Enteignung & Wiederaufbau - der "Frankfurter Weg"

  • Enteignung, die: Entziehung des Eigentums an beweglichen oder unbeweglichen Sachen oder sonstigen Vermögensrechten durch staatlichen Hoheitsakt. Die E. soll dazu dienen, die entzogene Sache zum Wohl der Allgemeinheit einem anderen, als höherwertig geltenden Verwendungszweck zuzuführen. Sie ist von der Einziehung (Konfiskation) und der Sozialisierung (Vergesellschaftung) zu unterscheiden.“


    Enteignung war ab Mitte des 19. Jahrhunderts im Verkehrswegebau und später auch im Städtebau ein wichtiges Instrument geworden, sei es zur Entziehung ganzer Grundstücke, sei es zur Belastung mit Geh- Fahr- und Leitungsrechten, zur Duldung von Bauwerken auf oder unter dem Grundstück oder an Gebäuden. Sie ist auch heute noch gang und gäbe, aber seltener. Unmittelbar nach dem Krieg schien ein Wiederaufbau ohne Enteignung nicht vorstellbar – jedenfalls in Frankfurt. Das Kriegsende vor 75 Jahren ist Anlass das Aufbaugeschehen in Frankfurt unter diesem Aspekt zu betrachten.


    Wiederaufbau über alles!


    Vor dem Krieg galt in Frankfurt preußisches Enteignungsrecht. Auf Antrag war der Stadt durch Königlichen, später ministeriellen Erlass ein auf den Einzelfall beschränktes Enteignungsrecht verliehen worden. Erst nach öffentlicher Bekanntmachung des Enteignungsrechts im Amtsblatt wurde das eigentliche Enteignungsverfahren durchgeführt. Die letzten Frankfurter Enteignungen nach diesem Verfahren betrafen 1928 Grundstücke für den Neubau der psychiatrischen Heilanstalt in Niederrad, den Bau einer größeren Wasserleitung und für die Nidda-Begradigung.


    Wegen der Auflösung des Landes Preußen durch die Siegermächte, Gründung des Landes Hessen und Inkrafttreten des Grundgesetzes war das preußische Enteignungsrecht für den Wiederaufbau nicht weiter anwendbar. Die Aufbaugesetze der Bundesländer errichteten ein aus heutiger Sicht rigides Regime: Wiederaufbau über alles! Aufbauhindernisse sollten effektiv überwunden werden können: durch ein schlankes Planungsrecht und Grundstückenteignungen, massenhaft, schnell und mit einem einfachen Verfahren; einfach im Vergleich zur alten Regelung hieß, die Stadt konnte ohne vorherige Genehmigung unmittelbar selbst enteignen.


    Unter dem Titel „Enteignung im Fluchtlinienverfahren“ regelte das „Gesetz über den Aufbau der Städte und Dörfer des Landes Hessen“ vom 25.10.1948 (HAG) u.a. die Enteignung von Grundstücken „zur Bebauung oder Wiederbebauung unbebauter oder bebauter Grundstücke, die nach den ortsbaurechtlichen Vorschriften wegen ihres geringen Flächeninhaltes für sich allein nicht bebaubar sind (Kleingrundstücke), sofern sie in einem von förmlich festgestellten Fluchtlinien umschlossenen Baublock liegen“. Geringer Flächeninhalt hieß in Frankfurt nach einer Ortssatzung vom 21.7.1949: kleiner als 300 m²; das galt für das gesamte Gebiet der Innenstadt-Bausperre (es gab noch andere Gebiete mit Bausperre aber ohne Mindestgröße).


    Betrachtet man die alte Stadtkarte, erkennen wir die große Zahl teils extrem kleiner Grundstücke. Der Baublock „Töngesgasse > Trierische Gasse > Schnurgasse > Ziegelgasse > Liebfrauenberg“ beispielsweise (in dessen Zentrum heute die Kleinmarkthalle steht) umfasste laut Adressbuch 134 Hausgrundstücke. Die Grundstücksgrößen reichten von etwas größer als 20 m² bis knapp 530 m², der Median lag bei ca. 84,5 m², d.h. die Hälfte der 134 Liegenschaften war kleiner als 85 m², nur 27 Grundstücke waren größer als 150 m², davon nur 14 größer als 200 m². Selbst größere Parzellen waren häufig extrem ungünstig geschnitten. Es liegt auf der Hand, dass der Wiederaufbau ohne Schaffung großer Baugrundstücke nicht gelingen würde.


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    Grafik: Stadtvermessungsamt Frankfurt am Main, Stadtkarte 1950


    Bevor aber Enteignung für den Wiederaufbau der zerstörten Häuser Wirkung entfalten konnte, trat 1953 das Baulandbeschaffungsgesetz in Kraft, ein Bundesgesetz, das die Möglichkeiten der Enteignung einerseits stark erweiterte (z.B. Enteignung zu Gunsten privater Wohnungsbauherren, Enteignung für Gewerbebetriebe), andererseits aber eine Pflicht zum Ankauf bestimmte und Enteignung nur noch als ultima ratio zuließ, und die landesrechtlichen Enteignungsregeln in puncto Wohnungsbau ersetzte.


    Nicht so für für den Bau von Straßen, Parkhäusern, Schulen und öffentlichen Einrichtungen; hierfür war die Enteignung umso wichtiger, weil nicht zuvor der Ankauf versucht werden musste. Wir erkennen in der alten Stadtkarte viele schmale und winkelige Gassen, teils keine drei Meter breit, und selbst die breiteren Straßen entsprachen den Verkehrsbedürfnissen nicht mehr. Aufbauend auf den Ergebnissen des „Hauptstraßen-Wettbewerbs“ von 1946/47 sah der Generalfluchtlinienplan von 1948 die Verbreiterung der Straßen vor, die Nord-Süd-Straße vom Friedberger Tor zur Alten Brücke und die Ost-West-Straße vom Börneplatz zum Theaterplatz sollten 34 m breit werden, die Nebenstraßen ebenfalls deutlich breiter als früher, viele Gassen sollten komplett eingezogen und zu Baufläche werden. Allein für die Verbreiterung des Straßenzuges Battonstraße - Schnurgasse - Weißfrauenstraße (heute: Berliner Straße) wurden über 100 zumeist private Flurstücke mit einer Gesamtfläche von über 10.000 m² ganz oder teilweise benötigt.


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    Grafik: Stadtvermessungsamt Frankfurt am Main, Stadtkarte 1950


    Ab Mai 1949 erließ die Stadt praktisch im Wochentakt Fluchtlinienpläne, woraus sich ergab, welche Flächen im geplanten Straßenraum lagen und welche bebaubar blieben; in den Bauflächen wurden kleine Parzellen zu großen Bauflächen zusammengelegt. Während die Bauflächen von den Großbaugesellschaften (Frankfurter Siedlungsgesellschaft, FAAG, AG für Kleine Wohnungen, Neue Heimat, Nassauische Heimstätte u.a.), aber auch private Investoren fast durchwegs käuflich erworben wurden, enteignete der Magistrat zur Beschleunigung des Straßenbaus, nicht zuletzt unter dem Druck der sprunghaft steigenden Motorisierung, private Grundstücke in großer Zahl – die FAZ hat die Enteignungspraxis öfter als „Frankfurter Weg“ bezeichnet, andernorts bestaunt, weil der Aufbau tatsächlich schneller gelang als in anderen Städten, aber anscheinend in diesem Umfang nirgends nachgeahmt. Beschritten hatte der Magistrat den rigiden „Frankfurter Weg“ schon 1945 mit der Beschlagnahme der Trümmer zur Herstellung von Baumaterial und der zwangsweisen Räumung der Trümmerflächen, drei Jahre bevor die Länder dies in ihren Aufbaugesetzen regelten.


