Rund um den Ernst-Reuter-Platz

  • Im Gegensatz zum Erhalt des Hutmacher-Hauses möchte ich auch eine Lanze für den Ernst-Reuter-Platz brechen und bezweifel, dass ein Neubau anstelle des Telekomhauses den Platz aufwerten wird, ja überhaupt theoretisch kann, so sich dieses nicht an die Umgebung anpasst. Eigentlich wird jedes Gebäude das Ensemble zerstören, welches nicht im Geiste der Ursprungsbebauung entstehen wird - und das sage ich als Freund des "alten" Berlins, zumindest da, wo es noch steht oder wieder enstehen könnte. Hier sicher nicht.


    Ich finde den Vergleich mit dem Strausberger Platz sehr interessant. Auf den ersten Blick würden wahrscheinlich alle den monumentalen Kreisverkehr in Friedrichshain "schöner" da klassisch anmutend bezeichnen. Vergleicht man beide aus der Fußgängerperspektive, so funktioniert der Ernst-Reuter-Platz erstaunlich gut. Ja, sicher auch wegen der Uni und dadurch der Belebung, aber trotz der weite und des Autoverkehrs fühle ich mich dort wohler als am fast noch toter wirkenden Strausberger Platz.
    Die Mittelinsel ist wirklich eine Art Oase, die man erst glaubt, wenn man sie einmal erlebt hat. Es ist dort, fünf Meter neben der Fahrbahn, merkwürdig leise und idyllisch.


    Es wäre wirklich schade, wenn der Platz durch den Abriss eines oder irgendwann mehrerer Bestandsgebäude seine Wirkung verliert. Ich stimme zu, dass man hier mit einer ordentlichen Sanierung sehr viel herausholen könnte und er wie kein zweiter Platz für den Aufbruch des freien Berlins nach dem 2. Weltkrieg steht.

  • PS: Eines der interessantesten Musikvideos, zeigt es doch ein West-Berlin, welches so nicht mehr existiert.


    https://www.youtube.com/watch?v=stOepiohN50


    (Depeche Mode - Everything counts)


    Und dann bitte Minute 1:40 bis 1:47 besonders betrachten - Ernst-Reuter-Platz 6 könnte ein Schmuckstück sein. Eine Mischung aus Bauhaus und (spätem) Internationalen Stil, welches so kaum ein zweites Mal existiert.

  • Der ERP 6 steht ja unter Denkmalschutz [...] Herr Geisel will aber den Schutz aufheben lassen für den Neubau. [...] Der Eigentümer behauptet nämlich, das Gebäude sei in zu schlechtem Zustand für eine Sanierung! Interessanterweise ist der Eigentümer des Gebäudes Herr Pepper, dem auch das Europa Center gehört. Herrn Pepper gehört auch der "Kant Garagenpalast" [...] Ebenfalls ein Baudenkmal welches verfällt und für das der Eigentümer schon mehrmals den Abriss beantragt hat, weil das Gebäude nicht mehr sanierungsfähig sei.


    Gute Beobachtung.


    Um mit so etwas durchzukommen, braucht es eine Verwaltung, die "mitspielt" - und Senator Geisel (SPD) scheint sich, wenn es darum geht, das Regelwerk für Investoren passend zu machen, in der (unseligen) Tradition der Berliner Vetternwirtschaft der 1970er und 80er Jahre zu sehen. Ich denke in diesem Zusammenhang an die jüngste "Ausnahmeregelung zugunsten eines einzelnen Investors am Leipziger Platz" (Tagesspiegel):


    http://www.tagesspiegel.de/ber…laerungsnot/13846650.html

  • Hier die Rechtsgrundlage des Standpunktes von Herrn Pepper, das Berliner DenkmalschG, § 8: "Erhaltung von Denkmalen (1) Der Verfügungsberechtigte ist verpflichtet, ein Denkmal im Rahmen des Zumutbaren instand zu halten und instand zu setzen, es sachgemäß zu behandeln und vor Gefährdungen zu schützen."


