Potsdam: Wiederherstellung historische Mitte - Bauthread

  • Klarenbach, Fakten sind immer gut. Die Baukosten der SLB betrugen nach nach Angaben der Stadt ca. 1.825 Euro/qm Fläche. Ob BGF oder NF bleibt im Dunkeln, aber für 1.800 Euro/qm Wohnfläche bauen andere Bauträger das, was Du schon als "Luxuswohnungen" bezeichnest. Deshalb ist meine Behauptung, dass der Umbau "über Neubaukosten" liegt, völlig richtig. Über die UB in Golm kann ich nichts sagen. Die Staatsbibliothek Unter den Linden kostete - glaube ich - auch mehr. Solche repräsentative Bauten sind allerdings keine Referenz für den von den Linksparteien geforderten Umbau der FH. Da soll es ja mal ein Kreiskulturhaus, mal ein Bildungszentrum und mal eine Grundschule werden.


    Nur am Rande: Das Budget für die SLB lag bei 8 Millionen Euro und der Bau endete bei 14 Millionen. Da hatte zu Beginn auch der Architekt gedacht: hier ist der Rohbau ja schon da und der Umbau ist preiswert. Erfahrung machte dann klüger und so kam die Kostensteigerung auf 170 % des Budgets zustande.


    Billiger wäre es wahrscheinlich gewesen den Bau abzubrechen, das Grundstück zu verkaufen und auf einem anderen städtischen Areal neu zu errichten. Ich finde allerdings, dass die Nutzung gut in die Altstadt passt und kann deshalb auch mit der sehr bescheidenen Fassade gut leben.


    Die Abbruchkosten von 4,6 Millionen beziehen sich nicht auf die FH allein sondern umfassen auch das Wirtschaftsgeschoß am Staudenhof, das zur Wiederherstellung der Kaiserstraße abgebrochen wird. Für diese Abbruchkosten kommt ja auch ein erheblicher Verkaufserlös der 18 Baufelder in die Stadtkasse, der den Kommunalanteil der Abbruchkosten von € 920.000 um ein Mehrfaches übersteigt.


    Deine Interpretation der 9000 Potsdamer Unterschriften für das Mercure halte ich für falsch: bei allein 30 Prozent Wählerschaft der beiden Linksparteien sind 5 Prozent Unterschriften kein wahrhaftes Wunder. Die beiden Parteien werden auch die erforderlichen 10 Prozent der Wahlberechtigten zusammen bekommen. Ob dann allerdings auch abgestimmt wird und eine solche Abstimmung das Quorum von 25 % der Wahlbeteiligten für die Mehrheit erreicht halte ich noch für fraglich. Bis dahin sind noch so viele Hürden zu nehmen...

  • [...]Die Potsdamer sind nicht grundsätzlich anders drauf als die Berliner, auch dort merkt man langsam, dass Kahlschlagkonzepte nicht zukunftsfähig sind. [...]


    Es ist eine eigenartige Mischung aus Ignoranz und Gleichgültigkeit, wenn mit der Parole "Kahlschlag", das Ergebnis eines solchen bereits durchgeführten Kahlschlags konserviert werden soll. Was für ein Jammer, dass den Potsdamern und uns dieser Zustand einer pulsierenden und lebendigen Stadtmitte nicht erhalten geblieben ist.

  • Jahrzehntealter Stahlbeton und verschlissene Haustechnik haben einfach keinen Vermögenswert sondern sind eine Last. Das sieht man ganz schön daran, dass der Verkaufswert solch eines Grundstücks auf dem freien Markt mit solch einem verschlissenen Bestandsbau erfahrungsgemäß eigentlich immer empfindlich niedriger ist, als wenn es sich einfach um eine Wiese handeln würde.


    Dazu ist das Gebäude einfach objektiv häßlich - wenn man 1.000 Leute auf der Straße befragt gehe ich ganz unbeschwert jede Wette ein, dass 990 (also 99 %) das Gebäude als "Bausünde" klassifizieren, das reicht mir um von objektiver Häßlichkeit zu sprechen, ohne das a lá "ja, das ist dann ja auch irgendwo subjektiv" relativieren zu lassen. Nein, Geschmack ist eben nicht nur rein subjektiv und in einer Demokratie sollte die Gestaltung des Stadtbilds schon dem ästhetischen Empfinden von Mehrheiten folgen. Mindestens bei Vorhaben die in irgend einer Form in der öffentlichen Hand sind und somit in unser aller Name beschlossen und von uns allen bezahlt werden.