    Natürlich war diese Form der Massenenteignung höchst umstritten, viele betroffene Eigentümer haben sich gegen die Enteignungen gewehrt. Die FAZ berichtete im Mai 1955 von über 1.000 Enteignungsverfahren, von 120 Prozessen vor den ordentlichen Gerichten und 50 vor den Verwaltungsgerichten. Anscheinend ist das Frankfurter Enteignungsgeschehen auch besonders häufig höchstrichterlich beurteilt worden, der BGH hat von 1954-1963 mindestens 50 Enteignungsfälle aus Frankfurt entschieden, jedenfalls sind in diesem Zeitraum 50 BGH-Urteile zu Frankfurter Enteignungen veröffentlicht worden; in einem der Urteile hieß es, in Frankfurt habe es Hunderte von Enteignungsprozessen gegeben. Das war wirklich viel, wenn man bedenkt, dass etwa die Stadt Köln in vergleichbarer Situation auf Enteignungen verzichtet hat.


    Die Preisfrage


    Hatte die Stadt allergrößtes Interesse an niedrigen Entschädigungen, kämpften die Betroffenen natürlich für möglichst hohe Entschädigungen, angesichts der Vielzahl von Enteignungen, war der Magistrat zwangsläufig besonders streitbar, es ging um sehr viel Geld. Während die Gerichte die Enteignung an sich für zulässig hielten, entschieden sie bei der Höhe der Entschädigungen sehr oft für die Kläger, der Streit um‘s Geld drehte sich um Bewertungsverfahren, Bewertungsstichtage, Stoppreise, Vergleichspreise...


    Entschädigt wurden Grund und Boden, so wollte es das Aufbaugesetz, zum gemeinen Wert am 1.1.1935, bauliche Anlagen zum Wert im Zeitpunkt der Enteignung. Für die vorzeitige Aufhebung von Miet-, Pacht- und sonstigen Nutzungsrechten war ebenfalls eine Entschädigung zu gewähren, bei Bauten ohne Baugenehmigung oder behelfsmäßigen Ein- und Ausbauten in Gebäuderuinen konnte davon abgesehen werden.


    Der gemeine Wert wird durch den Preis bestimmt, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach der Beschaffenheit des Wirtschaftsguts bei einer Veräußerung zu erzielen wäre. Dabei sind - von ungewöhnlichen und persönlichen Verhältnissen abgesehen – alle preisbestimmenden Umstände zu berücksichtigen. Gewöhnlicher Geschäftsverkehr ist der Handel am freien Markt, bei dem Angebot und Nachfrage die Preise bestimmen. Zur Beschaffenheit des Wirtschaftsguts zählen die ihm eigenen Merkmale (z.B. Lage, Größe und Zuschnitt eines Grundstücks) und von außen kommende Momente verschiedener Art (z.B. Wegerechte, Bauauflagen, Abbruchverpflichtungen). Was aber war nach anderthalb Jahrzehnten Preisstopp, totaler Zerstörung und Bausperre ein normaler Geschäftsverkehr?


    (wird fortgesetzt)

  • Enteignung & Wiederaufbau – der „Frankfurter Weg“ (Teil II)


    Schwierigkeiten bereitete anfangs die Fortgeltung der Preisstoppverordnung von 1936. Die Reichsführung hatte zur Kriegsvorbereitung am 26.11.1936 rückwirkend ab dem 18.10.1936 ausnahmslos alle Preiserhöhungen verboten, Ausnahmen konnten zugelassen werden. Zur Sicherung des Wiederaufbaus und zur Unterbindung von Grundstücksspekulation war sie über das Kriegsende hinaus beibehalten und in der Bundesrepublik für bebaute Grundstücke erst mit Wirkung vom 12.12.1952 aufgehoben worden.


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    Auszug aus RGBl. I 1936, S. 955


    Da die Stadt bei den Grundstücken für Straßen den freihändigen Erwerb nicht versuchen musste, wurden entlang der zu verbreiternden Straßen ganze Häuserreihen und Hausgruppen am Stück enteignet. Anfangs wurde eine Entschädigung in Höhe der Stoppreise von 1936 festgesetzt. Bis zur Aufhebung des Preisstopps musste die Preisbehörde beim Regierungspräsidium die Entschädigung genehmigen (nicht die Enteignung an sich). Klagten die Betroffenen eine höhere Entschädigung ein, entschied in I. Instanz das Landgericht (LG), in II. Instanz das Oberlandesgericht (OLG) und mindestens 50 dieser Fälle landeten schließlich in III. Instanz beim Bundesgerichtshof (BGH).


    Eine zentrale Rolle in den Prozessen spielten die Wertgutachten, die von den Gerichten zur Ermittlung des gemeinen Wertes in Auftrag gegeben wurden. Direkt nach der Währungsreform war der Grundstücksmarkt vor allem in der Innenstadt schon sehr dynamisch, der Wegfall der Preiskontrolle ließ die Bodenpreise nochmals stark ansteigen. Neben der Entschädigung für die Grundstücksenteignung, wurde um die Entschädigung für enteignungsgleiche Eingriffe gestritten, in vielen Fällen war nämlich schon Jahre vor der Enteignung die provisorische Nutzung der Grundstücke durch Fluchtlinienpläne, Bausperre und Mindestgrößen-Satzung verhindert worden, was zu erheblichen Nutzungsausfallschäden führte; und natürlich um den Restwert der beschädigten Gebäude, die die Stadt großflächig abreißen ließ.


    Um den Jahreswechsel 1949/1950, unmittelbar nach Inkrafttreten der ersten Fluchtlinienpläne, ergingen die ersten Enteignungsbescheide. Magistratsbeschlüsse listeten die für eine bestimmte Baumaßnahme jeweils benötigten Grundstücke auf und noch am Tage der Beschlussfassung wurden die Enteignungsbescheide erlassen. Nach Durchführung der Widerspruchsverfahren sind im Frühjahr 1950 die ersten Klagen erhoben worden, über die ersten Berufungen dürfte vom OLG Ende 1953/Anfang 1954 entschieden worden sein, das erste veröffentlichte Frankfurter BGH-Urteil jedenfalls trägt ein Aktenzeichen aus 1954. Parallel hatten sich auch schon das BVerwG und der Hessische Staatsgerichtshof mit den Frankfurter Enteignungen zu befassen.


    Obwohl die Urteile i.d.R. anonymisiert sind, lassen sich doch fast alle Fälle bestimmten Adressen zuordnen, und wenn es zufällig auch noch Fotos gibt, wird das an sich trockene Thema sehr anschaulich.


    Goethestraße 32 (...sind das Trümmer oder kann das weg?...)


    Neben der Grundstücksenteignung bot bereits die Trümmerbeseitigung reichlich Streitstoff. Was die Stadt für beseitigungspflichtige Trümmer hielt, wollten Eigentümer oft wieder aufbauen, beispielhaft der Fall Goethestraße 32. Der Kölnischen Lebensversicherung AG war mit Bescheid vom 19.10.1948 die Erlaubnis in Aussicht gestellt worden, ihr stark beschädigtes, ehemals 5-stöckiges Haus unter Verwendung intakter Gebäudeteile wieder aufzubauen. Dem Bauantrag vom 27.1.1949 waren allerdings die statischen Berechnungen nicht beigefügt, sie wurden am 28.3.1949 nachgereicht. Weil aber die Stadt eine Woche vorher die Bausperre verhängt hatte, wurde der Bauantrag abgelehnt.



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    Goethestraße 34


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    Goethestraße 34 und 32


    Mitte Oktober 1948 hatte die Bauaufsicht festgestellt, die Trümmer der Goethestraße 34 seien einsturzgefährdet, und hatte deren Beseitigung angeordnet. Als im April 1949 der Abbruch begann, verlangte die Bauaufsicht, dass auch Teile der gemeinsamen Brandmauer zur Nr. 32 niedergelegt werden müssten. Bei dem Versuch, die oberen Teile der Brandmauer mit Seil und Zugmaschine einzureißen, brach die Mauer bis zum 1. OG ein. Daraufhin ordnete die Bauaufsicht auch den sofortigen und vollständigen Abbruch der oberen Stockwerke der Goethestraße 32 an. Bei der Entfernung eines oberen Mauerpfeilers stürzte die ganze Fassade einschließlich ihrer Stahlkonstruktion ein. Die Reste des Hauses wurden dann ganz abgerissen und gemäß der neuen Baufluchtlinie ein neues Haus gebaut.


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    Kurioser Zufall: der Fotograf hat ausgerechnet den streitgegenständlichen Einsturz abgelichtet.



