Wie die EZB nach Frankfurt kam...

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    © COOP HIMMELB(L)AU


    Vor fünf Jahren bezog die Europäische Zentralbank ihr neues Hochhaus an der Sonnemannstraße im Ostend, Anlass zurückzuschauen, wie es dazu kam.


    Die grundsätzliche Entscheidung zur Gründung der EZB hat der Europäische Rat im Rahmen seiner Beratungen über die Politische Union sowie über die Wirtschafts- und Währungsunion getroffen. Nach über 30-stündigen Verhandlungen hatten sich die Regierungen der zwölf EG-Mitgliedsstaaten in Maastricht am 10./11. Dezember 1991 auf den Vertrag über die Europäische Union geeinigt (besser bekannt als Vertrag von Maastricht oder Unions-Vertrag), der dann am 7.2.1992 von den Staats- und Regierungschefs unterzeichnet wurde. Der Vertrag enthält jedoch keine Bestimmung über den Sitz der EZB:


    „Nach den in diesem Vertrag vorgesehenen Verfahren werden ein Europäisches System der Zentralbanken (im folgenden als 'ESZB' bezeichnet) und eine Europäische Zentralbank (im folgenden als 'EZB' bezeichnet) geschaffen, die nach Maßgabe der Befugnisse handeln, die ihnen in diesem Vertrag und der beigefügten Satzung des ESZB und der EZB (im folgenden als 'Satzung des ESZB' bezeichnet) zugewiesen werden. „

    (Titel II, Art. G, Nr. 7 des Vertrages vom 7.2.1992, EU-Amtsblatt Nr. C 191 vom 29. Juli 1992)


    Keine Rede von Frankfurt, es stand noch nicht einmal fest, in welchem Land die EZB ihren Sitz nehmen würde.


    Das zusammen mit dem Unions-Vertrag beschlossene „PROTOKOLL über die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank“ enthält ebenfalls noch keine Festlegung des Sitzes, sondern behält die Entscheidung den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten vor, die darüber im einvernehmlich vor Ende 1992 beschließen sollten.


    „Artikel 13 Sitz

    Vor Ende 1992 beschließen die Regierungen der Mitgliedstaaten auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs im gegenseitigen Einvernehmen über den Sitz des EWI.“

    (PROTOKOLL (Nr. 4) über die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank, Art. 13, a.a.O)


    Auch hier keine Rede von Frankfurt, denn nach wie vor gab es vor allem aus Frankreich vehemente Vorbehalte gegen Deutschland als Sitz der EZB. Am 13.12.1992 gab Bundeskanzler Helmut Kohl im Deutschen Bundestag eine Erklärung zu den Ergebnissen des Europäischen Rates in Maastricht ab, worin er auch auf die Sitzfrage einging:

    „Der Sitz der Europäischen Zentralbank konnte in Maastricht noch nicht festgelegt werden, da diese Frage von anderen Mitgliedstaaten mit der nach dem Sitz anderer EG-Organe und EG-Institutionen verknüpft wird. Sie alle kennen die Diskussion um den Sitz des Europäischen Parlaments und anderer Institutionen. Ich bin jedoch sicher, daß der jetzt verabschiedete Zeitplan den notwendigen Druck ausüben wird, um auch in den anderen Fragen der Sitzentscheidungen – bis hin zur Frage des endgültigen Sitzes des Europäischen Parlaments, die eine Schlüsselfrage darstellt – voranzukommen. Ich habe unmißverständlich unseren Anspruch auf den Sitz der Europäischen Zentralbank deutlich gemacht und will das hier von dieser Stelle noch einmal ausdrücklich betonen.“

    Noch immer keine Rede von Frankfurt.

