© COOP HIMMELB(L)AU
Vor fünf Jahren bezog die Europäische Zentralbank ihr neues Hochhaus an der Sonnemannstraße im Ostend, Anlass zurückzuschauen, wie es dazu kam.
Die grundsätzliche Entscheidung zur Gründung der EZB hat der Europäische Rat im Rahmen seiner Beratungen über die Politische Union sowie über die Wirtschafts- und Währungsunion getroffen. Nach über 30-stündigen Verhandlungen hatten sich die Regierungen der zwölf EG-Mitgliedsstaaten in Maastricht am 10./11. Dezember 1991 auf den Vertrag über die Europäische Union geeinigt (besser bekannt als Vertrag von Maastricht oder Unions-Vertrag), der dann am 7.2.1992 von den Staats- und Regierungschefs unterzeichnet wurde. Der Vertrag enthält jedoch keine Bestimmung über den Sitz der EZB:
„Nach den in diesem Vertrag vorgesehenen Verfahren werden ein Europäisches System der Zentralbanken (im folgenden als 'ESZB' bezeichnet) und eine Europäische Zentralbank (im folgenden als 'EZB' bezeichnet) geschaffen, die nach Maßgabe der Befugnisse handeln, die ihnen in diesem Vertrag und der beigefügten Satzung des ESZB und der EZB (im folgenden als 'Satzung des ESZB' bezeichnet) zugewiesen werden. „
(Titel II, Art. G, Nr. 7 des Vertrages vom 7.2.1992, EU-Amtsblatt Nr. C 191 vom 29. Juli 1992)
Keine Rede von Frankfurt, es stand noch nicht einmal fest, in welchem Land die EZB ihren Sitz nehmen würde.
Das zusammen mit dem Unions-Vertrag beschlossene „PROTOKOLL über die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank“ enthält ebenfalls noch keine Festlegung des Sitzes, sondern behält die Entscheidung den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten vor, die darüber im einvernehmlich vor Ende 1992 beschließen sollten.
„Artikel 13 Sitz
Vor Ende 1992 beschließen die Regierungen der Mitgliedstaaten auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs im gegenseitigen Einvernehmen über den Sitz des EWI.“
(PROTOKOLL (Nr. 4) über die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank, Art. 13, a.a.O)
Auch hier keine Rede von Frankfurt, denn nach wie vor gab es vor allem aus Frankreich vehemente Vorbehalte gegen Deutschland als Sitz der EZB. Am 13.12.1992 gab Bundeskanzler Helmut Kohl im Deutschen Bundestag eine Erklärung zu den Ergebnissen des Europäischen Rates in Maastricht ab, worin er auch auf die Sitzfrage einging:
„Der Sitz der Europäischen Zentralbank konnte in Maastricht noch nicht festgelegt werden, da diese Frage von anderen Mitgliedstaaten mit der nach dem Sitz anderer EG-Organe und EG-Institutionen verknüpft wird. Sie alle kennen die Diskussion um den Sitz des Europäischen Parlaments und anderer Institutionen. Ich bin jedoch sicher, daß der jetzt verabschiedete Zeitplan den notwendigen Druck ausüben wird, um auch in den anderen Fragen der Sitzentscheidungen – bis hin zur Frage des endgültigen Sitzes des Europäischen Parlaments, die eine Schlüsselfrage darstellt – voranzukommen. Ich habe unmißverständlich unseren Anspruch auf den Sitz der Europäischen Zentralbank deutlich gemacht und will das hier von dieser Stelle noch einmal ausdrücklich betonen.“
Noch immer keine Rede von Frankfurt.
Es war ein zähes Ringen, das der Entscheidung für Frankfurt vorausgegangen war. Paris und London waren interessiert, Luxemburg, Bonn und Lyon, sogar Karlsruhe, Freiburg und kurzzeitig Mainz waren ins Gespräch gebracht worden, immerhin schien sich die Bundesregierung für Frankfurt entschieden zu haben. Die Ratifizierung des Maastricht-Vertrages zog sich in mehreren Mitgliedsstaaten unerwartet lange hin, der Zeitplan - Entscheidung vor Ende 1992 – war nicht zu halten; am 1. November 1993 ist überhaupt erst der Unions-Vertrag in Kraft getreten. Zum anderen gab es vor allem zwischen Deutschland und Frankreich erhebliche Meinungsverschiedenheiten: Frankreich war kategorisch gegen einen EZB-Sitz in Deutschland, beharrte aber zugleich auf Straßburg als Standort des Europäischen Parlaments.
