Dresden: Neumarkt

  • Würde es nicht das Verkehrsmuseum geben, was vor allem für Familien mit Kindern ein Anziehungspunkt ist, hätte man ansonsten am Platz eigentlich nichts, was die Bewohner der Stadt dort regelmäßig hinziehen würde.

    Was ist denn mit der Frauenkirche? Oder ist die auch nur Requisite?


    Als Dresdner bin ich gern auf dem Neumarkt, die Touris machen das Erlebnis dort doch nur besser - Ziegel hat Recht, es ist wohl der internationalste Platz in Dresden. Wir sind dort einmal im Monat essen, nutzen geschäftlich das Tagungsangebot, z.B. im Hotel de Saxe, beschauen uns die Baufortschritte, kaufen ein (auch größere Besorgungen wie Schmuck), trinken vielleicht einen Kaffee, spazieren durch die Straßen und Plätze. Es stimmt, der Platz ist Abends leerer, aber als Dresdner bin ich dann auch nicht mehr dort - so what? Klar gibt es Stadtteilplätze, auf denen man sich persönlich häufiger aufhält, Freizeit findet für viele Dresdner eben zu größeren Teilen im eigenen Stadtteil statt.

  • Gibt es irgendeinen Platz, der abends nicht leerer ist als am Tag? Ich fand den Neumarkt auch in den Abendstunden immer sehr lebendig, wegen der flanierenden Liebespaare, der Restaurant- und Bar-Besucher und der Straßenkünstler, die auch abends noch genug Publikum dort finden. Im Gegensatz dazu ist am denkmalgeschützten Neustädter Markt mit seiner angeblich ganz tollen Aufenthaltsqualität zu gleicher Stunde überhaupt nix los.


    Ich mag am Neumarkt auch die gelöste Atmosphäre. Auch dazu tragen die Touristen bei, die eine glückliche Zeit verleben und diese Stimmung weitergeben. Sich bedroht, unsicher, verloren zu fühlen, das hatte ich an diesem Ort nie. Er ist eine Ergänzung zur Feierlichkeit etwa des Theaterplatzes oder der verunglückten Monumentalität des Altmarktes. Ein durch und durch freundlicher Platz.


    Würde der Bernhard-von-Lindenau-Platz städtebaulich und architektonisch das Gesicht z. B. des 19. Jahrhunderts zeigen, wäre es sehr wahrscheinlich ein beliebter Platz der Dresdner Innenstadt. Gerade im Kontrast zum Neumarkt oder auch zum Theaterplatz zeigt sich die ganz geringe Leistung, die der Platz für die Stadt erbringt. Das gehört zu den angesprochenen Realitäten, die anzuerkennen notwendig ist, um der Misere unserer Städte - und speziell Dresdens - zu entkommen. Und das war ja der Anfangspunkt dieser Diskussion.

  • Das deckt sich nicht mit meinen Beobachtungen. Wenn ich abends nach der Vorstellung dort lang laufe, ist herzlich wenig los. Die Gastronomie ist oft weitgehend leer, denn die Tagestouristen sind weg.

    Für welche Großstadt in Deutschland gilt das denn nicht? Die in der jeweiligen lokalen Szene beliebtesten Bereiche zum nächtlichen Ausgehen liegen IMHO nie rings um den zentralen Platz - und dafür gibt es Gründe:


    Wir haben in Folge der Charta von Athen den zentralen Bereichen unserer Städte ihre Funktionsmischung genommen, die bauliche Dichte reduziert und die Einwohner in die Peripherie verdrängt. Das lässt sich nicht mit ein paar rekonstruierten Fassaden und einer handvoll Wohnungen heilen. Lindern aber sehr wohl!


    Auf Dresden bezogen - was wäre denn die Alternative? Sähe der Neumarkt aus wie der Postplatz, wäre er dann Nachts frequentierter? Wohl kaum. Er wäre dann lediglich auch tagsüber ein Verkehrsplatz und sonst nichts, wo sich niemand aufhielte, der es nicht muss.

  • Die Diskussion geht hier jetzt in eine seltsame Richtung. Wurde der Neumarkt denn hier in seiner Gestaltung kritisiert? Der Platz ist wunderschön und ein großes Glück für Dresden, dass es ihn und die Frauenkirche wieder gibt! Bestreitet das denn irgendjemand? Ich jedenfalls nicht!

