Hochhaus Süd (AEG-Hochhaus), 1949 - 1999

  • Abb.: Bauzeichnung, Eigenbesitz, verfremdet


    Hochhaus Süd (AEG-Hochhaus, 1949-1999) -Teil I -


    Am 1. August 1949, vor 73 Jahren, begann der Bau des Hochhauses Süd am Theodor-Stern-Kai. Nach dem Mouson-Turm (1923-1926, 33m), dem IG-Farben-Haus (1928-1931, 35 m) und dem Gewerkschaftshaus (1931, 31 m) war es das vierte Frankfurter Hochhaus – später bekannt als AEG-Hochhaus, das erste in der Kategorie „ü40“.


    Keine 30 Jahre vor Baubeginn war der Bauplatz noch Teil des ehemaligen Kohlehafens. Genau gegenüber dem Westhafen erstreckte sich ab den 1880er Jahren auf einer Breite von ca. 100 m zwischen Main-Neckar-Brücke und Wilhelmsbrücke (heute Friedensbrücke) der sog. Kohlehafen. Das waren anderthalb Dutzend hochwasserfreie, an einer 6,00 m hohen Kaimauer gelegene Lagerplätze für Kohle und ein Petroleum-Lager direkt am Bahndamm. Auf der Landseite lagen Eisenbahngleise, die über einen Gleisbogen an den Südbahnhof angebunden waren. Die heute vor der hohen Kaimauer verlaufende Uferpromenade wurde erst Anfang der 2000er Jahre gebaut, bis dahin endete die Sachsenhäuser Uferpromenade östlich der Friedensbrücke.



    © Stadtvermessungsamt Frankfurt am Main 2021, Ravensteinplan von 1895



    Gravierende städtebauliche Veränderungen im Osten der Stadt führten zur Aufgabe des Kohlehafens. Die wachsende Stadt brauchte u.a. größere Lagerflächen für Kohle und Öl, die im Osthafen entstanden sind. Hinzu kamen Neubau und Verlegung des Ostbahnhofs an den Danziger Platz; die bis dahin am Hanauer Bahnhof, einem kleinen Kopfbahnhof an der Hanauer Landstraße, endenden Züge von der nordmainischen Bahnstrecke wurden ab 1912 über den neuen Ostbahnhof, die neue Deutschherrnbrücke und den Südbahnhof zum Hauptbahnhof durchgebunden. Vor diesem Hintergrund hat die Hessische Ludwigsbahn den Gleisanschluss des Kohlehafens zum Ende des Jahres 1912 gekündigt. Der Gleisbogen von der hochgelegenen Main-Neckar-Bahn hinunter zum Kohlehafen wurde abgebaut; ein Teil des ehemaligen Zufahrtgleises vom Südbahnhof zum Kohlehafen existiert noch, es endet an einem Prellbock nahe bei der Kennedyallee.



    © Stadtvermessungsamt Frankfurt am Main, Stand 10.2022,© Hessische Verwaltung für Bodenmanagement und Geoinformation, mit eigener Bildmotage


    Der westliche Teil des Kohlehafens einschließlich des Petroleumlagers wurde unmittelbar nach dem 1. Weltkrieg für die Erweiterung des Städtischen Krankenhauses und die Gebäude der 1914 gegründeten Universitätsklinik verwendet, die östlich davon gelegenen Flächen sollten anscheinend Wohngebiet werden. 1920 wurden die restlichen Kohlenlagerplätze „für Villen und bessere Wohnhäuser“ zum Kauf angeboten. Dahinter stand wahrscheinlich der Plan, das Wohngebiet beiderseits der Gartenstraße über die Stresemannallee hinaus nach Westen zu erweitern, allerdings wurde dies nicht konsequent umgesetzt.



    Abb.: Adressbuch von Frankfurt am Main, Jahrgang 1920


    Die Baugebietspläne, wir würden heute sagen: Flächennutzungspläne, der Staffel- und Zonenbauordnungen von 1891 und 1910/12 wiesen den Kohlehafen als „Fabrikviertel“ aus, für eine Wohnbebauung musste die Fläche umgewidmet werden. Im Hinblick auf die Eingemeindung von Höchst und Fechenheim im Jahr 1928 wurde der Baugebietsplan allerdings erst 1931/1934 fortgeschrieben. Die Flächen des Kohlehafens wurden darin als „Baugebiet A“ eingezeichnet; Baugebiet A umfasste alle bereits bestehenden Siedlungsflächen, Baugebiet B waren bislang unbesiedelte Flächen. Die Grundstücke sollten zu 40% der Grundfläche 3-geschossig bebaut werden mit einer GFZ von 1,2 - eine typische Wohngebietsbebauung. Die Bauweise (Einzelhäuser, Hausgruppen oder geschlossener Blockrand), Bautiefe und Baufluchtlinien hätten in parzellenscharfen Aufbauplänen geregelt werden sollen, die aber nicht erlassen wurden.



    Baugebietsplan von 1910/12, gemeinfrei



    Baugebietsplan von 1931/34, ISG, Sig. S8-2_252


    Stattdessen wurde 1928 eine Teilfläche von rd. 6.000 m² an die Allgemeine Ortskrankenkasse zum Bau eines Verwaltungsgebäudes verkauft. Das AOK-Gebäude war 4-geschossig und überbaute die Grundstücksfläche nahezu vollständig, wodurch der östliche Bereich des ehem. Kohlehafens entgegen dem Baugebietsplan defacto zu einem Mischgebiet entwickelt wurde; an sich kein Problem, weil die Bauordnung Ausnahmen zuließ und ein Aufbauplan, wir würden heute sagen ein qualifizierter Bebauungsplan, noch nicht existierte.



