Dresden: Neumarkt

  • Aber Dresdner Stadtteile wie Blasewitz mit seinen Wohnpalästen und aufgelockerter Bebauung wurden doch vermutlich auch hauptsächlich als Schlafstädte für die wohlhabende Mittel- und Oberschicht erdacht. In Vierteln mit geschlossener gründerzeitlicher Blockrandbebauung kann die Sache anders aussehen.

    Ich finde die Fixierung auf geschlossene Blockrandbebauung etwas merkwürdig.

    Dresden hatte vor der Zerstörung größtenteils keine geschlossene Blockrandbebauung. Bereits während der Gründerzeit (und dann um 1900 - 1910) gab es andere Konzepte; in vielen Stadtteilen war eine geschlossene Blockrandbebauung nicht gestattet. Siehe z.B. Striesen (was ja architektonisch in Blasewitz übergeht) oder auch das von mir schon erwähnte Löbtau; ebenso Teile von Pieschen und Trachau. Die legendäre "Dresdner Kaffeemühle" würde ich in den meisten Fällen ganz sicher nicht als "Wohnpalast" bezeichnen; große Teile dieser Gebiete waren dann doch eher Arbeiter- und Angestelltenviertel.

    Und dort finden sich dann auch andere Herangehensweisen - z.B. die Konzentration von Geschäften und Gastronomie an Hauptachsen (Kesselsdorfer, Schandauer, Großenhainer Str.), während in den Nebenstraßen die Wohnbebauung überwiegt.

    Der genossenschaftliche Wohnungsbau, Werkswohnungen, Bauvereine und ähnliches haben dann diesen Trend noch verstärkt, weil dort natürlich der Fokus explizit auf der Schaffung von WOHNraum lag und somit Gewerberäume nicht in gleichem Maße entstanden.

  • Im Oktober 2000 bin ich nach Dresden gezogen, weil ich mich in diese Stadt verliebt habe und den Wandel und Wiederaufbau spannend fand. Mittlerweile bin länger in Dresden als in irgendeiner Stadt vorher und fühle mich als stolzer Dresdner, der die Entwicklung der Stadt durchaus auch kritisch sieht.

    Der Neumarkt spielt für mich natürlich eine ganz besondere Rolle. Zu Ostern 1989 war ich das erste Mal in Dresden und stand vor der Ruine der Frauenkirche. Von meinen Eltern und Großeltern habe ich so viel über Dresden (vor dem Zweiten Weltkrieg) gehört und war damals als BRD-Pubertier maßlos enttäuscht. Damals dachte ich mir auch nur: Nie wieder nach Dresden.

    Als ich 1997 einen Kommilitonen kennenlernte, der in Dresden studiert hatte (er promovierte damals an meiner alten Alma Mater), lud er mich ein, mit ihm nach Dresden zu fahren. Damals 1998 zur Bunten Republik Neustadt.

    Ich habe Dresden nicht wieder erkannt und Dresden (diesmal) wirklich etwas näher kennenlernen dürfen. Zum WS 2000/01 bin ich dann nach einem einjährigen Auslandsstudium direkt an die TU-Dresden gegangen.

    Ich habe seit dem den Wiederaufbau und die Neugestaltung und zig Diskussionen miterleben dürfen und muss aber auch sagen, dass ich vorher auch schon in anderen Touristenstädten gelebt habe (z.B. Prag).

    Von daher kann ich viele Kritik am Neumarkt verstehen. Darunter "leiden" viele andere Städte auch, aber sie leben davon gleichzeitig sehr gut.

    Mittlerweile bin ich eher selten im Stadtzentrum. Das liegt an der Arbeit. Aber mit meiner Familie nehme ich mir regelmäßig bewusst Zeit und wir fahren dann an den Neumarkt und setzen uns einfach nur irgendwo hin und genießen diesen Platz. Wir flanieren darüber und dann gönnen wir uns auch etwas. Zugegebenermaßen ist das auch etwas teurer. Aber der Blick, die Gestaltung, der Flair des Neumarktes sind einfach unbezahlbar. Auch wenn viele es als kitschiges Disneyland sehen. Ich sehe darin etwas anderes. Die Geschichte, die historische Komplexität des Platzes ist einfach atemberaubend und lässt mich oft so manche unbewusste Träne verdrücken.