    Ich und auch andere haben aber bedauert, dass der Platz sehr touristisch geprägt ist. Wer das nicht sieht, muss ortsfremd oder blind sein. Bitte ebenfalls nicht falsch verstehen: Ich finde es toll, dass Dresden so viele Besucher hat, für die der Neumarkt ein fester Programmpunkt ist. Der Platz ist damit zumeist auch sehr belebt.

    Aber der Neumarkt ist leider kein integrierter Teil der Stadt. Das alltägliche Leben in Dresden würde fast ebenso gut weiter funktionieren, auch wenn man plötzlich nicht mehr auf den Platz gehen könnte. Es wäre lediglich ein herber Einschnitt in das touristische Angebot der Stadt.


    Ziegel, der Vergleich des Neumarktes mit dem Bernhard-von-Lindenau-Platz ist derart hanebüchen, dass ich das gar nicht kommentieren will. Gerade diesen Platz hast Du Dir nur deshalb herausgepickt, weil den Kulka geplant hat. Diese Plätze kann man in Lage und vor allem ihren Funktionen überhaupt nicht miteinander vergleichen.

  • Aber der Neumarkt ist leider kein integrierter Teil der Stadt.

    Kann es sein, das speziell Dresden auch ein besonderes Problem hat, weil der Neumarkt eine städtebauliche Insel bildet?


    Das Dresdner Zentrum wurde nach den Kriegszerstörungen durch überbreite Verkehrsschneisen und Gebiete mit sehr lockerer Bebauung regelrecht vom Rest der Stadt isoliert. Es scheint schlicht zu klein und zu dünn besiedelt zu sein, um aus sich selbst heraus urbanes Leben zu entwickeln.

  • Das ist ganz sicher so. Dresdens Stadtleben hat sich nach 1945 stark in die Stadtteile verlagert und es ist nie gelungen, die Innenstadt wieder richtig in Funktion zu bekommen.

    Bevor der Neumarkt wiederaufgebaut worden war, hat man das inselhafte ja auch schon für den Bereich Theaterplatz und Brühlsche Terrasse beklagt. Mit dem Neumarkt hat sich dieses Gebiet natürlich deutlich vergrößert. Aber das ist immer noch weit entfernt von einer vernetzten City. In Dresdens Innenstadt gibt es klar voneinander separierte Bereiche: Hochkultur am Theaterplatz, Tourismus am Neumarkt, Kneipenviertel um die Weiße Gasse, Shopping in der Altmarkt-Galerie und der Prager Straße, sowie wenig dichte Wohnviertel drumherum. Da vermischt und vernetzt sich leider viel zu wenig.

    Einmal editiert, zuletzt von Arwed ()

  • Wir haben in Folge der Charta von Athen den zentralen Bereichen unserer Städte ihre Funktionsmischung genommen, die bauliche Dichte reduziert und die Einwohner in die Peripherie verdrängt. Das lässt sich nicht mit ein paar rekonstruierten Fassaden und einer handvoll Wohnungen heilen. Lindern aber sehr wohl!

    "Peripherie" ist ein so schön dehnbarer Begriff. Ist die Wilsdruffer Vorstadt Peripherie (von wegen "Vorstadt")?

    Was die Funktionsmischung angeht: Das klappt eben manchmal und manchmal nicht. Beim Neumarkt ist für mich (und offenbar auch andere) die sehr starke Ausrichtung auf (zahlungskräftige) Touristen so auffällig. Was soll ich am Neumarkt einkaufen? Da gibt es so gut wie nichts, was für mich von Interesse wäre.

    Darüber hinaus ist die geänderte Funktionsmischung auch anderen geänderten Verhaltensweisen geschuldet: Früher gab es sehr viele kleinere Hotels (was man heute wohl eher unter "Pension" führen würde); so was lässt sich heute von den Personalkosten kaum noch lösen. Dito die vielen Geschäfte des praktisch "täglichen Bedarfs" (also Lebensmittel etc.). Ich hatte das anderswo schon mal beschrieben: Wie viele Schneider gab es früher und wie viele gibt es heute? Wie viele Glaser?

    (und nur damit hier kein falscher Eindruck entsteht: es geht mir in anderen Gegenden ähnlich. Die Wilsdruffer Str. hat sich auch stark gewandelt; und ich kann mich noch erinnern, als es im Bereich Weiße Gasse einen Eisenwarenladen gab...)