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    Allerdings hat die Eigentümerin die Stadt auf Schadenersatz verklagt, mindestens 50.000 DM Entschädigung für Gebäudereste und Mietausfall wollte sie haben, weil die Stadt wesentliche Teile ihres Hauses grundlos habe abreißen lassen. Beim Niederlegen der Reste der Goethestraße 34 sei nicht mit der gebotenen Sorgfalt vorgegangen worden. Wenn die Hausruine Nr. 32 einsturzgefährdet gewesen sein sollte, so sei dies erst durch das Einreißen der Brandmauer verursacht worden, wodurch sich der Mauerverband an ihrem Haus gelockert habe. Das Landgericht hat die Stadt dem Grunde nach verurteilt, das OLG hat die Klage abgewiesen; das OLG hatte ein statisches Gutachten des Sachverständigen Oberbaurat a.D. Georg Petry eingeholt, das die Einschätzungen der Bauaufsicht bestätigte, das Haus der Klägerin sei akut einsturzgefährdet gewesen. Die Klägerin hatte Petry wegen Befangenheit abgelehnt, weil er, obwohl selbständig tätig, weiterhin Bezüge von der Stadt erhielt. Wie das?


    Der Gutachter war ein sog. „131er“, ein Begünstigter des Gesetzes zur Durchführung von Art. 131 GG vom 11.4.1951. Art. 131 GG ordnet an, dass Beamte, die „nicht aus beamtenrechtlichen Gründen“ ihren Posten verloren haben, wieder eingestellt oder versorgt werden müssten. Petry war als NSDAP-Mitglied seiner Entlassung durch die Militärregierung zuvorgekommen und hatte sich als Oberbaurat a.D. mit einem Büro für Baustatik selbstständig gemacht; er war somit nicht aus beamtenrechtlichen Gründen ausgeschieden. Da er wegen seiner NSDAP-Mitgliedschaft lediglich als „belastet“ eingestuft worden war, war er aufgrund des Art-131-Gesetzes trotz Ausscheidens aus dem Dienst der Stadt anspruchsberechtigt. Da der BGH die Bestellung Petrys als gerichtlichen Sachverständigen und den Umgang des OLG mit dem Befangenheitsantrag nicht beanstandete, hat die Klägerin den Prozess verloren.


    Das Büro Petry war in bedeutendem Umfang am Wiederaufbau in Frankfurt beteiligt, es hat die Statik zahlreicher Bauvorhaben geprüft, darunter auch etliche Ikonen des Wiederaufbaus wie z.B. Rundschauhaus, Bundesrechnungshof, Junior-Haus, Bienenkorbhaus uvm.; kein Wunder, denn Petry war einer von insgesamt nur 32 Statikern in ganz Hessen, die als Prüfstatiker bestellt waren und deren sich jeder Bauherr bedienen musste – eine sichere Bank im Bauboom der Aufbaujahre.


    Großen Eschenheimer Straße 2/Zeil 118


    Die erste veröffentlichte BGH-Entscheidung zu Frankfurter Enteignungen betraf das völlig zerstörte Eckhaus Große Eschenheimer Straße 2/Zeil 118. Die Erbengemeinschaft Garny (Tresorfabrik Garny) hatte sich mit der Kaufhof AG geeinigt, für den Neubau des Kaufhauses 65 m² für 800 DM/m² zu verkaufen. Die restlichen 160 m² sollten der Stadt zur Straßenverbreiterung für 300 DM/m² überlassen werden. Als der Kaufvertrag unterschriftsreif vorlag, enteignete die Stadt entgegen der Absprache die gesamten 225 m² zum sog. Stoppreis von 300 DM/m² und trat 65 m² zu diesem Preis an die Kaufhof AG ab. Die Preisüberwachungsstelle hat diesen Preis auf der Grundlage der PreisstopVO als äußerste Grenze der angemessenen Entschädigung angesehen – gut für die Kaufhof AG, schlecht für die Erbengemeinschaft, der dadurch 32.500 DM entgingen.


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    Grafik: Stadtvermessungsamt Frankfurt a.M., Stadtkarte 1950


    Die empörten Eigentümer klagten auf eine Entschädigung von 700 DM/m², mehr als das Doppelte des Stoppreises; die PreisstopVO sei im Enteignungsverfahren nicht anwendbar, sie gelte nur für vertraglichen Erwerb. Maßgeblich sei der gemeine Wert im Zeitpunkt der Enteignung und nicht die Stoppreise von 1936. Das Landgericht gab der Klage teilweise statt und billigte den Klägern eine Entschädigung von 633 DM/m² zu. Es hatte zwei Wertgutachten eingeholt, die einen Wert im normalen Grundstückverkehr am 1.1.1935 von 650 bzw. 697 RM/m² und Ende März 1950 von 700 DM/m² ermittelten.


    Das Urteil hat in der Öffentlichkeit viel Aufsehen erregt und vor allem bei den von Enteignung bedrohten Eigentümern die Hoffnung geweckt, auf dem Rechtsweg höhere als die Stoppreise durchzusetzen. Das Urteil schlug anscheinend so hohe Wellen, dass sich der Magistrat veranlasst sah, die Erwartungen in einer öffentlichen Bekanntmachung zu dämpfen:


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    Mitteilungen der Stadt Frankfurt a.M. vom 5.7.1952


    (wird fortgesetzt)

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  • Enteignung & Wiederaufbau – der „Frankfurter Weg“ (Teil III)


    Die Stadt ging in Berufung: die Festsetzung der Entschädigung durch den Verwaltungsakt der Preisüberwachungsstelle binde auch die Gerichte, es bedürfe keiner Wertgutachten, es hätte der Stoppreis ausgeurteilt werden müssen. Das OLG Frankfurt meinte, die PreisstopVO stehe im Widerspruch zum Grundgesetz, das in Art 14 III eine angemessene Entschädigung vorschreibe, dasselbe gelte für die Vorschrift, welche auf die Preise am 1.1.1935 abstelle. Die Berufung wurde zurückgewiesen, da aber die Stadt unbedingt die zugesprochenen 633 DM/m² verhindern wollte, rief sie den BGH an.


    Der BGH hielt zwar am Preisstopp fest und erweiterte seine Geltung auch für die Enteignungsfälle. Die Not der Nachkriegszeit habe zur Beibehaltung der Preiskontrolle gezwungen, erst die Währungsreform habe zu einer weitgehenden Aufhebung geführt; jedoch habe auch der demokratische Staat u.a. für die Wohnraumbewirtschaftung und den Grundstücksverkehr an der Preisbindung festhalten müssen. Der BGH hat das als Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums im Sinne der Sozialbindung für rechtmäßig erachtet. Wenn der Preisstopp den gemeinen Wert der Grundstücke über anderthalb Jahrzehnte beeinflusst habe und auch die Enteignung mit dem gemeinen Wert entschädigt werden müsse, führe dies zwingend zur Beachtung der PreisstoppVO auch im Enteignungsverfahren (BGH vom 4.6.1954 - V ZR 10/54). Da im Zeitpunkt der Entscheidung die PreisstoppVO schon fast zwei Jahre nicht mehr galt, war dieses Urteil nur noch für Enteignungen vor dem 12.12.1952 von Bedeutung. Viel wichtiger war das Urteil aber insofern, als der BGH entschieden hatte, das Landgericht sei bei Feststellung der Entschädigung nicht an den Enteignungsbescheid gebunden, sondern müsse den gemeinen Wert in jedem Fall selbst ermitteln; das hieß nichts anderes, als dass in jedem Einzelfall ein Wertgutachten eingeholt werden musste.


    Roßmarkt 5-7


    Etwa ein halbes Jahr vorher hatte das BVerwG einen Frankfurter Enteignungsfall entschieden. Geklagt hatte der Inhaber eines Schmuck- und Perlengeschäfts gegen die entschädigungslose Aufhebung seines Mietvertrages zum 31.12.1950, weil die Gebäude am 1.2.1951 abgerissen werden sollten. Er hatte mit Zustimmung des Eigentümers (Ravenstein Erben), aber ohne Baugenehmigung seine Geschäftsräume im EG und 1. OG instandgesetzt und im Februar 1946 seinen Laden wiedereröffnet. Die Stadt hatte die Entschädigung verweigert, weil er ohne Genehmigung gebaut hatte. Erhoben hat er zwei Klagen, eine vor dem Verwaltungsgericht wegen der entschädigungslosen Aufhebung des Mietvertrages und eine vor dem Landgericht auf Zahlung einer Entschädigung; das LG setzte das Verfahren bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichts aus.


