GrafiK: DB Netz AG
In einer Online-Informationsveranstaltung am 10. März 2022 hat die DB Netz AG die Fertigstellung der zusätzlichen S-Bahn-Gleise zwischen Frankfurt-West und Bad Vilbel für Ende 2023 angekündigt; wenn’s stimmt, ginge nach dann 35 Jahren eine unendliche Geschichte doch noch zu Ende.
Ziel und Zweck des 4-gleisigen Ausbaus, durch Schaffung separater S-Bahn-Gleise die Verkehre zu entmischen, d.h. die S-Bahn von Güter-, Regional- und Fernverkehr zu trennen, ist in den Regionalplänen des Landes Hessen als landesplanerisches Ziel seit 1986 verankert. Der Mischbetrieb auf der vielbefahrenen Main-Weser-Bahn (Strecke 3900 Göttingen-Frankfurt) führte vor allem bei der S-Bahn Rhein-Main zu einer unbefriedigenden Betriebsqualität; die Überholung von S-Bahnen durch Züge vornehmlich des DB-Fernverkehrs verursacht Verspätungen, die über die Stammstrecke auf andere S-Bahnlinien übertragen werden.
Jahr 1
Im September 1988 unterrichtete die damalige Deutsche Bundesbahn das Bundesverkehrsministerium (BMV) über die geplanten Infrastrukturmaßnahmen für ein 3. Streckengleis zwischen Ffm-West und Bad Vilbel und die dadurch erwarteten Angebotsverbesserungen. Erstmals wird damit die Ausbauabsicht ausdrücklich benannt, wir beginnen unsere Zeitrechnung deshalb im Jahr 1988.
Jahr 6
Das BMV gab seine Zustimmung zur Rahmenplanung für das Projekt „3. Gleis Ffm-West – Bad Vilbel“ unter Verweis auf die volks- und betriebswirtschaftlichen Vorteile. Dass dies erst im Oktober 1993 geschah, also fünf Jahre später, könnte daran gelegen haben, dass die konkrete Planung erst 1992 begonnen wurde; auch die parallel betriebene Bahnreform dürfte nicht zur Beschleunigung beigetragen haben. Kernstücke der Reform waren die Abwicklung von Deutscher Bundesbahn und Deutscher Reichsbahn als staatliche Sondervermögen, die Neugründung des Eisenbahnbundesamtes (EBA) als Aufsichts- und Genehmigungsbehörde, die Neugründung diverser Bahngesellschaften in privater Rechtsform (Deutsche Bahn AG, DB Netz AG, DB Reise & Touristik AG (heute: DB Fernverkehr AG), DB Cargo, DB Energie u.v.a.) sowie die Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs (SPNV). Es hat lange gedauert, bis die neuen Strukturen eingerichtet und im Bahnkonzern die Zuständigkeiten geklärt waren, das Personal auf die neuen Einheiten verteilt war.
In Hessen wurde durch das Anfang 1994 in Kraft getretene „Gesetz zur Weiterentwicklung des Öffentlichen Personennahverkehrs in Hessen“ (ÖPNV-Gesetz) der zum 1.7.1994 gegründete Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV) zum Aufgabenträger für den SPNV im Rhein-Main-Gebiet bestimmt – ein neuer Player, mit dem sich die Bundesbahn-Nachfolgefirmen auch erst arrangieren mussten. Für gestandene Bundesbahner dürfte es eine Art Kulturschock, zumindest aber sehr gewöhnungsbedürftig gewesen sein, dass jetzt Außenstehende Einfluss auf Planung, Ausbau und Betrieb der Eisenbahn nahmen. Der RMV wurde hier sozusagen zum Auftraggeber und Besteller von DB Netz.
Der RMV verfolgte von Anbeginn das Konzept eines integrierten Taktfahrplans (ITF) mit einem 15-Minuten-Takt auf allen S-Bahnstrecken, was sich auf der Main-Weser-Bahn nur mit separaten Gleisen erreichen lässt.
Jahr 8
In einer gemeinsamen Besprechung zwischen Vertretern des Landes Hessen, des RMV und der neu gegründeten DB Netz AG wurde im Mai 1995 einvernehmlich beschlossen, dem von DB Netz zu stellenden Antrag auf Aufnahme des ITF-gerechten Streckenausbaus von F-West bis Bad Vilbel in das GVFG-Bundesprogramm die durchgängige 2-gleisige Erweiterung, also den 4-gleisigen Ausbau bis Bad Vilbel zu Grunde zu legen.