    Auf Dresden bezogen - was wäre denn die Alternative? Sähe der Neumarkt aus wie der Postplatz, wäre er dann Nachts frequentierter? Wohl kaum. Er wäre dann lediglich auch tagsüber ein Verkehrsplatz und sonst nichts, wo sich niemand aufhielte, der es nicht muss.

    Verkehrsplatz? Wer redet von Verkehrsplatz?

    Der Neumarkt war doch nicht die Analogie zum Postplatz oder zum Carolaplatz oder zum (insbesondere modernen) Pirnaischen Platz. Er war (ebenso wie der Altmarkt) ein Marktplatz. Die ursprüngliche Funktion der Marktplätze ist aber ohnehin größtenteils verschwunden.

  • Der "große Wurf", also die wirkliche Korrektur der stadtplanerischen Fehler der Nachkriegszeit wurde nach meinem Eindruck als Auswärtiger - der naturgemäß lückenhaft ist - ja noch nicht einmal direkt nach der Wende ernsthaft diskutiert.


    Es gab vor einigen Jahren mal eine - meiner Meinung nach sehr gelungene - Masterarbeit eines Studenten, der sich dies zum Thema gemacht hatte, die insbesondere die Bereiche Georgplatz - Pirnaischer Platz - Rathenauplatz für eine Wiederbesiedlung im Auge hatte.


    Mir fehlt aber die Vorstellungskraft, wie sich für eine grundlegende Änderung der stadtplanerischen Vorgaben die notwendigen Mehrheiten finden ließen. Alle Parteien fürchten den Liebesentzug der autofixierten Wählermehrheit. Weiterhin steckt bei den professionellen Planern die Charta immer noch zu sehr in den Köpfen. Die verbreitete DDR-Nostalgie, die mittlerweile jede noch so öde Plattenkiste für sakrosant erklärt, tut ihr Übriges. Wunden im Stadtbild, die in der Nachwendezeit noch heilbar waren, sind heute unantastbar.


    Dann muß Dresden aber eben auch mit dem Status Quo leben.

    4 Mal editiert, zuletzt von HelgeK ()

  • Das was eine historisch gewachsene Innenstadt ausmacht, kann meiner Meinung nach niemand neu planen. Der Bruch, den hier der Reihe nach die Kriegszerstörung, die Enteignung der Grundstücke und die Planungsansätze der 60er und 70er Jahre verursacht haben, hätte niemand kitten können.

    Die Nutzungsdurchmischung, aber auch die Sozialstruktur können die Planungsverantwortlichen bestenfalls in Ansätzen regeln. Wenn man sich eine in diesem Sinne gut funktionierende Stadt ansieht, kann man erkennen, was da in Dresden einfach vieles fehlt und nicht hingeplant werden kann!

    Die architektonische Gestaltung ist für das Funktionieren einer Innenstadt nicht erstrangig. Es gibt reihenweise Städte die wirklich hässlich sind und wo trotzdem der Nutzungsmix stimmt.

    Ob für Dresden der Status quo für ewig gelten muss, kann ich nicht sagen. Wer weiß, wie sich z.B. das Einkaufsverhalten oder auch die Mobilität entwickeln werden.

  • Das was eine historisch gewachsene Innenstadt ausmacht, kann meiner Meinung nach niemand neu planen

    ....

    Die architektonische Gestaltung ist für das Funktionieren einer Innenstadt nicht erstrangig. Es gibt reihenweise Städte die wirklich hässlich sind und wo trotzdem der Nutzungsmix stimmt....

    ....

    Ob für Dresden der Status quo für ewig gelten muss, kann ich nicht sagen. Wer weiß, wie sich z.B. das Einkaufsverhalten oder auch die Mobilität entwickeln werden.

    Selbstverständlich könnte man ein historisches Stadtbild nachbauen und nutzungsgemischt beleben - es würde funktionieren. Die heute so beliebten Gründerzeitquartiere der großen Städte sind doch allesamt Reißbrettplanungen, und sie haben seinerzeit von Anfang an "funktioniert". Sie ließen sich wiederholen.


    Was fehlt, ist der politische Wille.


    Dass Du als Mitglied eines Architekturforums architektonische Qualität für irrelevant hälst, wundert mich, aber diese Haltung könnte weiter verbreitet sein, als vielen von uns hier lieb ist, und durchaus ein Teil des Problems sein. Persönlich halte ich die architektonische Qualität für einen entscheidenden Faktor. Häßlichkeit wird, sobald die Grundbedürfnisse befriedigt sind, gemieden, und sie refinanziert sich nicht.

