Grafik: DB NetzAG
Am 28.3.2024 hat das Eisenbahnbundesamt die Pläne für den Bau der Nordmainischen S-Bahn von Frankfurt nach Hanau genehmigt, jedenfalls für den auf Frankfurter Stadtgebiet verlaufenden Streckenabschnitt, den Planfeststellungsabschnitt (PFA) 1. Der Planfeststellungsbeschluss für den komplexesten von drei Bauabschnitten ist ein wichtiger Meilenstein, der Anlass bietet, mal zurückzublicken. Die Anfänge liegen so lange zurück, dass man sie kaum konkret datieren kann.
Als in Frankfurt Ende der 1950er Jahre die Diskussion über den Bau der U-Bahn begann, gab es keine Zusammenarbeit der Stadt Frankfurt mit der Deutschen Bundesbahn, die es noch Anfang 1961 ausdrücklich abgelehnt hatte, an der Lösung der innerstädtischen Verkehrsprobleme mitzuwirken. Das änderte sich erst nach dem Grundsatzbeschluss der Stadtverordnetenversamm¬lung zum U-Bahnbau vom 4.7.1961. 1962 wurde eine Grundsatzvereinbarung zwischen Stadt und Bahn getroffen, eine West-Ost-Verbindung durch die Innenstadt zu planen. Dieses, anfangs noch V-Bahn genannte, Vorhaben nahm rasch Gestalt an und führte schließlich zum Bau des City-Tunnels und des U-/S-Bahn-Gemeinschaftstunnels unter der Zeil. 1968 war Baubeginn für die S-Bahn Frankfurt (M).
Die ersten Skizzen eines S-Bahn-Netzes im Rhein-Main-Gebiet aus den 1960er Jahre enthielten keinen nordmainischen Streckenast. An seiner Verwirklichung hatte die Deutsche Bundesbahn wegen des geringen Fahrgastaufkommens kein Interesse. Dabei blieb es bis auf Weiteres, obwohl Entwürfe aus den 1970er Jahren eine Tunnelverbindung von der Konstablerwache zum Ostbahnhof enthielten; sie wurde aber nur als Möglichkeit für eine spätere Baustufe mitgedacht, ohne bauliche oder betriebliche Details und ohne konkrete zeitliche Perspektive.
Mit Beginn der Bauarbeiten im Hauptbahnhof hat die Bundesbahndirektion Frankfurt in loser Folge Informationsbroschüren über die „S-Bahn Frankfurt (M)“ herausgegeben. In der Ausgabe 1/68 ist über die Baupläne in der Frankfurter Innenstadt u.a. zu lesen:
„Etwa 300 m hinter der Konstablerwache verlässt die S-Bahn die Gemeinschaftsstrecke und biegt nach Süden ab. Unmittelbar hinter der Abzweigung besteht die Möglichkeit, später eine Strecke in Richtung Ostbahnhof mit Anschluss an die Strecke nach Hanau anzuschließen“.
Der skizzierte Streckenverlauf zeigt diese Anschlussmöglichkeit noch nicht. Eine erste Spur findet sich in der Ausgabe 3/70, in der ein schematischer Schnellbahnplan die Option der unterirdischen Verbindung von Zeil und Ostbahnhof zeigt. Der Begriff Nordmainische S-Bahn fällt aber bis dahin nicht.
Grafik: Deutsche Bundesbahn, 1970
Grafik: Deutsche Bundesbahn, 1970
Die Pläne für den Weiterbau der S-Bahn von der Zeil über die Station Ostendstraße zum Main und weiter nach Sachsenhausen (2. Baustufe, 1. Bauabschnitt), hier speziell für den Abschnitt Langestraße – Hanauer Landstraße, Abzweig Friedberger Anlage, sind im März 1979 genehmigt worden. Ab 1979 wurde unter der Zeil, der Breiten Gasse, Langestraße und der Friedberger Anlage ein niveaufreies Verzweigungsbauwerk errichtet (Baulos 12), welches die oben zitierte Möglichkeit einer Strecke Richtung Ostbahnhof konkretisierte. Im Hinblick auf ein bevorstehendes privates Bauvorhaben, wofür 1982 die Baugenehmigung beantragt worden war, sind die Pläne für das Baulos 12 mit Beschluss vom 7.4.1982 um zwei Tunnelröhren vom Verzweigungsbauwerk bis zur Grünen Straße ergänzt und genehmigt worden. Die zwei weiteren Tunnelröhren führten unter einem rd. 8.000 m² großen Trümmergrundstück hindurch, auf dem lediglich noch ein Altbau (Friedberger Anlage 2) stand. Kurz nachdem die Bundesbahn die vier S-Bahn-Röhren im Rohbau fertiggestellt hatte, wurde oben drauf Mitte 1984/85 Jahre die Zoo-Passage gebaut.
