Finanzplatz Frankfurt

  • ^und trotzdem hast du dich sofort angesprochen gefühlt ;)


    Durch die sich abzeichnende Politik Trumps, den Finanzsektor in den USA regelrecht von der Kette zu lassen, dürfte durch den Brexit aber auch die Politik der Fed, die den Dollar stärkt, viel Finanzindustrie wieder über den Atlantik wandern und Europa ganz verlassen. Die Karten werden hier quasi täglich neu gemischt und alles scheint unsicher zu sein, was vor wenigen Jahren noch verlässlich zu sein schien.


    Die Welt versinkt zunehmend in Extremen und Autokraten und Nationalisten gewinnen überall an Boden. Auch in Frankreich, da scheint inzwischen sogar ein Sieg von Le Pen möglich - zumal nach Brexit und Trump auch in der westlichen Welt nichts mehr unmöglich zu sein scheint.


    Bis auf die Bundesrepublik. Selbst unsere kommende Bundestagswahl wird vergleichsweise langweilig. Eine moderate, fast sozialdemokratische Amtsinhabern Vs. einen moderaten, etwas sozialdemokratischeren Eurokraten. Einer von beiden wird es ja werden. Beide stehen für Kontinuität, mit unterschiedlichen Nuancen im Detail. Die AfD kommt vielleicht am Ende mit 10 % in den Bundestag und es wird alles etwas schriller, aber wir bleiben Welten von den Verhältnissen in der restlichen Welt entfernt, unsere Ränder bleiben an den Rändern und unsere Gesellschaft politisch stabil, so gerne Einzelne auch einen Umsturz herbeiquatschen würden.


    Deutschland ist inzwischen der einzige große Industriestaat der westlcihen Welt, der Haushaltsüberschüsse erwirtschaftet. Bundesanleihen werden wie Gold in den Tresor gelegt, als sichere Bank. Und den Influx der Migranten aus dem Asylwesen haben wir auch sehr gut weggesteckt, Trouble im Detail hier und da zum Trotze.


    Kurz: für den äußeren Betrachter muss sich die Bundesrepublik derzeit wie eine Insel der Stabilität und Berechenbarkeit darstellen. Und alleine das wird für D und in der Finanzbranche für FFM sprechen. Es kann so kommen wie es der eher vorsichtige Rilla einschätzt, es kann ganz anders kommen - der Punkt ist, wir wissen es nicht, niemand, auch nicht die Fachleute. Und genau das ist der Punkt, der für FFM spricht. Man muss nun auf Nummer sicher gehen und muss in einer ohnehin schon prekären Situation die Risiken minimieren. Und darin liegt eine sich selbsterfüllende Prophezeiung, von der FFM massiv profitieren könnte. Gerade die aktuelle Unsicherheit spielt FFM massiv in die Hände @ Rilla!


    Denn die Stabilität spricht für FFM wie sonst für keinen anderen Standort in der EU. Wir diskutieren hier größtenteils, als handele es sich um normale Zeiten, wo ein breiter Fächer von Standortfaktoren eine Rolle spielt. Aber wir leben in keinen normalen Zeiten mehr! Das ist nur noch nicht ganz in unsere verhätschelten, deutschen Hirne eingesunken. Trump, Brexit, Le Pen, Erdogan, Putin, fast überall in Osteuropa ein Rechtsruck, ein ebenso möglicher Rechtsruck in Italien und Spanien wenn man die aktuellen Umfragen dort betrachtet, die Niederlande, einst liberales Musterland, erleben eine Blüte der Rechtspopulisten,... das sind keine normalen Zeiten mehr. Wir wissen nicht einmal halbwegs sicher, ob es in 5 Jahren noch Euro oder EU gibt, wenn wir wirklich ehrlich sind. Es muss zB nur Le Pen gewinnen und die Franzosen in einem Referendum für einen Exit stimmen, ohne Frankreich sind EU und Euro sinn- und wertlos und am Ende. Das muss man inzwischen für möglich halten. Das ist unser politisches "new normal". Und da wirkt FFM nicht mehr bieder, provinziell, langweilig. Sondern stabil, solide, berechenbar, seriös. Ein Zufluchtsort.