    Es war ein zähes Ringen, das der Entscheidung für Frankfurt vorausgegangen war. Paris und London waren interessiert, Luxemburg, Bonn und Lyon, sogar Karlsruhe, Freiburg und kurzzeitig Mainz waren ins Gespräch gebracht worden, immerhin schien sich die Bundesregierung für Frankfurt entschieden zu haben. Die Ratifizierung des Maastricht-Vertrages zog sich in mehreren Mitgliedsstaaten unerwartet lange hin, der Zeitplan - Entscheidung vor Ende 1992 – war nicht zu halten; am 1. November 1993 ist überhaupt erst der Unions-Vertrag in Kraft getreten. Zum anderen gab es vor allem zwischen Deutschland und Frankreich erhebliche Meinungsverschiedenheiten: Frankreich war kategorisch gegen einen EZB-Sitz in Deutschland, beharrte aber zugleich auf Straßburg als Standort des Europäischen Parlaments.


    Beigelegt haben den deutsch-französischen Dissens Bundeskanzler Kohl und Staatspräsident Mitterand bei einem Abendessen im Elysee-Palast am 13.10.1993, kurz vor dem für Ende Oktober anberaumten EU-Gipfel in Brüssel. Anläßlich Helmut Kohls 80. Geburtstag hatte Bundespräsident Horst Köhler am 8. Dezember 2009 viele ehemalige europäische Politiker nach Berlin ins Schloss Bellevue zu einem Abendessen geladen. Jacques Delors, Felipe Gonzales, Wladislaw Bartoszewski, Jean-Claude Juncker, Wolfgang Schüssel, Theo Waigel, Hans Dietrich Genscher, Roman Herzog, Miklos Nemeth und viele andere kamen, um Helmut Kohl 20 Jahre nach dem »magischen« Jahr 1989 die Reverenz zu erweisen. Während des Essens bat der deutsche Bundespräsident die Gäste, anhand von persönlichen Anekdoten ein Bild Helmut Kohls zu zeichnen. Einige dieser Erzählungen hat der ehemalige österreichische Bundeskanzler Schüssel in einer Hommage an Helmut Kohl verarbeitet, darunter auch die Schilderung von Johannes Ludewig, dem späteren Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bahn AG, ab 1991 Leiter der Abteilung Wirtschafts- und Finanzpolitik im Bundeskanzleramt und einer der engsten Berater Kohls, über das abendliche Treffen mit Mitterand (in: http://www.derstandard.at, 1.4.2010, Printausgabe 2.4.2010):


    „Vor der endgültigen Entscheidung über die Einführung der europäischen Einheitswährung musste auch der Sitz der künftigen unabhängigen Europäischen Zentralbank geklärt werden. Deutschland beharrte auf Frankfurt, Frankreich leistete erbitterten Widerstand. Daraufhin reiste Kohl nach Paris zu einem völlig unergiebigen Gespräch mit Ministerpräsident Edouard Balladur, dann einem Abendessen im Elysee-Palast mit Staatspräsident François Mitterrand. Dieser eröffnete mit den Worten 'Ich weiß, warum Sie gekommen sind – Frankreich wird Frankfurt nicht zustimmen, dies wäre gegen unsere eigenen Interessen!' Helmut Kohl blieb gelassen. Man speiste und im Laufe des Essens erläuterte der deutsche Kanzler ruhig und eindringlich, warum Deutschland so sehr auf dem Sitz der Europäischen Zentralbank beharrte. Nach dem Zweiten Weltkrieg habe es wenig Anlass zu patriotischem Stolz gegeben, nur wenige positiv besetzte Symbole, ausgenommen die D-Mark. Sie aufzugeben und in eine neue gemeinsame Währung Europas einzubringen sei daher etwas völlig Außergewöhnliches, nicht mit den Entscheidungen anderer Teilnehmerstaaten Vergleichbares. Diese Entscheidung sei eben nur mit dem Symbol des Sitzes der EZB einigermaßen aufzuwiegen. Mitterrand hörte aufmerksam zu, um nach eineinhalb Stunden schlicht festzustellen: 'Ich habe nun die Bedeutung dieser Entscheidung für Deutschland verstanden. Ab sofort wird Frankreich Sie in dieser Frage unterstützen.'“