Grafik: Stadtvermessungsamt Frankfurt, 1982
Es dauerte bis in die Mitte der 1980 Jahre, dass der Begriff „Nordmainische S-Bahn“ in der öffentlichen Diskussion auftauchte, als Gegenbegriff zur „Südmainischen S-Bahn“, und zwar im Zusammenhang mit den städtischen Planungen für die Verlängerung der U-Bahnstrecke C vom Zoo über die Hanauer Landstraße nach Fechenheim (auch Streckenabschnitt C IV genannt).
Im Februar 1981 hatte die Stadtverordnetenversammlung der Vorplanung des Stadtbahnbauamtes für die Stadtbahnstrecke C IV zugestimmt, die einen Tunnel vom Zoo über Ostbahnhof und Hanauer Landstraße zu einer Rampe östlich des Ratswegkreisels sowie die oberirdische Streckenführung in der Hanauer Landstraße nach Fechenheim vorsah. Im Juli 1982 beantragte das Stadtbahnbauamt das PFV für den 2,9 km langen Tunnel.
In den Verhandlungen über die Bewilligung einer Förderung nach dem Gemeindeverkehrsfinanzieurngsgesetz (GVFG) verlangte das hessische Verkehrsministerium von der Stadt Frankfurt weitere Nachweise zu den städtebaulichen und gesamtverkehrlichen Auswirkungen von C IV. Erstmals gab die Stadt Frankfurt eine Nutzen-Kosten-Untersuchung (NKU) nach der „Anleitung für die Standardisierte Bewertung von Verkehrswegeinvestitionen des ÖPNV“ zur Überprüfung des Nutzens einer Stadtbahnstrecke in Auftrag. Der Gutachter hatte von der Stadt Frankfurt ursprünglich nur den Auftrag zur Untersuchung verschiedener Planungsfälle zur U-Bahn-Führung in der Hanauer Landstraße erhalten. Das war 1983.
Stadt Frankfurt, Deutsche Bundesbahn, der Frankfurter Verkehrsverbund (FVV), das Land Hessen und der damalige Umlandverband Frankfurt bildeten einen begleitenden Arbeitskreis, der an der Erstellung der Untersuchung mitwirkte und Daten lieferte. Auf Initiative der Deutschen Bundesbahn und des Landes Hessen sollte – Stichwort: gesamtverkehrliche Auswirkungen – wegen der auf der Hand liegenden wechselseitigen Beeinflussung die Nordmainische S-Bahn in die Untersuchung einbezogen werden; wechselseitige Beeinflussung, weil U-Bahn und S-Bahn im Abstand von 200 m über mehrere Kilometer parallel zueinander verlaufen würden. Der Untersuchungsauftrag der NKU wurde auf 13 Planungsfälle (Varianten und Kombinationen) erweitert, darunter
- S-Bahn auf Bundesbahntrasse,
- S-Bahn in eigenem Tunnel unter der Hanauer Landstraße,
- S-Bahn-Trasse neu zwischen Bundesbahn und Hanauer Landstraße im Bereich der Hafenbahn
- U-Bahn Endpunkt Zoo
- U-Bahn Endpunkt Ostbahnhof
- U-Bahn Endpunkt Fechenheim bei Rampe am Osthafenplatz und
- U-Bahn Endpunkt Fechenheim bei Rampe Ratswegkreisel
Dass zu dieser Zeit von Nordmainischer S-Bahn die Rede war, hatte damit zu tun, dass die Südmainische S-Bahn (Konstablerwache – Ostendstraße – Südbahnhof bzw. Mühlberg) bereits im Bau oder in der Planfeststellung war und über die Anbindung von Oberrad und Offenbach kontrovers diskutiert wurde. Am 28.5.1983 war der U-/S-Bahn-Gemeinschaftstunnel zwischen Hauptwache und Konstablerwache in Betrieb genommen worden. Der Weiterbau Richtung Ostendstraße und Sachsenhausen war in vollem Gange.
