Potsdam: Wiederherstellung historische Mitte - Bauthread

  • @ Pumpernickel: Der Bauherr ist in Potsdam bei den Ausschreibungen immer die Stadt. Und wenn diese - neben drei Fassadenrekos - ausdrücklich angepaßtes historisches Bauen verbietet ist es natürlich Schuld der Stadt selbst. Dass dann solche Entwürfe wie der Spar-Einsiedler kommen ist klar.


    @ Architektator Ich war selbst mehrfach Zeuge dieser Vorfälle. Fans der "Anderen" bedrängen fortwährend Mitarbeiter der Stadt, die informieren wollen. Menschen, die aus der Infobox werden angehalten und ihnen die "andere Sichtweise" aufgedrängt. Das ist alles sehr aggressiv und ausgesprochen unversöhnlich. Ebenso häufen sich Berichte über Drückerkolonnen, die Unterschriften sammeln. Auch da wird mit Anwürfen nicht gespart, wenn man nicht unterschreiben will.


    Stets wird die gleiche Legende gesponnen hier werde "eine gesamte geschichtliche Phase der Stadt ausgelöscht, die Nachkriegsmoderne“. Tatsächlich ist das natürlich ausgemachter Unsinn - die Skyline Potsdams würde auch nach einem Abbruch der FH immer als DDR-Bezirkshauptstadt zu identifizieren sein. Den Anderen geht es um die Machtfrage wer in dieser Stadt bestimmt - um nichts anderes.

  • Leider hat Konstantin bisher noch keinen Beleg für die Behauptung geliefert, dass "Drückerkolonnen" für das Bürgerbegehren unterwegs wären.
    Wenn es solche Drückerkolonnen geben würde, die auch noch Leute bedrängen würden, dann würde das sicher breit in der Presse diskutiert werden. Ich habe nur Stände zum Unterschriftensammeln gesehen, und da wurde niemand bedrängt.


    Immerhin zeigen die aggressiven Reaktionen auf das Bürgerbegehren, dass die Kahlschlagsanierer Angst vor dem Begehren haben. Und die Debatten zum "Mercure" zeigen auch, dass die Nerven blank liegen.

  • Bester Klarenbach: ich war dabei - live und in Farbe. Das war wie bei der Unterschriftensammlung gegen die "Nazikirche", wo die Aktivisten eine ältere Dame, die für die Garnisonkirche war in der Brandenburgischen Straße mit den Worten bedrohte: "Wenn Sie nicht unterschreiben fotografier' ich Sie und stelle sie als Nazi ins Internet". Auch das - unter Zeugen - live erlebt.


    So richtig fehlt mir die Logik bei der Klarenbach-Argumentation: Die Aggressivität der Mercure- und FH-Erhalter zeigt, dass die große Mehrheit der SVV Angst vor dem Bürgerbegehren hat? Also ich versteh's nicht.


    Ist ja aber auch egal. Wir werden die Reaktion der Stadt auf die Abgabe der Unterschriften in ein, zwei Monaten sicher alle erleben. Die Frage wird nicht zulässig sein und alle werden "Schiebung" brüllen. Der OB wird sagen: Na, hättet Ihr mal die Frage vorher von uns prüfen lassen, aber Ihr ward ja neunmalklug. Und dann sind Sommerferien.

  • Ich finde Klarenbachs Begriff "Kahlschlagsanierer" auch mal wieder erheiternd !


    Das Abtragen vieler aufbaufähiger Ruinen und teilzerstörter Häuser in diesem Bereich bis in die 60er Jahre hinein, das Überbauen des Stadtgrundrisses - insbesondere des Stadtschlosses - in der Folge mit die Stadthistorie leugnenden Plattenbauten und dem FH-Gebäude, das zuschütten des Stadtkanals - als was wüde man dann wohl das bezeichnen ?


