Vor 20 Jahren meldete der eco e.V., der Verband der deutschen Internetwirtschaft, die Inbetriebnahme des ersten Internet-Austauschknotens (= Internet Exchange Point - IXP) in einem Rechenzentrum der Fa. Interxion an der Hanauer Landstraße 302. Die Pressemeldung war allerdings insofern ungenau, als der erwähnte DE-CIX-1 weder der erste IXP in Deutschland noch die Hanauer Ldstr. 302 der erste Standort in Frankfurt war. Die Geschichte des Internetknotens Frankfurt begann fünf Jahre zuvor.
Der Begriff Internetknoten umschreibt eine Infrastruktur, über die Internet Service Provider Daten austauschen: die Daten des einen Providers müssen zum Rechner des anderen geleitet werden und umgekehrt. Auch die in Deutschland ansässigen Provider konnten ihre Daten anfangs nur über zwei Austauschpunkte in den USA tauschen, MAE EAST an der US-Ostküste und MAE WEST in Kalifornien. Selbst wenn die aufgerufene Webseite nur wenige Kilometer entfernt gehostet wurde, musste der Switch in den USA angesteuert werden. Dieser Datenaustausch, das sog. Peering, war damals nicht nur umständlich und langsam, sondern auch teuer. Kein Wunder also, dass allerorten geforscht und probiert wurde, das Peering zu vereinfachen und preiswerter zu gestalten.
Den ersten kommerziellen IXP Deutschlands gab's in München
Vor allem an den Universitäten, aber auch in der Industrie, gab es zahlreiche IT-Projekte, die u.a. die Vereinfachung des Peerings verfolgten; in Deutschland sind vorrangig die Technischen Hochschulen in Karlsruhe (KIT) und Dortmund zu nennen, die die beiden ersten echten IXP eingerichtet hatten, es waren aber noch eher experimentelle Versuchsaufbauten, die für den kommerziellen Alltagsbetrieb noch nicht taugten. Aber auch die Industrie forschte: 1984 gründeten Siemens, Bull und ICL ein gemeinsames Forschungszentrum, das ECRC - European Computer-Industry Research Center GmbHin München, das 1994 in München an der Landshuter Straße mit INXS – Internet exchange service- den ersten kommerziell nutzbaren Internetknoten aufgebaut und zugänglich gemacht hatte; 1997 wurde daraus die ECRC Network Services GmbH, die wenig später von Cable & Wireless aufgekauft wurde; heute ist das alles integraler Bestandteil von Vodafone PLc, die den heute ECIX genannten Austauschknoten noch immer an der Landshuter Straße betreibt.
Etwas später, im Mai 1995, haben sich drei Firmen, die auch schon in München Daten getauscht hatten, zusammengetan, um einen IXP in Frankfurt aufzubauen, den Deutschen Commercial Internet Exchange (DECIX). Beteiligte waren die Dortmunder EUnet Deutschland GmbH, die Xlink GmbH aus Karlsruhe und die MAZ GmbH aus Hamburg – heute würde man sie sicher Startups nennen. Organisiert war das eher als eine Art Arbeitskreis der drei Startups ohne feste rechtliche Struktur. Die Frage war nämlich, wer sollte den Knoten dauerhaft betreiben? Immerhin waren die Gründungsmitglieder allesamt Wettbewerber und keiner von ihnen sollte die Hoheit erhalten.
Die Lösung war ein Verein, dessen Gründung praktisch parallel vorbereitet wurde. Schon wenige Wochen nach den Inbetriebnahme des DECIX wurde der „eco – electronic commerce forum – Verband der Deutschen Internet Wirtschaft e.V.“, am 21.6.1995 ins Bonner Vereinsregister eingetragen. Um dauerhaft die Neutralität des IXP sicherzustellen, diskriminierungsfreie und geregelte Verfahren für den Zugang einzuführen, und eine von den Marktteilnehmern unabhängige Betreuung der Technik zu gewährleisten, übertrugen die drei IXP-Gründer Ende 1995 den Betrieb der switches und der dafür erforderlichen Infrastruktur dem eco e.V..