    Bild: ISG, Luftbild von 1933, S7a-272



    (wird fortgesetzt)

  • Hochhaus Süd (AEG-Hochhaus, 1949-1999) (Fortsetzung Teil II)


    Hochhaus im Wohngebiet


    Unmittelbar westlich des AOK-Geländes hatte die Stadt Mitte der 20er Jahre mehrere eingeschossige, barackenartige Schlichtwohnungen gebaut, vielleicht Notunterkünfte (Gartenstraße 154-164), die große Freifläche östlich der AOK bis zur Stresemannallee blieb frei und war weiterhin städtisches Eigentum. Aus der Feder des Architekten Martin Elsässer, der von 1925-1932 Leiter des städtischen Hochbauamtes war, stammen zwei Ideen für die Bebauung dieses Grundstücks: 1926 entwarf er einen Neubau für die Kunstgewerbeschule, an der er im Nebenamt eine Lehrtätigkeit ausübte, und 1930 ein Hallenbad, beides blieb Utopie.


    Kunstgewerbeschule Skizze_1 und Skizze_2

    Hallenbad Skizze_1 und Skizze_2


    in: Sigrid Meyer zu Knolle, Die gebändigte Vertikale, Dissertation, Marburg 1998, Anhang Bildgalerie C


    1938 wurde eine neue Bauordnung erlassen; Teil der BauPolVO1938 war eine Baugebietsordnung, die – ein Novum – auf 15 eng bedruckten Seiten in Textform die räumliche Abgrenzung der Baugebiete beschrieb; die Textform war vielleicht die Reaktion darauf, dass die Baugebietspläne von 1931/34 wegen ihres Maßstabes von 1:25000 keine parzellengenaue Abgrenzung zuließen und Aufbaupläne im Maßstab 1:5000 oder 1:2000 stadtweit nicht ausgearbeitet worden waren. Trotz der frischen Bebauung mit einem Verwaltungsgebäude und der Erweiterung des städtischen Krankenhauses wurde der gesamte Bereich des Kohlehafens wieder zum reinen Wohngebiet umgezont.


    Laut BaugebietsO1938 lag der Bauplatz für das Hochhaus Süd im Baugebiet „B III o - Nr. 66“: reines Wohngebiet, überbaubar bis 3/10 der Grundstücksfläche mit 3 Vollgeschossen in offener Bauweise, also eine deutlich geringere Ausnutzung als nach dem Baugebietsplan von 1931/34.




    Abb.: Ravenstein-Stadtplan von 1942, gemeinfrei, mit Einzeichnung


    Die Absicht hinter dieser Ausweisung ist nicht klar, aber vielleicht war der AOK-Bau innerhalb der Verwaltung seinerzeit umstritten, ich erinnere an die Vorgänge um den Bau des Gewerkschaftshauses, den das Bauamt 1930 eigentlich nicht genehmigen wollte. Die AOK wollte 1925 ursprünglich von der Erbengemeinschaft Jordan-de-Rouville in der Hofstraße die Fläche hinter dem Schauspielhaus erwerben, die dann aber überraschenderweise an die Stadt verkauft wurde; nach langen Verhandlungen bot die Stadtkämmerei der AOK schließlich das viel größere Areal im ehemaligen Kohlehafen an.


    In der BauPolVO1938 dürfte auch eine Abkehr von der städtischen Bau- und Siedlungspolitik in der Ära Ludwig Landmann zum Ausdruck kommen, eine Abkehr vom „Neuen Frankfurt“, von Bauhaus und allem, wofür u.a. Ernst May und Martin Elsaesser standen, die 1938 längst nicht mehr im Amt waren. Vielleicht wollten die Planer der „Stadt des Deutschen Handwerks“ zu einem Baugebiet für „Villen und bessere Wohnhäuser“ zurückkehren, wie es noch 1920 vorgesehen war, obwohl ihnen klar gewesen sein musste, dass wegen der Krankenhauserweiterungen und des AOK-Gebäudes die Rückkehr zu einem reinen Wohngebiet bis auf Weiteres faktisch ausgeschlossen war.



    Bauplatz in den 30er Jahren, Postkarte, gemeinfrei


    Die Baugebietsausweisung von 1938 galt über das Kriegsende hinaus. Das war notwendig, weil das neue bundeseinheitliche Planungsrecht auf sich warten ließ; BBauG und BauNVO traten erst 1961 bzw. 1962 in Kraft. Die BauPolVO1938 einschließlich der BaugebietsO wurde – weil sie nicht in die Kategorie „nationalsozialistisches Unrecht“ fiel - mit Billigung der Militärregierung vom Regierungspräsidium bis Ende 1948 verlängert und 1951 als hessisches Übergangsrecht rückwirkend zum 1.1.1949 inhaltlich unverändert neu in Kraft gesetzt – mit der Folge, dass das Hochhaus Süd formal in einem Wohngebiet entstand.


    Nach dem Krieg wich der Magistrat von den Zonierungen aus der Vorkriegszeit großzügig ab, wenn es zur Deckung des riesigen Bedarfs an Wohnbau-, Gewerbe- und Verkehrsflächen opportun war. Städtebaulich war das vertretbar, weil das Geviert eh kein reines Wohngebiet mehr würde, die Ausnahme für ein Bürogebäude im „reinen Wohngebiet“ wurde erteilt. Wenn es die Absicht gab, das faktische Mischgebiet planungsrechtlich auch als solches auszuweisen, wurde sie nie ernsthaft verfolgt, einen Bebauungsplan gibt es für diesen Standort bis heute nicht.