    Wenn ich so manche Urdresdner höre, dann kann ich deren Kommentare nicht nachvollziehen.

    Ich sehe mich jedes Mal vor den Trümmern der Frauenkirche Ostern 1989 stehen und den Geruch und die Tristess und Enttäuschung spüre ich immer wieder. Und nun sehe ich das Wunder von Dresden, den historisierenden Aufbau des Quartiers, die bewunderten Blicke der Touristen aus allen möglichen Ländern. Ich sehe den Dialog zwischen dem katholischen August und seiner protestantischen Bevölkerung zum Bau einer neuen Kirche im Zentrum und ich sehe George Bähr mit seinen Plänen und dem Versuch etwas Unmögliches zu schaffen, was ihm letztendlich auch gelang, obwohl er es nie erleben konnte.

    Ich sehe diesen Platz als internationalen und versöhnlichen Ort. Menschen aus aller Welt kommen hierher. Nicht wegen des Platzes allein. Die meisten werden erst durch die Architektur angezogen und erfahren dann erst mehr über diesen Platz und seine Geschichte.


    Überall wo Touristen sind gibt es Kitsch und überhöhte Preise. Aber so empfinde ich den Neumarkt und Umgebung nicht. Und ein Espresso im Schatten der Frauenkirche ist nun mal teurer als in der Altmarkt-Galerie oder im Hauptbahnhof.

    Aber ich bin aufgrund des Ambientes bereit, da etwas mehr zu zahlen und alles zu genießen. Das bin ich aber nicht am Postplatz! (Das wäre jetzt aber ein neues Thema).


    Lange Rede - kurzer Sinn:

    Man sollte die Stadt nicht nur aus rein architektonischer Perspektive betrachten. Stadt bedeutet auch Geschichte, Emotionen und Lebensgefühl. Und dies sollte dann letztendlich die Architektur beeinflussen und nicht umgekehrt.

  • Sehr schöner Beitrag. Ich wohne seit 2009 in Dresden in der schönen Rothenburger Str. und besuchte als Kind im Jahr 1994 oder 95 mit meinen Eltern die Stadt. Das (nicht vorhandene) Zentrum wirkte auf mich unglaublich bedrückend in seiner Trostlosigkeit. Das Neumarktareal, Schlossruine, der monströse dystopische Anbau des Polizeipräsidiums, die trostlosen Freiflächen. Alles grau und ruinös. Wir besuchten auch die (Äußere) Neustadt. Ein paar Sanierungen gab es bereits. Ansonsten kannte ich selbst in Berlin nicht so ein zerfallenes Altbaugebiet. Und das sage ich als Ostberliner. Ernsthaft - der ganze Besuch prägte sich in seiner melancholischen Trostlosigkeit im Gedächtnis auf Lebzeiten ein.


    Umso erstaunlicher - bei aller berechtigten Kritik - was bis heute geleistet wurde. Die ganze Stadt und gerade das Zentrum ist wirklich im positiven Sinne nicht im Geringsten mehr wiederzuerkennen.


    Manchmal schau ich mir dieses kurze, erdrückende Video von 1991 zur Erdung an.

    2 Mal editiert, zuletzt von Omnio ()

  • ^


    Vielen Dank für diesen Link. Ich musste wirklich weinen.

    Kritik wird es immer geben und sollte es auch. Daran kann etwas wachsen und sich entwickeln. Was sich in den letzten Jahrzehnten in Dresden getan hat (und nicht nur in Dresden) ist unglaublich. Vor zwanzig oder dreißig Jahren hätte man denen, die eine solche Entwicklung prophezeiten den Vogel gezeigt und als Spinner abgetan.


    Die Entscheidung nach Dresden zu ziehen habe ich trotz vieler Schwierigkeiten nie bereut! Und deshalb bin auch hier im Forum, weil ich mich so mit dieser Stadt verbunden fühle, als wäre ich in einem früheren Leben Dresdner gewesen ;)

  • Jo die Fläche steht seit dem Bau leer. Wird auch mal Zeit, dass da wer einzieht.

    Bei der Recherche zum sog. Moritzhaus bin ich auf eine Presseerklärung von 2016 gestoßen, die möchte ich gern mit euch teilen:


    "[...] Nach Kulkes Auffassung bekommt das Moritzhaus keine Mieter, sollte es so, wie jetzt geplant, gebaut werden. Bestes Beispiel sei der Advanta-Riegel, der auch gegen den Willen vieler Dresdner gebaut worden sei und in dem sich nur wenige Gewerbetreibende erfolgreich hatten ansiedeln können. [...]"