Zunächst wurde der DECIX vom Verein selbst betrieben und gemanagt, 2003 übertrug er diese Aufgabe seiner Tochterfirma eco Management & Service GmbH, 2004 umbenannt in DE-CIX Management GmbH, deren einziger Gesellschafter der eco e.V. war und ist.
Der Unterschied zwischen dem Münchner ECIX und dem Frankfurter DECIX war und ist demnach die im eco e.V. verankerte demokratische Grundstruktur - alle Marktteilnehmer können Mitglied werden und erhalten Sitz und Stimme - und die daraus resultierende Neutralität des Knotenbetreibers. Der seit 2001 in Köln ansässige Verein hat nach eigenen Angaben heute rd. 1.100 Mitglieder aus dem In- und Ausland.
Der Ort, den die drei Startups für den Betrieb ihres IXP gewählt hatten, war ein Postgebäude an der Galluswarte. Die Keimzelle des Frankfurter Internetknotens stand in der Mainzer Landstraße 237, bis Anfang der 90er Jahre eine Außenstelle des Hauptpostamts, von wo aus Eilbriefe und Telegramme ausgeliefert wurden. In den ehemaligen Diensträumen der Eilboten ging nach dem Münchener INXS der zweite kommerzielle IXP in Deutschland on-net.
Foto: Schmittchen
Mieter der Räume war die BB-Data GmbH, eine Tochter der Berliner Bank, deren Geschäftszweck der Aufbau von Rechenzentren war. Die Post hatte das Gebäude bereits geräumt und den Abriss beantragt, von daher war klar, es würde nur ein provisorisches Quartier sein. Nach vier Jahren zog der DE-CIX-1 Ende 1999 in den Gewerbepark an der Hanauer Landstraße, wo sich der eco e.V. in das von der Fa. Interxion betriebene Rechenzentrum einmietete.
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All das erklärt aber noch nicht, warum die Entwicklung in Frankfurt ab 1995 so viel dynamischer verlaufen ist als in München, das ja mit dem ECIX – salopp gesagt – die Nase vorn hatte.
Frankfurt war seit den 70er Jahren Standort zahlreicher großer Rechenzentren. Nicht nur die gesamte in- und ausländische Finanzwirtschaft, die in Frankfurt seit Gründung der Bi-Zone zahlreich vertreten war, hatte einen wachsenden Bedarf an Datenübertragung zur Verbindung ihrer Standorte in aller Welt, zu nennen sind auch die „Zentrale für Datenverarbeitung und Betriebswirtschaft“ der Deutschen Bundesbahn, die Deutsche Bundesbank, die Lufthansa, die FAG (heute Fraport), die Börse, der Deutsche Wetterdienst, die Bundesanstalt für Flugsicherung, die Hessische Zentrale für Datenverarbeitung mit ihrem kommunalen Gebietsrechenzentrum, und mittendrin die Deutsche Bundespost mit ihrem Fernmeldedienst, ab 1989 DBP Telekom, ab 1994 Deutsche Telekom AG (DTAG), die den erforderlichen Datentransfer ermöglichte. Das Fernmeldezentrum im Fernmeldehochhaus war seit den 50er Jahren der größte und wichtigste Knotenpunkt des Fernmeldedienstes der Post (der eine oder die andere erinnert sich vielleicht noch an die „Kabel Acht“, ein postinterner Begriff, der bis zur Wiedervereinigung für zwei Koaxialkabelringe im Norden und Süden der alten BRD gebraucht wurde, die in Frankfurt verknüpft waren – EoC, Ethernet over Coax), und die zentrale Schaltstelle für den Auslandsverkehr. Von daher prädestinierte die vorhandene Telekommunikationsinfrastruktur Frankfurt zweifellos auch als zentralen Standort für den Datenaustausch im Internetzeitalter. Was die Dynamik aber entscheidend beeinflusst haben dürfte, war der Ausbau der Glasfasernetze - und hierbei hatte Frankfurt die Nase vorn.
(wird fortgesetzt)