    (wird fortgesetzt)

  • Hochhaus Süd (AEG-Hochhaus, 1949-1999) (Fortsetzung Teil III)


    39, 40, 43, 45 oder 48 Meter hoch?


    In der Frankfurter Hochhausliteratur und in der bauzeitlichen Lokalpresse werden für das Hochhaus Süd Gebäudehöhen von 39, 40, 43, 45 und 48 Meter genannt.


    Hatte der Magistrat für die Art der baulichen Nutzung noch eine Ausnahme erteilt, wurde die Gebäudehöhe streng nach Bauordnung festgelegt. Grundsätzlich waren 20 m stadtweit die maximal zulässige Gebäudehöhe, aber bei Gebäuden für gewerbliche Zwecke waren Ausnahmen zulässig (siehe z.B. Mousonturm, IG-Farbengebäude, Gewerkschaftshaus, Großmarkthalle, Kaufhäuser). In den Baugebieten A und B – also auch an der Stresemannallee – durfte die straßenseitige Gebäudehöhe bis zu 2/3 des Abstandes der Baufluchtlinien beiderseits der Straße betragen.


    Die Straßenparzelle der Stresemannallee ist an besagter Stelle 59,00 m breit. Die Baufluchtlinie, d.h. der Abstand der Gebäude von der Grundstücksgrenze betrug auf der Westseite nominell 4,00 m, auf der gegenüberliegenden Seite 5,00 m, der Abstand der Baufluchtlinien betrug also nominell 68,00 m, 2/3 dessen ergeben eine zulässige Gebäudehöhe von 45,33 m. Das Hochhaus stand aber weder in der festgesetzten Baufluchtlinie noch parallel zur Grundstückgrenze. Die südöstliche Ecke an der Gartenstraße wich 6,00 m hinter die Grundstückgrenze zurück, die nordöstliche Ecke 10,00 m. Diese Maße ergeben sich aus dem Fluchtlinienplan F-1765 vom 11.8.1958, der die alte 4,00-Meter-Bauflichtlinie aufhob und die faktische Baufluchtlinie förmlich feststellte.


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    © Stadtplanungsamt Frankfurt a.M., Auszug aus F-1765


    Ein Abstand von 6,00 m führt zu einer zulässigen Gebäudehöhe von 46,67 m (= [59+5+6] x 2/3), ein solcher von 10,00 m zu 49,33 m (= [59+5+10] x 2/3). Dazu sagte die Bauordnung: „Bei wechselndem Abstand der Baufluchtlinien darf eine mittlere Höhe einheitlich durchgeführt werden“, die mittlere Höhe waren hier 48,00 m (= [46,67 + 49,33] : 2). Die Gebäudehöhe war definiert als „die Höhe der Umfassungswände über der anschließenden endgültigen Geländeoberfläche bis zur Schnittlinie mit der Dachoberfläche“, Dachaufbauten wie Aufzugsüberfahrten, Maschinenhäuser usw. blieben bei der Gebäudehöhe unberücksichtigt; die beschriebene Schnittlinie wird heute meistens als Traufhöhe bezeichnet, gemessen ab fertiger Geländeoberkante. Häufig wird die Gebäudehöhe aber auch ab Fußbodenoberkante (FOK) der Eingangsebene oder ab FOK des untersten Vollgeschosses gemessen.


    „Mit seinen zwölf Geschossen und einer Höhe von 48 Meter erreicht es die oberste Grenze, die die Frankfurter Stadtplanung zunächst gesetzt hat“, schrieb die Frankfurter Rundschau v. 29.8.1950, es ist die höchste Nennung. Sie gibt die rechtliche zulässige Höhe nach Bauordnung, aber offenbar nicht die tatsächlich gebaute, geringere Höhe an.


    In der Wikipedia-Liste der „Hochhäuser in Frankfurt“, Abteilung Abgerissene Hochhäuser, und im Wikipedia-Artikel zum AEG-Hochhaus werden 45 m angegeben. Kurz vor Fertigstellung berichtete die FAZ von der Baustelle und nennt eine „Gesamthöhe von rd. 45 m“ (FAZ 1.4.1950). Im Katalog des Deutschen Architekturmuseums zur Ausstellung „Hochhausstadt Frankfurt“ wird die „Höhe“ mit 43 m angegeben. Im Hochhausbuch von Detlev Janik „Hochhäuser in Frankfurt“ werden elf Stockwerke und 40 m angegeben. Kurz nach Baubeginn hatte die FAZ geschrieben: „Der Hauptbau, zwölf Stockwerke umfassend und 39 m hoch, wird ein Bürohaus werden…“ (6.10.1949), 39 m sind die geringste Höhenangabe, die zu lesen ist.


    Aus einer vorliegenden Gebäudeansicht im Maßstab 1:200 lässt sich rekonstruieren, dass die Traufhöhe über FOK Eingangsebene tatsächlich 39 m betrug. Der Haupteingang wurde vom Gehweg Theodor-Stern-Kai über eine 6- oder 7-stufige Treppe erreicht. Nimmt man eine Stufenhöhe von 0,15 m an, betrug die Traufhöhe 40 m über GOK Fußweg Theodor-Stern-Kai.


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    Abb.: Bauzeichnung 1:200, Eigenbesitz


    Die Stresemannallee hat vom Widerlager der Friedensbrücke zur Gartenstraße ein Gefälle, d.h. an der Gartenstraße lag die GOK deutlich tiefer als vor dem Haupteingang. Aus diesem Grund sehen wir auf den Fotos der Südseite das dunkel verkleidete Sockelgeschoss in voller Höhe, während es auf den Ansichten der Nordseite durch das zur Brücke ansteigende Gelände und die Treppe zum Haupteingang zum Teil verdeckt wird.