  • Deutschland ist derzeit sicher der stabilste Anker in der ganzen EU. Angesichts der erstarkenden, nationalistischen Strömungen in vielen europäischen Staaten (auch linksnationalistischen) und einem nicht gänzlich auszuschließenden Nexit und / oder Frexit, könnte es aber auch ganz anders kommen. Ohne die EU ist Europa als ganzes als Finanz- und Wirtschaftsstandort bei weiten nicht mehr so attraktiv. Ohne den Euro sinkt der Finanzplatz Frankfurt auf Regionalniveau. Ohne ungehinderten Waren- und Personenverkehr wird die Verkehrsdrehscheibe Frankfurt viel uninteressanter.

  • Von FOG zu FROG oder doch besser zu FRA?

    Gut, das wäre das Horrorszenario.
    Jedoch wäre ein Wahlsieg von Wilders in NL und Le Pen in F nicht automatisch gleichzusetzen mit einem Auszug aus der EU. Das würde dann noch einmal gesondert abgestimmt werden.
    Zudem ist Europa als großer Handelsplatz und Freizone nicht identisch mit dem Euro.
    Wenn allerdings noch jemand rausfiele, dann würde das - und da gebe ich Dir Recht - die Bedeutung von Europa deutlich schmälern.


    Die Stellung von Deutschland wird dennoch unabhängig und ebenso abhängig von Europa bewertet. Selbst wenn die EU an Bedeutung verlöre, Deutschland ginge es immer noch besser, als den anderen. Auch wenn D von der EU ordentlich profitiert.


    Wenn Banken jetzt also nach einem neuen EU-Standort suchen, dann sprechen die politischen Tendenzen in NL und F eher gegen eine Ansiedlung dort.
    Auch wenn Paris jetzt hippe Werbung schaltet, von London (FOG) nach Paris (FROG) zu wechseln und die deutsche Regierung sich so garnicht umtut, dann ist Paris nicht automatisch der Ort, wo alle hinwollen.

  • Europäische Finanzmarktvereinigung öffnet Büro in Frankfurt

    Ein weiteres Signal für die wachsende Bedeutung Frankfurts kommt von der Europäischen Finanzmarktvereinigung AFME. Die städtische Pressemitteilung von heute Nachmittag:


    Infolge des Brexit-Referendums und der Unsicherheit über die zukünftige Stellung Londons als Finanzstandort hatte die europäische Finanzmarktvereinigung Association for Financial Markets in Europe (AFME) im Sommer 2016 Interesse an einer möglichen Büroeröffnung in Frankfurt geäußert. Erste direkte Kontakte mit dem Land Hessen und Stadt Frankfurt gab es bei der Brexit-Delegationsreise von Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir mit Wirtschaftsdezernent Markus Frank und dem Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung, Oliver Schwebel, nach London im August 2016. Im September 2016 besichtigte die Wirtschaftsförderung Frankfurt gemeinsam mit der FRM GmbH und der AFME mehrere Büros in Frankfurt, darunter auch die Skyper-Villa an der Taunusanlage. Dabei wurde auch das Präsenzkonzept von AFME erörtert.


    Am 1. Februar hat die AFME nun ihr Büro in Frankfurt eröffnet. Damit ist die Präsenz des Dachverbandes für Finanzmärkte in Europa am Finanzplatz Frankfurt gestärkt, der neben dem Hauptsitz in London zuvor nur in Brüssel ein Büro hatte. Die Ansiedlung der Lobbygruppe AFME ist naheliegend, da sich die Position Frankfurts als Regulierungs-Hub mit Einführung der Bankenunion im Jahr 2014 deutlich stärkte. Außerdem pflegt AFME enge Beziehungen zu EZB und Bankenaufsicht SSM.


    AFME wurde im November 2009 durch die Fusion der London Investment Banking Association (LIBA) mit der European arm of the Securities Industries and Financial Markets Association (SIFMA) gegründet. Hauptgeschäftsführer der AFME ist Simon Lewis. Der Aufsichtsrat besteht aus 22 führenden Vertretern aus den größten global tätigen Finanzinstitutionen. AFME sieht sich als Brücke zwischen Finanzmärkten, Politikern, Regulatoren und der Öffentlichkeit. Die Mitgliederanzahl liegt bei über 200 Unternehmen und setzt sich zusammen aus Vollmitgliedern und assoziierte Mitgliedern.