Dem hat das BMV auch umgehend entsprochen – mit einer für die Stadt Frankfurt allerdings äußerst bitteren Nebenwirkung: der Bund hat nämlich zugleich den schon beantragten Bundeszuschuss für die Verlängerung des U-Bahntunnels vom Südbahnhof zur Sachsenhäuser Warte gestrichen. Dieser rd. 200 Mio DM teure Streckenausbau war zu diesem Zeitpunkt schon weit gediehen, es gab eine praktisch feststellungsreife Planung, Architektenwettbewerbe für die Stationen „Mailänder Straße“ (1.Preis Dietz-Joppien) und „Sachsenhäuser Warte“ (1. Preis Pahl + Weber-Pahl) waren durchgeführt worden, die Offenlage der Pläne stand kurz bevor, Leitungen sollten 1996 verlegt werden, die Hauptbaumaßnahme 1998 an der Sachsenhäuser Warte beginnen, mit der Inbetriebnahme wurde für 2003 gerechnet. Das BMV begründete seine Entscheidung damit, der Bund könne nicht allen Anmeldungen aus den Ländern entsprechen, zumal als Folge der Regionalisierung die GVFG-Förderung im Jahr 1997 um 3 Mrd. DM reduziert würde. In Hessen hätten sich speziell beim Bau des U-Bahntunnels vom Hauptbahnhof zur Bockenheimer Warte (Ausbaustrecke D-II) erhebliche Kostensteigerungen ergeben; aber Frankfurt müsse sich nicht beklagen, weil ja der Streckenausbau von F-West nach Bad Vilbel ins Programm aufgenommen worden sei. Wenn das Land dem U-Bahnbau zur Sachsenhäuser Warte höchste Priorität einräume, könne es ihn selbst fördern (FAZ v. 2.12.1995). Wie wir wissen, hat das Land die fehlenden 120 Mio DM Bundesförderung nicht beigesteuert, so dass wir auf die U-Bahn-Ausbaustrecke A-V bis heute warten; aber das nur nebenbei...
Jahr 10
Die bereits laufenden Planungen für das 3. Gleis nach Bad Vilbel wurden nach dieser Entscheidung umgehend eingestellt und es begannen die Planungen für den 4-gleisgen Ausbau. Im Juni 1998 hat die DB Netz AG das Planfeststellungsverfahren (PFV) beantragt, im Oktober lagen die Pläne öffentlich aus, die Einwendungsfrist endete am 18.11.1998.
Grundlage der Planung war zunächst die Verkehrsprognose des Bundesverkehrswegeplans (BVWP) 1992 mit dem Prognosehorizont 2010; die Verkehrsprognosen liefern das Datenmaterial für die Berechnung der Lärmvorsorgemaßnahmen nach der 16. BImschV (VerkehrslärmVO). Anhand des prognostizierten Verkehrsaufkommens, also von Zahl und Art der Züge (z.B. S-Bahn, Güterzüge, ICE), Länge und Geschwindigkeit der Züge, wird der zu erwartende Verkehrslärm errechnet. Daraus folgen die notwendigen Lärmschutzmaßnahmen, also z.B. Bauart, Lage, Länge und Höhe von Lärmschutzwänden – weniger Verkehr, weniger Lärmschutz, geringere Baukosten.
Dies und die zahlreichen und umfangreichen Stellungnahmen von „Behörden, Stellen und Verbänden“ sowie private Einwendungen führten zu diversen Planänderungen. Damit war zu rechnen bei einer 13 km langen Ausbaustrecke durch teils dicht bebaute Stadtteile. Im Juni 2001 wurde ein erster Erörterungstermin abgehalten, in dessen Verlauf weitere Anregungen und Einwendungen vorgebracht wurden. Kurios mutet an, dass zu „Behörden, Stellen und Verbänden“ seit der Bahnreform auch Unternehmen des Bahnkonzerns gehören, die zu Bundesbahn-Zeiten als Abteilungen intern beteiligt wurden, jetzt aber kraft eigener Rechtspersönlichkeit formell zu beteiligen waren; hier waren das DB Cargo AG, DB Energie GmbH, DB Reise & Touristik AG (heute: DB Fernverkehr AG), DB Immobiliengesellschaft mbH, Arcor DB Telematik GmbH (heute DB Systel AG).
Jahr 14
Im Laufe des Jahres 2002 wurden die geänderten Pläne, und nur diese, erneut offengelegt, was eine neue Einwendungsfrist bezüglich der Änderungen zur Folge hatte. Zu den geänderten Plänen wurde im Februar 2003 ein weiterer Erörterungstermin abgehalten, der weitere Einwendungen induzierte, die abzuarbeiten waren. Insgesamt gab es 468 private Einwendung, darunter viele Sammeleinwendungen aus dem Kreis einer Bürgerinitiative, die den Ausbau grundsätzlich ablehnte. Die oft als besonders klagefreudig verdächtigten Umweltverbände haben den Ausbau demgegenüber befürwortet und lediglich in Einzelfragen Verbesserungen gefordert.
Die umfangreichste Stellungnahme war die des Frankfurter Stadtplanungsamtes, das die Anregungen und Einwände aus den Ortsbeiräten entlang der Strecke bündelte. Abgesehen von der grundsätzlichen Ablehnung des Ausbaus durch die Bürgerinitiativen hatten die Stellungnahmen und Einwendungen drei Schwerpunkte: Lärm- und Erschütterungsschutz, die Verkehrsführung/Umbau/Schließung von Bahnübergängen (BÜ), Über- oder Unterführungen (EÜ) und die bauzeitlichen Belastungen (Lärm und Verkehr).
Am 23. Januar 2003 schlossen DB Netz AG, DB Station & Service AG, DB Energie GmbH, das Land Hessen, der Wetteraukreis, die Stadt Frankfurt und der RMV den Bau- und Finanzierungsvertrag, der aber von der Stadt Frankfurt erst ratifiziert werden würde, wenn tatsächlich Baurecht besteht. Immerhin schien zumindest die Erlangung von Baurecht in greifbare Nähe gerückt zu sein.
GVFG = Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz
(wird forgesetzt)