    Das "Zumutbare" wird idR durch Kostenschätzung der Maßnahmen durch einen Architekten nach DIN und Einnahmeerwartungsschätzung durch Makler von einem staatl. geprüften Wirtschaftsprüfer berechnet und testiert. Ich habe das schon erfolgreich durchgezogen.

  • @pumpernickel: Der Städtebau der Moderne wurde am ERP sozusagen zurückimportiert - Mies van der Rohes Entwurf für die Umgestaltung des Alexanderplatzes 1929 ist das eigentliche Vorbild für den Platz.

  • ^naja, ich finde das etwas weit hergeholt. Auch hat es ja einen Grund, dass Mies erst in die USA gehen musste um als Architekt groß heraus zu kommen.


    Konstantin
    Zumutbarkeit ist ein klassischer unbestimmter Rechtsbegriff der am Einzelfall auszulegen ist. Bei einem normalen Blockrand oder einem normalen freistehenden Haus ohne genuin stadtbildprägende Wirkung wird man da viel eher zu einer Unzumutbarkeit gelangen können als hier, der gesamte Erpl wirkt ja erst im Ensemble und wenn du da ein Gebäude heraus nimmst, dann sind die Auswirkungen auf Erpl und die korrespondieren Bauten des Ensembles tiefgreifend. Mir kann auch niemand schlüssig erzählen, dass eine massive Revitalisierung (Rückbau auf den Rohbau, komplette Neuausstattung unter Beibehaltung und Aufpolierung der Fassade, hier geht es nämlich entscheidend um die äußere Kubatur) nicht angenommen werden würde. Eine lediglich wirtschaftlich lohnendere Berechnung von Abriß und Neubau führt noch nicht zu einer Unzumutbarkeit, im Spannungsfeld mit der Ensemblewirkung am Erpl sowie der Bedeutung des Erpl für den Aufbau des alten Westberlin ist hier dem Eigentümer ziemlich viel zumutbar.
    Mir drängt sich hier zumindest kein Indiz für eine Unzumutbarkeit auf und ich frage mich schon, wie man diese Ermessensentscheidung der Denkmalpreisgabe da sachlich gerechtfertigt hat.


    Mehr noch, die Rechtsordnung gilt immer insgesamt, eine lex specialis ebenso. Zum DschG Bln gehört auch § 16 Abs. 1, der auf den von dir teilzitierten § 8 Bezug nimmt und Unzumutbarkeit gleich mal bzgl der Wirtschaftlichkeit legaldefiniert. Viel wichtiger noch, daraus ergibt sich, dass bei einer wirtschaftlichen Unzumutbarkeit des Erhalts eines Denkmals der Anspruch auf Kostenersatz durch den Staat entsteht, was impliziert, dass eine wirtschaftliche Unzumutbarkeit des Erhalts eines Denkmals eben gerade nicht im Regelfall dazu führen soll, dass der Denkmalschutz dann aufgehoben wird, der Gesetzgeber bringt damit zum Ausdruck, dass er eigentlich möchte, dass dann lediglich die Allgemeinheit mithelfen muss das Denkmal zu erhalten. Ein lapidarer Freibrief zur Aufhebung des Denkmalschutz ist die von dir zitierte Regelung also gerade nicht.

    2 Mal editiert, zuletzt von Pumpernickel ()

  • Ich dachte, das wäre klar geworden: es geht um individuele Zumutbarkeit pro Projekt und Eigentümer, in der Regel eben durch externe Fachleute (Kosten Aufwendung vs. Ertragsaussichten) nachgewiesen.


    Interessant fand ich in diesem Zusammenhang die Zustimmung der Denkmalpflege zum Teilabbruch und zur Teilreko der Intendanz der Staatsoper aus "Kostengründen" (Landeskonservator Jörg Haspel). Hier ist nämlich das Land Berlin Eigentümer. Die Wirtschaftlichkeitsabwägung, die von Privaten verlangt wird, würde mich mal interessieren.