    Zumal jetzt ja der Wohnraum der zumindest zum Teil durch die Abrisse verschwunden "wurde" jetzt wieder entstehen soll ?


    Ich kann mir das Schmunzeln bei dieser Art Beiträgen einfach nicht verkneifen . . . siehe "bunkerartige Architektur" in bezug auf Rekos an der alten Fahrt . .*gg*

  • Ich bin ja auch ab und zu in Potsdam und schaue mir dann jedes Mal auch u. a. die "historische Mitte" an. Von Ständen zum Unterschriftensammeln oder gar "Drückerkolonnen" habe ich bisher aber nie etwas mitbekommen. Und solche Vorkommnisse, wie sie Konstantin und Architektator behaupten, kann ich mir eigentlich nicht vorstellen. Wenn die stimmen sollte, wäre das natürlich ein starkes Stück!


    Aber da die beiden ja ebenso eine bestimmte und einseitige Meinung haben wie Klarenbach eine andere, vermute ich mal, dass sie die Dinge jeweils aus ihrer ihnen eigenen Sicht unterschiedlich wahrnehmen. So wie die schöne "Mann beißt Hund" - Schlagzeilengeschichte. ;)


    Ich muss eigentlich immer wieder "schmunzeln" oder finde es "erheiternd", wenn ich dieses ewige Pingpong-Spiel hier lese, das schon seit ewigen Zeiten läuft und wohl ewig weiterlaufen wird: Klarenbach berichtet aus seiner Sicht und die üblichen anderen springen immer wieder drauf an. Wobei Klarenbach stets sachlich und ohne Schläge unter die Gürtellinie schreibt. Was für die anderen leider nicht immer gilt. :)


    Ich persönlich kann viele Argumente sowohl der Reko-Befürworter als auch der Gegner nachvollziehen. In vielen Fällen halte ich die bisherigen Rekos, auch wenn nicht alles optimal umgesetzt wurde (beim neuen Landtag sind z. B. der Hof und die Innengestaltung potthässlich), für vertretbar oder sogar die bessere Variante. Das Mercure-Hotel aber kann wegen mir gern erhalten bleiben, ebenso z. B. die Wohnhäuser aus DDR Zeit nordöstöstlich des Landstages. Auch diese gehören zur Historie der Stadt!


    Der Wiederaufbau der Garnisonkirche bzw. des Turmes ist mir relativ egal. Wenn er ohne öffentliche Gelder machbar ist, meinetwegen, aber besonders wichtig ist dieser aus meiner Sicht nicht.

  • Klarenbach macht das auch recht klug. Er Postet ab und zu mal das üblich Provokante (Bunkerarchitektur, Kahlschlagsanierung). Dann taucht er par Tage ab nur um sich die dusseligste Reaktion auf seinen Beitrag herauszusuchen und anhand dessen allen seinen Kritikern unlautere Methoden wie persönl. Beleidigungen und oder Ähnliches zu unterstellen. Eine wirkliche Diskussion ist so gar nicht möglich, wenn auf sachliche Gegenmeinungen überhaupt nicht eingegangen wird.
    Die Wiederherstellung eines Stadtraumes als "Kahlschlagsanierung" oder die Rekonstruktionen an der alten Fahrt als "Bunker" zu bezeichnen, gleichzeitig aber energisch für den Erhalt jedes sozialistischen Reliktes im Zentrum zu kämpfen und wenn es auch noch so sehr städtischen Interessen widerspricht, ist geradezu absurd und lächerlich.

  • Von Ständen zum Unterschriftensammeln oder gar "Drückerkolonnen" habe ich bisher aber nie etwas mitbekommen.


    Konstantin schreibt ja sogar, dass seine schlechte Erfahrung sich auf Unterschriften gegen die Garnisonkirche bezieht - also auf eine ganz andere Sammlung, die meines Wissens Jahre zurückliegt. Aber es ist natürlich praktisch: Sollte das Bürgerbegehren erfolgreich sein, wird man hier lesen können, die Unterstützer hätten gar nicht ihre wahre Meinung zum Ausdruck gebracht (die natürlich pro Reko sei), sondern wären entweder von autonomen Schlägertrupps zur Unterschrift geprügelt worden oder Opfer einer Agitprop-Kampagne nach SED-Manier.