Grafik: Deutsche Bundesbahn, 1983
Es gehört zu den Prinzipien der Standardisierten Bewertung, dass grundsätzlich alle Planungsfälle mit einem Nutzen-Kosten-Indikator >1 förderwürdig sind. Die Ergebnisse der NKU zeigen an, welche Planungsfälle nicht realisiert werden, besagen aber nicht, dass nur der Planungsfall mit dem größten Nutzenindikator umgesetzt werden soll. Von den untersuchten Planungsfällen erzielten diejenigen die höchsten Nutzen-Kosten-Indikatoren, die den Bau der S-Bahn auf der Bundesbahntrasse beinhalteten. Diese Erkenntnis wurde zu einem Politikum, weil sie Zweifel am Nutzen eines U-Bahn-Tunnels unter der Hanauer Landstraße begründete. Das war 1985.
Das focht allerdings den Magistrat nicht an, der mit seiner absoluten CDU-Mehrheit auf dem Bau der U-Bahn beharrte, mit oder ohne Nordmainischer S-Bahn, und damit die Fraktionen von SPD und den GRÜNEN gegen sich aufbrachte. Folgerichtig ließ er das eingefrorene PFV für C IV wieder aufnehmen, allerdings nur für die Baulose vom Zoo bis zum Ostbahnhof (Abschnitt C IVa). Tatsächlich wurde der entsprechende PFB im Juli 1987 erteilt, weil der Tunnelbau zum Ostbahnhof in keiner Form den Weiterbau zur Hanauer Landstraße präjudierte.
Die Pläne zum Weiterbau unter der Hanauer Landstraße hatten schon im Frühjahr 1983 ausgelegen, weshalb – da keine Änderungen vorgesehen waren - die nochmalige Offenlage entfiel. Anfang Oktober 1986 fand der Erörterungstermin statt, der PFB wurde für April 1987 erwartet.
Was dann folgte, lässt sich eigentlich nur damit erklären, dass in Wiesbaden die SPD mit absoluter Mehrheit regierte und die Landesregierung bildete und dass im Frühjahr 1987 Landtagswahlen anstanden. Diese Konstellation führte dazu, dass das Projekt Nordmainische S-Bahn parteipolitisch instrumentalisiert wurde, SPD und Grüne wollten zum Erhalt der Straßenbahn einen Kurswechsel beim Frankfurter U-Bahnbau erzwingen; wir erinnern uns, dass die CDU 1986 mit ihrem Vorhaben „schienenfreie Innenstadt“ als Vorstufe zur Abschaffung der Straßenbahn am (SPD-geführten) Regierungspräsidium in Darmstadt gescheitert war.
Obwohl die Einwendungsfrist zur Planung der Stadtbahnstrecke C IV (Ostbahnhof – Fechenheim) längst abgelaufen war, erhob die SPD-regierte Stadt Maintal im Februar 1987 beim RP Darmstadt Einspruch gegen die Frankfurter Bauabsichten – ein Schalk, wer Böses dabei denkt. Die Initiative Maintals führte dazu, dass der Hessische Wirtschaftsminister Ulrich Steger (SPD) das Regierungspräsidium anwies (Behördenleiter war damals Hartmut Wierscher, SPD), den PFB für C IV nicht auszufertigen und bis zur eingehenden Prüfung der Maintaler Argumente zurückzustellen.
Die Stadt Maintal hatte – munitioniert durch die Ergebnisse der NKU - vorgetragen, der Bau der Stadtbahnstrecke nach Fechenheim werde unweigerlich zur Folge haben, dass Bund und Land der Nordmainischen S-Bahn die Förderung versagen würden, zu Lasten der Pendler aus Maintal und dem Main-Kinzig-Kreis. Die Stadt Maintal forderte, den Ausbau der Stadtbahnstrecke so lange zurückzustellen, bis der Bau der Nordmainischen S-Bahn mit Bund, Land und Bundesbahn vertraglich abgesichert wäre.
(wird forgesetzt)