    Das war am 13. 10.1993; zwei Wochen später haben die zwölf Staats- und Regierungschefs auf dem EG-Sondergipfel in Brüssel beschlossen, dass der Sitz des Europäischen Währungsinstitutes (EWI) und der späteren Europäischen Zentralbank Frankfurt sein soll. Im Hinblick auf den beschlossenen Zeitplan zur Einführung der Euro wurde in Frankfurt unverzüglich mit dem Aufbau des EWI und der EZB begonnen, obwohl es dann noch 14 Jahre dauerte, bis die Sitzentscheidung in Gestalt des „Einvernehmlichen Beschlusses der auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs vereinigten Vertreter der Mitgliedsstaaten über die Festlegung des Sitzes bestimmter Einrichtungen und Dienststellungen der Europäischen Gemeinschaften sowie des Sitzes von Europol“ vom 29.10.1993 (EU-Amtsblatt 93-C 323 v. 30.11.1993) als „Protokoll (Nr. 6) über die Festlegung der Sitze der Organe und bestimmter Einrichtungen, sonstiger Stellen und Dienststellen der Europäischen Union“ 2007 Eingang in die Europäischen Verträge fand, und zwar in den Vertrag von Lissabon. Im einzigen Artikel des Protokolls heißt unter lit. i) „Die Europäische Zentralbank hat ihren Sitz in Frankfurt.“ Erst mit Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon am 1.12.2009 ist die Sitzfrage durch die europäischen Verträge endgültig geregelt worden.


    Zum Beginn der 2. Stufe der Währungsunion am 1. Januar 1994 war das Europäische Währungsinstitut (EWI) als Vorläufer der EZB errichtet worden. Das Sitzabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem EWI wurde allerdings erst am 12. September 1995 geschlossen; es regelt u.a. Fragen des Steuer-, Aufenthalts- und Melderechts sowie des Polizei- und Ordnungsrechts für das EWI und seine Bediensteten.

  • … und nach 15-jährigem Intermezzo im Eurotower...


    Am Tag nach dem Entscheid der Regierungschefs begann in Frankfurt die öffentliche Diskussion über einen geeigneten Standort. Das IG-Farben-Hochhaus im Grüneburgpark stand ebenso auf der Vorschlagsliste wie die Grundstücke der Frankfurter Sparkasse und der benachbarten Württembergischen Hypothekenbank in der Neuen Mainzer Straße/Junghofstraße, das von der Deutschen Bank geplante MAX-Hochhaus, der Messeturm sowie eine nicht näher genannte bundeseigene Liegenschaft. Im März 1994 waren noch zwei Hochhäuser in der Diskussion, neben dem Messeturm das ehemalige BfG-Hochhaus am Willy-Brandt-Platz.


    Die Erwartung, das EWI werde seinen künftigen Standort schon bei seiner ersten Sitzung im Römer am 11.1.1994 bekannt geben, erfüllte sich nicht, erst Anfang April 1995 hat der Präsident des EWI den Abschluss eines Mietvertrages über zunächst 10 Etagen im BfG-Hochhaus bestätigt (die neun oberen und die 2. Etage). Bis zum Bezug der neuen Räume fanden die ersten Sitzungen der EWI-Gremien am Sitz der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel statt, Schließlich nahmen die rd. 190 Mitarbeiter des EWI am 1. November 1994 ihre Arbeit in den oberen Etagen des BfG-Hochhauses auf.


    Bis dahin hatte der neue Eigentümer, der Grundwert-Fonds der Dresdner Bank (DEGI), das alte BfG-Hochhaus grundlegend saniert und teilweise umgebaut, nichts sollte mehr an die gemeinwirtschaftlichen Gründerjahre erinnern. Sichtbare Zeichen dieser Grundsanierung waren die Schließung der seit Jahren mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten kämpfenden Ladenpassage im Untergeschoss, Parterre und 1.Obergeschoss sowie der Umbau des Gebäudesockels, der sich noch bis ins Jahr 1995 hinzog.

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    Foto: Jutta Hofmann, ISG S7C1998/137, mit freundlicher Genehmigung des ISG


    Rund 4000 Fenster wurden ausgetauscht, damit die Beschäftigten nicht wie früher ausschließlich auf künstliches Licht angewiesen waren; durch die Verlegungen des Haupteingangs auf die Nordseite erhielt der Eurotower, wie der Eigentümer das Gebäude jetzt nannte, am 17. Dezember 1994 eine neue Hausnummer: Kaiserstraße 29 statt bisher Willy-Brandt-Platz 2.