    Inhaltlich, ich wiederhole mich, bin ich für den Abriss der FH und die Wiederherstellung des Stadtgrundrisses. Aber dass hier ständig allen Gegnern des Abrisses finstere Motive, verbrecherische Methoden und ideologische Verblendung unterstellt wird, macht eine sachliche Debatte in diesem Strang unmöglich.

    Einmal editiert, zuletzt von Architektenkind () aus folgendem Grund: Grammatikfehler beseitigt.

  • Der Vorwurf, hier würde eine ganze Geschichtsepocke der Arcitektur aus dem Stadtbild getilgt ist bösartig, demagogisch und unwahr. Hier einmal der Fotovergleich der Innenstadt 1927 und 1991. Selbst wenn der ganze Alte Markt historisch rekonstruiert würde wäre das Wirken der Staatssozialisten nicht zu übersehen.




    (C) akg-imes

    Einmal editiert, zuletzt von Konstantin ()

  • Auch die in diesem Zusammenhang immer bemühte Bezeichnung "Kahlschlagsanierer" macht für mich eigentlich all die von Konstantin beschriebenen aggressiven Vorgehensweisen der Gegner glaubhafter.
    Verzweifelter (oder besser verbohrter?) kann man ja wohl kaum noch sein.


    Nicht daß ich mit der Bezeichnung ansich ein Problem hätte, sondern mit dem Mißbrauch selbigem um geschichtliche Tatsachen ins Gegenteil zu verdrehen.
    Schließlich war es die Nachkriegsgeneration (in Ost und West) die flächendeckend noch bestehende Altstadtquartiere beseitigte um dann eine sog. lockere Bebauung und überdimensionierte Verkehrsschneisen zu errichten oder im schlimmsten Fall Parkplätze und Brachen zu hinterlassen.
    Hier würde die Bezeichnung "Kahlschlag-sanierer" wohl eher passen.


    Aber vielmehr wird der Mißbrauch dieser Bezeichnung hier immer wieder dazu benutzt um die durchaus ausgewogene Neubebauung (auch mit den an jeder anderen Stelle immer geforderten Wohnungen zu sozialen Mieten) absichtlich zu unterwandern (dies sehe ich als Tatsache an), von der Möglichkeit der Stadtreparatur mal ganz zu schweigen (das wiederum liegt im Auge des Betrachters).


    Wenn man sich die schönen Beispiele von Pumpernickel über Augsburg betrachtet und sich dann versucht vorzustellen was bei ähnlich parzellierter Bebauung (und hoffentlich der Situation angepaßter Architektur) entstehen könnte/wird und noch zum Teil zu verträglichen Mieten, dann wird hier die Bezeichnung "Kahlschlagsanierer" sicher mehr als absurd.



    Gruß, Jockel

  • ^^ Herrje Konstatin, für die meisten Städte in "Westdeutschland" kann man ähnliche oder viel schlimmere Vergleichsfotos zeigen, und dort waren es ja wohl kaum die "Staatssozialisten". Oder nehmen wir diverse großflächige Gebiete der (West)Berliner Innenstadt, wo das heutige Stadtbild überhaupt nichts mehr mit dem Vorkriegszustand zu tun hat. Wie z. B. die Gegend um die Urania, das Kottbusser Tor, die südliche Friedrichstraße/Hallesches Tor, Ernst-Reuter-Platz usw. usw.


    Potsdam hat vergleichsweise viele intakte Bereiche, die nur saniert, nicht aber wiederaufgebaut werden mussten. Die zu DDR-Zeiten anders/neu aufgebauten Bereiche beschränken sich auf einen Teil der Innenstadt, der im Krieg sehr stark bis komplett zerbombt worden ist.