    Addiert man zur FOK Eingangsebene die Höhe des dunklen Sockelgeschosses hinzu, das etwas höher war als die Regelgeschosse, vielleicht knapp 4,00 m, ergibt sich eine Traufhöhe über GOK Gartenstraße von 43 m. Die beiden Maschinenhäuser der Paternoster waren 2,00 m hoch, weshalb die absolute Gebäudehöhe 45 m über GOK Gartenstraße betrug. In den 70er oder 80 Jahren ist ein Dachaufbau hinzugefügt worden, der deutlich höher war als die bauzeitlichen Maschinenhäuser, so dass die absolute Gebäudehöhe nachträglich noch erhöht wurde, vielleicht auf 48 m.


    Keine der Höhenangaben ist demnach falsch, aber um genau zu sein, müssten sie jeweils den Höhenbegriff (Traufhöhe, absolute Höhe, mittlere Höhe) und den unteren Bezugspunkt und ggf. den Zeitpunkt der Messung angeben.


    Hochhaus Süd 1951 und 1959




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    Fotos: Stiftung Deutsches Technikmuseum Berlin, Foto: Historisches Archiv


    Das Gefälle der Stresemannallee erklärt auch die unterschiedlichen Stockwerksangaben. Auf den Fotos der Nordseite sehen wir elf Stockwerke, weil wir als Erdgeschoss die Ebene des Haupteingangs wahrnehmen, der dunkle Gebäudesockel wird als Stockwerk nicht wahrgenommen. An der Gartenstraße indessen und auf der Hofseite zählen wir zwölf Stockwerke, weil der vollständig sichtbare dunkle Gebäudesockel als Vollgeschoss wahrnehmbar ist.


    Bauherr des Hochhauses war das Landesarbeitsamt, das steht fest, auch wenn manchmal die AEG als Bauherr genannt wird. Die Angaben zum Entwurfsverfasser wiederum differieren und sind voller Ungereimtheiten. Die meisten Quellen nennen für Entwurf und Planung die Architekten Adolf Heinrich Aßmann und Hans Bartolmes. Das vom Bund Deutscher Architekten herausgegebene Büchlein „Bauen in Frankfurt seit 1900“ nennt Rudolf Temporini als den Architekten, eine Bildunterschrift in einem Fotoarchiv nennt alle drei Namen. Die FAZ schrieb sinngemäß, ursprünglich habe der Architekt Rudolf Temporini das Hochhaus Süd für das Landesarbeitsamt entworfen, Aßmann und Bartolmes hätten diesen Entwurf sodann ausgearbeitet (FAZ 18.8.1997). Über Temporini (Jahrgang 1908) ist herauszufinden, dass er von 1970 bis 1996 als freischaffender Architekt bei der Architektenkammer Hessen eingetragen war. Es könnte sein, dass er damals beim Staatsbauamt tätig war und nach seiner Pensionierung eine zweite Karriere als freischaffender Architekt begann.



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    Bild vom Rohbau 1949, ISG, Sig. S7Mat_00015


    Die örtliche Oberbauleitung lag beim Hessischen Staatsbauamt, den Rohbau errichtete die Firma Wayss & Freitag, die Annexbauten die Fa. Butzer. Baubeginn war am 1.8.1949. Das Hochhaus (ohne Annexbauten) hatte eine BGF von 8.640 m² ( L 48 m x B 15 m = 720 m² x 12 Vollgeschosse), in der Dachetage befand sich ein Kasino, über dem Haupteingang lag ein zwei Stockwerke hoher Konferenzsaal für 200 Personen (erkennbar an dem besonderen Fensterfeld über dem Haupteingang).


    Beim Richtfest am 18.5.1950 wurde bekannt gegeben, die AEG werde ihren Sitz im Hochhaus Süd nehmen. Dass unter den zahlreichen Städten, die sich um die Ansiedlung der AEG beworben hatten, die Wahl auf Frankfurt fiel, war ganz wesentlich darauf zurückzuführen, dass das Hochhaus Süd der AEG praktisch schlüsselfertig zur Verfügung stand, sie aber noch auf den Ausbau Einfluss nehmen konnte.


    Am 27.4.1951 bezogen rd. 1.100 Arbeitnehmer der AEG das Hochhaus Süd; die Annexbauten und der AOK-Bau wurden weiterhin von Arbeitsamt und AOK mitbenutzt. 1957 erwarb die AEG das gesamte Ensemble. Zwei Jahre später, nachdem das Arbeitsamt und die AOK in ihre Neubauten in der Fischerfeldstraße bzw. am Börneplatz umgezogen waren, stockte die AEG die Annexbauten um ein Geschoss, das AOK-Gebäude um zwei Stockwerke auf.



    Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der AEG führten 1975 zum Verkauf des Frankfurter AEG-Hochhauses nebst AOK-Gebäude an die Allianz Lebensversicherung AG; über den Kaufpreis wurde spekuliert, von 40 Mio DM war zu lesen (das vormalige Telefunken-Hochhaus in West-Berlin erwarb zeitgleich der Berliner Senat).