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    Foto: epizentrum


    Durch die Ernennung von Wim Duisenberg zum Präsidenten, der Vizepräsidenten und der übrigen vier Mitglieder des Direktoriums haben die Regierungen der elf an der Währungsunion teilnehmenden Mitgliedsstaaten zum 1. Juni 1998 die Europäische Zentralbank errichtet. Zugleich wurde das Europäische Währungsinstitut plangemäß aufgelöst, dessen Räumlichkeiten von der EZB übernommen; sie startete mit einem Personalstand von 534 Planstellen und schloss mit der Bundesrepublik Deutschland im September 1998 das Sitzabkommen. Rasch stieg die Zahl der Planstellen und mit ihr der Raumbedarf, schon Ende 1999 hatte die EZB 35 der 36 Etagen des Eurotowers gemietet.


    Im selben Jahr wurde bekannt, die EZB erwäge den Auszug aus dem Eurotower, wegen der stark wachsenden Mitarbeiterzahl werde es im Gebäude allmählich zu eng. Zugleich wollte die EZB einer Empfehlung des Europäischen Rechnungshofes folgen, derzufolge für die Europäischen Institutionen der Bau eigener Verwaltungssitze auf Dauer wirtschaftlicher sei als deren Anmietung. Das führte zur Beauftragung einer Studie zur Ermittlung des künftigen Personal- und Raumbedarfs, deren Ergebnisse in die Entscheidung über einen neuen Standort einfließen sollten. Bis zum Ende des Jahres 2001 war der Personalbestand auf 1.043 Planstellen angewachsen, so dass die Anmietung weiterer Gebäude notwendig geworden war. Im Januar 2001 wurde berichtet, die EZB werde 21 Etagen des Eurotheums in der Neuen Mainzer Straße 66-68 anmieten, später kam die ehemalige Commerzbank-Zentrale in der Neuen Mainzer Straße 32-36 hinzu.

  • ...im Ostend heimisch wurde,...



    Ungeachtet des Beschlusses der Stadtverordnetenversammlung vom 18.11.1993, wonach der Großmarkt im Ostend verbleiben soll, hat der Magistrat – unabhängig von der Raumsuche der EZB - die Machbarkeit einer Verlagerung des Großmarktes an die Peripherie gutachterlich untersuchen lassen. Die damals schon 60 Jahre alte Großmarkthalle entsprach in energetischer, hygienischer und logistischer Hinsicht weder dem Stand der Technik noch den sich stark wandelnden Anforderungen der Markthändler, ein aus der Zeit gefallenes Fossil. Im letzten Satz des Magistrats-Berichtes B 460 vom 11.6.2001 über die Ergebnisse eines europaweiten Investorenwettbewerbs zur Verlagerung des Großmarktes teilte der Magistrat den Stadtverordneten eher beiläufig mit: „Parallel zu dem Investorenwettbewerb hat die Europäische Zentralbank ihr ernsthaftes Interesse an dem Erwerb des derzeitigen Großmarktgeländes bekundet.


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    © Stadtvermessungsamt Frankfurt am Main, Luftbild 1927


    Dieser dürre Satz lässt nicht erkennen, dass sich der Magistrat zu diesem Zeitpunkt mit der EZB schon längst auf den Verkauf der Großmarkthalle geeinigt hatte. Auf der Arbeitsebene gab es zwischen EZB und Stadtverwaltung einen ständigen Kontakt; von daher war im Planungsdezernat bekannt, dass die EZB auf der Suche nach einem geeigneten Baugrundstück war, wo sie außerhalb des Bankenviertels eine Verwaltungszentrale in der Größenordnung von 200.000 m² BGF würde bauen können. Als im Jahr 2000 die Überlegungen zur Verlagerung des Großmarktes konkreter wurden, fragte der Magistrat an, ob die EZB für ihre Neubaupläne vielleicht auch das Großmarktgelände in Erwägung ziehen würde.