    Wenn ein Gebäude keinen Anlagewert mehr hat und (nahezu) niemand gefällt, dann weg damit. So einfach ist die Sache - eigentlich. So unsentimental ist übrigens die sog. "Architektur der Moderne" auch stets selbst mit älteren Gebäuden umgegangen! Es wäre nur konsequent für "Moderne-Fans" sich nun auch selbst daran messen zu lassen.


    Außer man unterstellt politische Motive. Und das ist eben der Grund, warum ich bei dir, lieber Klarenbach, einfach eine gewisse "Ostalgie" vermute. Du setzt dich ja auch für jedes andere Stück DDR-Stahlbeton hier im Forum mit leidenschaftlicher Argumentation ein. Das sei dir sogar gegönnt. Aber bitte teile deine persönlichen Beweggründe mit uns. Denn wie gesagt, sachlich und nüchtern betrachtet kann ich deine beharrliche Fürsprache für diesen banalen, alten Zweckbau nicht nachvollziehen.

  • http://www.pnn.de/potsdam-kultur/1078176/
    Unter dem Motto "Ist das Stadt oder kann das weg?" Setzen sich Künstler mit der FH auseinander. Dabei behauptet die Sprecherin unsinnigerweiße das der Bau angeblich von MvdR inspiriert ist, was den Bau wohl unnötigerweise Adeln soll. Die wahrscheinliche Gegenseite begibt sich damit auf das allgemeine Niveau der Diskussion in sachen Geschichte. :nono:

  • Die äußerlichen Ähnlichkeiten zum Federal Home Bank Building von Mies in Des Moines, Iowa, USA, sind augenfällig und offenkundig. Der von Larry zitierte angebliche Unterschied in der Konstruktion ist für die beabsichtigte architektonische Wirkung von Sepp Weber & Co., Internationalität in die Bezirksstadt Potsdam zu spülen, unerheblich. Natürlich ist der Potsdamer Bau von Mies "inspiriert". Adaptionen anderer Ikonen der Moderne finden sich aus vergleichbaren Gründen auch anderswo in Potsdam.


    Zu dem Themenkreis sind inzwischen auch ein paar gute Bücher, zuletzt der Band von Christian Klusemann, Das andere Potsdam: DDR-Architekturführer. 26 Bauten und Ensembles aus den Jahren 1949-1990, Berlin (Vergangenheitsverlag) 2916, erschienen. Whywolf Larry wird uns sicher mit ein paar Kraftausdrücken erklären, warum alle anderen - aussem ihm - ungebildete Dampfplauderer sind. Die sich versachlichende Diskussion um Bauten aus DDR-Tagen wird das jedoch nicht anfechten.




    (C) AKG images, Berlin

  • Nun ist es also endlich raus. Wie aktuell die regionalen Medien berichten wird eine Sanierung der FH über 33 Millionen Euro kosten. Mindestens. Zudem kommen mehr als 500.000 Euro Betriebskosten auf die Stadt zu . Und das jedes Jahr. Nachzulesen auf http://www.pnn.de/Potsdam


    Das ist selbst mehr als ich mir vorher vorgestellt habe. Das heißt man soll auf Millionen an Grundstückseinnahmen verzichten. Es kommt kein Wohnen, keine Studentenappartements, keine Sozialwohnungen, keine Reparatur der Mitte. Zudem müssen wohl signifikant Fördergelder zurückgezahlt werden. Und jetzt kommt der ganze Witz. Das alles für ein Gebäude mit irgendeiner kulturellen Nutzung die nicht mal näher bestimmt ist. Für 33 Millionen könnte man so einige Schulen grundsanieren.


    Gut das jetzt die wahren Zahlen auf dem Tisch sind. Das ist jetzt wahrlich ein dickes Ei was die Initiatoren des Bürgerbegehrens hier allen versuchen ins Nest zu legen. Ein sehr sehr teures. Eine schöne neue Mitte die man sich da vorstellt. Und das ohne jeden Nutzen für die Stadt. Ich hoffe die Menschen in Potsdam erkennen jetzt den Irrsinn dieses Luftschlosses was ihnen da verkauft werden soll.

