Geothermievorhaben
Bislang hatten wir das Thema meines Wissens nach noch nicht diskutiert, obwohl es schon seit einigen Jahren im Stadtbild präsent ist - hauptsächlich aufgrund der vielen Straßenbaustellen zum Ausbau des Fernwärmenetzes. Die Kraftwerke selbst sind im Vergleich zu anderen Typen relativ unscheinbar, wenngleich auch diese durchaus stadtbildprägend gestaltet werden können, wie man am Beispiel Freiham sieht. In den nächsten Jahren wird die Zahl der Kraftwerke und der Netzausbau noch einmal deutlich zunehmen, daher mach ich einfach mal den Anfang mit diesem Thread (vorweg ein wenig Allgemeines, Text ist nur wieder länger geworden als beabsichtigt).
Warum Tiefe Geothermie?
Deutschland will / muss bis 2045 eine klimaneutrale Wärmeversorgung sicherstellen. Gemäß dem Wärmeplanungsgesetz ist folglich jede Kommune verpflichtet, bis 2026 einen eigenen Wärmeplan auszuarbeiten ("Wärmewende"). Für München steht seit Mai 2024 eine erste Version der von SWM und Forschung kontinuierlich fortgeschriebenen Planung im Netz: https://stadt.muenchen.de/infos/waermewende-muenchen.html
Eine wesentliche Säule ist neben der allgemeinen Reduktion des Gesamtbedarfs um gut ein Viertel der Ausbau der Fernwärme. Während diese heute rund 30 % des städtischen Wärmebedarfs deckt, sollen es 2045 laut Zielszenario etwas über 60 % sein. In absoluten Zahlen bedeutet das einen Anstieg von derzeit 4.000 GWh auf 5.200 GWh.
Die Erzeugung der Fernwärme soll entsprechend einem früheren Stadtratsbeschluss aus dem Jahr 2012 bereits bis 2040 CO2-neutral sein. Hier kommt die tiefe Geothermie ins Spiel, also Geothermie mit Bohrtiefen zwischen 400 und 6.000 Metern.
Wo?
Für tiefe Geometrie gibt es in Deutschland drei besonders geeignete Regionen: Den Oberrheingraben, das norddeutsche Becken und das Molassebecken im Alpenvorland.
Eine Projektübersicht für ganz Deutschland gibt es hier: https://www.geothermie.de/file…e_Geothermie_2024_web.pdf
Bislang wird hauptsächlich im Raum München und im nordöstlichen Inntal Leistung abgerufen. Über gut zwei Dutzend hydrothermischer Anlagen stehen hier knapp 400 MW thermische Leistung zur Verfügung, Potenzial besteht für weitere 1.000 MW.
Die Wassertemperaturen reichen von 80 °C bei 2.000 Metern Tiefe im Norden der Stadt bis etwas über 100 °C bei 3.000 Metern Tiefe im Süden. Neben der Nutzung zur Fernwärme kann auch eine Stromproduktion möglich sein, sofern eine Temperatur von min. 120 °C erzielt wird. Rund 10-20 km südlich der Stadt liegen die wasserführenden Schichten tief genug, um diese zu erreichen (bspw. in Sauerlach bei 140 °C in 4.500 m Tiefe). Als ungefährer Richtwert gilt: Pro 100 Meter Tiefe nimmt die Temperatur um 3 °C zu.
Zur Veranschaulichung ein Querschnitt durch das "Molassebecken":
Die SWM betreiben aktuell drei Anlagen innerhalb des Stadtgebiets: Den Anfang machte 2004 M-Riem, dann folgte 2016 M-Freiham, und seit 2021 M-Sendling als Erweiterung des HKW-Süd. Letztere ist derzeit die größte Anlage in Deutschland und versorgt mit einer Leistung von 50 MW rund 80.000 Haushalte.
Darüber hinaus besitzt die SWM drei Anlagen im südlichen Landkreis: Sauerlach, Kirchstockach und Dürrnhaar. Alle drei wurden bzw. werden künftig an das Münchner Fernwärmenetz angeschlossen. Einige Umlandgemeinden besitzen eigene Anlagen und versorgen sich weitgehend autark damit (Unterföhring, Ismaning, Erding, Holzkirchen...).
Gefunden werden passende Bohrplätze mittels Vibroseis-Verfahren: An der Oberfläche werden weiträumig Geophone (eine Art Mikrophon) verlegt, spezielle Seismik-Fahrzeuge fahren anschließend über die zu betrachtenden Bereiche und senden Schallwellen in den Untergrund. Entsprechend des jeweiligen Reflektionsgrads der verschiedenen Gesteinsschichten ergibt sich dadurch ein 3D-Bild des Untergrunds (der ein oder andere kann sich vielleicht an die Fahrzeuge erinnern, die vor 10 Jahren über einen längeren Zeitraum durch die Stadt gefahren sind). Dabei können die Daten von Geologen und Geophysikern nur interpretiert werden, und auch wenn die Wahrscheinlichkeit für einen Fehlschluss sehr gering ist, eine Garantie nach der Bohrung auch tatsächlich die vermuteten Schichten vorzufinden, gibt es nicht.