    Einmal editiert, zuletzt von HelgeK ()

  • HelgeK, verkürze meine Aussagen nicht sinnentstellend! Das ist kein feiner Stil.

    Ich sagte nicht, dass ich architektonische Qualität für irrelevant halte (ich bin Architekt!), sondern dass sie für das Funktionieren einer Stadt nicht ausschlaggebend ist. Das muss einem nicht gefallen, aber eine hässliche Stadt kann besser funktionieren als eine schöne Stadt.

    Davon auszugehen, dass man die in der frühen Kaiserzeit neu entstandenen nutzungsdurchmischten Quartiere auf die heutige Zeit übertragen kann, ist mehr als nur naiv. An jeder Straßenecke ein Bäcker, Molkerei, Gasthof oder Drogerie, dazu in den Innenhöfen Handwerksbetriebe wird heute einfach nicht mehr funktionieren.

  • Die heute so beliebten Gründerzeitquartiere der großen Städte sind doch allesamt Reißbrettplanungen, und sie haben seinerzeit von Anfang an "funktioniert". Sie ließen sich wiederholen.

    Nein, offensichtlich nicht: Das gesamte Sozialverhalten hat sich nun mal geändert. Die Gründerzeitquartiere sind vor allem im Hinblick auf die Qualität des Wohnungsbaus beliebt, nicht unbedingt für das ganze Drumherum. Das mag bei der Neustadt so sein; anderswo dann schon deutlich weniger. Und es ist letztlich nicht wirklich planbar.

    Beispiel: Die Leipziger Str. fällt mitten in diese Kategorie. Aber echte Gastronomie gibt es zwischen Puschkinplatz und Watzke kaum (noch); und die Menge an über längere Zeit leerstehenden Läden ist auch auffällig. "Funktionieren" in Deinem Sinne würde ich das nicht nennen.

    Auch in Löbtau gibt es einen ganzen Haufen ehemalige Gastro, die inzwischen zu Wohnungen oder Büros umgewandelt wurde. Wenn man sich auf alten Ansichtskarten ansieht, wie viele kleine Kneipen ("Schankwirtschaften") es früher gab, wie viele Destillen und Likörfabriken usw. - dafür gibt es heute einfach nicht mehr den Bedarf.

    Deshalb stehe ich auch den Neubauten mit Ladengeschäften etwas ratlos gegenüber: Da werden dann hochpreisige Dinge wie Designmöbel angeboten, die aber im näheren Umfeld wohl kaum Absatz finden. Inwiefern trägt so etwas tatsächlich zur Belebung bei? Laufkundschaft dürfte dort eine recht geringe Rolle spielen...


    Edit: Arwed war schneller.

    An jeder Straßenecke ein Bäcker, Molkerei, Gasthof oder Drogerie, dazu in den Innenhöfen Handwerksbetriebe wird heute einfach nicht mehr funktionieren.

  • Davon auszugehen, dass man die in der frühen Kaiserzeit neu entstandenen nutzungsdurchmischten Quartiere auf die heutige Zeit übertragen kann, ist mehr als nur naiv. An jeder Straßenecke ein Bäcker, Molkerei, Gasthof oder Drogerie, dazu in den Innenhöfen Handwerksbetriebe wird heute einfach nicht mehr funktionieren.

    Warum?


    Die Quartiere gibt es doch zum Teil noch, und wo es sie gibt, funktionieren sie auch prinzipiell genau so (in meiner eigenen Stadt Hamburg zum Beipiel Ottensen oder Eppendorf - Dresden kenne ich diesbezüglich nicht gut genug, um mir ein Urteil erlauben zu können).


    Selbstverständlich spielt die gestalterische Qualität dabei eine Schlüsselrolle.

  • HelgeK, aufgrund der Eigentümerkontinuität mag es im Westen noch ein wenig anders um die Gründerzeitquartiere stehen als im Osten. Doch auch dort dürfte die Entmischung der Funktionen immer weiter voranschreiten.