    AEG-Hochhaus Ende 60er Jahre:



    Foto: Stiftung Deutsches Technikmuseum Berlin, Foto: Historisches Archiv



    (wird fortgesetzt)

  • Fortsetzung Teil III


    1985 wurde die Daimler Benz AG Mehrheitsaktionär oder Alleineigentümer der AEG Telefunken AG (so hieß die AEG seit 1967) und nach Ausgliederung und Verkäufen zahlreicher Geschäftsbereiche wurde der verbliebene Rest schließlich auf die Daimler Benz AG verschmolzen. Im April 1996 wurde der Sitz in Berlin nach 113 Jahren aufgehoben (AG Charlottenburg, HRB 61), am 2.10.1996 wurde die AEG endgültig aus dem Handelsregister gelöscht (AG Frankfurt, HRB 25000).


    AEG-Hochhaus mit einem neuen Dachaufbau, 1986:



    Foto: Stiftung Deutsches Technikmuseum Berlin, Foto: Historisches Archiv


    Zu diesem Zeitpunkt stand der AEG-Komplex bereits leer. Die Absicht der Allianz Versicherung, das AEG-Hochhaus für einen Neubau abzureißen, rief den Landeskonservator auf den Plan. Als Ikone des Wiederaufbaus wollte er das AEG-Hochhaus unter Denkmalschutz stellen, sehr zum Ärger der Allianz, die ihre Neubaupläne gefährdet sah; bei der Fortschreibung der Frankfurter Denkmalliste 1985/86 war das noch nicht erwogen worden. Nach eingehender Inspektion sagten die Denkmalschützer die Unterschutzstellung ab. Wegen vieler baulicher Veränderungen im Innern und wegen der Aufstockung der Annexbauten und des AOK-Gebäudes, sei zu wenig Ursprüngliches vorhanden, womit man eine Unterschutzstellung hätte begründen können. Dem Abriss stand nichts mehr im Wege und am 9.5.1999 wurde das Hochhaus Süd, 49 Jahre und 9 Tage nach dem Richtfest, gesprengt.


    AEG-Hochhaus 1951:



    Foto: Stiftung Deutsches Technikmuseum Berlin, Foto: Historisches Archiv


    AOK-Gebäude und AEG-Hochhaus 1953:



    Foto: ISG Frankfurt, Sig. S7C1998_34-049


    (wird fortgesetzt)

  • Hochhaus Süd (AEG-Hochhaus, 1949-1999) (Fortsetzung Teil IV)


    Hochhaus Süd, die Hauptstadtfrage und das Cassella-Haus


    Verschiedentlich ist zu lesen, das Hochhaus Süd hätte, wenn Frankfurt zur vorläufigen Bundeshauptstadt bestimmt worden wäre, Sitz des Bundesarbeitsministeriums werden sollen, der Bund habe es für das Arbeitsministerium konzipiert. Unklar ist der Ursprung dieser Information, es gibt keine Quellenangaben dafür und ob sie stimmt, ist zweifelhaft.


    Auffällig ist, dass in der bauzeitlichen Lokalpresse davon nichts zu lesen ist. Frankfurter Rundschau, Frankfurter Allgemeine Zeitung und auch die Mainzer Allgemeiner Zeitung berichteten während der Bauzeit und anlässlich von Richtfest und Eröffnung häufiger über das Hochhaus Süd, aber in keinem Artikel wird auch nur andeutungsweise ein Zusammenhang zu den Hauptstadtplänen der Stadtverwaltung hergestellt. Das geschieht soweit ersichtlich erstmals 1995 in einem FAZ-Artikel über das AEG-Hochhaus im Rahmen einer mehrteiligen Serie über Hochhäuser in Frankfurt. In der derselben Zeitung stand es später (1997) etwas anders: ursprünglich habe der Bund dort ein Bürohaus für Regierungsbedienstete errichten wollen - nicht Ministerium, nur noch Behördenhaus. Alle anderen Erwähnungen von Hochhaus Süd als Ministeriumssitz liegen zeitlich später, keine der Erwähnungen nennt eine Quelle.


    Aber auch die „Haupstadt-Akten“ der Stadt Frankfurt zur Unterbringung der Obersten Bundesorgane erwähnen den Standort an der Stresemannallee nicht; logischerweise, denn als Frankfurt für den vorläufigen Regierungssitz (neben Bonn, Stuttgart und Kassel) vorgeschlagen wurde, war das Grundstück noch unbebaut und stand 1949 für irgendjemandes sofortige Unterbringung noch gar nicht zur Verfügung. Dafür, dass tatsächlich das Bundesarbeitsministerium dort hätte einziehen sollen, findet sich in den städtischen Akten kein Anhaltspunkt, die „Hauptstadt-Akten“ enden im November 1949 ohne Vorschlag für die Unterbringung des Arbeitsministeriums.


    Man könnte die Sache damit auf sich beruhen lassen, gäbe es da nicht eine interessante Spur zu einem Stück vergessener Frankfurter Baugeschichte, der nachzugehen sich lohnt, die Spur führt ins Westend.


    Anfang Februar 1949 hatte sich eine Delegation des Parlamentarischen Rates über die Vorbereitungen in Frankfurt informiert und alle vom Magistrat vorgeschlagenen Quartiere für die Bundesorgane besichtigt. Es gibt ausführliche Beschreibungen dieser Besichtigungstour, der Fahrtrouten, wann in welcher Reihenfolge die Liegenschaften besichtigt wurden, wo zu Mittag gespeist und übernachtet wurde - der Bauplatz an der Stresemannallee kommt darin nicht vor, überhaupt keine Bauplätze, nur bezugsfertige Gebäude. Zu dieser Zeit (vor Inkrafttreten des Grundgesetzes) arbeiteten einige Vorläuferinstitutionen der späteren Bundesorgane bereits in Bonn, z.B. auch der Parlamentarische Rat; Frankfurt war Sitz der US-Militärregierung (OMGUS), des Verwaltungsrates der Bizone, des Länderrates und einiger anderer Institutionen (mit zusammen rd. 3.500 Stellen). Frankfurt wurde 1948 erstmals als vorläufiger Regierungssitz vorgeschlagen. Überlegt hatte der Magistrat dies:


