Berliner Baupolitik

  • Wir befinden uns quasi seit Jahrhunderten im Sumpf, deshalb wächst hier auch soviel aus dem Nichts.

    Okay, was jetzt? Berlin braucht keinen Überschwemmungsschutz, weil es hier eh nie regnet (wie oben behauptet)? Oder Berlin braucht keinen Überschwemmungsschutz, weil es eh ein Sumpfgebiet ist (wie hier)? Beide Argumente ergeben keinen Sinn – das erste, weil Starkregen dennoch fatale Auswirkungen hat; das zweite, weil gerade ein wassergesättigter Boden keine zusätzlichen Wassermassen aufnehmen kann.


    0 - 5 Unwetter pro Jahr mag heute zutreffen, in 20 jahren mögen es 5 - 10 sein. Was spricht dagegen, deren Folgen durch verschiedenste Maßnahmen abzumildern – unter anderem durch grüne Dächer auf Gebäuden, die neben dem Überschwemmungsschutz auch das Mikroklima verbessern, als Lebensräume für Insekten dienen oder als Liegewiese für die Bewohner fungieren können? Nichts natürlich.

  • Beide Argumente ergeben keinen Sinn –

    Doch. Du ziehst die falschen Schlüsse. Und Du kreierst Scheinwidersprüche, die es nicht gibt.


    Das Mikroklima verändert sich nur sehr unwesentlich durch Dächerpflanzung. Hauptakteure bleiben hier die riesigen Wald- und Baumbestände der Stadt.


    Wer bessere Luftfilterung für den Menschen will muss den E-Auto Verkehr + ÖPNV + Fahrradwege voranbringen.


    Die Stadt braucht eher Energiegewinnung durch Solardächer um ein paar Prozentchen kostenlos Sonne zu tanken.

    Einmal editiert, zuletzt von Arty Deco ()

  • Nope. In Berlin liegt bekanntlich der Grundwasserspiegel sehr hoch. Wir befinden uns quasi seit Jahrhunderten im Sumpf, deshalb wächst hier auch soviel aus dem Nichts. Ohne zu wässern.

    Falsch. Der Grundwasserspiegel fällt in der Region seit Jahren. Hier ist bald eine sandige Steppe. In meinem Garten auf dem Barnim im Stadtgebiet würde seit einigen Jahren alles vertrocknen wenn ich nicht wenigstens einige Pflanzen bewässern würde.


    Nebenbei: Müll aller Art in den Gewässern ist immer schlecht, hat damit aber nichts zu tun. Bessere Luftqualität und mehr Solarenergie sind auch gut, ist aber ein anderes Thema.

  • ^Nun ja, mit ein paar Minuten ergebnisoffener Recherche lässt sich auch dieser falsche Schluss und Scheinwiderspruch plausibel auflösen. Bis kurz nach 2010 ist der Grundwasserstand noch gestiegen, seither jedoch aufgrund von weniger Regen (i.e. regelrechten Dürren), zunehmender Flächenversiegelung, starkem Bevölkerungswachstum und allgemein höherem Pro-Kopf-Verbrauch erheblich gefallen.


    Hier stellvertretend Mal nur der geschätzte rbb zum Thema Grundwasser

    Hier eine PDF des Umweltbundesamtes zum mikroklimatischen Effekt von Grünanlagen inkl. Gründächern

    Dazu noch der Tagesspiegel zur Artenvielfalt in isolierten Biotopen wie Mittelstreifen (auf Basis wissenschaftlicher Untersuchungen)

    (ansonsten gilt: der US-Amerikanische Hegemon und Wertschöpfungsmonopolist Google is your friend - da lassen sich auch Jahreszahlen oder notfalls auch rein akademische Quellen herausfiltern)


    P.S.: Vielen Dank tunnelklick für die Erläuterung. Wieder was gelernt. Leider könnte es aber dann wohl dazu führen, dass die Bauflächen im Zweifel schlechter genutzt und maximal 4 Geschosse statt bspw 5-7 errichtet werden bevor es sich ggf wieder stärker lohnt. Es ist eben auch nicht einfach, mit einer Regelung alle erwünschten Effekte zu optimieren.

    2 Mal editiert, zuletzt von jan85 ()

  • In den letzten Jahren wurde der Boden immer trockener.

    Selbst wenn das zuträfe, wie sollen Gründächer dem entgegenwirken ? Technisch ?


    Wenn die Spree oder die Havel tatsächlich zu versickern drohen, wird halt eine Pipeline aus der Ostsee in die Region gebaut.

    Wie in Hunderten entlegenen Ballungszentren weltweit auch.

  • ^Der Gedanke ist nicht neu und leider mittel- bis langfristig auch nicht völlig abwegig (siehe hier). Aber das wäre eine ultima ratio, da maximal invasive und aufwändige Maßnahme, die auch auch nicht alle Probleme beheben kann. Vorher sollte man also schon noch viele andere Ansätze voll ausschöpfen. Bis so ein Ansatz wirklich kommt, wird also hoffentlich noch viel Wasser die Spree runter fließen...

