Im Hundezwinger haben Katzen nichts verloren...


    Schade. Gelegentlich könnte ich mal Unterstützung brauchen, wenn die Jungs da mal wieder das Kind mit dem Bad ausschütten.