  • Eben genau da irrst du dich bzw. interpretierst die Rechtslage bzgl. der Rechtsfolgen zu eng. Es reicht nicht, einfach nur eine betriebswirtschaftliche Rechnung anzustellen bzw. eine solche einzuholen. Und insb. indiziert selbst dann eine festgestellte wirtschaftliche Unzumutbarkeit nicht automatisch die Unzumutbarkeit des Erhalts eines Denkmals - viel mehr indiziert, das hattest du eben nicht erwähnt, dies dann erstmal, dass der Staat hier finanziell entschädigen muss, was zudem den gesetzgeberischen Wille implitziert, dass eine wirtschaftliche Unzumutbarkeit bzgl.


    Erhalt eines Baudenkmals eben gerade nicht sogleich dazu führen soll, den Denkmalschutz vom Tisch zu wischen, ganz im Gegenteil. In jeglicher Hinsicht ist das Denkmalschutzgesetz nach der Maxime "Erhalt vor Umbau, Umbau vor Abriß" aufgebaut, ein Abriß ist die Ultima Ratio und mir mag einfach nicht einleuchten, dass hier wirklich alles versucht wurde. Sei es eben der komplette Rückbau auf den Rohbau, ein Stahlbetongerippe sieht heute frisch betoniert auch nicht umwälzend anders aus, und ein kompletter Neuaufbau nach modernsten Erfordernissen an ein Bürohaus, lediglich die äußere Kubatur und Fassade wird erhalten. Das wäre ja schon ein krasser Kompromiss bzgl. Denkmalschutz, aber spätestens das "muss" doch eigentlich am Büromarkt funktionieren?! Oder kannst du einen sich aufdrängenden Grund erkennen, der dagegen spricht?


    Leider ist es natürlich so - Behörden haben ein gewisses Ermessen und solange es kein anderslautendes Gerichtsurteil gibt muss man das so hinnehmen. Es ist nur erstaunlich, wie da in Berlin offenbar mit Nachkriegsaufbauarchitektur mit zweierlei Maß gemessen wird. Inzwischen rigoroser Erhalt des DDR Städtebau einerseits und dann en passant die Beseitigung eines unter Denkmalschutz stehenden Gebäudes, das Teil eines Gesamtensembles ist, das seinerseits bedeutend für die Wirtschaftswunderzeit Westberlins ist. Und das alles muss in der Gesamtschau eigentlich dazu führen, dass sich der Denkmalschutz mit allem zur Verfügung stehenden Mitteln aus Gebot, Verbot und Förderung dagegen stellt, dieses Gebäude wegzureißen.


    PS: was den Denkmalschutz angeht, sobald der Staat selbst irgendwie mit eigenen Interessen betroffen ist, sprichst du ein großes Problem an, mein Negativ-"Lieblingsbeispiel" ist da immer diese Burg hier in Rheinland-Pfalz, immerhin aus dem 14. Jahrhundert:


    https://upload.wikimedia.org/w…dorf%2C_2012-08_CN-01.jpg


    die störte in den 70ern beim Bau einer Bundesstraße, also hat man einfach... na du siehst es ja selbst auf dem Foto. Nur, hier ist der Staat nicht selbst betroffen, dennoch wird hier Privaten erlaubt ein im Stadtbild des Erpl dominantes Baudenkmal wegzureißen um ein Hochhaus zu errichten. Wenn der Staat jetzt schon nicht mal mehr Privaten Denkmalschutzbemühungen zuverlässig abverlangt, dann können wir das Denkmalschutzgesetz auch gleich abschaffen, wenn es beim geringsten Klagen des Eigentümers doch eh nichts mehr gilt.

  • Die von Dir genannte Variante der finanziellen Entschädigung steht den Berliner Landesdenkmalamt aus Etatgründen nicht zur Verfügung, da sie kein Geld aufwenden wollen und können. Auch Fördermittel haben sie in Berlin nicht zu verteilen. Das ist z.B. in Potsdam anders.


    Deshalb läuft es in Berlin eben auf die von mir dargestellte Kurzfassung heraus. Wie gesagt: ich habe damit nicht nur einmal Erfolg gehabt.

