Auch deine nächste Prämisse, dass der Schlossplatz deswegen "alles andere als gemütlich oder repräsentativ" sei, weil er ein "verschatteter, beengter Platz mit Hinterhofcharakter" und "verkehrsreicher T-Kreuzung" sei, zweifle ich an. Denn der Platz bietet mit Schlossfassade, Neuem Marstall und Staatsratsgebäude durchaus Grundlagen für Repräsentativität, vielleicht sogar für Gemütlichkeit oder Nostalgie, kurz: für positive Emotionen. [...]
Deine Aussagen sind leider ganz überwiegend formalistisch und abstrakt. Eine schöne 150 Meter lange Fassade macht noch keinen schönen Platz. Die Gegend ist und bleibt unwirtlich, egal was man sich da auf einer formalen Ebene alles zurechtlegt. Schinkelplatz oder Rathausforum sind beispielsweise wesentlich schöner und gemütlicher als die Ecke, worüber wir reden.
Ich denke mir so etwas nicht einfach aus Jux und Dollerei aus. Ich war im Zuge unserer Diskussionen vor ca. zwei Wochen mal auf dem Rathausforum und dem Schloßplatz und habe mir die Szenerien genau angeguckt. Danach war ich noch fassungsloser, wie man allen Ernstes den Neptunbrunnen wieder neben das Schloß stellen wollen kann. Ich hatte ja zuvor schon deutlich Stellung bezogen, weil mir klarwar, daß das Unsinn ist. Nach genauerer Inspektion war mir das dann noch klarer. Theoretisch ist das Ganze nachvollziehbar. Praktisch stellt sich aber die Frage, was durch einen Schloßbrunnen wirklich besser sein soll als durch einen Neptunbrunnen.
Du kannst davon ausgehen, daß auch ich die schönen Fassaden vom Marstall und vom Schloß sehe. Das macht diesen Ort aber noch nicht zu einem Platz, wie wir viele schöne in Berlin haben. Bei einem echten Platzgefühl sind wir dort noch lange nicht. Deshalb schrieb ich auch von "Hinterhofcharakter". So etwas schreibe ich nicht, um sensible Gemüter in Krisen zu stürzen, sondern weil das ganz normale polemische Zuspitzungen sind, die auch andere verwenden.
Ich betone noch mal: Ich habe das vor zwei Wochen wirklich so empfunden. Der Schloßplatz ist weit davon entfernt, wirklich gemütlich zu sein. Ist auch nicht verwunderlich bei den Voraussetzungen. Man schaue sich mal "normale" Plätze an und studiere deren Merkmale. Ein dort aufgestellter Neptunbrunnen würde mir wie eine etwas surreale Verlegenheitsgeste vorkommen.
Und ich stelle noch ganz nüchtern fest: Die größten Schloßbrunnen-Apologeten hier im Forum kommen aus Münster, Stuttgart und Leipzsch.
Ich halte es nicht gerade für wahrscheinlich, daß Auswärtige die Situation hier in Berlin besser beurteilen können als Eingeborene. Und ich würde mich z.B. zur Situation in Leipzig oder Stuttgart bestimmt nicht derartig apodiktisch und ex cathedra äußern, wie das hier so manch einer in bezug auf Berlin tut. Der Neptunbrunnen würde am Schloß einfach kitschig aussehen, weil sich die Stadt seit 1900 weiterentwickelt hat. Wir haben dort jetzt ein Museum und keine preußischen Könige mehr.
Das Kernproblem der Preußenromantiker besteht meines Erachtens darin, daß ihnen das Rathausforum egal ist. Der Gewinn des Schloßbrunnens fällt geringer aus als der Verlust für das Rathausforum. Ich bin sogar der Meinung, daß etwas Neues, Originelles anstelle des alten Brunnens dem heutigen Schloßplatz viel besser täte.
Würde der Brunnen in einem Lager vergammeln oder wäre er im Krieg oder durch die SED zerstört worden, wäre auch ich für eine Wiederherstellung. Aber nun haben wir nun mal einen "Neptunbrunnen" - und genau das ist es, was Berlin so interessant und Berlin erst zu Berlin macht.