    Die These lässt sich nicht überprüfen, aber mit einer Rekonstruktion wäre das nicht passiert.

  • Das Haus finde ich persönlich gar nicht so schlecht. Vor allem hat es eine bombastische Lage am Weg vom Alt- zum Neumarkt.

    Liegt der Leerstand nicht eher an der allgemeinen Krise des Einzelhandels gepaart mit den enorm hoch angesetzten Mieten?


  • Manchmal schau ich mir dieses kurze, erdrückende Video von 1991 zur Erdung an.

    Dieses Video wäre super Lehrmaterial für all die Wohlstandskinder von heute, die den Sozialismus allen Ernstes als zukunftsfähige, gerechte und ökologische Wirtschafts- und Regierungsform verklären!

  • Das Haus finde ich persönlich gar nicht so schlecht.

    Ich tatsächlich auch nicht! Aber gegen eine Barockfassade zieht es eben trotzdem hundertfach den Kürzeren.


    Natürlich liegt es am Mietpreis. Wäre die Miete günstiger, hätte sich schon (früher) jemand gefunden. Allerdings glaube ich nicht, dass die Ladeneinheiten hinter rekonstruierten Fassaden, die seit Jahren vermietet sind, günstiger sind.

  • Die DNN paywall verkündet, daß bis Weihnachten nach und nach alle Baugerüste am Q3.2-Hoym-Neuriesch fallen werden. Den Rest des Artikels kann ich nicht lesen. Heisst, daß es auch zwischendrin nun endlich neue freie Fassaden zu sehen geben wird - wenns denn so komme.

  • ^ Der Artikel ist mehr Rück- als Ausblick, aber ein paar berichtenswerte Details gibt es. Der Saal des Palais Hoym ist derzeit noch im Rohbau. „Zur Innenraumgestaltung laufen derzeit die Abstimmungen mit der Stadt“, sagt die Projektleiterin. Einen Mieter/Pächter für den Saal gebe es noch nicht - da liefen aber Verhandlungen. Komplett vollendet sein soll das Quartier Ende 2025. Ein Viertel der Wohnungen ist schon vermietet, die ersten ziehen im Oktober ein. Bei den Gewerbeeinheiten läuft es dagegen zäh. Man hätte gerne einen Lebensmittelmarkt gehabt als Ankermieter und hat dafür eine Fläche von 1.100 m² geplant - für heutige Maßstäbe zu klein.

  • ^ und es gibt bei DNN noch diese Fotoreihe vom Quartiers-Innenleben - sehr interessant. Der erste umfänglichere Einblick überhaupt, meine ich.

    Funfact dabei: Die Hoym-Rückseite mit dem markanten Mittelrisalit sieht unverkleidet noch so aus, als wäre es ein Plattenbau. Das trifft ja sogar zu, wenn hier diese etagenhohen halbfertigen Wandelemente aus Beton genutzt wurde, welche dann mit Ortbeton noch gefüllt und verbunden werden. Das ist offenbar billiger als klassisches Mauerwerk, und es ist deutlich bombensicherer.

  • Ein kleines Video von mir zum aktuellen Baufortschritt im Quartier 3.


    Externer Inhalt youtu.be
    Inhalte von externen Seiten werden ohne Ihre Zustimmung nicht automatisch geladen und angezeigt.
    Durch die Aktivierung der externen Inhalte erklären Sie sich damit einverstanden, dass personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu haben wir in unserer Datenschutzerklärung zur Verfügung gestellt.

  • Q 3.2 - update

    zuletzt Post 1531


    An der Landhausstr. wurde eine weitere Fassade (bis auf EG) fertig und enthüllt. Ebenfalls ein kurzer Zwischenblick auf die Nachbarfassade kann man gerade erhalten.

    Inder Rampischen Str. hat eine Fassade schon Farbe erhalten aber noch hinter Planen. Ebenfalls befindet sich am Augustiner ein neues Gerüst.


    Landhausstrasse


    Rampische Str.



    Alle Bilder von mir.