  • Der Vorwurf, hier würde eine ganze Geschichtsepocke der Arcitektur aus dem Stadtbild getilgt ist bösartig, demagogisch und unwahr.


    Genau das meine ich: Man könnte auch schreiben, der Vorwurf sei "falsch", sei "unbegründet" oder "stimme nicht". Aber unter "bösartig" und "demagogisch" machen es hier einige nicht mehr.

  • ^^ Herrje Konstatin, für die meisten Städte in "Westdeutschland" kann man ähnliche oder viel schlimmere Vergleichsfotos zeigen, und dort waren es ja wohl kaum die "Staatssozialisten". [...]


    Es geht hier doch nicht um eine Wertung, sondern lediglich um die Feststellung, dass der Vorwurf einer beabsichtigten Tilgung einer ganzen Epoche aus dem Stadtbild haltlos ist. Dass es im Westen ähnliche Beispiele gibt, ist ja bekannt. Ob die Debatten um Korrekturen offensichtlicher Fehplanungen aus den 50er bis 70er Jahren dort aber mit ebenso viel Verve wie hier geführt würden, mag ich zu bezweifeln.

  • ^ Hast recht. Habe aufgrund der unsachlichen Ausdrucksweise von Konstantin (siehe auch Architektenkinds Beitrag #453) etwas vorschnell reagiert. Ganz haltlos ist der Vorwurf zwar nicht, aber man muss ihn relativieren.

  • ^^ bei der zweiten Zerstörung der Städte nach dem Bombenkrieg durch "moderne Stadtplaner" nach dem Krieg gibt es zumindest in der Nordhälfte Deutschlands definitiv ein gesamtdeutsches Kontinuum, während in der Südhälfte, wesentlich behutsamer mit dem Stadtkörper umgegangen wurde, man kann auch sagen "unpolitischer". Man wollte in der Nordhälfte, sei es in Hamburg oder in Potsdam, die "neue Zeit" sowie den Cut mit der politischen Vergangenheit der letzten Jahrzehnte wortwörtlich dadurch untermauern, dass man bei Null und nochmal ganz neu und anders beginnt. Und dazu dann eben Stadtplanung und Architektur der Zeit heranzog.


    Diesem Kurzschluss hängen die - zwischenzeitlich gealterten - "Modernisierer" dieser Zeit ja bis heute an, das politische und architektonische Establishment ist eben durch ältere Herren mit grauem Haar geprägt und nicht durch die postmoderne "Generation Y". Dementsprechend ist es eigentlich ein kleines Wunder, dass solche Projekte wie hier in Potsdam oder in Dresden oder auf dem Dom-Römer-Areal in Frankfurt, die einen über zig Generationen einmal gewachsenen Stadtgrundriß zumindest teilweise zurückholen, eine Chance haben.


    Und ich bin mir sicher, in 20-30 Jahren, was diese "Aufbaugeneration" ja gar nicht mehr erleben wird, werden uns unsere Kinder und Enkel nicht fragen, wieso wir nicht das geile FH Gebäude erhalten haben, sondern warum wir es erhalten haben, sollte es tatsächlich dazu kommen. Und warum wir nicht jede Gelegenheit genutzt haben, historische Originalsubstanz zu erhalten (die "Modernisierer" sind auch bei den Denkmalschutzbehörden tätig und versagen manchem Gründerzeitschmuckstück den Denkmalschutz mit formaljuristischem Verweis auf fehlende Originalsubstanz, weil selbstverständlich dort zuletzt nicht mehr so gewohnt wurde wie noch im 19. Jahrhundert, während gleichzeitig DDR Plattenbauten unter Denkmalschutz gestellt werden, die selbstverständlich auch nicht mehr mit "VEB Irgendwas" Erstausstattung genutzt werden) und warum wir nicht punktuell, wo es sich anbot, auch die eine oder andere Reko gesetzt haben, zB beim Bauplatz der "Garnisonkirche", der nun neu zur Verfügung steht. Die werden hingegen nicht sagen "Oh schade, dass die FH abgerißen wurde, die wurde doch durch dieses Bankgebäude in der US-amerikanischen Provinz inspiriert, die von Mies geplant wurde" und die werden auch nicht sagen "Die Garnisonkirche mag ja schön sein, aber gab es da nicht vor 100 Jahren diesen 'Tag von Potsdam'"?