    - die Rotunde der geplanten Pädagogischen Akademie an der Bertramstraße war als Plenarsaal des Deutschen Bundestages vorgesehen (1951 übernahm der Hessische Rundfunk das Gebäude);

    - der Bundesrat sollte in das Haus Börsenstraße 2 einziehen, anstelle des Wirtschaftsrates;

    - repräsentativer Amtssitz des Bundespräsidenten sollte das Homburger Schloss werden;

    - die Diensträume des Kanzlers sollten in der Lindenstraße 27 untergebracht werden;

    - wohnen sollte der Bundeskanzler in einer Dienstvilla in der Fürstenbergerstraße;

    - das Ministerium des Innern sollte in die Börsenstraße 2,

    - das Finanzministerium nach Bad Homburg,

    - das Justizministerium in die Feldbergstraße,

    - das Wirtschaftsministerium in die Höchster Kaserne (McNair),

    - das Ernährungsministerium in das ehem. Lurgi-Haus in Königstein (Villa Rothschild)

    - das Verkehrsministerium in das AOK-Gebäude Offenbach und das Ledermuseum.


    Das Arbeitsministerium kommt in dieser Liste nicht vor. Haben die Direktorate des Verwaltungsrates der Bizone praktisch dort weitergemacht, wo die vormaligen Reichsministerien 1945 aufgehört haben, traf dies auf das Arbeitsressort nicht zu, denn wegen seiner Verstrickung in das NS-System der Zwangsarbeit war das Reichsarbeitsministerium von der Militärregierung aufgelöst und abgewickelt worden. Das erklärt, warum der Vorschlag des Magistrats das Arbeitsministerium nicht aufführt, es gab noch keine Einrichtung oder Stellen, die als Vorläufer eines künftigen Bundesarbeitsministeriums hätten untergebracht werden müssen. An anderer Stelle heißt es nur sinngemäß, die Arbeitsverwaltung könne im Cassella-Haus verbleiben.

    Wenn wir Cassella-Haus lesen, denken wir sofort an Fechenheim. Fast vergessen ist, dass die Firma ihr Hauptquartier vier Jahrzehnte im Westend hatte, bevor sie im IG-Farben-Konzern aufging, nur ihre Produktionsanlagen waren in Fechenheim. Über das Cassella-Haus ist nur wenig bekannt, selbst Cassella-Jubiläumsschriften erwähnen die Kontore im Westend nur am Rande und oft ohne Bilder.


    Die Fa. Leopold Cassella & Cie hatte in den 1870er Jahren ihren Verwaltungssitz aus der Altstadt in die Langestraße verlegt, die Farbenfabrik nach Fechenheim. 1885 sind die Kontore der Verwaltung in die Liebigstraße 19 umgezogen. Von einem Verwandten von Leo Gans, einem der Cassella-Mitinhaber, erwarb die Firma das Anwesen Bockenheimer Landstraße 55 (Ecke Feuerbachstraße). Die aufstehende klassizistische Villa wurde abgerissen, das sehr tiefe Grundstück parzelliert. Auf dem südlichen Teil, der dann Feuerbachstraße 50 hieß, gegenüber dem vormaligen Brentanoplatz wurde eine neue Firmenzentrale geplant (das abgeteilte Eckgrundstück Bockenheimer Ldstr. 55 wurde wieder verkauft).


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    Abb.: ISG, Sig. A.63.04 Nr. 239


    Unter der Leitung von Leo Gans und seinen Neffen Arthur und Carl von Weinberg war die Firma Leopold Cassella & Co zum weltgrößten Hersteller synthetischer Farbstoffe aufgestiegen, entsprechend repräsentativ fiel der Entwurf für die Firmenzentrale aus. Mit Baubescheid vom 10.3.1898 wurde der Fa. Leopold Cassella der Bau eines 3-geschossigen Geschäftshauses auf dem Grundstück Feuerbachstraße 50 genehmigt.


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    cassella-haus_hinterfgxe6a.jpgAbb.: ISG, Sig. A.63.04 Nr. 239


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    Foto: Cassella-Firmenarchiv im Hessischen Wirtschaftsarchiv, Bild Nr. 60828, aufgenommen um 1922


    Ein paar Jahre später erwarb die Firma Cassella die Nachbargrundstücke Bockenheimer Landstraße 51 und 53, um dort 1911/12 ihre Firmenzentrale um einen großen Neubau zu erweitern, der im südlichenn Bereich des Grundstückstücks Bockenheimer Ldstr. 53 stand und mit der Feuerbachstr. 50 verbunden war.


    Entworfen hatte beide Gebäude der Hamburger Architekt Alfred Leopold Löwengard, der neben den beiden Cassella-Häusern u.a. die Villa Gans in der Barckhausstraße 14 und die Villa Bonn in Kronberg entworfen hatte (seit 1922 Rathaus von Kronberg); Löwengard war ein Neffe von Leo Gans.