  • Interessant ist auch, was sich andernorts tut. Lloyds, nach der Bilanzsumme fast doppelt so groß wie die Commerzbank, möchte Berlin zur neuen Europazentrale ausbauen (http://www.tagesspiegel.de/wir…nach-berlin/19428924.html). Die Logik, sich im größten Einzelmarkt Europas anzusiedeln, mit dem solventesten Staat Europas, um von dort als "Homebase" den Koninent zu bedienen, diese Logik trägt ja nicht nur für FFM.


    Wenn insgesamt ein Sog nach Deutschland entsteht, dann wird das den Finanzplatz Frankfurt, als Finanzzentrum Deutschlands, in jedem Fall in der Bedeutung stärken. Selbst für zB Lloys in Berlin wird ja FFM der wichtigste Zugang zu den internationalen Finanzmärkten sein, über sekundäre Transaktionsabwicklung, damit verbundene Dienstleistungen, das Clearing. Darum ist ja auch die Frage des Sitzes der Deutschen Börse mittelbar so wichtig. Ein Wegzug des Sitzes nach London, mit der britischen Regulierung in der Tür, könnte viele sekundäre Effekte haben, die zu Gunsten von London ausfallen, aber zu Lasten von FFM.


    Durch den "harten Brexit", der nun sicher ist, scheinen nun aber die Gegner einer Börsenfusion, mit neuem Sitz London, Oberwasser zu bekommen:


    http://www.handelsblatt.com/un…gen-tories-/19421916.html

  • Ich glaube ja noch nicht daran, dass die City tatsächlich ihren Zugang verliert. Laut einer Studie im Auftrag der EU könnte das gravierende Folgen für den Finanzplatz Europa insgesamt haben, da London ein sich über Jahrzehnte etabliertes internationales Ökosystem für Finanzdienstleistungen ist, an dem alle möglichen Dienstleistungsunternehmen hängen. Das kann man nicht mal eben auf andere Städte verteilen, ohne seine Funktionsfähigkeit einzuschränken. Es wird also irgendeinen Deal geben, der London als Europas Finanzzentrum erhält, was allerdings schnell geschehen müsste, da Unternehmen sonst anfangen müssten, Stellen zu verlagern.

  • Kannst du platt gesagt vergessen.
    Der Zugang ist auch jetzt kein Deal sondern lediglich eine logische Konsequenz dessen, dass Europarecht nationales Recht im Zweifel verdrängt. Für alle gelten die selben Regeln, überwacht durch den selben EuGH und die Kommission. Genau dem will sich UK entziehen.
    So wie gilt, dass man nicht ein bisschen schwanger sein kann, kann man auch nicht ein bisschen Subjekt des Europarechts bleiben. Ganz oder gar nicht.


    Dass das große Folgen hat, wenn man solche Verbindungen trennt, hätten sich alle vorher überlegen müssen. Der Kontinent hat ja auch vorwiegend trotzig und arrogant reagiert und die Briten fast angefeuert für den Brexit zu stimmen.


    Auch gut möglich, dass dies der Anfang vom Ende der EU ist, denn machen wir uns nichts vor, auch Litauen ist nicht beigetreten, um mit Rumänien oder Luxemburg einen Binnenmarkt zu teilen, sondern mit den big three, Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Die zweitgrößte Volkswirtschaft Europas verlässt die EU. Das wird.brutale Konsequenzen haben.


    Die Frage ist halt, ob Frankfurt daraus Kapital schlagen kann. Und man kann inzwischen doch sagen, angesichts der ersten Meldungen, dass Frankfurt einen Boom durch den Brexit erleben dürfte. Es geht am Ende wohl auch nur um fünfstellige Zahl von Arbeitsplätzen, aber Frankfurt hat auch nur eine sechsstellige Einwohnerzahl. Schon ein Stück des Londoner Kuchens würde den in Frankfurt ansässigen Finanzsektor verdoppeln.


  • Dass das große Folgen hat, wenn man solche Verbindungen trennt, hätten sich alle vorher überlegen müssen. Der Kontinent hat ja auch vorwiegend trotzig und arrogant reagiert und die Briten fast angefeuert für den Brexit zu stimmen.


