Hallo Schmittchen!
Natürlich gab es über die Gebäude der Ostzeile keine Pläne, das habe ich auch nie behauptet. Aber offenbar willst oder kannst du meinen Haupt-Kritikpunkt überhaupt nicht verstehen: Das Fachwerk ist eine freie Erfindung. Ob es je so ausgesehen hat, weiß man gar nicht. Deswegen wäre es auch besser gewesen, es wieder zu verkleiden. Schließlich wird der unkundige Besucher so getäuscht. Er muss ja glauben, die Gebäude hätten tatsächlich so ausgesehen!!!
So kann ich nur dem zustimmen, was der Kunsthistoriker G.U. Großmann so treffend über die Ostzeile geschrieben hat:
"Der Nachbau einiger Häuser am Römerberg in den Jahren 1980-83 kann bestenfalls den Charakter eines Erinnerungsmals haben, wirken die glatten Neubauten doch wie große Spielzeughäuser einer Modelleisenbahn. Schließlich hat man die Häuser vor der Kriegszerstörung weder exakt vermessen noch untersuchen können, die vermeintliche "Rekonstruktion" zeigt daher einen ahistorischen Phantasiezustand, allenfalls typisch als eine Spielart der postmodernen Gegenwartsarchitektur."
Im Übrigen handelt es sich hierbei, wie auch bei den meisten anderen Wiederaufbau-Projekten (Rathaus Wesel, Palais Thurn und Taxis etc.) tatsächlich gar nicht um eine Rekonstruktion, sondern lediglich um eine Nachbildung, bzw. Neuschöpfung:
„Der vom lateinischen Wort reconstruere abgeleitete Begriff der Rekonstruktion bedeutet die Wiedererrichtung eines Gebäudes, dessen Baumaterial zu einem überwiegenden Teil noch vorhanden ist“ (vgl. Kiesow, Einführung in die Denkmalpflege, S. 116).
„Die Nachbildung eines Bauwerks liegt dann vor, wenn kein oder nur verschwindend wenig Originalmaterial mehr vorhanden ist, die Zerstörung also total war. Grundsätzlich sollte man in solchen Fällen den Untergang des Baudenkmals als geschichtlichen Tatbestand hinnehmen und seine Lücke im Ortsbild durch einen Neubau schließen, der die gleichen städtebaulichen Qualitäten wie der untergegangene Bau hat, denn auch eine Nachbildung des Verschwundenen kann darüber allenfalls noch den siedlungs- oder sozialgeschichtlichen Wert und die Innenraumqualitäten, keineswegs aber die gestalterische Qualität, den Quellenwert und die Geschichtsspuren wiederbringen.“
Bei einer Nachbildung entfallen drei wesentliche Bestimmungsfaktoren des Denkmalschutzes:
- Zum einen die gestalterische Qualität, da die handwerkliche Bearbeitung des Baumaterials und die Bauornamentik nicht wiederherzustellen ist. Selbst wenn man das gleiche Baumaterial und ähnliche Werkzeuge verwendet, kann man doch nicht die künstlerische Handschrift der Steinmetzen, Bildhauer, Bildschnitzer, Zimmerleute, denn es waren andere Menschen als die unserer Zeit, ihr Glauben, Denken und Fühlen bestimmten ihr kreatives Handeln, so wie die in ganz anderer Weise unser Schaffen prägt.
- Ferner ist der Quellenwert für die Wissenschaft bei einer Nachbildung selbstverständlich verloren, denn er geht mit dem Originalmaterial verloren.
- Die sichtbaren oder bis zur Zerstörung des Originals noch verborgenen Geschichtsspuren sind ebenfalls nicht wieder herstellbar
"Eine Nachbildung hat geschichtlich eine Aussagekraft nur für die Zeit ihrer Entstehung, sie ist im Grunde ihres Wesens ungeschichtlich, weil sie unter veränderten wirtschaftlichen, sozialen kulturellen Verhältnissen eine Form zu wiederholen trachtet, die unter ganz anderen Bedingzungen entstanden war (Kiesow, S. 117).“
Wie du siehst, ist also nicht nur der Entwurf entscheidend, den es bei den Häusern am Römerberg ja wohl auch nie gegeben hat. Die Verwendung von Originalsubstanz spielt bei einer veritablen Rekonstruktion eine ganz entscheidende Rolle.