    Ansicht von der Barckhausstraße:


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    Abb.: ISG, Sig. A.63.04 Nr. 500


    1925 ging die Fa. Leopold Cassella & Co GmbH in der IG Farbenindustrie AG auf. Bis Kriegsende beherbergte der Cassella-Komplex Verkaufskontore verschiedener Firmen der IG Farben AG sowie Wohnungen. Bei Kriegsende umfasste der Gebäude-Komplex um das Cassella-Haus herum die Liegenschaften Feuerbachstraße 50 und 40, Bockenheimer Landstr. 51 und 53, Barckhausstraße 5 und Kettenhofweg 56-60. Bis auf die Villen Bockenheimer Ldstr. 51 und 53 und die Wohnhäuser im Kettenhofweg hatten die Cassella-Gebäude den Krieg überstanden. Nur die Südwestecke der Feuerbachstraße 50 war beschädigt worden. 1948 ließ der Alliierte Kontrollrat das Gebäude reparieren.


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    Foto: ISG, Sig. S7B_1998-03 144


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    Abb.: Bauaufsicht Frankfurt am Main


    (wird fortgesetzt)

  • Hochhaus Süd (AEG-Hochhaus, 1949-1999) (Schluss)


    Durch das Gesetz Nr. 9 des Alliierten Kontrollrates wurde das Vermögen der IG Farben AG beschlagnahmt und ging auf den Kontrollrat über. Das Cassella-Haus mit Nebengebäude wurde Sitz von Stellen des Kontrollrates. Nach Beseitigung der Kriegsschäden bezog im September 1948 der „Verwaltungsrat des 2. Wirtschaftsrates des vereinigten Wirtschaftsgebietes“ (der sog. Bizone) das Cassella-Haus; zeitgleich wurde im Verwaltungsrat ein Direktorat für Arbeit im Vereinigten Wirtschaftsgebiet gegründet, das war im September 1948. Zum ersten Direktor für Arbeit wurde der CDU-Politiker Anton Storch berufen, der nach der Auflösung des Wirtschaftsrates durch den Bundestag am 7.9.1949 auch erster Bundesarbeitsminister wurde.


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    Mitteilungen der Stadt Frankfurt am Main vom 4.9.1948


    Für den Wiederaufbau, die Integration der Kriegsversehrten und Ostflüchtlinge in den Arbeitsmarkt, die Auszahlung von Unterstützungsleistungen, die Durchsetzung der Arbeitspflicht gegen Ausgabe von Lebensmittelkarten usw. wurde eine leistungsfähige Arbeitsverwaltung unbedingt benötigt. Der Alliierte Kontrollrat hatte deshalb die Länder angewiesen, die für das Gelingen des Wiederaufbaus essentielle Arbeitsverwaltung zu organisieren. Auch Hessen gründete im September 1945 ein Arbeitsministerium und ein Landesarbeitsamt, im September 1948 wechselte die Behördenleitung ins Cassella-Haus. Der erwähnte Vorschlag des Magistrats, die Arbeitsverwaltung könne im Cassella-Haus bleiben, spielt auf diesen Vorgang an.


    Im Hinblick auf seinen eigenen Raumbedarf hatte das Landesarbeitsamt zu diesem Zeitpunkt längst den Bau eines großen Verwaltungsgebäudes, des Hochhauses Süd in der Planung. Schon unter normalen Bedingungen benötigt der Bau eines solchen Objekts einen gewissen Vorlauf. Die Planungszeit dürfte wegen des Mangels an Arbeitskräften, Baugeräten und Baustoffen eher länger gewesen sein als vielleicht heutzutage. Als das Direktorium für Arbeit im September 1948 eingerichtet wurde, dürfte die Planung und „Konzeption“ des Hochhauses Süd nicht erst begonnen worden, sondern bereits weit fortgeschritten gewesen sein. Zu dieser Zeit gab es noch keine Bundesorgane und keine Bundesverwaltung. Das Grundgesetz ist am 23.5.1949, also kurz vor Baubeginn in Kraft getreten, erst ab diesem Zeitpunkt gab es handlungsfähige Bundesorgane. Schon deshalb kann nicht stimmen, der Bund habe das Hochhaus Süd als Behördenhaus für Regierungsbeamte oder gar das Bundesarbeitsministerium geplant; als geplant und konzipiert wurde, gab es weder den Bund noch ein Bundesarbeitsministerium.


    Zuschnitt und Struktur der künftigen Arbeitsverwaltung des Bundes waren zu diesem Zeitpunkt völlig offen, politisch noch nicht entschieden war, ob es eine Bundesauftragsverwaltung durch die Länder oder eine bundeseigene Verwaltung werden würde. Die Diskussion darüber zog sich noch Jahre hin und endete im März 1952 mit der Errichtung der Bundesanstalt für Arbeit (BA) als bundesunmittelbare Anstalt des öffentlichen Rechts in Selbstverwaltung.


    Der Hauptstadtentscheid vom 3.11.1949 zu Gunsten von Bonn kam drei Monate nach Baubeginn für das Hochhaus Süd. Er machte die Pläne des Landesarbeitsamtes für die Zusammenführung seiner in der Stadt verstreuten Dienststellen nicht überflüssig, ließ aber den Zeitdruck entfallen, das Cassella-Haus für das Arbeitsministerium kurzfristig wieder räumen zu müssen. Unverzüglich wurde ein neuer Nutzer für das Hochhaus Süd gesucht und in Person der AEG gefunden; eingefädelt hatte das Geschäft der damalige Wirtschaftsdezernent Dr. Walter Leiske.