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    Grafik: Stadtvermessungsamt Frankfurt a.M. Stadtkarte 1950


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    Die Aufhebung des Mietvertrages ohne angemessene Entschädigung sei verfassungswidrig, meinte der Kläger. Das Verwaltungsgericht entschied nicht in der Sache, es hielt sich für sachlich unzuständig, für Enteignungen sei das LG zuständig. Der HessVGH hingegen folgte dem Kläger, die Stadt hätte zumindest dem Grunde nach die Entschädigungspflicht feststellen müssen.


    Mag sein, urteilte das BVerwG, aber zuständig für die Feststellung seien nach Art. 14 GG ausschließlich die ordentlichen Gerichte (Zivilgerichte); und zwar auch dann, wenn die Stadt einen Entschädigungsanspruch schon dem Grunde nach bestreite und die Maßnahme nur aus diesem Grund angefochten werde. Eine Doppelgleisigkeit des Rechtsweges - gegen Enteignungen als solche der Verwaltungsrechtsweg, wegen der Festsetzung der Entschädigung der ordentliche Rechtsweg – würde die endgültige Festsetzung der Entschädigung auch gerade zum Nachteil der Berechtigten erheblich verzögern und berge das Risiko sich widersprechender Urteile. Kurzum: für alle Klagen gegen Enteignungen, mit oder ohne Entschädigung, seien die Zivilgerichte zuständig (BVerwG v. 08.12.1953 – I C 100.53); damit blieb es bei der Klageabweisung durch das Verwaltungsgericht. Diese Entscheidung bündelte praktisch alle weiteren Enteignungsprozesse beim Landgericht.


    Wie der Fall ausging, ist nicht überliefert, vermutlich ist der Kläger aber leer ausgegangen, weil er ja seinen Laden ohne Baugenehmigung wiederaufgebaut hatte, den Laden, den der langjährige Inhaber knapp dreizehn Jahre zuvor im Zuge der Arisierung jüdischer Geschäfte hatte aufgeben müssen.


    Alte Mainzer Gasse 1 und 3 (neben Haus Wertheim)


    Die Grundstücke gehörten dem 1942 verstorbenen Brauereidirektor Konrad Karl Bruno Schubert. Der Testamentsvollstrecker verkaufte die Liegenschaft am 24.8.1951 an die Henninger-Bräu AG. Es galt noch die PreisstopVO, weshalb der Kaufvertrag bis zur Genehmigung durch die Preisbehörde schwebend unwirksam war. Noch vor der Genehmigung übte die Stadt ihr Vorkaufsrecht aus. Die Kaufvertragsparteien wollten das Grundstück nicht der Stadt überlassen und hoben den Vertrag wieder auf, noch vor der Entscheidung der Preisbehörde. Die Stadt bestand auf Erfüllung, erhob Klage und verlor den Prozess in drei Instanzen: weil der Kaufvertrag bis zur Genehmigung durch die Preisbehörde schwebend unwirksam gewesen sei, konnte er bis zur Genehmigung aufgehoben werden; das Vorkaufsrecht entstehe erst mit dem Wegfall der aufschiebenden Bedingung, d.h. mit Genehmigung des Vertrages (BGH vom 4.6.1954, V ZR 18/53). Dieser Prozess dürfte die Stadt darin bestärkt haben, besser gleich zu enteignen. Ende der 50er Jahre wurde der Ev. Regionalverband Eigentümer der Grundstücke, die Adresse verschwand aus dem Stadtplan.


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    Grafik: Stadtvermessungsamt Frankfurt a.M., Stadtkarte 1950


    Goetheplatz/ Töpfengasse


    Die Reihe von zehn kleinen Häuschen am Goetheplatz (Vorderseite Goetheplatz 2-22, Rückseite Töpfengasse 1-21) war bis auf ein Gebäude total zerstört oder schwer beschädigt worden, sie wurden nicht wiederaufgebaut, die Fläche wurde dem Goetheplatz zugeschlagen. Enteignet wurde im März 1950 gegen Zahlung einer Entschädigung von 150 DM/m², an der Ecke Steinweg für 200 DM/m². In einem Fall wurden noch Gebäudereste entschädigt.


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    Grafik: Stadtvermessungsamt Frankfurt a.M., Stadtkarte 1950


    Vier Mal war der BGH mit diesen Grundstücken befasst (V ZR 19/55; III ZR 225/56; III ZR 32/57; III ZR 211/57). Abgesehen von prozessualen Fragen, dem Wert von Trümmern und Kellergeschossen und Grundstückspreisen, nahm im Fall Goetheplatz 22 ein Konflikt an Schärfe zu. Da das Landgericht in jedem Prozess ein Wertgutachten einzuholen hatte, griff die Stadt die Gutachten und die Sachverständigen an, vor allem einen.


    Die Stadt nahm Anstoß, dass das Landgericht stets dieselben Sachverständigen mit den Wertgutachten beauftragte, das waren vor allem:

    - der Frankfurter Makler Willy Wagenbach;

    - der Frankfurter Architekt Kurt Brandau

    - der pensionierte Regierungsrat Wilhelm Ohaus und

    - der Frankfurter Makler Lorenz Scheuermann; in den 30er Jahren war er bei der Maklerfirma Israel Schmidt Söhne angestellt, die er 1938 zusammen mit Carl Dröll arisierte und als Dröll & Scheuermann fortführte – eine der ersten Makleradressen im Frankfurt der 50er und 60er Jahre. Ein Wiedergutmachungsverfahren endete 1959 vor dem OLG Frankfurt mit einem Vergleich, wonach Scheuermann (Dröll war während des Prozesses verstorben) 58.500 DM an die drei Rechtsnachfolger von Israel Schmidt zahlte (die ganze Geschichte ist nachzulesen in der Immobilienzeitung Nr. 32 und 33/2010). Scheuermann ist dann, vielleicht wegen dieses Verfahrens, vom Landgericht anscheinend nicht mehr so häufig beauftragt worden.


    Wenn die Sachverständigen zu abweichenden Bodenwerten kamen, urteilte das Gericht einen Betrag irgendwo dazwischen aus. Am häufigsten haben LG und OLG den Makler Willy Wagenbach beauftragt, aus einer späteren BGH-Entscheidung wissen wir von über 100 Wagenbach-Gutachten für das Landgericht, da er auch vom OLG beauftragt wurde, dürfte er am Ende etliche Hundert Gutachten verfasst haben. Weil er stets die höchsten Bodenwerte ermittelte, wurde er regelmäßig von der Stadt wegen Befangenheit abgelehnt; die Befangenheitsanträge gegen Wagenbach und ihre Ablehnung durch die Instanzgerichte waren mehrfach Streitgegenstand von Revisionsverfahren. In einem der Goetheplatz-Fälle hatte die Stadt gerügt, Wagenbach habe bei der Ermittlung von Vergleichspreisen Grundstücke herangezogen, an deren Verkauf er vorher als Makler mitgewirkt habe; schon in der öffentlichen Bekanntmachung in der Garny-Sache kommt der Ärger des Magistrats darüber zum Ausdruck, dass das Gericht sich auf das „Gutachten eines privaten Maklers“ gestützt habe, verschweigend, dass Wagenbach und die anderen als Sachverständige öffentlich bestellt und vereidigt waren.



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    Letztlich lagen die ausgeurteilten Entschädigungen am Goetheplatz mit 355 DM/m² (Nr. 20), 230 DM/m² (Nr. 6 u.8) und 215,50 DM/m² deutlich über den Stoppreisen.