  • ^ Nun ja. Pipeline bauen und ggf. eine Entsalzungsanlage. Bezahlt vom Steuerzahler. Und warum: Weil man dem potentiellen Bauherren nicht den Bau eines begrünten Dachs zumuten möchte. Das ist absurd!

  • Wer glaubt mit Gründächern die Bodenbewässerung einer Millionenmetropole regulieren zu können, der glaubt auch dass der Bart vom Weihnachtsmann durch Konsum von Gummibärchen gestärkt wird.

  • ^ Diese, mit Verlaub, kindische rhethorische Figur kenne ich, glaube ich, aus der Grundschule. Sie ist wohl Dein signature move. Neulich hast Du sie gleich zweimal in einem Beitrag verwendet.


    Natürlich lösen begrünte Dächer oder Zisternen unter Plätzen nicht das künftige Wasserproblem. Sowenig wie Balokon-Solarzellen das künftige Energieproblem lösen. Aber sie sind eine einfache und günstige Maßnahme, um es abzumildern. Neben vielen anderen Maßnahmen, die Städte ergreifen müssen, um auch in drei Jahrzehnten noch lebenswert zu sein. Warum also sollte man darauf verzichten, sie zu fördern?

  • DerBe Das sind mit Sicherheit deutlich andere Interventionsstufen und keine direkten Alternativen. Wenn es sehr schlecht läuft, werden wir irgendwann womöglich nicht mehr drum herum kommen. In Israel hatte man mit dem Ansatz jedenfalls schon Erfolge (allerdings ist der Weg dort deutlich kürzer und die Trockenheit nochmal auf einem ganz anderen Level).


    Wie Architektenkind schon schreibt, gibt es auch nicht nur die eine große Lösung, sondern auch eine Vielzahl davon unabhängig sinnvoller Ansätze. Selbst wenn so eine Pipeline irgendwann wirklich mal nötig werden sollte, würde das ja nicht sämtliche positiven Effekte von Gründächern vernichten.

  • Warum also sollte man darauf verzichten, sie zu fördern?

    Wenn ich das richtig verstanden habe ist die Frage aber doch nicht, ob die Dachbegrünung gefördert wird, sondern ob sie erzwungen werden muss, oder ?

    Wobei ein begrüntes Dach angeblich doppelt so lange hält wie ein nichtbegrüntes, also würde man Hausbesitzer quasi zu ihrem Glück zwingen.


    Ich würde mir bei der Begrünung aber wünschen dass klarer gestellt wird, welche Gebäude eine effektive Begrünung haben und welche eigentlich ein Produkt von "Greenwashing" Architektur sind.

    Ist bspw. der Tacheles Komplex effektiv begrünt oder hängen da lediglich ein paar Schlingpflanzen zur Dekoration herunter?

  • Gründächer haben eine weitere wichtige Funktion, sie speichern Niederschlagswasser. das schont die am Limit operierende Abwasserinfrastruktur.

    Das Berliner Abwassersystem muss regelmäßig mit zusätzlichem Wasser gespült werden, weil die Röhren durch zuwenig Abwasser verschlammen. Von einem System "am Limit" kann also nicht die Rede sein.


    Es geht lediglich um die Starkregenereignisse, bei denen sehr viel Wasser in kurzer Frist fällt - da läuft das System mitunter über in das Redundanzmischsystem und diese mit Abwasser verunreinigte Brühe gelangt in die Spree. Dagegen helfen aber auch keine Gründächer, weil deren Absorbtionsfähigkeit im Starkregelfall schon vor der Regelmengenspitze gesättigt ist.


    Entsiegelung ist natürlich trotzdem sinnvoll und ein Gebot der Zeit, allerdings dort wo auch versickert werden kann. In Brandenburg gibt es die Versickerungspflicht auf dem eigenen Grundstück schon lange, auch in den Städten.

  • Die "75% barrierefrei" verstehe ich jetzt grad nicht. Barrierefreiheit ist in Obergeschossen nur mit Fahrstuhl zu erreichen. Wie soll man sich das in der Praxis vorstellen?


    Nehmen wir mal an, jemand möchte ein 4-geschossiges Mehrfamilienhaus bauen. Für 4 Geschosse gibt es keine Fahrstuhlpflicht. Muss nun dennoch mit Fahrstuhl gebaut werden, um 75% der Wohnungen barrierfrei zu bekommen? Worauf beziehen sich die 75%? Das Haus? Den Bezirk? Die Stadt als Ganzes?