    Europa ist den Briten noch mehr entgegen gekommen als vorher ohnehin schon. Dazu gab es sehr eindringliche Bitten, fast flehentlich, gegen den Brexit zu stimmen. Keine Ahnung, wie du auf so einen Käse kommst.


    Auch gut möglich, dass dies der Anfang vom Ende der EU ist, denn machen wir uns nichts vor, auch Litauen ist nicht beigetreten, um mit Rumänien oder Luxemburg einen Binnenmarkt zu teilen, sondern mit den big three, Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Die zweitgrößte Volkswirtschaft Europas verlässt die EU. Das wird.brutale Konsequenzen haben.


    Das ist auch Käse. Kannst ja mal nachgucken, wieviel Anteil am litauichen Export die Ausfuhren nach GB haben. Und dann, welchen Anteil der litauische Export an deren BIP hat.


    Du wirst feststellen, dass das alles halb so wild ist. Selbst wenn der Handel zwischen GB und EU komplett zusammenbrechen würde, hätte das sehr überschaubare Auswirkungen - und natürlich wird das nicht passieren, der Handel wird sich allenfalls reduzieren.

  • Ach ja? Wo ist man den Briten denn bitte entgegen gekommen bei den besonders wichtigen Themen (und wo die Erfüllung der britischen Forderungen eigentlich im Interesse aller gewesen wäre) Bürokratieabbau, Beendigung der immer weiteren kopflosen Expansion und Integration zugunsten kleinerer überlegterer Schritte, Bremsen der unheilvollen zügigen Entwicklung hin zu einer Haftungs- und Transferunion, und Verhinderung von Armutsmigration in die Sozialsysteme (wovon gerade auch wir in Deutschland ein Lied singen können) unter dem Deckmantel der Arbeitnehmerfreizügigkeit, die von der EU grundlos mit der Teilnahme am Binnenmarkt verknüpft wurde (die bei sonst keinen Freihandelsabkommen gilt)?


    Da hat Pumpernickel schon recht mit der Feststellung dass die EU (wenn auch ungewollt) kräftig selbst mit dafür gesorgt hat dass es das Referendum mit dem entsprechenden Ergebnis gab.
    Jetzt ist natürlich Schadensbegrenzung angesagt, aber harte Schritte wird es geben müssen. Bleibt zu hoffen dass zumindest für Frankfurt die Vorteile überwiegen. Wobei unsere Regierung bei den Frankfurt besonders betreffenden Themen (zB Börsenfusion, Passporting) nicht gerade den Eindruck erweckt sich großartig um Deutsche Interessen zu scheren...

  • ^Damit ignorierst Du aber vollkommen, dass die Briten einer der Treiber hinter der großen Osterweiterung 2004 waren. Insbesondere hat GB - anders als z.B. Deutschland - bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit keinen Gebrauch von den Übergangsfristen gemacht.


    In Bezug auf die Zugeständnisse muss ich den Briten-Rabatt jetzt hoffentlich nicht extra erwähnen. Außerdem verweise ich auf die ausgehandelten Zugeständnisse für Cameron beim EU-Gipfel Anfang 2016, siehe z.B. hier http://www.faz.net/agenturmeld…uer-cameron-14081008.html


    Und wenn ich in Bezug auf die EU von Bürokratiemonster und Bürokratieabbau höre krieg ich die Krätze. Nenn doch mal ein Beispiel welche Bürokratie abgebaut werden soll, bzw. warum diese auf EU-Ebene so viel schlimmer ist als auf nationaler Ebene.

  • Da bleibt mir nichts mehr hinzuzufügen, jnhmsbn bringt das gut auf den Punkt.


    Insbesondere seinen Unmut über das ständige zuviel-Bürokratie- und mehr-Subsidiarität-Gerede teile ich. Es bedeutet nichts. Großbritannien ist ein Prachtbeispiel für das, was in der EU schief läuft: Nationale Regierungen bauen Mist und jammern dann zur Ablenkung über "die EU".

  • Europa ist den Briten noch mehr entgegen gekommen als vorher ohnehin schon. Dazu gab es sehr eindringliche Bitten, fast flehentlich, gegen den Brexit zu stimmen.