    Der Planungsdezernent lud das entscheidende Gremium, den Board of Directors, zu einer Rundfahrt ein, die u.a. mit dem Schiff zur Ruhrorter Werft und in den Osthafen und von dort mit dem Bus zur Großmarkthalle führte. Eine Besichtigung der Halle im laufenden Betrieb schloss das Programm ab. Schon bald nach dieser Fahrt, also Ende 2000/Anfang 2001, nach Prüfung von 35 Standorten im Stadtgebiet, entschied sich das EZB-Direktorium für das Großmarktgelände und es begannen intensive Verhandlungen des Magistrats mit der Generaldirektion für Verwaltung und Personal.


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    © European Central Bank/King Air, 2002


    Ein halbes Jahr später, am 10.7.2001 schloss die Stadt mit der EZB einen städtebaulichen Rahmenvertrag über die Sitzverlegung ins Ostend, worin sich die Stadt zum Verkauf des Großmarktgeländes an die EZB verpflichtete. Am 8.11.2001 haben die Stadtverordneten der Ansiedlung der EZB im Ostend zugestimmt, die Aufstellung eines entsprechenden Bebauungsplans und die Verlegung des Großmarktes nach Kalbach beschlossen. Ende Januar 2002 stimmten die Stadtverordneten dem Verkauf des Großmarktgeländes zu, der vom Magistrat mit der EZB ausgehandelte Kaufvertrag wurde dann am 5.3.2002 beurkundet – keine drei Jahre nachdem die EZB bekanntgegeben hatte, umziehen zu wollen.


    Einzelheiten des Kaufvertrages sind der Magistatsvorlage M_260_2001 zu entnehmen. Danach hat die EZB das rd. 119.850 m² große Areal zwischen Rückert-, Sonnemann-, Holzmann- und Eys­senstraße zu einem vorläufigen Preis von 511,30 €/m², mithin 61.279.305,00 € erworben; vorläufig deshalb, weil die endgültige Höhe des Kaufpreises vom Vermessungsergebnis und der baulichen Ausnutzung des Grundstücks abhängig sein sollte, die aber zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses noch nicht feststand.


    Da zum Main hin ein ca. 40 m breiter Geländestreifen öffentlich zugänglich bleiben sollte, war die südliche Grundstückgrenze neu zu vermessen, das Grundstück würde also im endgültigen Zuschnitt kleiner sein. Der endgültige Kaufpreis sollte noch einen Betrag von 511,30 € für jeden Quadratmeter tatsächlich gebauter BGF enthalten; die Differenz zwischen dem Geschossflächenpreis und dem vorläufigen Kaufpreis sollte bei Erteilung der Baugenehmigung fällig werden. 17 Jahre nach der Rohbauabnahme soll eine Ausgleichszahlung in Höhe von 869,20 € für jeden bis dahin eventuelle zusätzlich errichteten Quadratmeter oberirdische Geschossfläche fällig werden.


    Insgesamt wurden auf dem Grundstück zunächst ca. 185.000 m² Geschossfläche errichtet, so dass unter Anrechnung von 30.000 m² für die bestehende Großmarkthalle für gebaute Geschossfläche noch ca. 155.000 m² mit 511,30 €/m² zu vergüten waren, also weitere ca. 79.250.000,00 €; der Gesamtkaufpreis beträgt dann ca. 140,5 Mio €, was einem Preis von ca. 1.200,00 €/m² Grundstücksfläche entspricht (die ca-Angaben beruhen darauf, dass anfangs weder das Vermessungsergebnis noch die tatsächlich gebaute Geschossfläche bekannt war). Zulässig sind nach dem Bebauungsplan B 830 insgesamt 220.000 m² Geschossfläche; würde die EZB noch Erweiterungsbauten errichten, betrüge die Ausgleichszahlung für zusätzlich gebaute BGF bis zu ca. 29 Mio €. Bei äußerster Ausnutzung des Baurechts würde die EZB für das Großmarktgelände am Ende einen maximalen Kaufpreis von rd. 170 Mio € zahlen.