    1. Die Berliner Bauordnung bezieht sich auf das ganze Land Berlin.


    2. Die Barrierefreiheit besteht aus ganz unterschiedlichen Komponenten - dazu gibt es telefonbuchartige Planungshilfen. Die wichtigsten drei in Berlin:

    - barrierefreier Zugang über "den üblichen Hauptzugang", also nicht mehr über Höfe oder Nebeneingänge. Damit hat dsa Hochparterre, das früher als Mittel gegen hohes Grundwasser genutzt wurde, ausgedient, da der Lift einen zusätzlichen Halt wegen einer halben Etage benötigt.

    - Barrierefreier Zugang durch die Flur und in den Fahrstühlen. Das betrifft Mindestbreiten und -längen für Lifte und Flure inkl. Wenderäume.

    - Rollstuhlgerechte Wohnungen (90cm breite Wohnungseingangstüren, Bäder, andere Abstände der Amarturen in den Bädern, größere Flure inkl. Wendemöglichkeiten

    - der barrierefreie Zugang zu Balkonen und Terrassen trotz der DIN für Schlagregenprovention (mind. 12,5 cm Schwelle).


    3. Das führt natürlich zu erhöhten Baukosten UND weniger verkauf- oder vermietbarer Nutzfläche.

  • Wenn ich das richtig verstanden habe ist die Frage aber doch nicht, ob die Dachbegrünung gefördert wird, sondern ob sie erzwungen werden muss, oder ?

    Indirekte Förderung durch die Wasserbetriebe gibt es schon (Nachlass auf Niederschlagsgebühren), eine Gründachpflicht ist geplant (bei neu gebauten Flachdächern über 100 qm). Als Mieter würde ich mich über eine Gründach-Tendenz grundsätzlich freuen: Blicke aus meiner Küche auf ein olles Kiesdach – dem Seitenflügel meines Blocks ist im Krieg das oberste Stockwerk abhanden gekommen. Wie schön wäre es, wenn die Bewohner diese Fläche als üppig begrünten Dachgarten nutzen könnten?

  • Das Berliner Abwassersystem muss regelmäßig mit zusätzlichem Wasser gespült werden, weil die Röhren durch zuwenig Abwasser verschlammen. Von einem System "am Limit" kann also nicht die Rede sein.

    Alle Kanalsysteme müssen von Ablagerungen befreit werden, auch wenn sie regelmäßig gut gefüllt sind. Berlin hat wahrscheinlich wie alle alten Städte ein Mischsystem, in dem Oberflächenwasser/Niederschlag und Schmutzwasser zusammenlaufen. Mit steigender Einwohnerzahl steigt die Schmutzwassermenge, also auch die Ablagerungen. Die Grundlast wird vom Schmutzwasser erzeugt (im deutschen Durchschnitt liegt der pro Kopf-Verbrauch bei 120 l/Tag plus Gewerbe ...). Es ist mitnichten so, dass die Rohre leer im Boden liegen und nur auf Regen warten. Aus dem Verlauf der Starkregenereignisse wissen wir, dass die Systeme den starken Anstieg der Wassermenge in kurzer Zeit schlecht verkraften; Regenwasserrückhaltung hilft und dazu tragen Gründächer bei; jeder Kubikmeter, der später abläuft, hilft. Dass die Abwasserbetriebe hierfür Preisnachlässe gewähren, tun sie nicht zum Spaß.

  • Als Mieter würde ich mich über eine Gründach-Tendenz grundsätzlich freuen:

    Hm, in Summe werden sich die Mieter nicht freuen - ausser Sie haben Geld übrig. Die vorgeschlagenen Änderungen der Bauordnung treiben alle die Komplexität bei Bau, bei Planung und bei Genehmigung - ausser das Aufzugthema natürlich. Bauen wird noch teurer. Mieten werden steigen. Mich verblüfft der Vorstoss daher sowieso. War die Idee nicht Entschlackung, Vereinfachung, Beschleunigung?

  • ^Die Typgenehmigungen sollen ja ebenfalls eine Erleichterung bringen, ebenso wie angesprochen Aufstockungen bis 2 Etagen im Bestand.


    Wenn ich das ansonsten richtig verstanden habe, sind die Standards für Barrierefreiheit ja zumindest bei niedrigen Bauten weniger streng als in anderen Bundesländern (bei höheren Bauten scheint es dafür hingegen umso strengere Standards zu geben).


    Bei den ökologischen Standards wurden bislang vorgesehene Aspekte weitgehend fallen gelassen (zumal sie angeblich ohnehin redundant waren). Da ist wohl nur die Dachbegrünung übrig geblieben. Und gerade bei diesem Thema hat man auch einen gewissen Druck. Es gab ja schon diverse rechtliche Schritte, um die Politik beim Thema Klimaschutz massiv unter Druck zu setzen.


    In der Summe scheint es also eine Mischung aus Vereinfachung und Verschärfung zu sein. Gerade die hohen Standards für Barrierefreiheit bei höheren Wohngebäuden halte ich aus Laiensicht aber wie gesagt für etwas heikel. Es ist ja zumindest aktuell absolut nicht so, dass da eine breite Flut von Projekten im Anflug ist.