Zur Ostzeile des Römerberges schreibt Kiesow, ehemals Leiter des Landesamtes für Denkmalpflege:
“Bedenklich dagegen erscheint der Wiederaufbau der Ostseite der Römerberges in Frankfurt am Main, denn hier hat sich die städtebauliche Situation seit der Totalzerstörung der Fachwerkzeile 1944 durch den Bau des Technischen Rathauses, der Tiefgarage und des Historischen Museums so entscheidend verändert, dass der Rückgriff auf eine mehr als 30 Jahren untergegangene historische Bebauung museal und ungeschichtlich ist. Auch ist die Dokumentation sehr lückenhaft, umfasst zwar das bis 1944 Sichtbare der Fassaden, nicht aber das bis zuletzt hinter Schiefer und Putz verborgene Fachwerk. Trotz aller Versicherungen der Investoren, es werde alles historisch getreu wiederaufgebaut, handelt es sich in wesentlichen Punkten um eine Neuschöpfung, die mehr Auskunft über die Baugesinnung von 1980ff. als des 16. bis 18. Jh. gibt(wie oben, S. 118).“
Dem gibt es von meiner Seite kaum noch etwas hinzuzufügen.
Die von mir genannten Kriterien (Wahrung der zeitlichen Kontinuität, Verwendung eines großen Teiles an Originalsubstanz) sind also keineswegs „willkürlich“, sondern werden in der Denkmalpflege tatsächlich so angewandt. Wie aus den obigen Ausführungen hervorgeht, gibt es gibt gewichtige Gründe, derartige Nachbildungen vehement abzulehnen. Die Denkmalbehörden haben im Falle des Palais Thurn und Taxis auch ganz klar Stellung bezogen und sich von einem Wiederaufbau distanziert.
Leider werden derartige Wiederaufbaumaßnahmen gerade von Politikern, die sonst keinen Finger für denkmalwerte Bausubstanz rühren, allzu gerne als Alibi benutzt (siehe z.B. Edwin Schwarz, der den Wiederaufbau des Palais begrüßt, aber gleichzeitig unter Denkmalschutz stehende Bauten wie die Kleinmarkthalle abreißen will, um seine eigenen „Visionen“ verwirklichen zu können).
Die Befürwortung von Nachbildungen (nicht Rekonstruktionen!) bestimmter Bauwerke ist in meinen Augen vor allem emotional begründet: Man will den Verlust des jeweiligen Gebäudes einfach nicht hinnehmen und argumentiert vordergründig mit den städtebaulichen Qualitäten desselben, die aber auch durch eine Neubebauung erreicht werden könnte. Man möchte etwas von der vermeintlich guten alten Zeit wiedererstehen lassen, weil man offenbar mit den Auswüchsen der modernen Architektur nicht zufrieden ist.
Und da liegt genau der Knackpunkt: Das Umfeld des Palais Thurn und Taxis hat sich derart verändert, dass eine Nachbildung gar nicht in Frage kommen kann. Durch die direkt daneben geplanten Hochhäuser würde es stark in Bedrängnis geraten, so dass es seiner städtebaulichen Qualitäten beraubt würde. Zwischen den Hochhaus-Giganten würde es einem niedlichen Spielzeughäuschen verkommen, das erst recht unecht und vollkommen deplatziert wirken würde.
Wie das Steinerne Haus nach dem Krieg aussah, ist mir von Abbildungen hinlänglich bekannt. Nach den mir zur Verfügung stehenden Informationen wurde der Bau aber keineswegs komplett neu gebaut sondern unter Verwendung der erhaltenen Reste wieder hergestellt (Dehio). Wenn es sich um tatsächlich eine komplette Nachbildung handelte, stände der Bau gar nicht im Dehio (Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler), denn dieser erfasst ja nur denkmalwerte Bauten.