  • :nono: Oh Berlin. Was ist nur aus dieser einst so stolzen Stadt geworden.
    Ja, wenn natürlich zur Ultima Ratio der Abrißgenehmigung dann de facto als Regelmaßnahme gegriffen wird um dem Land Berlin Entschädigungszahlen zu ersparen, dazu sage ich jetzt inhaltlich besser nichts mehr, dann spielt das Eigentümern, denen Denkmalschutz lästig ist, angenehm in die Hände.

  • Es ging um den Abbruch der alten, unter Denkmalschutz stehenden Häuser zugunsten von neuen Hochhäusern und die Rolle des Denkmalschutzes.

  • ^ Der Hintergrund der Diskussion ist mir klar. Ich habe den Thread gelesen.


    Nachdem ich gerade einen 7-tägigen Aufenthalt in Budapest hinter mir habe, empfinde ich die Diskussion um den Ernst-Reuter-Platz (oder die Fischerinsel) als geradezu abstrus. Im Vergleich zur grandiosen Architektur Budapests ist der Ernst-Reuter-Platz drittklassig. Solche Kurz-Trips in ausländische Weltstädte zeigen einem manchmal die Relationen auf. Eigentlich ist es fast schon Zeitverschwendung, über den Ernst-Reuter-Platz zu diskutieren. Zu schlecht. Zu unwichtig.

  • Sag das Jörg Haspel, dem Berliner Denkmalpfleger. Von mir aus können alle Häuser am ERP abgerissen werden, ein Kulturverlustdroht dadurch nicht einzutreten. Beispiele für die Hochhäuser dieser Zeit gibt es anderswo bessere.

  • Werter Konstantin, ich finde es schon bemerkenswert, wie jemand, der sonst fanatisch um jeden Stein eines Gemäuers im Boden der Berliner "Altstadt" kämpft hier mal eben en passant eines der wichtigsten städtebaulichen Ensembles der Westberliner Moderne zum Abschuß freigibt.
    Etwa zweierlei Maß in Sachen Denkmalschutz aufgrund persönlicher Vorlieben?
    Und nur nebenbei: Beispiele für mittelalterliche Profanarchitektur gibt es anderswo bessere als das Rathaus eines ärmlichen ostelbischen Kolonistennests...

  • Nach dieser Logik könnten wir uns aber endlich auch der störenden Marienkirche entledigen, die einer großzügigen Neugestaltung im Wege steht. Beispiele für Backsteingotik gibt es spätestens an der Ostseeküste sehr viel bedeutendere.

  • Nach dieser Logik könnten wir uns aber endlich auch dem störenden Fernsehturm entledigen, der einer großzügigen Neugestaltung im Wege steht. Beispiele für Fernsehtürme gibt es spätestens in Toronto oder Moskau sehr viel bedeutendere.

  • Ja, dieses Argument schafft wirklich ganz viel Platz in Berlin und anderen deutschen Städten, von daher, weg mit dem Zeuch!

  • ^^ff. Nein, das ist Unsinn. Das Kriterium ist nicht der Status des Denkmalschutzes (das wäre Formalismus) sondern die architektonische Qualität, dessen baukünstlerische Bedeutung.


    Dass diese bei den Ernst-Reuter-Platz-Hochhäusern nicht im oberen Bereich liegt gibt ja jeder Denkmalpfleger unumwunden zu, beruft sich jedoch auf ein weiteres Kriterium der Denkmalpflege , nämlich "zeittypisch" zu sein. Da ist etwas dran: wenn man alles wieder abbricht, was künftigen Generationen ästhetisch nicht genügt, wird man vergangene Epochen nur noch von Fotos her beurteilen können - das ist ungenügend. Deshalb war mein Argument - das finde ich ist entscheidend - dass es andersorts in Deutschland viel typischere Beispiele für den "International Style" gibt.Nach den Kriterien der Berliner Denkmalpflege hiesse das: ordentlich vermessen, dokumentieren - weg damit. Das galt ja selbst für das Alte Rathaus aus dem 15. Jahrhundert.