    Wir müssen beim Thema Städtebau v. a. über unseren sehr kleinen, persönlichen Tellerrand unserer kurzen Leben hinaus blicken. Städte entwickelten sich in Europa in Zeiträumen von Jahrtausenden, nicht von Monaten, Jahren oder Menschenleben.


    Und da hat eine bestimmte Architekturepoche, die sich mit einem Egotrip und Dominanzanspruch in den Vordergrund drängt, einfach keinen Platz. Es gab auch tolle Bauten der DDR Nachkriegsmoderne. Dieser ganz speziell hier gehört aber schlicht und ergreifend nicht dazu, umgekehrt steht dieser Bau aber einer Verbesserung der Stadtmitte im Weg. So simpel kann man es sehen, wenn man einige Schritte zurück geht, DDR, BRD, 20. Jh... alles nur Wimpernschläge in der Entwicklung einer Stadt. Wir klammern uns zu sehr an der Gegenwart und unserer eigenen Biographie fest. Und jeder, der behauptet ganz sachlich dieses FH Ungetüm zu verteidigen, der muss sich gefallen lassen, dass man dies mit größter Skepsis zur Kenntnis nimmt.

  • ^ Potsdam ist aufgrund seiner Geschichte ein besonderes Pflaster, das stimmt schon. Ich denke trotzdem, dass wir es uns hier im Forum mit der Interpretation zu schwierig machen. Klar spielen in der Debatte architektonische, ideologische und städtebauliche Argumente eine Rolle – entscheidend sind sie m.E. aber nur für die Meinungsführer in der Stadt (und davon abgeleitet hier im Forum). Für das Gros der Leute, die derzeit für den Erhalt der FH und des Mercure unterschreiben, dürften sie nur am Rande eine Rolle spielen. Wichtiger ist für meisten einfach der Wunsch nach Stabilität und diffuses Unbehahgen vor der Zukunft. Beides resultiert in einer Haltung, die am liebsten alles so festhalten will, wie es ist. Wenn Bagger anrücken und Gebäude abreißen, die seit Jahrzehnten das Stadtbild prägen, dann fühlen viele ihr Alltagsleben erschüttert.


    Anders gesagt: Wer das Mercure erhalten will, wird in den seltensten Fällen bewusster Anhänger sozialistischer Architekturideale der späten Ära Ulbricht sein – aber vielleicht hat er Kindheitserinnerungen, weil er früher an seinem Geburtstag immmer im Interhotel Eisessen war. Den Abriss des Hauses würde er deshalb als Verlust empfinden.


    Uneingestandene Motive...


    Ein westdeutsches Beispiel für diesen Effekt ist das Residenzschloss in Braunschweig: Im Krieg schwer beschädigt, wurde die Ruine 1960 abgerissen, um einem Park zu weichen. Es gab Demonstrationen von Braunschweiger Bürgern, die das Gebäude erhalten wollten. 45 Jahre später wurde der Park gerodet, um einem Einkaufs- und Behördenzentrum mit aufwendig rekonstruierter Schlossfassade zu weichen. Es gab Demonstrationen von Braunschweiger Bürgern, die den Park erhalten wollten. In beiden Fällen wurden natürlich Sachargumente en masse ins Feld geführt – Grund für das Ausmaß der Empörung scheint mir aber beide Male der Verlust eines Ortes gewesen zu sein, der für die jeweilige Generationen stadtbildprägend war.