    Sorry, aber das erinnert mich fast schon an sozialistische Dialektik.


    Muss ich dir jetzt wirklich vorgooglen, ist ja alles noch online, wie die ganzen Leitartikel und Kommentarspalten im Tenor sinngemäß sagten "Geht halt, wenn es euch nicht passt" und sich nicht wenige Kommentatoren dazu verstiegen zu fabulieren, dass ein Brexit ein Befreiungsschlag für die EU wäre, weil jetzt die Bremser und Nörgler und Spielverderber endlich weg wären und dann könnte man so richtig loslegen? Und wieviele führende Politiker hatten sich ähnlich geäußert, auch alles in Interviews und Zitaten leicht recherchierbar.


    Zu behaupten, dass Kontinentaleuropa die Briten hofiert hat, nur weil es auf offizieller Ebene weitere Zugeständnisse gab - während eben trotzdem die Öffentlichkeit Kontinentaleuropas der Insel den Mittelfinger gezeigt hat - ist eine echte Verdrehung der damaligen Umstände im Vorfeld der Abstimmung.


    In Bezug auf die Zugeständnisse muss ich den Briten-Rabatt jetzt hoffentlich nicht extra erwähnen. Außerdem verweise ... (Mod: Zitat gekürzt. Für den gesamten Text das blaue Quadrat anklicken.)


    Ein ewiges Mißverständnis.


    Wenn man sich mal tatsächlich mit Briten unterhält, nicht nur über sie, dann ergibt sich zumindest bei mir aus zahlreichen Gesprächen vor und nach dem Brexit folgendes Bild:


    den Briten ging es nie wirklich um Rabatte oder dergleichen. Dem Wähler, dem Bürger in UK, dem ging es darum, dass die alten Versprechen der EG endlich umgesetzt werden. Das Versprechen war nämlich einst, ein Europa der Regionen zu schaffen. Noch heute ist „In varietate concordia“ das Motto der EU, also in Vielfalt geeint. Tatsächlich macht die EU aber seit Lissabon alles, um eine Art supranationalen Zentralstaat zu formen.


    Das lässt sich auch nicht einfach als "Populismus" abtun. So ist objektiv nachvollziehbar, dass die Europagesetzgebung extrem umgeschwenkt ist. Früher dominierten sog. Richtlinien, diese stellten Mindesstandards sicher, ließen den Mitgliedern und deren Regionen, wie zB den Bundesländern, eigene Spielräume. Ganz im Sinne der Subsidiarität. Die Pflicht zur Vollharmonisierung war die große Ausnahme.


    Seit dem neuen EU Vertrag von Lissabon, der auch die EU Institutionen massiv gegenüber den Mitgliedsstaaten gestärkt hat, hat sich das quasi genua umgekehrt. Inzwischen sind Richtlinien, die nur Mindeststandards setzen, die Ausnahme geworden und die Pflicht zur Vollharmonisierung die Regel. Die EU geriert sich zunehmend als eine Art "Bundesrepublik Europa", ist aber nur ein Vertragsbündnis.


    Auch Stichworte wie der europäische Gerichtshof, der zunehmend die Grenzen der Europaverträge überschreitet und sich ständig selbst neue Zuständigkeiten zuspricht, sind Bedenken, die ich oft gehört habe. Das lässt sich alles sachlich nachvollziehen.


    Wir haben in der EU etwas, was mich an die Kommunistenhatz in den USA erinnert. Kritik an der Institution EU wird als "antieuropäisch" vom Tisch gewischt, ähnlich, wie in den Nachkriegsjahrzehnten jegliche, berechtigte, Kritik am kapitalistischen System der USA als "unamerikanisch" abgetan wurde (teilweise sogar aktiv verfolgt wurde, siehe McCarthy). Nach dem Motto "wer nicht für uns ist, der ist gegen uns". Eine schreckliche Polarisierung, auf die abgeklärte Demokraten, mit langer demokratischer Kultur und Bürgersinn, wie die Briten, nun einmal mit Fug und Recht mit Kopfschütteln reagierten.