Beigelegt haben den deutsch-französischen Dissens Bundeskanzler Kohl und Staatspräsident Mitterand bei einem Abendessen im Elysee-Palast am 13.10.1993, kurz vor dem für Ende Oktober anberaumten EU-Gipfel in Brüssel. Anläßlich Helmut Kohls 80. Geburtstag hatte Bundespräsident Horst Köhler am 8. Dezember 2009 viele ehemalige europäische Politiker nach Berlin ins Schloss Bellevue zu einem Abendessen geladen. Jacques Delors, Felipe Gonzales, Wladislaw Bartoszewski, Jean-Claude Juncker, Wolfgang Schüssel, Theo Waigel, Hans Dietrich Genscher, Roman Herzog, Miklos Nemeth und viele andere kamen, um Helmut Kohl 20 Jahre nach dem »magischen« Jahr 1989 die Reverenz zu erweisen. Während des Essens bat der deutsche Bundespräsident die Gäste, anhand von persönlichen Anekdoten ein Bild Helmut Kohls zu zeichnen. Einige dieser Erzählungen hat der ehemalige österreichische Bundeskanzler Schüssel in einer Hommage an Helmut Kohl verarbeitet, darunter auch die Schilderung von Johannes Ludewig, dem späteren Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bahn AG, ab 1991 Leiter der Abteilung Wirtschafts- und Finanzpolitik im Bundeskanzleramt und einer der engsten Berater Kohls, über das abendliche Treffen mit Mitterand (in: http://www.derstandard.at, 1.4.2010, Printausgabe 2.4.2010):
„Vor der endgültigen Entscheidung über die Einführung der europäischen Einheitswährung musste auch der Sitz der künftigen unabhängigen Europäischen Zentralbank geklärt werden. Deutschland beharrte auf Frankfurt, Frankreich leistete erbitterten Widerstand. Daraufhin reiste Kohl nach Paris zu einem völlig unergiebigen Gespräch mit Ministerpräsident Edouard Balladur, dann einem Abendessen im Elysee-Palast mit Staatspräsident François Mitterrand. Dieser eröffnete mit den Worten 'Ich weiß, warum Sie gekommen sind – Frankreich wird Frankfurt nicht zustimmen, dies wäre gegen unsere eigenen Interessen!' Helmut Kohl blieb gelassen. Man speiste und im Laufe des Essens erläuterte der deutsche Kanzler ruhig und eindringlich, warum Deutschland so sehr auf dem Sitz der Europäischen Zentralbank beharrte. Nach dem Zweiten Weltkrieg habe es wenig Anlass zu patriotischem Stolz gegeben, nur wenige positiv besetzte Symbole, ausgenommen die D-Mark. Sie aufzugeben und in eine neue gemeinsame Währung Europas einzubringen sei daher etwas völlig Außergewöhnliches, nicht mit den Entscheidungen anderer Teilnehmerstaaten Vergleichbares. Diese Entscheidung sei eben nur mit dem Symbol des Sitzes der EZB einigermaßen aufzuwiegen. Mitterrand hörte aufmerksam zu, um nach eineinhalb Stunden schlicht festzustellen: 'Ich habe nun die Bedeutung dieser Entscheidung für Deutschland verstanden. Ab sofort wird Frankreich Sie in dieser Frage unterstützen.'“
Das war am 13. 10.1993; zwei Wochen später haben die zwölf Staats- und Regierungschefs auf dem EG-Sondergipfel in Brüssel beschlossen, dass der Sitz des Europäischen Währungsinstitutes (EWI) und der späteren Europäischen Zentralbank Frankfurt sein soll. Im Hinblick auf den beschlossenen Zeitplan zur Einführung der Euro wurde in Frankfurt unverzüglich mit dem Aufbau des EWI und der EZB begonnen, obwohl es dann noch 14 Jahre dauerte, bis die Sitzentscheidung in Gestalt des „Einvernehmlichen Beschlusses der auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs vereinigten Vertreter der Mitgliedsstaaten über die Festlegung des Sitzes bestimmter Einrichtungen und Dienststellungen der Europäischen Gemeinschaften sowie des Sitzes von Europol“ vom 29.10.1993 (EU-Amtsblatt 93-C 323 v. 30.11.1993) als „Protokoll (Nr. 6) über die Festlegung der Sitze der Organe und bestimmter Einrichtungen, sonstiger Stellen und Dienststellen der Europäischen Union“ 2007 Eingang in die Europäischen Verträge fand, und zwar in den Vertrag von Lissabon. Im einzigen Artikel des Protokolls heißt unter lit. i) „Die Europäische Zentralbank hat ihren Sitz in Frankfurt.“ Erst mit Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon am 1.12.2009 ist die Sitzfrage durch die europäischen Verträge endgültig geregelt worden.
Zum Beginn der 2. Stufe der Währungsunion am 1. Januar 1994 war das Europäische Währungsinstitut (EWI) als Vorläufer der EZB errichtet worden. Das Sitzabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem EWI wurde allerdings erst am 12. September 1995 geschlossen; es regelt u.a. Fragen des Steuer-, Aufenthalts- und Melderechts sowie des Polizei- und Ordnungsrechts für das EWI und seine Bediensteten.