    Auf der anderen Seite sind auch die Reko-Befürworter (ob in Braunschweig oder Potsdam) nicht allein rational motiviert – ich will das jetzt nicht auch noch ausführen, aber bei ihnen scheint mir oft die Romantisierung einer Vergangenheit im Spiel zu sein, die als authentisches und sinnhaftes Gegenbild zur hässlichen, unübersichtlichen, kalt-materialistischen Gegenwart imaginiert wird.


    ...und wie man mit ihnen umgehen könnte


    Für eine sachliche Debatte wäre es wichtig, sich solch irrationale Momente in der eigenen Motivation bewusst zu machen, statt sie als rein sachlich und ästhetisch zu rationalisieren. Und die Rationalisierungen der Gegenseite wären in dem Wissen zu kritisieren, dass man selbst vor ähnlichen Fehlern nicht gefeit ist. Ein Abriss-Gegner könnte der Neuen-Mitte-Planung auf diese Weise vielleicht einen gewissen Reiz zugestehen, ohne deshalb seine Skepsis vor Preußenkitsch und Privatisierung gleich aufgeben zu müssen. Und ein Abriss-Befürworter könnte vielleicht nachvollziehen, dass andere die Gentrifizierung, Tourifizierung und Musealisierung ihrer Stadt fürchten, wo er von einem neu-erstandenen Arkadien träumt.


    Das Ziel dieser "erweiterten Denkungsart" (Kant) wäre nicht Harmonie und Eintracht, sondern eine Konfrontation, die zu reflektierteren Positionen beiderseits führt. Aber das scheint ausgeschlossen, solange die eigene Identität wesentlich auf der Dämonisierung der anderen Seite beruht. Schade eigentlich...

    Einmal editiert, zuletzt von Architektenkind ()

  • Nord und Süd

    ^^ bei der zweiten Zerstörung der Städte nach dem Bombenkrieg durch "moderne Stadtplaner" nach dem Krieg gibt es zumindest in der Nordhälfte Deutschlands definitiv ein gesamtdeutsches Kontinuum, während in der Südhälfte, wesentlich behutsamer mit dem Stadtkörper umgegangen wurde, man kann auch sagen "unpolitischer".


    Mit Verlaub, aber das ist schlicht Blödsinn. ;)


    In süddeutschen Städten wie Stuttgart, Frankfurt, Mannheim, Ludwigshafen, Saarbrücken, Ulm und Pforzheim (!) wurde genauso brutal "abgeräumt" wie in Köln, Kassel, Hannover, Hildesheim und andernorts im Norden. Pforzheim ist meiner bescheidenen Meinung nach das erschütterndste Beispiel einer endgültig erst durch den Wiederaufbau vollständig vernichteten historischen Stadt.


    Das Phänomen ist meiner Meinung nach eher ein zeitliches als ein räumliches: Der erste Umschwung kam mit dem Europäischen Denkmaljahr 1974, der zweite nach der Wende mit dem Wiederaufbau der Frauenkirche (bis 2005).


    Gegner eines behutsamen, an langfristigen historischen Linien orientierten Städtebaus sind heute meines Erachtens vor allem die renditeorientierten Investoren einerseits und die an Verkaufserlösen und Steueraufkommen interessierten Genehmigungsbehörden andererseits. Die Bevölkerung dürfte mehr oder weniger überall mehrheitlich für den "behutsamen Umgang mit dem Stadtkörper", wie Du das so schön nennst, gewonnen sein.

  • Zur Ehrenrettung der Reko-Freunde in Braunschweig sei jedoch angemerkt, dass der Löwenanteil des Parks für den schnöden Neubau des EKZs und nicht für die Schlossreko draufging.