    Mag schon sein, dass nicht jeder Nationalistenschreihals, der für den Brexit gestimmt hat, solche Erwägungen angestellt hat. Zeig mir ein polarisierendes Referendum wo Populismus und Bauchgefühl keine Rolle spielt (in beiden Lagern), aber ein gerüttelt Maß der britischen Bildungsbürger hatten sehr elaborierte und nachvollziehbare Motive für den Brexit zu stimmen. Es ist ja mitnichten so, wie man inzwischen weiss, dass die Brexitbefürworter allesamt "zornige, weiße Männer" waren, das moderne Feindbild, sondern das ging quer durch die Gesellschaft. Nur mit "zornigen, weißen Männern" hätte es keine Mehrheit für den Brexit gegeben.


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    Mod: Bitte zurück zum Thema "... und die Folgen für Frankfurt". Danke

    Einmal editiert, zuletzt von Pumpernickel ()

  • Britenrabatt wird hierzulande ja auch gern völlig falsch verstanden. Mal abgesehen davon, dass er viel zu alt ist, um im besprochenen Kontext als Zugeständnis gewertet zu werden, fing alles damit an, dass es mit einem Entgegenkommen gegenüber den Franzosen angefangen hat, weswegen die alten EU-Haushalte (teilweise auch heute noch) zu großen Teilen aus wenig sinnvollen Agrar-Subventionen (vor allem zugunsten französischer Bauern) bestanden. War klar dass sich die Briten an so einem Unfug nicht beteiligen wollen (hätten wir mal besser auch nicht machen sollen), daher dann der Briten-Rabatt.


    Zurück zum Thema: neben den Asiaten scheinen es nach bisherigem Stand vor allem UBS, JP Morgan, Morgan Stanley, Goldman, Citi und Rückverlagerungen der Deutschen Bank zu sein von denen man sich am ehesten Hoffnungen auf zusätzliche Arbeitsplätze in Ffm machen kann.

  • Wie es aussieht, hat sich hinter den Kulissen schon viel in Richtung Frankfurt bewegt. Schäuble scheint sich mit seinem Vorschlag einer Fusion von Versicherungs- und Bankenaufsicht auf Frankfurter Boden zunehmende Unterstützung zu sichern. Neben der EZB wäre das ein weiteres dickes Pfund (pun intended) für den Standort. Hinter vorgehaltener Hand wird nun auch über immer mehr internationale Großbanken mit Umzugsplänen an den Main gesprochen. Die Mainmetropole wird sicherlich nicht der einzige aber mutmaßlich wohl der größte Profiteur des brexitbedingten Bankerumzugs.
    Handelsblatt zur Bankenaufsicht (leider ist nur die Einleitung kostenfrei lesbar)
    Die Welt zu Umzugsplänen der Banken
    FAZ zu Umzugsplänen der Banken

  • Ich bin da vorerst skeptisch. Erst mal gibt es noch keine wirklichen Entscheidungen für eine Sitzverlegung. Außerdem ist es vor allem eine Frage von Arbeitsorganisation und aufsichtsrechtlichem Rahmen. Vorstellbar wäre auch, dass die Banken ihre Frankfurter Niederlassungen nur minimal aufstocken, um den weiter bestehenden operativen Zentralen in London zuzuarbeiten.


  • Ein wichtiger Artikel. Wundert mich, dass das hier nicht diskutiert wird.


    Frankfurt ist in der Pole Position, 3 von 5 US-Großbanken haben sich für Frankfurt entschieden + diverse Asiatische Banken. Zitat, FAZ: „Die Deutschen sind so weit vorne, dass die Franzosen regelrecht staunen.“ Goldman Sachs macht wohl den Anfang und wird einige hundert Stellen nach Frankfurt umsiedeln, final könnten es 1.000 Goldman Sachs-Stellen werden.