  • ^ auch von mir paar aktuelle Bilder von der Landhausstrasse

    P1220995.jpg


    Bild: https://i.postimg.cc/KYDmzDdg/P1220994.jpg   Bild: https://i.postimg.cc/hjCg8P4D/P1220996.jpg   Bild: https://i.postimg.cc/8Pxpn5Rs/P1220993.jpg


    Der hierher umgezogene Silbermann-Laden (zuvor an Ecke Altmarkt/Schloßstr.) leuchtet im 1.OG wechselnd in den Farben Grün, Blau, Rot und Gelb.

    Die Ecke Frauenstrasse ist nun also endlich besetzt (stand jahrelang leer), was aus dem Altmarkteck wurde weiß ich grad mal nicht.

    P1220997.jpg

    alle fotos elli kny


    Und hier noch zwei schöne Eindrücke vom DDR-Neumarkt aus der Dt. Fotothek: Blick 1 (zur Bauzeit des Polizei-Neubaus hinten) und

    Blick 2 (gleicher Blick paar Jahre zuvor). Die autogerechte Stadt par excellence mit hoher Aufenthaltsqualität (für Kraftfahrzeuge aller Art).

  • Der abgerüstete Neubau zwischen Palais Hoym und Polizeipräsidium sieht besser aus als ich es erwartet habe. Der ist ja auch nicht ganz unwichtig, da (angeschnittener) Point de vue der Friesengasse, die natürlich durch den DDR-Städtebau ziemlich unterbelichtet ist.


    Allerdings frage ich mich immer wieder: ist ein Neubau, wie wir ihn hier sehen, mit Fenstergewänden und Gauben aus massivem Sandstein, günstiger als eine Stuckfassade? Hätte man an dieser Stelle eine weitere Fassade rekonstruiert, hätte man die selbe Etagenzahl erhalten, dafür aber eine weit ansehnlichere Ansicht. Die Dachgauben hätten sich, um ausreichend belichtete Aufenthaltsräume zu erhalten, etwas vergrößern lassen.


    jjyxm5xf.jpg


    Bild: Palais Hoym (auf den Fotos noch mit Rohbauwänden aus Beton zu sehen); rechts im Anschnitt das infrage stehende Haus. Illustration S. Hartmann für die GHND


    Quartier III-2 | Architektur klassisch: Gesellschaft Historischer Neumarkt Dresden e. V. (neumarkt-dresden.de)

  • Landhausstraße zwischen Hoym und Polizeipräsidium:


    3kzjsd8g.jpg


    tlpf96yz.jpg


    Die Lampen finde ich ganz nett:


    8ry4pypo.jpg


    j2ug6icb.jpg

    (eigene Bilder)


    Ich fühle mich mal wieder bestätigt, dass Milchglas an Gebäuden fast immer beschissen aussieht.

  • Landhausstraße 3 fetzt:


    whbbqcgo.jpg


    9sohwivb.jpg


    Das Wappen ist original alt:


    afurqgdl.jpg


    96ojalwb.jpg


    Das mysteriöse Oberlichtgitter, das in Teilen noch original erhalten ist, wird hier auch nur schematisch dargestellt. Aber immerhin, der Wiedereinbau scheint gesetzt zu sein:


    6z8evepr.jpg

    (eigene Fotos)

  • Rampische Straße.


    ndiahvzq.jpg


    Vorfreude wegen der Bögen über den Fenstern lohnt sich mit Blick auf die Visualisierung nicht. Die komischen Kästen (Loggien?) scheinen nämlich auch zu kommen und die Bögen schweben auf der Fassade herum, ohne optisch aufgefangen zu werden:


    hb9pkzsz.jpg


    casrtmvv.jpg


    h9k66w49.jpg


    Der Blick von der Frauenkirche wird durch den grauen Neubau schon etwas gestört, aber es könnte noch deutlich schlimmer sein:


    pncvigmq.jpg

    (eigene Bilder)

  • Ich habe mal den Jüngsten Baufortschritt in einem Video zusammengefasst. 😊


    Externer Inhalt youtu.be
    Inhalte von externen Seiten werden ohne Ihre Zustimmung nicht automatisch geladen und angezeigt.
    Durch die Aktivierung der externen Inhalte erklären Sie sich damit einverstanden, dass personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu haben wir in unserer Datenschutzerklärung zur Verfügung gestellt.