Die Geschichte des Westend-Centers ist wahrscheinlich die bizarrste „Hochhausgeschichte“ in Frankfurt. Sein Bau war Gegenstand zahlreicher Verwaltungs- und Zivilrechtsstreite, eine Kette ineinander verwobener Konflikte zwischen im Wesentlichen drei Beteiligten. In kollektiver Erinnerung blieb die Geschichte eines raffgierigen Spekulanten, der zu lang, zu breit, zu hoch gebaut und dem die Stadt erfolgreich das Handwerk gelegt hat; aber so einfach lagen die Dinge natürlich nicht, die Geschichte war komplex und vielschichtig. Viele Einzelheiten liegen weiter im Dunkeln, die Protagonisten sind verstorben und die Behördenakten größtenteils unzugänglich. Dies sind die bekannten Fakten.
Prolog
Die Geschichte beginnt auf einem leeren Grundstück und der Anstoß, dort ein Hochhaus zu bauen, kam vom Planungsamt. Das Baugrundstück liegt am Nordrand des Westends, wo die Stadt noch nach dem Ersten Weltkrieg ausfranste in Grünland, nicht weit entfernt lag der Affenstein, die Psychiatrische Klinik des Dr. Heinrich Hofmann, die 1930 nach Niederrad umzog. Diagonal durch das Baugrundstück hindurch wäre eine Straße gebaut worden, die im rechten Winkel auf den Grüneburgweg gestoßen wäre, wenn nicht etwas südlich des Affensteins das IG-Farben-Gebäude gebaut worden wäre – an sich unwichtig, spielt aber noch eine Rolle.
Ravenstein-Plan von 1895, Stadtvermessungsamt Frankfurt a.M.
Beckmann-Plan von 1908, gemeinfrei
Durch das IG-Farben-Hochhaus waren jedoch die Ausbaupläne für diesen Teil des Westends obsolet geworden; mit der Verlängerung der Fürstenberger Straße zum Grüneburgweg in den 30er Jahren wurde das Baugrundstück von einem größeren Feld abgetrennt, noch in den 40er Jahren steht in den Adressbüchern an entsprechender Stelle "Feld". Während des Krieges erkor die US-Army das IG-Farben-Gebäude zu ihrem künftigen Hauptquartier und nahm die Gegend vom Flächenbombardement aus. Direkt nach dem Krieg weist das Adressbuch die Fürstenbergerstraße Nr. 235 als "beschlagnahmt" aus, Ende der 40er Jahre wurde das Grundstück erstmals bebaut mit provisorischen Garagen und Baracken für den Fuhrpark des US-Hauptquartiers.
Luftbild von 1927, Stadtvermessungsamt Frankfurt a.M.
Foto: Aero-Lux, mit Genehmigung des ISG Frankfurt a.M.
1964-1968
Die Planung des Westend-Centers begann 1964 und war verknüpft mit der Generaldiskussion über Regional- und Stadtplanung im Allgemeinen sowie Stadtentwicklung und Hochhausbau in Frankfurt im Besonderen. Im Herbst 1964 hatte das Stadtplanungsamt zu einer damals viel beachteten Vortragsveranstaltung geladen, Referenten waren u.a. der Wiener Stadtbaudirektor Koller, Prof. Wilhelm Wortmann, Prof. Egon Eiermann, Dr. Lorenzer vom Sigmund-Freud-Institut, der Hannoveraner Planungsdezernent Hillebrecht, Prof. Bakema aus Rotterdam und einige andere. Die Vorträge interessieren uns hier weniger, wichtig ist der Kontakt, den der Investor Nathan Lieber zu dem Rotterdamer Architekten und Stadtplaner Jacob Berend Bakema (auch Jaap Bakema) knüpfte, um von ihm ein Hochhaus für sein Grundstück Bockenheimer Landstraße 51-53 Ecke Barckhausstraße (heute: Rhein-Main-Center) entwerfen zu lassen.
Bakema entwarf für dieses Grundstück ein größeres „Pilzkopf-Hochhaus“; Pilzkopf deshalb, weil an einem pilzkopfartigen Aufbau auf einem Betonkern die Etagen aufgehängt werden sollten; in Deutschland finden wir ein solches Bakema'sches Pilzkopf-Haus in etwas kleinerer Version in Marl. Die Frankfurter Version war vermutlich deutlich höher.
Für die besagte Ecke konnte sich die Stadtplanung nicht erwärmen, stattdessen brachte die Stadt für seinen Entwurf das leere Grundstück Fürstenbergerstraße 235/Grüneburgweg 102 ins Gespräch. 1964 verkaufte das Bundesvermögensamt das rd. 5.000 m² große Grundstück an den Bauherrn Nathan Lieber - für 350.000 DM, wie die FAZ später spekulierte, das wären 70,00 DM/m² gewesen.
Irgendwann zwischen 1964 und 1966 legte der Bauherr Lieber dem Magistrat den Entwurf des Architekten Jacob Bakema für die Bebauung des Grundstücks vor; er basierte auf dem abgelehnten Entwurf für die Bockenheimer Ldstr. 51. Wir wissen nicht, ob wegen der architektonischen Qualität oder eher wegen der Prominenz des Architekten, jedenfalls sicherte die Stadt dem Bauherrn für ein Bürohochhaus mit Parkdeck und Tennishalle eine GFZ von 6,0 und eine Gebäudehöhe von rd. 90 m zu, was im Verhältnis zur Grundstücksgröße eine BGF von rd. 30.000 m² gewesen wäre.
Fotos: Het Nieuwe Institut, Rotterdam, Bake_PH83_1 und _2
Mit dem Eigentümer der Wolfsgangstraße 156 schloss Lieber einen Nachbarvertrag, der ihm einen Grenzabstand von 8,00 m einräumte, eine entsprechende Einigung mit dem Eigentümer der Fürstenbergerstr. 233 gelang zunächst nicht. Über die Gründe, warum der Bakema-Entwurf nicht verwirklicht wurde, ist nichts bekannt. Vielleicht lag es an der fehlenden Nachbarzustimmung, vielleicht wollte Lieber auch gar nicht selbst bauen, denn sein Grundstück an der Bockenheimer Ldstr. hat er auch verkauft.
- wird fortgesetzt -