    Für meinen Stadtteil Dresden-Striesen sieht es z.B. so aus, dass ich mir tagsüber einen Parkplatz direkt vor dem Haus aussuchen kann, mir abends aber einen Wolf suche. Das Viertel ist sehr schön, heute aber eine fast reine Schlafstadt. Als ich vor 15 Jahren da hingezogen bin, gab es in direkter Nähe noch 4-5 Bäckereien. Jetzt ist noch eine davon übrig (einmal davon zu schweigen, dass es ganz früher offenbar an jeder Straßenecke 4 Läden usw. gab). Wenn ich Werkzeug brauche, muss ich zum Baumarkt. Ist das ein funktionierender Stadtteil? Trägt daran die Stadtplanung Schuld. Nein, ich denke nicht. Kann man ein Striesen planen, dass besser funktioniert als das Original? Ganz sicher nicht!

  • Das Viertel ist sehr schön, heute aber eine fast reine Schlafstadt.

    Aber Dresdner Stadtteile wie Blasewitz mit seinen Wohnpalästen und aufgelockerter Bebauung wurden doch vermutlich auch hauptsächlich als Schlafstädte für die wohlhabende Mittel- und Oberschicht erdacht. In Vierteln mit geschlossener gründerzeitlicher Blockrandbebauung kann die Sache anders aussehen. Was die Stadtteile verlässt sind in der Regel Versorger, die mit viel Kundschaft bespielt werden müssen, wie tatsächlich Baumärkte oder auch Kinos. Dafür können neue Nischengeschäfte hinzukommen, z.B. Platten- oder extravagante Modeläden. Ausschlaggebend für eine Vielfalt an Läden sind sicher auch die Bevölkerungsschichten die dort leben.
    Hannover z.B.: Linden widersetzt sich ziemlich erfolgreich jeder Gentrifizierung. Kleine Läden bestimmen das Bild und im Sommer steppt Abends der Bär. Die Oststadt hingegen ist fest in der Hand zahlungskräftigerer Menschen. Auch hier gibt es viele Läden, abends hingegen wird es ruhig.
    Theoretisch gibt es zwar keinen Grund, gründerzeitliche Quartiere nicht reproduzieren zu können; vermutlich würde sich dort aber hauptsächlich eine zahlungskräftige Klientel niederlassen, was die Vielfalt der Geschäfte stark einschränken dürfte. Eine Durchmischung von arm und reich müsste man schon mit vielen Vorgaben erzwingen.

  • Die Diskussion geht hier jetzt in eine seltsame Richtung.

    Daher komme ich mal wieder zurück zum Neumarkt. Zum Thema: "Was können wir städtebaulich von der Gründerzeit lernen?" hat Christoph Mäckler einen, wie ich fand, hochspannenden Vortrag beim GHND-Symposium gehalten:

    4. Dresdner Stadtbausymposium der GHND - Soziales, Arbeiten & Kultur, Impuls Prof. Christoph Mäckler (youtube.com)


    Das was eine historisch gewachsene Innenstadt ausmacht, kann meiner Meinung nach niemand neu planen.

    Gegenbeispiel: Neumarkt.


    Was soll ich am Neumarkt einkaufen? Da gibt es so gut wie nichts, was für mich von Interesse wäre.

    Da kann aber der Neumarkt nichts dafür, wenn dich Kleidung (van Laack, Geox, camel active, 10c etc. pp.), Lederwaren (Ullmann's), Parfüm (Douglas), Uhren und Schmuck (Wempe, Leicht, A. Lange & Söhne, Klassische Uhren Kretzschmer, Glashütte), Spezialbürsten, Kosmetik, Brillen, Erzgebirgische Volkskunst oder auch Lebensmittel (Konsum), Schokolade (Camondas), Tabak (Wolsdorff Tobacco) oder Wein (R33) nicht interessieren.


    Den Angebotsmix für verschiedene Interessenlagen und auch Einkommen finde ich am Neumarkt vorbildlich.


    Ich und auch andere haben aber bedauert, dass der Platz sehr touristisch geprägt ist. Wer das nicht sieht, muss ortsfremd oder blind sein.

    Wer hat denn hier im Forum oder anderswo die touristische Prägung bestritten? Ich kann mich an keinen derartigen Kommentar erinnern. Nur das Bedauern ist u. a. mir fremd. Der Tourismus ermöglicht Angebote, die auch für Dresdner/innen einen Mehrwert schaffen.


    Das alltägliche Leben in Dresden würde fast ebenso gut weiter funktionieren, auch wenn man plötzlich nicht mehr auf den Platz gehen könnte. Es wäre lediglich ein herber Einschnitt in das touristische Angebot der Stadt.