  • Verzeiht, liebe Forianer, die Ausdrucksweise, aber das, was von den Ich-will-so-bleiben-wie-ich-bin-Linken in Potsdam alltäglich verbreitet wird bedarf eben auch einer klaren Entgegnung. Ich bin nicht mehr bereit fortwährende Unterstellungen und Falschbehauptungen mit einem einfachen "das stimmt aber nicht" zu quittieren. Hier steckt klar Vorsatz dahinter, dies muss man auch benennen dürfen. Und: Architektenkind, ich benutzte derartige Sprache selten, dies ist in meinen nicht wenigen Beiträgen nachzuschlagen.


    Der Vergleich zu Westdeutschland darf immer gezogen werden, jedoch ändert das Ergebnis dieses Vergleiches nichts an der Beurteilung der Potsdamer Sachlage. Wenn andere ähnlichen Kulturfrevel begehen ist das noch lange kein Grund sich von dem heimischen Problem abzuwenden und den Frevel selbst mit den Taten Dritter zu begründen - auch wenn dies menschlich wäre. Hier geht es auch nicht um den Wiederaufbau eines Schlosses als ECE-Einkaufscenter, sondern um dem Abbruch eines funktionslos werdenden Lehrgebäudes zugunsten von 32 historischen Parzellen.


    Bzgl. der Debattenkultur: Der Mediationsansatz schlägt deshalb fehl, weil einer der Debattierenden nicht zu einem Kompromiss kommen mag, sondern fortwährend als Minderheit die grundsätzliche Machtfrage in der Stadt stellt. Dies wiederum kann und wird die übergroße Mehrheit nicht zulassen, was in Märtyrisierung der Anderen enden wird. Ist das Thema durch, kommt das nächste.

  • Das "Paradebeispiel kritischer Rekonstruktion"

    Zur Ehrenrettung der Reko-Freunde in Braunschweig sei jedoch angemerkt, dass der Löwenanteil des Parks für den schnöden Neubau des EKZs und nicht für die Schlossreko draufging.


    Was m. E. auch in Ordnung gewesen wäre, wenn das EKZ in der Kubatur des Schlosses geblieben wäre. Davon kann aber keine Rede sein. Besonders krass (und hier passt der Begriff wirklich einmal) ist, dass das oberste Parkdeck sich auf Höhe des Schlossdaches befindet, und man so direkt hinter der Quadriga parken kann.


    Ich habe vor einigen Jahren einmal an einer Stadtführung in Braunschweig teilgenommen. Als wir am Schloss-EKZ ankamen, wollte die Stadtführerin (Kunsthistorikerin, die im Auftrag der Stadt arbeitete) nicht aufhören, es als "Paradebeispiel kritischer Rekonstruktion" zu loben, das angeblich europaweit Beachtung fände. Das war kurz nach der Einweihung des Komplexes, und mir war noch das knappe Verdikt der FAZ in Erinnerung ("kulturlos"), was ich dann einmal mit Begründung als Alternativbewertung zu bedenken gab. An die empörte Reaktion ("Völlig abwegig! Einzelmeinung eines Außenstehenden! Das sieht die Fachwelt ganz anders!") erinnere ich mich immer noch gerne, wenn ich dort vorbeikomme.

  • Der Wiederaufbau eines historisch bedeutsamen Gebäudes für eine andere Nutzung ist völlig in Ordnung, im Zweifel auch als EKZ. Ich stimme Carlo zu, dass dies bei Beubehaltung der Kubatur gut sein kann, aber nicht muss. Kritisch rekonstruiert wurde in Baunschweig aber nichts. Die Frontfassade ist eine gute, handwerklich gemachte Kopie und der Rest ist Original-ECE-Style.


    Die Potsdamer Leitfassaden haben auch völlig andere Häuser dahinter, am krassesten sieht man das beim http://buergerstadt.de/m/projekte/musikerhaus-potsdam/, das vorn die Fassade des 8-Ecken-Hauses rekonstruiert und hinten eine Ganzglasfassade von Dietz-Joppien-Architekten realisiert.