    Die Dienststellen des aufgelösten Verwaltungsrates der Bizone zogen nach Bonn und wurden dort Bundesverwaltung, das Landesarbeitsamt blieb im Cassella-Haus, die provisorisch in der Stadt untergebrachten Dienststellen der Arbeitsverwaltung bezogen die Annexbauten des Hochhauses Süd und Flächen im AOK-Gebäude, Gartenstraße 140. Die Kasse des Arbeitsamtes und die Arbeitsvermittlung waren in der Junghofstr. 5-11 (wo heute das FOUR gebaut wird) bzw. in der Gr. Gallustraße 17 (wo heute die große Freitreppe zum Commerzbank-Turm ist) ausgebombt worden und machten mit dem Umzug in die Gartenstraße ihre unzureichenden Räumlichkeiten u.a. in der Moselstraße 62 und in der Linné-Schule frei.


    Der Rest ist schnell berichtet: im Zuge der IG-Farben-Entflechtung wurde die vormalige Leopold Cassella & Co GmbH 1952 ausgegliedert und als Farbwerke Cassella Mainkur AG verselbständigt; sie erhielt die Grundstücke zurück, die sie 1925 in die IG Farben AG eingebracht hatte, also auch den Cassella-Komplex an der Feuerbachstraße.


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    © Stadtvermessungsamt Frankfurt am Main 2021, Stadtkarte von 1950 mit eigener farbiger Markierung


    Die Cassella selbst hat die Gebäude nicht mehr genutzt, hat sich auf den Standort Fechenheim konzentriert. Das Landesarbeitsamt ging 1952 als eine Untergliederung in der neu gegründeten BA in Nürnberg auf, die BA wurde Mieter der Cassella.


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    Foto: Cassella-Firmenarchiv im Hessischen Wirtschaftsarchiv, Bild Nr.61231, um 1960 von der Bockenheimer Ldstr. aus


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    Foto: Cassella-Firmenarchiv im Hessischen Wirtschaftsarchiv, Bild Nr.61230, um 1960, Ansicht Barckhausstraße


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    Foto: Cassella-Firmenarchiv im Hessischen Wirtschaftsarchiv, Bild Nr.34153, um 1960, Ansicht Feuerbachstraße, am linken Bildrand die Bockenheimer Ldstr. 55 (Nordstern-Versicherung), deren Architekt Rudolf Temporini gewesen sein soll.


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    Foto: Cassella-Firmenarchiv im Hessischen Wirtschaftsarchiv, Bild Nr.61229, um 1960, Ansicht Feuerbachstraße über die Trümmergrundstücke Feuerbachastraße 42-46 hinweg


    Der Zustand der Gebäude wurde schon bei der Übernahme Anfang 1953 als schlecht eingestuft, weshalb bald danach beschlossen wurde, die Liegenschaft zu verkaufen, sobald das Landesarbeitsamt ausgezogen wäre. 1957 verhandelte die Cassella mit der Deutschen Bundespost und der Ringschuh-Einkausgesellschaft über den Verkauf. 1958 stimmte der Cassella-Aufsichtsrat dem Verkauf an die BA zu, allerdings ohne den Anbau von 1912. Die BA riss das Cassella-Haus wahrscheinlich Mitte der 60er Jahre ab und baute ein kleineres 3-geschossiges Bürohaus.


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    © Schmittchen


    1965 wurden die Liegenschaften Bockenheimer Ldstr. 51 und 53 geteilt, die nördlichen Teile wurden an die Bauherrengemeinschaft verkauft, die dort das Rhein-Main-Center errichtete. Die verbliebenen Reste wurden an die BA verkauft, die dann Anfang der 70er Jahre zwischen Feuerbach- und Barckhausstraße einen mehrteiligen Bürokomplex baute, inzwischen auch schon wieder Geschichte.


    Nach den geschilderten Gesamtumständen ist eher unwahrscheinlich und wenig plausibel, dass das Hochhaus Süd als Sitz des Bundesarbeitsministeriums konzipiert worden ist, denn in der Planungsphase gab es kein Arbeitsministerium, nicht einmal eine Vorläuferinstitution. Die Fortführung des Direktoriums für Arbeit als Bundesarbeitsministerium hätte keinen Umzug erfordert, die Büros wären im Cassella-Haus geblieben, man hätte nur das Türschild auswechseln müssen. Tatsächlich standen in den beiden Altbauten 4.000 - 5.000 m² Bürofläche zur Verfügung, das war nicht weniger, eher sogar mehr Fläche als anderen Ministerien zur Verfügung gestanden hätte. Daneben gab es als Erweiterungsflächen die Liegenschaften Bockenheimer Landstraße 51 und 53 mit dem großen freien Bauplatz entlang der Barckhausstraße, dazu die Barckhausstraße 5 und die zerstörten Wohnhäuser am Kettenhofweg, die sofort oder später hätten bebaut werden können. Die zerstörten Grundstücke Bockenheimer Ldstr. 55 und Feuerbachstraße 40-46 hätte der Bund sicher auch schon 1949 erwerben und bebauen können, die Cassella war auf jeden Fall verkaufsbereit. Insgesamt standen über 9.000 m² Baugrund zur Verfügung, des Hochhauses Süd für ein Arbeitsministerium hätte es zu dieser Zeit jedenfalls nicht bedurft.


    Wäre das Landesarbeitsamt anstelle der AEG selbst eingezogen und hätte das Grundstück behalten, wäre das Hochhaus Süd durch die Eingliederung in die BA 1952, also erst lange nach Fertigstellung, ein Behördenhaus des Bundes geworden, aber vom Bund ist es weder geplant noch gebaut worden, weder als Sitz des Ministeriums noch als Behördenhaus.


    Sei’s drum, alles Geschichte: das Hochhaus Süd wurde 49 Jahre alt, das Cassella-Haus fast 70 Jahre, aber außer einigen papierenen Spuren und ein paar wenigen Fotos erinnert nichts mehr an beide Häuser.

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