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    © European Central Bank/King Air, 2005


    Die Übergabe des Grundstücks war für den 31.12.2003 vorgesehen. Ein weiteres Jahr sollte der Stadt für die Verlegung der Hafenbahn und die Baureifmachung des Grundstücks (z.B. Abriss der Importhalle und der Fruchthalle, Ausbau der Gleisanlagen, Beseitigung von Altlasten usw.) zur Verfügung stehen. Die Kosten für die Verlegung der Hafenbahn, Düker, Gas- und sonstiger Leitungen übernahm die EZB bis zum Höchstbetrag von 4,0 Mio € (kalkuliert waren rund 5 Mio €), umgekehrt leistete die Stadt zur Erhaltung der Großmarkthalle einen pauschalen Sanierungsbeitrag in Höhe von 15,3 Mio €. Vor allem der Stadtkämmerer wird sehr erleichtert gewesen sein, dass der Stadt mit dieser Pauschale die um ein Vielfaches teurere Sanierung der Großmarkthalle erspart geblieben ist. Später wurde bekannt, dass allein die Stabilisierung und Verstärkung der Fundamente und die Sanierung des Daches über 200 Mio € Mehrkosten verursacht haben.


    Parallel liefen die Planungen für die Verlegung des Großmarktes. Angesichts der Jahrzehnte langen Unentschlossenheit ist es sehr erstaunlich, in welch kurzer Zeit dies gelang (November 2003 – Juni 2004), einschließlich Planung und Neubau eines neuen Autobahnanschlusses in Nieder-Eschbach. Am 4.6.2004 war der letzte Handelstag in der alten Großmarkthalle, am 6.6.2004 die Eröffnung des Frischezentrums am Martinszehnten in Kalbach. In den Wochen danach wurde die entlang der Eyssenstraße verlaufende Hafenbahn nach Süden an die Ruhrorter und Duisburger Werft verlegt und das Großmarktgelände eingefriedet. Gleichzeitig wurden die Fruchthalle und die Importhalle abgerissen, die Gleisanlagen ausgebaut und die Einbauten in der Halle entfernt. Pünktlich zum Jahresende 2004 wurde das baureife Grundstück an die EZB übergeben.


    Die EZB hat intern prüfen lassen, ob sie für ihren Neubau einer Baugenehmigung bedürfe, aber die Europäischen Regelungen ermöglichen keine Befreiung. Grundlage wäre das sog. „Privilegien-Protokoll“ (Protokoll Nr. 7 über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union im Anhang zum AEUV), das zahlreiche Privilegien der Europäischen Institutionen regelt, nicht aber einen Dispens von öffentlich-rechtlichen Bauvorschriften für die EU-Institutionen; dasselbe gilt für das Sitz-Abkommen. Der EZB-Neubau wäre auch kein Vorhaben in öffentlicher Trägerschaft nach § 69 HBO2002 , weil diese Vorschrift ausdrücklich nur solche „Baudienststellen des Bundes oder eines Landes“ privilegiert, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen, nicht aber die EU-Institutionen oder europäische Körperschaften des öffentlichen Rechts.


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    © European Central Bank/King Air, 2015



    Das Privilegien-Protokoll (Kap. I, Art. 1) und das Sitzabkommen führen jedoch dazu, dass deutsche Behörden, mithin auch die Frankfurter Bauaufsicht keine hoheitlichen Befugnisse auf dem EZB-Grundstück haben, es ist exterritoriales Gebiet. Die Bauüberwachung und das Betretungsrecht für Mitarbeiter der Bauaufsicht und technische Prüfsachverständige (§§ 71-73 HBO2002) haben Stadt Frankfurt und EZB deshalb in einem Verwaltungsabkommen ausdrücklich geregelt.


    Der Rest ist rasch berichtet: am 6.5.2008 wurde die Baugenehmigung erteilt, am 19.5.2010 der Grundstein gelegt und am 20.9.2012 das Richtfest für den Zwillingsturm gefeiert. Anfang November 2014 begann der Umzug der Mitarbeiter vom Eurotower in den EZB-Neubau in der Sonnemannstraße 20. Die offizielle Einweihung des neuen EZB-Sitzes fand am 18.3.2015 statt, begleitet von Demonstrationen und extrem gewalttätigen Protesten von Aktivisten der Blockupy-Bewegung. Über den Bau des Hochhauses ist in diesem Forum ausführlich berichtet worden.