Geothermievorhaben Michaelibad
Auf dem westlichen Teil der Liegewiese des Michaelibads entsteht nun bis 2033 eine weitere Geothermieanlage. Mit je vier Förder- und Reinjektionsbohrungen wird sie die bis dato größte Anlage Kontinentaleuropas (auf Island befindet sich eine größere). Der Großteil der üblicherweise oberirdisch errichteten Systemanlagen wird unter die Erde verlegt, sodass die Liegewiese nach Fertigstellung wieder von Badegästen genutzt werden kann. Der übrige Teil des Kraftwerkgebäudes (ganz rechts im Bild) entsteht auf bisher von Betriebsgebäuden bebauten Flächen.
Rechtlich betrachtet, handelt es sich bei tiefer Geothermie um Bergbau, sodass das Bergamt zuständig ist, die SWM Bergrechtsinhaberin für das Erlaubnisfeld Neuperlach sein muss und nach Bundesberggesetz ein sogenannter "Rahmenbetriebsplan" inkl. Planfeststellungsverfahren mit Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist. Während das PFV derzeit noch läuft, begannen die bauvorbereitenden Maßnahmen im Jahr 2023, am 30.09.2024 war offizieller Spatenstich. Der Start der Tiefbauarbeiten ist für Mitte 2026, der Bohrstart für Ende 2028 vorgesehen.
Die Bohrungen erschließen das sogenannte "Malm", ein von Hohlräumen und Verkarstungen durchsetztes, wasserführendes Karbonatgestein aus dem Oberjura in ca. 2.500 m Tiefe und einer Mächtigkeit von rund 500 m. Insgesamt werden vier Förderbohrungen von einem gemeinsamen Sammelbohrplatz aus erstellt. Jedoch verlaufen diese nicht durchgehend senkrecht nach unten, sondern neigen sich mit bis zu 80° in verschiedene Richtungen um das Reservoir möglichst gut auszunutzen und gegenseitige Beeinflussungen zu vermeiden. Am tiefsten Punkt sind die Bohrenden dadurch z.T. 1,5 km voneinander entfernt (siehe Bild). Zusätzlich können von einer (Stamm)Bohrung weitere Bohrungen abzweigen ("Multilateraläste").
Mittels Tauchkreiselpumpen, die ein paar hundert Meter tief in die Bohrungen eingebracht werden, wird das gut 100 °C heiße Wasser dann gefördert; insgesamt maximal 640 Liter pro Sekunde (erwartet wird ein leicht mineralisches Thermalwasser). Über Wärmetauscher gibt das Wasser seine Wärmeenergie an das Fernwärmenetz ab und wird im Anschluss über vier Injektionsbohrungen wieder in die Tiefe zurückgeleitet. Jede Förderbohrung ist dabei mit genau einer Injektionsbohrung verbunden (welche Bohrung was wird, entscheidet sich erst nach Bohrende). Es handelt sich also um einen geschlossenen Kreislauf ohne Entnahme oder zusätzlichem Einbringen von Wasser, sodass auch Erschütterungen nur im nicht-wahrnehmbaren Bereich stattfinden ("Mikroseismizität").
Die Leistung gibt die SWM derzeit mit 80 MW an, welche mittels zusätzlicher Wärmepumpe auf 110 MW erhöht werden kann.
Der Bauablauf gestaltet sich grob wie folgt:
Erstellung sogenannter Standrohrbohrungen mit ~ 1 m Durchmesser bis auf 54 m Tiefe (Schneckenbohrverfahren) und Einbau der Standrohre inkl. Zementation. Dadurch wird das Grundwasser vor Verunreinigung durch das Thermalwasser und anderem Bohrklein geschützt. Im Anschluss Herstellung des 59 m x 17 m großen Bohrkellerbauwerks in acht Metern Tiefe. Darin werden die acht Bohrkeller ("Wellhead") mit je 25 qm Fläche und 7 m Höhe eingebaut. Die Standrohre werden bündig auf die Sohle des Bohrkellerbauwerks zurückgeschnitten. Mittels 50 m hohem Bohrturm werden nun über diese die eigentlichen Bohrungen durchgeführt (elektrisch bei 10 kV), wobei sich der Bohrdurchmesser nach unten teleskopartig verjüngt und die Bohrung bis Erreichen des Malm mit Zement ummantelt wird.
Bohrkellerbauwerk:
Beispiel Bohrung Th1:
Detaillierte Ausführungen und Pläne gibt es hier:
https://www.swm.de/unternehmen…ie/geothermie-michaelibad
Eine weitere Geothermieanlage ist am Pasinger Heuweg (inkl. Feuerwache) vorgesehen, deren Planung steht jedoch noch am Anfang: https://www.swm.de/unternehmen…eothermie-pasinger-heuweg