    Sorry, das alltägliche Leben würde für die meisten Dresdener auch dann funktionieren, wenn man ganze Stadtteile dem Erdboden gleichmachen würde. Was ist das für ein Kriterium? Der Neumarkt ist weder der Hauptbahnhof, noch die Wasserwirtschaft, aber dort arbeiten und leben Menschen. Der Einschnitt wäre zudem nicht "nur" für den Tourismus herb, sondern auch für die Verbundenheit vieler Dresdner mit ihrer Stadt ein herber Schlag.


    Ziegel, der Vergleich des Neumarktes mit dem Bernhard-von-Lindenau-Platz ist derart hanebüchen, dass ich das gar nicht kommentieren will. Gerade diesen Platz hast Du Dir nur deshalb herausgepickt, weil den Kulka geplant hat. Diese Plätze kann man in Lage und vor allem ihren Funktionen überhaupt nicht miteinander vergleichen.

    Ob Kulka oder irgendein anderer 0815-Architekt den Platz geplant hat, ist mir völlig schnitte. Hätte Semper die Erweiterungsbauten der Semperoper entworfen und würden das ehem. Landesfinanzamt und die Zollverwaltung sowie der Landtagsneubau einen repräsentativen, durchdetaillierten und gestaltungsfreudigen Gestus aufweisen, wie es z. B. zu Sempers Zeit üblich war und würde auch der Städtebau den Platz passantenfreundlicher sein lassen, ja dann wäre dies ein geliebter Platz. Ein bisschen so wie der Theaterplatz, der keinen Nutzungsmix, keine Läden, keine Bäume aufweist. Die letztgenannten Zauberformeln werden immer wieder bemüht und gleichzeitig betont, die Architektur sei gar nicht so entscheidend. Das ist absurd.


    Die Lage des Bernhard-von-Lindenau-Platz, einen Steinwurf vom Theaterplatz entfernt, an einer Seite von der Elbe begrenzt, ist super. Landtag und Semperoper sind wichtige Institutionen, die ihn begrenzen. Dass die Devrientstraße mehr Verkehr führt als die Sophienstraße und eine Tiefgarage ihren Schlund zeigt, sind natürlich Nachteile, kann man aber auch unter Städtebau des 20. Jh. listen. Zudem hat die Gemäldegalerie natürlich mehr Publikum als der Landtag, aber beides sind recht monolithische Gebäude ohne lebendige Außenwirkung. Ich finde die beiden Plätze durchaus vergleichbar, besser als andere Paarungen. Einer ist halt missraten, der andere gelungen. Und das hat Gründe und die sind menschengemacht und keine Naturgewalten.


    Der Neumarkt ist als Modell für den Bernhard-von-Lindenau-Platz nicht geeignet, schon klar. Der Neumarkt sollte aber ein Modell für an ihn angrenzende Areale sein. Für einen künftigen Postplatz, für den Pirnaischen Platz, die Baufelder gegenüber dem Polizeipräsidium, das Terrassenufer an der Carolabrücke. Und ebenso, und das wurde ja immerhin erkannt, ein bisschen auch für den Neustädter Markt. Dem helfen Bäume, Bänke, Brunnen, Ladeneinheiten und eine Ach-wie-toll-war-doch-die-Moderne-Gedächtnis-Architektur nämlich auch nicht weiter.

  • Gegenbeispiel Neumarkt? Nein, das ist definitiv kein Beispiel für ein neu errichtetes Viertel nach gründerzeitlichem Vorbild. Die 40 Jahre Planungs- und Bauzeit für den Wiederaufbau dieses Altstadtviertels können doch kein Muster für das Bauen von neuen Stadtvierteln an sich sein.


    Zu Deiner Meinung zum Warenangebot am Neumarkt fällt mir auch nichts ein. Das sind im Grunde alles sehr hochpreisige Läden, was sich durch die dortigen hohen Mieten auch gar nicht anders realisieren lässt. Ich vermisse hier z.B. Buchläden. Für andere wären es vielleicht Sportartikelläden. Hast Du es so dicke, dass Du in dieser Preislage shoppen gehen kannst? Ich jedenfalls nicht.


    Zum Bernhard-von-Lindenau-Platz willst Du mich offenbar nicht verstehen.