    MMn sind die Hauptgründe natürlich die Infrastuktur (Int. Airport quasi um die Ecke zB), Kostenstrukturen, Lebensqualität, und das profesionelle Umfeld sowie EZB und Bankenaufsicht (angeblich sollen die Franzosen weniger Professionell als die Deutschen aufgetreten sein), ABER man darf nicht den aktuellen Boom in Frankfurt unterschätzen...die neuen Glitzertürme inkl. den Wohntürmen haben sicherlich einen Impact. Wenn Frankfurt nicht bereits so viele konkrete Pläne für große Projekte hätte, dann würde man sich in London und New York vermutlich mehr Sorgen machen, ob man Talent auch langfristig in Frankfurt halten könnte. Trotzdem, glaube ich, dass wir ca. 1-2 Jahre hinterhinken was Projekte wie Grand Tower, Omniturm, Marienturm, DB Dreieck, Terminal 3 usw betrifft - aber immerhin sind diese Projekte fast alle schon u/c und man sendet das Signal nach London bzw New York, dass Frankfurt nicht nur heiße Luft und man auch ohne Brexit eine Boomtown ist.

    Einmal editiert, zuletzt von Eagle1 () aus folgendem Grund: typos

  • ^man kann es auch noch anders betrachten. In Deutschland wird vermutlich weniger spekulativ gebaut als irgendwo sonst auf der Welt. Wir sind halt ein Land von konservativen Bedenkenträgern. Da aber die genannten Projekte schon in der Pipeline waren lange bevor klar wurde, ob und was da wirklich aus London nach FFM kommen könnte, dann müssen die ja derartig abgeschätzt sein, dass der Markt sie auch im "worst case" noch aufnehmen kann, aus Sicht von FFM also eine Fortführung des Passporting für London und alles bleibt in der Finanzwelt wie es ist (=worst case in dieser Hinsicht).


    D. h. die "zusätzliche" Nachfrage dürfte auch zu zusätzlichem Angebot führen, deutlich über das hinaus was derzeit konkret in Mache ist. Mir ist z. B. aufgefallen, dass der Fraspa Turm auffallend häufig in aktuellen Visualisierungen auftaucht. Evtl. weiss man da in der Immobilienbranche schon mehr, als die Öffentlichkeit. Auch der alte Milleniumtower-Standort könnte noch eine Auferstehung erleben, wenn auch sicherlich nicht mehr mit dem alten Entwurf. Wenn wir über Goldman Sachs reden, dann reden wir ja sozusagen über den Hochadel des Kapitalismus. Das ist das, was man im Englischen einen "game-changer" nennt.


    PS: hinter einer Paywall titelt die FAZ außerdem "Amerikanische Banken streben nach Frankfurt" (http://plus.faz.net/evr-editio…7-03-25/43834/333499.html), kann ja vielleicht jemand von euch der ein entsprechendes Abo hat sichten und inhaltlich in Stichpunkten zusammenfassen.

  • ^in Stichworten:


    - Die Nachfragen nach Immobilien werden konkreter. Insbesondere ist das Interesse an größeren zusammenhängenden Flächen in den letzten Tagen gestiegen.


    - Jürgen Fenk(Immobielen-Vorstand der Helaba): "Es handelt sich im wesentlichen um amerikanische Investment-Banken" Bei einigen Instituten gehe es um erhebliche Zahlen.


    - Ähnliches von JLL, Savills und CBRE: Sehr ernsthaften Interesse, bisher aber kein Abschluss.


    - Jan Linsin (CBRE): Frankfurt vor Dublin, vor Amsterdam und klar vor Paris.


    - Laut einer eigenen Umfrage der Financial Times bei 30 Finanzmanagern liegt Frankfurt in Führung.


    - John MacFarlane (Barclays und oberster banken-Lobbyist der City): Sitz der EZB ist Standortvorteil


    - Hubertus Väth (Frankfurt Main Finance): Drei der fünf großen amerikanischen Häuser hat sich für Frankfurt entschieden oder steht kurz davor. Zusätzlich hätten eine Schweizer, eine japanischen, eine koreanische, eine indische und eine chinesischen Bank größere Pläne für Frankfurt. Bis Jahresende 1.000 Stellen in 5 Jahren 10.000.


    - 2 Jahre bis zum Brexit sind nicht viel Zeit, von daher müssen die Pläne demnächst festgezurrt werden.


    - Frankfurt Favorit bei Goldman-Sachs. Allerdings werden wohl auch andere europäische Standorte gestärkt.


    Anschließend noch ein paar Bemerkungen zu den bekannten Größenverhältnissen, zum Immobilienmarkt (300.000 qm zusätzlich bis 2021) und die Bemerkung, dass London auch weiterhin ein wichtiger Standort bleibt.