    (wird fortgesetzt)

  • Enteignung & Wiederaufbau – der „Frankfurter Weg“ (Teil IV)


    Großer Hirschgraben 10 u.12 /Goldfedergasse 11


    Eine der ersten Enteignungsfälle nach dem Ende der Preiskontrolle betraf ein großes Trümmergrundstück am Südende des Großen Hirschgrabens, das wir heute gar nicht mehr kennen, es fiel vollständig in die Fläche der Berliner Straße. Am 5.1.1953 hat die Stadt Entschädigungen für den Gr. Hirschgraben 10-14 von 60 DM/m² und für die Goldfedergasse von 50 DM/m² festgesetzt. Die Kläger verlangten mit 150 bzw. 140 DM/m² wiederum mehr als das Doppelte. Der Sachverständige Wagenbach hatte die im freien Grundstückverkehr am 1.1.1953 erzielbaren Preise mit 100 bzw. 80 DM/m² beziffert und für den 1.1.1935 Preis von 70 bzw. 55 DM/m² ermittelt; letztere hat das Landgericht ausgeurteilt und mit Zustimmung der Parteien die Sprungrevision zum BGH zugelassen.


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    Grafik: Stadtvermessungsamt Frankfurt a.M., Stadtkarte 1950


    Streitig war, dass die Entschädigung laut HAG nach dem Wert am 1.1.1935 bemessen werden sollte, obwohl die PreisstoppVO im Zeitpunkt der Enteignung nicht mehr galt. Der BGH urteilte, § 41 HAG verlängere faktisch den Preisstopp und sei deshalb mit Art. 14 GG nicht vereinbar. Das führte zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung ans Landgericht mit der Anweisung, den gemeinen Wert neu festzustellen (BGH v. 25.11.1955 - V ZR 188/54). Die Kläger bekamen am Ende den vom Sachverständigen Wagenbach für den 1.1.1953 ermittelten Wert ersetzt.


    Da der BGH den Rückgriff auf die Grundstückswerte von 1935 beendete, wurden die weiteren Enteignungen für die Stadt erheblich teurer.


    Mainzer Ldstr. 68 und Savignystr. 1/Mainzer Ldstr. 62 und


    Den ersten Versuch, die Enteignungsregeln des Aufbaugesetzes zu Fall zu bringen, unternahm im Sommer 1951 der Eigentümer des Trümmergrundstücks Mainzer Ldstr. 68 mit einer Grundrechtsklage beim Hessischen Staatsgerichtshof. Die Stadt hatte zur Straßenverbreiterung den Vorgarten enteignet, der Rest des Grundstücks unterlag der Bausperre. Die sei willkürlich verlängert worden, um ihn zum Verkauf zu zwingen; er wolle nicht verkaufen, sondern aufbauen und werde kurzerhand enteignet, die Vorschriften im Aufbaugesetz, die Enteignung und Bausperre ermöglichten, verstießen gegen die Hessische Verfassung. Der Kläger scheiterte: selbst wenn die Stadt Frankfurt rechtswidrig gehandelt habe, meinte der Staatsgerichtshof, ihre rechtswidrige Anwendung mache eine Vorschrift nicht verfassungswidrig (HessStGH v. 26.5.1955 -P.St.68). Dass der Kläger parallel noch versucht hat, mehr als 35 DM/m² einzuklagen, ist anzunehmen, längst war bekannt, dass das Landgericht den Gutachten folgte, die in der Regel Werte weit über den Stoppreisen ermittelten.


    An der Ecke Savignystr. 1/Mainzer Landstraße 62 hatte seit 1912 die Fa. Hansen, Neuerburg & Co aus Essen eine Niederlassung, ein reichsweit agierender Kohle-Großhändler, gehörte später zum Mannesmann-Konzern und agierte als Mannesmann-Wärmedienst im Vertrieb von Kohle, Öl und Gas. Der Firmensitz war vollständig zerstört und 1949 wiederaufgebaut worden. Allerdings hatte die Stadt Ende 1950 von dem 886 m² großen Grundstück zur Verbreiterung der Mainzer Landstraße 256 m² Vorgartenfläche enteignet (wie übrigens alle Vorgärten zwischen Savigny- und Ludwigstraße). Statt des zugebilligten Stoppreises von 35 DM/m² beanspruchte die Firma 65 DM/m², die ihr in den Vorinstanzen zugesprochen wurden; sie folgten dem Sachverständigen Wagenbach, der die abgeteilte Fläche mit dem Preis für das bebaute Gesamtgrundstück bewertet hatte, die Stadt wollte es nach einem weit geringen Wert für Straßenland bewertet wissen. Der BGH folgte zwar nicht der Stadt, zog aber gleichwohl die Berechnungsmethode des Sachverständigen in Zweifel. Das Problem lag darin, dass vom Grundstück nur knapp 1/3 bebaut war. Wagenbach hatte den Vorgarten mit dem Wert des mit dem Bürohaus bebauten Teils bewertet, den er auf das Gesamtgrundstück hochrechnete, mit einem kleinen Abschlag für die unbebauten Flächen; diesen Abschlag fand der BGH zu gering: da der unbebaute Teil 2/3 des Gesamtgrundstücks ausmachte, führe das zu einem überhöhten Durchschnittspreis für den Quadratmeter. Der BGH hob das Urteil auf und verwies ans OLG zurück, damit dieses den Wert neu feststelle.


    Erstmals thematisierte der BGH in diesem Fall den Dauerkonflikt um den Sachverständigen Wagenbach: wenn es zuträfe, dass das OLG in zahlreichen weiteren Verfahren trotz wiederholter Gegenvorstellungen und Ablehnungen durch die Stadt Frankfurt auch in der Berufungsinstanz den Sachverständigen bestellte, wäre das ungewöhnlich, weil es dem Prinzip widerspräche, nach Möglichkeit eine solche Person als Gutachter zu bestellen, an deren Sachkunde und Objektivität keine der Parteien Zweifel hege. Die Stadt hat das anscheinend als Aufforderung verstanden, den Sachverständigen Wagenbach weiterhin konsequent wegen Befangenheit abzulehnen – allerdings ohne Erfolg.


    Das OLG hat den Sachverständigen Wagenbach auch mit dem Ergänzungsgutachten beauftragt, das zu dem Ergebnis kam, in Frankfurt würden die Grundstücke zu einem einheitlichen Quadratmeterpreis gehandelt, ohne Rücksicht auf das Verhältnis vom bebaubaren zum unbebaubaren Teil. Entsprechend wurde der Wert des enteigneten Vorgartens nach dem Wert des Gesamtgrundstücks festgestellt, unabhängig davon, dass der Vorgarten inzwischen unbebaubares Straßenland geworden war; die Stadt zog nochmals vor den BGH, der jedoch ihre Revision zurückwies und die neuen Feststellungen im Wagenbach‘schen Ergänzungsgutachten und dessen Verwertung durch das OLG nicht beanstandete.


    Im Enteignungsbescheid waren 35 DM/m² festgesetzt worden, das Landgericht hatte weitere 30 DM/m² zugesprochen und im zweiten Berufungsverfahren hatte das OLG weitere 108 DM/m² zugesprochen. Damit hat sich die Enteignungsentschädigung für den 256 m² großen Vorgarten im Laufe des 10-jährigen Rechtsstreits von 35 DM/m² auf 173 DM/m² fast verfünffacht (BGH v. 23.9.57 - III ZR 171/56 und v. 12.2.62 – III ZR 215/60). Das war die Folge des inzwischen ergangenen BGH-Urteils in dem Enteignungsfall ...


    Meisengasse 18


    In der Meisengasse und der Kaiserhofstraße wurden einige Grundstücke für die Anlage eines Parkplatzes enteignet, auf dem später das Parkhaus Börse gebaut wurde.