    Der Platz ist lediglich ein Vorplatz für den Landtag, kein innerstädtischer Platz mit vielen Funktionen und Adressaten. Er liegt hinter der Rückseite der Semperoper und niemand kommt hier entlang der nicht zum Landtag, zum Maritim-Hotel oder zum Kongresszentrum will. Unter dem Platz ist eine Tiefgarage (erstaunlich, dass darauf überhaupt Bäume wachsen können). Ich habe an der Gestaltung dieses Platzes und der Gebäude um ihn herum überhaupt nichts auszusetzen. Der Vergleich mit dem Neumarkt ist aber vollkommen absurd.


    Dein Schlusssatz dazu, wofür der Neumarkt Vorbild sein soll, wertet letztendlich die jahrzehntelangen Anstrengungen, die zu seinem Wiederaufbau erforderlich waren, vollkommen ab. Du hast über das Ansehen hübscher Bilder hinaus offenbar recht wenig Ahnung, was Städtebau und Architektur bedeuten. So einfach wie Du Dir Deine ideale Welt erträumst, ist sie einfach nicht. Ganz aktuell zeigt sich ja beim Neustädter Markt was aus so vielen Gründen alles nicht so einfach geht. Das aber auf fehlenden politischen Willen oder wahlweise auf unfähige Architekten zu schieben, ist einfach nur ärgerlich.

  • Gegenbeispiel Neumarkt? Nein, das ist definitiv kein Beispiel für ein neu errichtetes Viertel nach gründerzeitlichem Vorbild.

    Das war nicht die These. Die These lautete:

    Das was eine historisch gewachsene Innenstadt ausmacht, kann meiner Meinung nach niemand neu planen.


    Thema Einzelhandel. Ja, jeder kann auf dem Neumarkt einkaufen. Ich habe doch extra ein paar Geschäfte aufgezählt. Kannst du dir keine gute Flasche Wein leisten, kein etwas besseres Hemd, keine Brille, keinen Schwibbogen? Falls du einen Garten hast, kann ich die im Fränkischen geschmiedeten Gartengeräte um die 20 Euro bei Ullmann's empfehlen. Einerseits werden oft die Seuche der immergleichen Filialisten und die Billigmentalität beklagt, aber ein Cluster aus Läden mit hochwertiger Ware wird dann auch wieder als Reiche-Leute-Kietz abgewertet. Größere Filialisten sind ja auch vorhanden, und wer mit schmalem Geldbeutel auf den Neumarkt kommt, wird sicher auch etwas finden. Das Schöne ist ja aber, dass man auch ohne einzukaufen das volle Erlebnis haben kann.


    Ein Buchladen wäre sicher schön, aber wer eröffnet heute noch einen Buchladen, egal wo?


    Der Platz ist lediglich ein Vorplatz für den Landtag, kein städtischer Platz mit vielen Funktionen und Adressaten.

    Und das ist beim Theaterplatz so sehr anders? Welche vielfältigen Funktionen bietet er denn?


    Er liegt hinter der Rückseite der Semperoper und niemand kommt hier entlang der nicht zum Landtag, zum Maritim-Hotel oder zum Kongresszentrum will.

    Richtig, die Rückseite der Semperoper wurde als Rückseite gestaltet, obwohl sie einen Platz fasst. Das hätte man in früheren Epochen so nicht gemacht. Da die Gebäudeteile auch noch, typisch für die Moderne, zurückgesetzt sind, zerfasert der Platz noch weiter. Und um dieser Planung die Krone aufzusetzen, hat man davor noch eine Tiefgarageneinfahrt gesetzt.


    Zudem sind wir hier wieder beim Henne-Ei-Problem. Es würden durchaus mehr Leute diesen Platz besuchen, wenn er aufgrund der Architektur besuchenswert wäre. Damit würden sich dann auch ergänzende Nutzungen etablieren. Aber jetzt, und das schreibst du selbst, kommt dort niemand zum Flanieren vorbei, sondern nur, um eine Wegstrecke zurückzulegen. Die meisten Passanten auf dem Theaterplatz werden weder eine Karte für die Oper haben, noch die Alten Meister besuchen. Sie flanieren.


    Und das ist eben Dresden: Man spürt schon ohne es zu wissen, dass man besser nicht hinter der Semperoper das Terrassenufer entlangläuft. Da läuft ja auch sonst niemand. Google empfiehlt dort nichts. Kein Einheimischer gibt einem den Rat, zum Landtag zu laufen. Auf keinem Reise-Guide ist der Bernhard-von-Lindenau-Platz gelistet, nicht einmal als Geheimtipp. So what, könnte man sagen. Aber ich finde, Stadt sollte Erlebnis sein, besonders im Zentrum. In dieser Lage ist eine städtebauliche Ödnis eine verschenkte Chance. Dass die Institution Landtag in ihrer baulichen Manifestation so weitgehend unbeachtet ihr Dasein fristet, ist schade. Wie würde es Hedges ausdrücken? Die einzigen Besucher sind "gecharterte Busse mit jungen Leuten". Beim Landtag stimmt das wohl.