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    © European Central Bank/King Air, 2015

  • ...aber den Standort im Eurotower trotzdem behielt.



    Als Reaktion auf die Banken-Krise nach der Pleite von Lehman-Brothers hat der Europäische Rat am 15.10.2013 durch die Verordnung (EU) Nr. 1024/2013 (ABl. der Europäischen Union vom 29.10.2013 L 287/74) der EZB die Aufsicht über bestimmten Banken-Gruppen und Banken in der Europäischen Union übertragen und die EZB dafür mit weitreichenden Kontroll- und Sanktionsinstrumenten ausgestattet. Um den Bedenken gegen diese Aufgabenübertragung gerecht zu werden, gebietet Art. 25 der Verordnung die Trennung der Bankenaufsicht von den geldpolitischen Aufgaben der EZB.


    „(2) Die EZB nimmt die ihr durch diese Verordnung übertragenen Aufgaben unbeschadet und getrennt von ihren Aufgaben im Bereich der Geldpolitik und von sonstigen Aufgaben wahr. Die der EZB durch diese Verordnung übertragenen Aufgaben dürfen weder ihre Aufgaben im Bereich der Geldpolitik beeinträchtigen noch durch diese bestimmt werden. Ebenso wenig dürfen die der EZB durch diese Verordnung übertragenen Aufgaben ihre Aufgaben im Zusammenhang mit dem ESRB und sonstige Aufgaben beeinträchtigen.

    Das mit der Wahrnehmung der der EZB durch diese Verordnung übertragenen Aufgaben befasste Personal ist von dem mit der Wahrnehmung anderer der EZB übertragener Aufgaben befassten Personal organisatorisch getrennt und unterliegt einer von diesem Personal getrennten Berichterstattung.



    Die Bankenaufsicht - der Einheitliche Aufsichtsmechanismus (Single Supervisory Mechanism, SSM) wie sie formal heißt – nahm im November 2014 mit 160 MitarbeiterInnen ihre Arbeit in Frankfurt auf. Sie besteht aus vier Generaldirektionen innerhalb der EZB, die personell und organisatorisch getrennt von den im Bereich Geldpolitik tätigen Generaldirektionen und Abteilungen der EZB arbeiten. Die personelle und organisatorische Trennung kommt in der umfassenden räumlichen Trennung der Bereiche, d.h. die Auslagerung dieser vier Abteilungen an einen anderen Standort zum Ausdruck; die Bankenaufsicht der EZB arbeitet also nicht auf dem EZB-Campus.


    Mit der Ausweitung der Aufsichtstätigkeit geht natürlich auch eine Ausweitung des Stellenplans einher. Aus den 160 Personen der ersten Stunde sind bis Ende 2019 rd. 1.200 MitarbeiterInnen geworden, bis 2022 ist die weitere Aufstockung des Personals geplant.

    Nach dem Umzug der EZB in ihr neues Quartier Anfang 2014 wurde deshalb der Eurotower nicht aufgegeben, sondern langfristig angemietet und einer umfassenden Renovierung unterzogen: Die EZB-Bankenaufsicht zog deshalb zunächst ins benachbarte Japan-Center ein und wechselte erst im März 2016 in den renovierten Eurotower. Aber auch das Japan-Center wurde als Standort nicht aufgegeben, seit 2018 belegt die EZB das gesamte Japan-Center, angemietet zunächst bis 2025. Nach umfassender Renovierung zogen dort die EZB-Bediensteten ein, die bis dahin noch in der alten Commerzbank-Zentrale, heute Global Tower genannt, untergebracht waren. Das Environmental Statement 2019 der EZB gibt Auskunft darüber, dass heute Ende 2019 etwas mehr als die Hälfte aller EZB-Mitarbeiter im Ostend, die übrigen in Eurotower und Japan-Center untergebracht sind. Neben den drei Frankfurter Standorten hat die EZB noch Vertretungen in Washington D.C. und Brüssel.