    Grafik: Stadtvermessungsamt Frankfurt a.M., Stadtkarte 1950


    In diesem Fall klärte der BGH die Frage, welches der maßgebliche Zeitpunkt für die Bemessung der Enteignungsentschädigung nach Aufhebung der Preisvorschriften sei: stets der Zeitpunkt des Enteignungsbescheides, wie die Stadt meinte, oder der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bei Gericht. Sinn und Zweck der Entschädigung – so der BGH - sei es, den Enteigneten in die Lage zu setzen, sich ein gleichwertiges Objekt zu beschaffen. Für die Berechnung einer Enteignungsentschädigung müsse grundsätzlich derjenige Zeitpunkt maßgeblich sein, der der Auszahlung möglichst nahe liegt. Das sei i. d. R. der Zeitpunkt der Zustellung des Enteignungsbescheides. Dieser Zeitpunkt verschiebe sich im allgemeinen auch dann nicht, wenn ein Beteiligter die von der Enteignungsbehörde festgesetzte Entschädigung durch Klage anficht. Wenn jedoch die Verwaltungsbehörde die Entschädigung zu niedrig festgesetzt habe, gelte eine Ausnahme, weil sie dann den Betroffenen zur Erhebung einer Klage gezwungen hat, so dass er die volle Entschädigung notwendigerweise viel später erhielte. Wenn für ihre Berechnung auf das lange zurückliegende Datum des Entschädigungsbescheides abgestellt würde, erhielte der Enteignete in Zeiten steigender Preise u.U. keinen angemessenen Ausgleich für das erlittene Vermögensopfer. In solchen Fällen müsse auf den Tag der letzten gerichtlichen Verhandlung abgestellt werden.


    Damit schob der BGH Einwände der Stadt beiseite, die Verschiebung des maßgeblichen Zeitpunkts erschwere die Arbeit der Enteignungsbehörde, belaste das zur Zahlung der Entschädigung verpflichtete Gemeinwesen mit zunächst unbekannten Risiken und Ausgaben und leiste spekulativen Prozessen Vorschub. Schon möglich, so der BGH, aber über diesen Bedenken stehe das Gebot der Verfassung, dass der Enteignete in jedem Fall die angemessene Entschädigung zu erhalten habe; zur Verwirklichung dieses Gebotes sei der für die Berechnung der Entschädigung maßgebliche Zeitpunkt nötig (BGH v. 24.2.1958 – III ZR 181/56).


    (wird fortgesetzt)

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  • Enteignung & Wiederaufbau – der „Frankfurter Weg“ (Teil V)



    Diese Entscheidung hatte zur Folge, dass die Dauer von teilweise jahrelangen Prozessen nicht zu Lasten der Kläger ging. In diesem Fall ging es um einen Enteignungsbescheid von 1953, im Februar 1958 verwies der BGH den Fall zurück ans OLG, das über die Höhe der Entschädigung dann abschließend Mitte/Ende 1958 oder Anfang 1959 entschied. Während des fünfjährigen Prozesses hatte sich der Bodenwert nahezu verdoppelt, hinzu kamen die Zinsen - eine teures Urteil, weil die Stadt nun schon in den Enteignungsbescheiden das anziehende Preisniveau berücksichtigen musste, um nicht zahlreiche erfolgreiche Klagen gegen zu niedrig festgesetzte Entschädigungen zu riskieren.


    Offensichtlich hat der BGH damit auch erzieherische Absichten verfolgt, denn es scheint, als sei dem Gericht angesichts der vielen Frankfurter Enteignungsfälle der „Frankfurter Weg“ nicht ganz geheuer gewesen, anders kann man die im Fall Meisengasse 18 ausgesprochene Ermahnung an die Stadt nicht verstehen, das Enteignungsrecht nicht als billigen Weg zur Baulandbeschaffung zu missbrauchen: die letzte mündliche Verhandlung als maßgeblichen Zeitpunkt für die Bemessung der Entschädigung heranzuziehen, wirke der gelegentlich erkennbaren Tendenz der öffentlichen Hand entgegen, Grund und Boden im Wege der Enteignung möglichst billig zu erwerben; die Enteignung sei zur zwangsweisen Beschaffung eines zur Bewältigung einer öffentlichen Aufgabe nötigen Gute zulässig, wenn es anders nicht zu erwerben sei, Enteignung sei aber nicht das Mittel, um sich ein konkretes Gut unter Einsatz der Hoheitsmacht des Staates billiger zu verschaffen, als es auf dem freien Markt seinem allgemeinen Verkehrswert entsprechend angeboten werde und erworben werden könne. Nicht einmal nach dieser unverhohlenen Einstufung des „Frankfurter Wegs“ als Rechtsmissbrauch ist die Stadt von ihrer Enteignungspraxis abgerückt.


    Biebergasse


    Für die Verbreiterung der Biebergasse wurden vor dem Ende der PreisstoppVO alle acht auf der Südseite gelegenen Grundstücke enteignet, darunter auch drei unzerstörte Häuser, vier Fälle gingen zum BGH (Biebergasse 7, 11, 13 und 15).


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    Grafik: Stadtvermessungsamt Frankfurt a.M., Stadtkarte 1950


    Der Fall der 1951 enteigneten, intakt gebliebenen Biebergasse 7, einem Grundstück von nur 66 m², ging zwei Mal zum BGH. Neben dem Grundstückswert ging es um die Entschädigung für die notwendig gewordene Betriebsverlagerung. Während in den meisten Fällen die Betriebe schon infolge der Zerstörung, wenn es sie danach überhaupt noch gab, umziehen mussten, musste hier ein intaktes, seit 1872 ansässiges Kürschnerei- und Pelzgeschäft seinen angestammten Standort verlassen. Ein passende Betriebsstätte hatte die Klägerin etwa 1 km entfernt in der Finkenhofstraße gefunden.


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    Die Stadt hatte zunächst eine Entschädigung von 73.000 DM festgesetzt, die Eigentümerin wollte weitere 133.000 DM, erhielt aber vom Landgericht nur weitere rd. 37.280 DM zugesprochen, insgesamt also rd. 110.000 DM. Grundlage war ein Gutachten des Sachverständigen Wagenbach, den die Stadt wegen Befangenheit ablehnte. Beide Parteien legten Berufung ein, die das OLG im April 1957 zurückwies. Weder das Landgericht noch das OLG hatten über den Befangenheitsantrag der Stadt gegen Wagenbach entschieden, sich aber trotzdem auf dessen Gutachten bezogen. Der BGH hob auf und verwies ans OLG zurück. Am Ende hat die Klägerin ca. 150.000 DM erstritten, also etwa das Doppelte der ursprünglich festgesetzten Entschädigung (BGH v. 11.5.1959 – III ZR 152/57 und v. 22.4.1963 – III ZR 219/61).


    Auch die Häuser Nr. 11 (unzerstört) und 13-15 (leicht beschädigt) wurden abgerissen. Entsprechend hoch waren die Entschädigungen. Streitgegenstand war (abgesehen von einem Befangenheitsantrag der Stadt gegen Wagenbach) eine über die Einzelfälle hinaus unbedeutende Sonderfrage des Preiskontrollrechts (BGH III ZR 153/56 und 39/57).


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    Eine Besonderheit war die Enteignung der Biebergasse 1. Das Haus war seit Mitte der 20er Jahre Eigentum der Lederwarenfabrikanten H. Levy & Co. Die Familie konnte Mitte der 30er Jahre nach Holland emigrieren, als Eigentümer der Biebergasse 1 weist das Adressbuch bis 1941 „Levy Erben (Holland)“ nach, erst 1942 heißt es: „E: ----“. Von den Niederlanden aus konnte die Familie offenbar in die USA emigrieren. Der in New York lebende Erbe stritt nicht um die Höhe der Entschädigung von 350 DM/m² (also rd. 84.000 DM), er war sehr religiös und verlangte anstelle einer Entschädigung in Geld die Übereignung von zwei ihm theologisch bedeutend erscheinenden hebräischen Handschriften, die in der Stadtbibliothek lagen. Die Bibliothek stimmte zu und ließ die Handschriften bewerten. Am Ende wurde die Handschriften übergeben und eine Restentschädigung von rd. 10.000 DM gezahlt - eine sehr pragmatische Lösung: Kulturgut für Straßenverbreiterung



    Große Eschenheimer Straße 28/Kleine Eschenheimer Gasse 51


    An der Ecke Gr. Eschenheimer/Kl. Eschenheimer besaß die Fa. Latscha („Latscha Liefert Lebensmittel“) zwei zusammen rd. 109 m² große Grundstücke, auf denen sie eine ihrer fast 100 Filialen betrieb. Die Gebäude waren vollständig zerstört worden und sollten nicht wiederaufgebaut werden, an ihrer Stelle war eine Zufahrt zum Fernmeldehochhaus vorgesehen. Wegen ihrer geringen Größe und weil sie Straßenfläche werden sollten, hat die Stadt auch die Errichtung eines behelfsmäßigen Verkaufspavillons abgelehnt. Erst spät, nämlich im März 1956 wurden die Grundstücke enteignet und eine Entschädigung von 160 DM/m², festgesetzt. In einem ersten Prozeß konnte Latscha die Verdoppleung der Entschädigung erreichen, der BGH hatte die Entschädigungsberechnung des OLG in einem ersten Revisionsverfahren 1960 gebilligt.