    Dein Schlusssatz dazu, wofür der Neumarkt Vorbild sein soll, wertet die Anstrengungen die zu seinem Wiederaufbau erforderlich waren, vollkommen herunter.

    Inwiefern? Weil es schwierig ist? Weil es objektive Hindernisse gibt, ebenso wie in den Weg gelegte Steine? Das ist mir schon klar, dennoch ist der Neumarkt ein Vorbild. An der Historie orientierter Städtebau+Rekonstruktionen+angepasste zeitgenössische Entwürfe+Nutzungsmischung, das zeigt Erfolge. Ich wüsste nicht, warum ich nicht fordern sollte, aus Erfolgen zu lernen? An den von mir genannten Orten wäre ein großes Potenzial gegeben, an das Erreichte anzuknüpfen.

  • Warum?

    Nun, ein wichtiger Grund ist z.B. die viel geringere Bevölkerungsdichte als zur Entstehung/Hochzeit vieler dieser Viertel. Wenn dort verglichen mit der Entstehungszeit nur noch die Hälfte der Einwohner vorhanden ist, hat das natürlich Folgen für Nachfrage und Angebot - um 40k Leute zu versorgen, benötigt man mehr Läden, Gastronomie etc. als für 20k (und das berücksichtigt noch nicht mal verändertes Kauf- und anderes Verhalten).


    Ich vermute, dieser Faktor wird oft völlig übersehen. Die Haushaltsgrößen sind stark zusammengeschrumpft. Ich hatte irgendwann mal Zahlen dazu zusammengesucht.

    Beispiel Löbtau: Dort lebten 1910 knapp 45.000 Menschen, heute sind es rund 20.000. Die Kriegszerstörungen hatten sich dort vergleichsweise in Grenzen gehalten (und nach 1910 waren ja auch noch weitere Wohnbauten dazugekommen), daran liegt es also weniger.

    1910 gab es in Löbtau ca. 11.000 Haushalte. Heute gibt es ca. 13.000 Haushalte, von denen mehr als die Hälfte ein-Personen-Haushalte sind.


    Wir können das auch mal für ganz Dresden nehmen: 2022 hatte Dresden 307.464 Haushalte, von denen 161.520 Singlehaushalte waren. Es gab 7.243 Haushalte mit 5 und mehr Personen.

    Im Vergleich dazu hatte Dresden 1910 136.930 Haushalte, von denen 12.552 Singlehaushalte waren. 42.985 Haushalte hatten 5 und mehr Personen.

  • Das angesprochene veränderte Kaufverhalten (PKW-Nutzung, Lieferdienste, Trend zu größeren Geschäften mit mehr Auswahl) spielt sicher die wichtigste Rolle, weshalb die Gewerbeeinheiten in Wohngebieten eher in der Defensive sind. Zudem auch die geringere Besiedelungsdichte. Andererseits sind die Kaufkraft und die Konsumbereitschaft enorm gestiegen. Früher war man wesentlich sparsamer.


    Jedenfalls sind diese Faktoren nicht entscheidend für die Beantwortung der Frage, ob der Städtebau z. B. des 19. Jahrhunderts funktionaler als jener des 20. Jh. ist - oder nicht. Eine hohe städtebauliche Dichte (wenn auch nicht so extrem wie im späten 19. Jh.) ist auf jeden Fall in vielerlei Hinsicht begrüßenswert, zum Beispiel auch, damit Nahverkehr eine sinnvolle Auslastung erzielt oder um Flächenverbräuche zu reduzieren.


    Daher lohnt schon der Blick auf die vielerorts ja durchaus sehr begehrten überlieferten Gründerzeitviertel und auf traditionelle Prinzipien des Städtebaus, die sich als sehr robust und zukunftsfähig erwiesen haben. Und auch der Neumarkt mit seiner barocken Prägung spiegelt eine Dichte und eine architektonische Wertigkeit wider, welche die Basis für die ökonomische Nutzung bildet, die hervorragend gelingt.