    Ausblick


    Die im Bebauungsplan zugelassene maximale Bebauung wurde von der EZB noch nicht ausgeschöpft. Von den zulässigen 220.000 m² BGF wurde lediglich 185.000 m² gebaut, das Baurecht also nur zu 84% aufgenutzt; an der Südwest-Ecke könnte noch eine Kita gebaut werden, auf der Nordost-Ecke könnte der sog. Ladehof bis zu einer Höhe von 26 m überbaut werden und im Südostbereich wäre sogar noch ein 60-m-Hochhaus zulässig.


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    © Stadtplanungsamt Frankfurt am Main, B-Plan B-830, farbige Eintragungen von mir


    Wenn die Bankenaufsicht auf Dauer bei der EZB bleibt und die räumliche Trennung weiterhin erforderlich ist, könnte es durchaus sein, dass die EZB auch für die Bankenaufsicht ein eigenes Gebäude für rd. 1.500 Mitarbeiter baut. Bekannt ist darüber nichts, alles Spekulation, aber nicht abwegig, das Japan-Center ist vorerst bis 2025 angemietet. Und die Empfehlung des Europäischen Rechnungshofes, dauerhaft nicht anzumieten, sondern eigene Liegenschaften zu nutzen, besteht weiterhin.


    Der Raumbedarf der EZB folgt dem Personalbestand, der bisher kontinuierlich gestiegen ist. Allerdings ist die Frage nach der Zahl der Arbeitsplätze nicht leicht zu beantworten. Die offiziellen Dokumente der EZB, die Jahresberichte und die Berichte zur EMAS-Zertifizierung einerseits und die Umweltberichte andererseits geben unterschiedliche Zahlen an.


    Die Planstellen werden in sog. Vollzeitäquivlaneten ausgedrückt. Vollzeitäquivalent stellt eine Kennzahl dar, die ermittelt wird, indem die von einem Arbeitnehmer geleistete Arbeitsstundenzahl zur Stundenzahl eines Vollzeitbeschäftigten ins Verhältnis gesetzt wird. Diese Zahl umfasst Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit unbefristeten, befristeten oder Kurzzeitverträgen sowie Teilnehmer am Graduate Programme der EZB. Berücksichtigt sind auch Beschäftigte, die sich im Mutterschutz befanden oder längerfristig freigestellt waren, nicht jedoch Beschäftigte, die unbezahlt freigestellt waren. Für das Jahr 2018 werden 3.546 VZÄ angegeben, davon etwa 1.200 bei der Bankenaufsicht in der City und etwa 2.400 im Ostend.


    Der Umweltbericht 2018 indessen gibt die Gesamtzahl der Arbeitsplätze in 2018 mit 5.348 an. Der dort verwendete Begriff der „Arbeitsplätze“ gibt die Anzahl der Beschäftigten an, die in EZB-Gebäuden tätig sind. Vertragsstatus oder vertragliche Vereinbarungen sind dabei nicht relevant. Daher werden auch Nicht-EZB-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter wie Berater, Auftragnehmer (Raumpflege, Kantine) usw. mitberücksichtigt. (Umweltbericht). Dem wohnt die Logik inne, dass an umweltrelevanten Merkmalen, wie z.B. den Papier-, Wasser- Stromverbrauch, CO2-Bilanz usw. auch Personen mitwirken, die nicht unbedingt eine Planstelle innehaben.


    Von besagten 5.348 Arbeitsplätzen entfielen 2018 auf den EZB-Campus 2.987 Arbeitsplätze und auf die City-Standorte 2.362. Der Vergleich zeigt in erster Linie, dass die Bankenaufsicht bei ihren Prüfungen mit einer sehr großen Zahl externer Experten arbeitet (Wirtschaftsprüfer, Anwälte, Mitarbeiter der nationalen Aufsichtsbehörden, Personen also deren Kosten aus den Prüfgebühren, also von den geprüften Banken bezahlt werden und die nur projektweise für die EZB und meistens nicht in deren Räumen tätig sind).

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