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    Grafik: Stadtvermessungsamt Frankfurt a.M., Stadtkarte 1950



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    Foto: gemeinfrei



    In einem zweiten Prozess hat die Fa. Latscha zusätzlich noch eine Nutzungsausfallentschädigung durchgesetzt, weil sie durch verschiedene hoheitliche Maßnahmen bereits vor der eigentlichen Enteignung an der Nutzung gehindert worden war (Bausperre, Fluchtlinienplan und Mindestgrößensatzung) und gezwungen war, ein Nachbargrundstück anzumieten. Latscha wollte eine Nutzungsausfallentschädigung von 770 DM pro Monat für die Zeit vom 1.1.1952 – 31.3.1956, also für 51 Monate (= 39.270 DM). Alle drei Instanzen hielten den Anspruch für gerechtfertigt. Der Erlass des Fluchtlinienplans Nr. 1534 vom 17.10.1949 habe die Grundstücke von erschlossenem Bauland im Zentrum der Großstadt zu unbebaubarem Straßenland gemacht. Bereits der Fluchtlinienplan habe den Verkaufswert der Grundstücke drastisch gesenkt. Eine Veränderung der Baulandqualität in solchem Umfang sei nach ständiger Rechtsprechung ein entschädigungspflichtiger enteignender Eingriff mit der Folge, dass auch die entzogene Nutzungsmöglichkeit entschädigt werden müsse - auch das ein Urteil mit teuren Folgen, betraf es doch im Grunde alle Grundstücke, die durch Fluchtlinienpläne zu Straßenfläche wurden - nicht wenige, wie wir gezeigt haben.


    Zeil 63/Allerheiligengasse/Brauhausgasse


    Wo immer sich der Stadtgrundriss im Zuge des Wiederaufbaus stark verändert hat, Straßen verbreitert und Straßendurchbrüche geschaffen wurden, ist massiv enteignet worden. Ein Schwerpunkt war folglich der Bereich Konstablerwache/Börneplatz. Ungefähr dort, wo heute an Markttagen in der Mitte der Konstablerwache der Weinstand aufgebaut wird, lag ein Grundstück, wegen dessen Enteignung der BGH zwei Mal entscheiden musste.


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    Grafik: Stadtvermessungsamt Frankfurt a.M., Stadtkarte 1950


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    Die Stadt hatte sich dagegen gewandt, dass der Sachverständige Wagenbach bei der Ermittlung von Vergleichspreisen das Grundstück des Bienenkorb-Hauses herangezogen hatte. Die Stadt war der Auffassung, das Grundstück der Kläger habe im Zeitpunkt der Enteignung an der östlichen Zeil gelegen, wo die Preise insgesamt viel niedriger gewesen seien; außerdem habe das Grundstück des Bienenkorb-Hauses früher nicht direkt an der Zeil, sondern in der zweiten Reihe gelegen, weshalb nicht der Wert seiner heutigen Zeil-Lage gelten könne. Das OLG hatte entschieden, vor der Zerstörung habe das enteignete Grundstück an einem Mittelpunkt des Geschäftsverkehrs gelegen, weshalb für die Bemessung der Entschädigung auch Grundstücke herangezogen werden müssten, die eine im Zeitpunkt der Enteignung (hier: 1955) entsprechend zentrale Lage hätten; dass solche Grundstücke wegen des fortgeschrittenen Wiederaufbaus an der Zeil selten und deshalb besonders teuer seien, sei von der Stadt hinzunehmen. Daran hatte der BGH nichts auszusetzen und hat die Revision der Stadt abgewiesen. Es zeigt sich, dass die Stadt sozusagen „Opfer“ ihres eigenen Erfolges geworden ist: der rasche Wiederaufbau hat die Bodenpreise stark steigen lassen, was unmittelbar hohe Enteignungsentschädigungen nach sich zog.


    (wird fortgesetzt)

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  • Enteignung & Wiederaufbau – der „Frankfurter Weg“ (Schluß)


    Battonstraße/Börnestraße 18 (Wollgraben 18)


    Diese Adresse (die Nazis hatten die Börnestraße, vormals Judengasse, in Wollgraben umbenannt, sie wurde nach dem Krieg nicht wieder „zurückbenannt“, weil sie durch die Neuordnung des Gebietes untergegangen ist, ein kleiner Rest heißt heute „An der Staufenmauer“) steht für den längsten Frankfurter Enteignungsprozess, drei Mal war der BGH mit diesem Fall befasst. Enteignet wurde das Grundstück im Sommer 1955 zum Teil für die Nord-Süd-Straße (heute Kurt-Schumacher-Straße), der Rest zu Gunsten der AOK, die dort ihr neues Verwaltungsgebäude errichteten sollte. Ein erster Prozeß wegen der Höhe der Entschädigung für die Grundstücke ist in II. Instanz vor dem OLG beendet worden.


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    Grafik: Stadtvermessungsamt Frankfurt a.M., Stadtkarte 1950


    Im zweiten Prozeß klagten die Eigentümer wie im Latscha-Fall auf eine Nutzungsausfallentschädigung. Enteignet hat die Stadt erst im August 1955 zunächst 136 m² für die Straße und im Dezember 1956 die restlichen 200 m² zu Gunsten der AOK, aber seit 1949 war die Nutzung des Grundstücks durch sechs Jahre Bausperre, zwei Fluchtlinienpläne und die Mindestgrößensatzung ausgeschlossen worden. Dass die Sache drei Mal zum BGH ging hatte auch damit zu tun, dass die Klägerinnen ihren Klageantrag mehrfach geändert, sozusagen der Rechtsprechung des BGH angepasst haben.


    Das Landgericht hatte die Stadt zur Zahlung von 9.600,- DM mit 4 % Zinsen seit dem 1. Januar 1956 sowie vom 1. Februar 1956 laufend monatlich 200,- DM bis zur Enteignung des Restgrundstücks verurteilt. Im ersten Berufungsurteil hat das OLG die Entschädigung 1959 auf 6.000,- DM nebst Zinsen reduziert. Der BGH hat das Urteil aufgehoben und entschieden, dass über den Nutzungsausfall neu entschieden werden müsse (III ZR 114/59 v. 9.6.1960).


    Im zweiten Verfahren hat das OLG den Klägerinnen über 26.000 DM zugesprochen, aber geschätzte Nutzungen von 5.300 DM abgezogen, die sie hätten ziehen können; der BGH hob auf und verwies zurück. Es müsse geklärt werden, ob die Bausperren nur einen vorübergehenden Nutzungsentzug bewirkt hätten oder ob das Grundstück Gegenstand eines sich über Jahre erstreckenden, über mehrere Stadien fortschreitenden Enteignungsprozesse gewesen sei und die Bausperren sich bereits als endgültige Teilenteignung darstellten, dann müsste auch der Nutzungsentzug als Teil einer Gesamtenteignung bewertet und von Anbeginn verzinst werden (III ZR 33/62 vom 27.9.1962).


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    Das OLG hatte somit die Frage zu klären, ob die Bausperren nur vorübergehender Natur gewesen seien. Dieses dritte Verfahren war insofern bemerkenswert, als das OLG mit Dr. Hans Kampffmeyer den für die Enteignungen politisch verantwortlichen Stadtrat als Zeugen angehört hatte (Kampffmeyer war Bau- und Planungsdezernent von Anfang 1956 bis 1972). Die Stadt hatte ihn zum Beweis für die Tatsache benannt, im Fall Börnestraße 18 habe es keine schleichende Enteignung durch Bausperre, Fluchtlinienpläne und Mindestgrößensatzung gegeben - ein Schalk, der Böses dabei denkt. Es überrascht uns aber auch nicht, dass den BGH die Würdigung der Kampffmeyer-Aussage durch das OLG nicht überzeugte; zu deutlich war in der BGH-Rechtsprechung mehrfach die tiefe Skepsis gegenüber dem „Frankfurter Weg“ zutage getreten.


    Die Auswirkung auf das hinter der Fluchtlinie liegende Restgrundstück ergibt sich aus dem - vom Berufungsgericht in diesem Zusammenhang ebenfalls angezogenen - Gutachten des Sachverständigen Wagenbach vom 15. November 1958, wonach schon etwa seit 1950 festgestanden habe und bekannt gewesen sei, daß das Grundstück nach dem neuen Fluchtlinienplan nicht mehr die für eine Bebauung notwendige Mindestgröße haben werde. Stand aber schon auf Grund des ersten Fluchtlinienplanes, dessen Aufstellung sich zeitlich etwa mit dem Beginn der ersten Bausperre deckt, für den Verkehr und die Betroffenen fest, daß das Grundstück auch in Zukunft allenfalls zum Teil und nur mit behördlicher Dispens werde bebaut werden können, dann zeichnete sich bereits damals eine Entwicklung ab, die über die zweite Bausperre und die späteren Fluchtlinienpläne folgerichtig und planmäßig zu den beiden Enteignungen führte. Diese Entwicklung wurde um so deutlicher, je mehr sich der Plan, das Restgrundstück in ein großes öffentliches Bauvorhaben einzubeziehen, verdichtete. (das AOK-Hochhaus, d.Verf.)

    Nicht nur der Rückblick vom heutigen Standpunkt aus, auch die damalige Sicht - das geht aus dem Gutachten von Wagenbach hervor - ließen erkennen, daß den Klägerinnen nicht eine zur Planung erforderliche vorübergehende Nutzungsbeschränkung zugemutet, vielmehr ihnen ein Teil der aus dem Eigentum fließenden Rechte auf die Dauer genommen wurde. Das Berufungsgericht hat dies in rechtlicher Hinsicht verkannt, indem es allgemein auf die Verwirklichung der Absichten der Verwaltung abgestellt hat, ohne die Auswirkungen der getroffenen Maßnahmen auf die Betroffenen in Betracht zu ziehen. Es hat der Aussage des Zeugen Dr. K. entnommen, daß die beklagte Stadt nicht schon auf Grund des ersten Fluchtlinienplanes die Enteignung habe betreiben können, weil Enteignungen nur im Zuge der fortschreitenden Bebauung, erst nach Festlegung der Straßenführung und der öffentlichen Grünflächen - was eine relativ lange Zeit beansprucht habe - hätten ausgesprochen werden können, und deshalb mit dem Zeugen eine "schleichende Enteignung" verneint.

    Diese Aussage ... läßt allerdings die Möglichkeit offen, daß einerseits die Absichten der planenden Behörden nicht von vornherein darauf gerichtet waren, den Klägerinnen das Grundstück voll und auf die Dauer zu entziehen, und daß andererseits die Verhältnisse der Grundstücke in dem Gebiet der Bausperren sich - je nach dem Fortschreiten der Planung - verschieden entwickeln konnten. Entscheidend muß hier aber sein, wie die behördlichen Maßnahmen sich im Blick auf das Grundstück der Klägerinnen auswirkten, und insoweit läßt auch die Aussage des Zeugen Dr. K. - keinen Zweifel daran, daß Fluchtlinienplan und Bausperre den Anfang einer Entwicklung darstellten, die von vornherein die Tendenz zur dauernden Entziehung der Nutzungsmöglichkeit in sich trug, und praktisch bereits die Unbebaubarkeit des Gesamtgrundstücks aufzeigten, für den zur Straße gezogenen Teil durch die Fluchtlinie und für den Rest wegen der zur Bebauung nicht mehr ausreichenden Fläche.


    Der BGH hob das OLG zum dritten Mal auf mit der Anweisung zu klären, welche Nutzungen den Eigentümerinnen tatsächlich seit 1949 entgangen sind (III ZR 221/65 v. 30.1.1967). Wie der Rechtsstreit am Ende ausging ist nicht öffentlich geworden, wir dürfen aber annehmen, dass die Sache 1967 oder 1968, wahrscheinlich auch Dank des Wagenbach‘schen Gutachtens, eher zu Gunsten der Klägerinnen ausging. Dies war das vorletzte BGH-Urteil zu Enteignungen nach dem Aufbaugesetz, danach gab es noch ein Urteil, Enteignungen für die BG-Unfallklinik betreffend.


    Die Anhörung des Stadtrats Dr. Kampfmeyer schlägt den Bogen zurück zum Anfang des Frankfurter Wegs. Niemand steht so sehr für den „Frankfurter Weg“ wie Hans Kampffmeyer und vor allem sein Vorgänger Adolf Miersch. Das Frankfurter Personenlexikon schreibt:


    „…Im September 1945 wurde M. zum hauptamtlichen Beigeordneten (Stadtrat) ernannt und war seitdem Dezernent für das Tiefbauamt, ab 1954 auch für das Hochbauamt. Als Leiter der städtischen Bauverwaltung war M. nach dem Zweiten Weltkrieg eine der maßgeblichen Kräfte für den zügigen Ffter Wiederaufbau unter technisch-funktionalen Gesichtspunkten, etwa bei Wiederherstellung und Ausbau der Verkehrswege unter Durchsetzung der Straßendurchbrüche in der Innenstadt, was ihm den Beinamen „Napoleon der Fluchtlinien“ einbrachte. Seine bahnbrechende Idee – die Stadt aus ihrem eigenen Trümmerschutt neu zu errichten – wurde in der von ihm ins Leben gerufenen Trümmerverwertungsgesellschaft (TVG) weitgehend ohne Rücksicht auf erhaltene historische Bausubstanz verwirklicht und als Vorbild beim Wiederaufbau vieler deutscher Städte übernommen….“

    Quelle: https://frankfurter-personenlexikon.de/


    Hans Kampffmeyer trat im Januar 1956 die Nachfolge von Adolf Miersch im Amt des Bau- und Planungsdezernenten an und prägte in dieser Funktion maßgeblich die Bau- und Planungspolitik in Frankfurt bis zu seiner Abwahl 1972. Was sich liest wie „Stadt Frankfurt gegen BGH und Wagenbach“ war eine Begleiterscheinung des Wiederaufbaus; wobei für den Wiederaufbau im Wortsinn eigentlich gar nicht enteignet wurde, die Baulandbeschaffung funktionierte ohne Enteignung. Enteignet wurde – von einigen öffentlichen Bauvorhaben abgesehen (z.B. AOK-Hochhaus, BG-Unfallklinik, Höchster Krankenhaus, Bettina-Schule) - nur für den Ausbau und Neubau von Straßen, Plätzen, Parkplätzen und Parkhäusern, mithin für den radikalen Umbau der Innenstadt zur autogerechten Stadt, was damals – vielleicht unter dem Druck der massiv zunehmenden Motorisierung der Gesellschaft – dem Leitbild des modernen Städtebaus entsprach. Miersch, Kampffmeyer und die Mehrheit der SPD haben sich damals vor allem als Modernisierer verstanden, die Bewahrung der Altstadt und der Reste des Städtebaus aus wilhelminischer Ära stand für sie definitiv nicht im Vordergrund.


    Bis heute ist in Frankfurt Enteignung, und sei es auch nur ihre Androhung, ein probates Instrument der Stadtentwicklung. Wurde für den Bau der Nordweststadt noch Bauland enteignet blieb es beim Riedberg und dem Gewerbegebiet Am Martinszehnten bei der Drohung. Auch für den neuen Stadtteil im Nordwesten beiderseits der A5 steht im Rahmen der Städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme die Drohung mit Enteignung im Raum. Auch für die Vorhabenträger von Verkehrsprojekten wird nach wie vor enteignet, aktuelle Beispiele haben wir vor der Haustür.


    (Fotos: ISG, Sig. S7 x / 51 mehrere Bände)