    Einmal editiert, zuletzt von Odysseus ()

  • ^ Völlig unabhängig davon, was man persönlich von dem FH Gebäude hält:


    Dass solche Zahlen immer unterschiedlich ausfallen, je nachdem, welches Interesse man vertritt, ist doch klar. Es steht ja sogar ganz offen in dem Artikel, dass diese "Antworten" als Argumente gegen die Ziele des Bürgerbegehrens dienen sollen.


  • Collage von Mir


    Ja sehen alles gleich aus, also müssen alle gleich sein. Das ist offensichtlich unübersehbar. =)


    http://www.pnn.de/potsdam/1078510/
    Der 300.000 Euro teure Leitplan muss bereits überarbeitet werden. Betonung auf Sozial und den |einseitigen| Welterbestatus.


    http://www.pnn.de/potsdam/1078532/
    Man hat nun die Infobox aufgestellt die wohl auch ein wenig gegen die kurzlebige Künstleraktion gehen soll.


    http://m.maz-online.de/Lokales…a-3-und-der-reale-Irrsinn
    Extra 3 wird in einer zukünftigen Sendung den "Irrsinn" in Potsdam thematisieren, ich bin mehr oder weniger gespannt.

  • Das Restaurant Seerose von Ulrich Müther ist eine Kopie eines Baus (Restaurant "Los Manatiales") des spanischen Architekten Felix Candela in Mexiko.


    Cafe Schemtschuschina (Perle) auf dem Primorski-Boulevard, Baku, fertiggestellt 1960
    Architekten, A.Wladim Schulgin und R. Sarifov sowie Boris Ginsburg
    https://scontent-frt3-1.xx.fbc…c7fb68d487fc0&oe=5747210C
    https://scontent-frt3-1.xx.fbc…317f3ef3a00a2&oe=57470E5E


    Wegen fehlender Quellenangabe geurlt.
    Bato


    https://www.google.de/maps/pla…6413!4d49.8422992!6m1!1e1
    Soviel dazu. Wie gesagt eine Mathematische Figur die viele gereizt hat.

  • Die äußerlichen Ähnlichkeiten zum Federal Home Bank Building von Mies in Des Moines, Iowa, USA, sind augenfällig und offenkundig. Der von Larry zitierte angebliche Unterschied in der Konstruktion ist (...) unerheblich.


    Erstens ist es sehr wohl erheblich, ob es sich um einen originären Bau oder um eine Kopie handelt. So leid es mir tut, aber einen "Abklatsch" möchte ich nicht weiter schützen müssen, wo fängt das nämlich ansonsten an, wo hört es auf. Wenn es sich um kein eigenständiges Werk handelt ist dies für mich umgekehrt also sogar ein gehöriges Argument gegen einen Erhalt!


    Zweitens macht es einen gigantischen Unterschied, ob ich - wie in den USA geschehen - eine filigrane Stahlskelettkonstruktion wähle und diese mit einer dünnen Außenhaut aus dunklem Blech und Glas umgebe oder einen grobschlächtigen, teutschen Stahlbetonbau hinklotze. Ansonsten könnte man ja auch das Pavillion der Neuen Nationalgalerie sowie das Dach einer beliebigen, großen Tankstelle miteinander gleichsetzen, wenn es auf solche Unterschiede nicht mehr ankäme.


    Es gab schon ein paar DDR Bauten der Nachkriegsmoderne die ich für erhaltenswert gehalten hätte. Die wurden aber schon alle abgerißen (neben dem PdR auch v. a. das DDR Außenministerium). Davon, die Reste der DDR Staatsarchitektur, die zufällig noch vorhanden sind, jetzt hektisch unter Schutz zu stellen und zu erhalten, halte ich rein gar nichts. Das ist für mich ein torschlußartiges Klammern an Reste (vielleicht auch aus der eigenen Biographie, in der DDR geborene Bürger mittleren Alters haben sicherlich enorm damit zu kämpfen wie krass sich alles um sie herum verändert hat, keine Frage...und großes Verständnis meinerseits dafür).


    Das ist jedoch keine sachlich überzeugende Fürsprache für diesen Bau und noch viel weniger eine überzeugende Fürsprache dafür, anstatt den demokratisch legitimierten Masterplan weiter zu verfolgen nun Unsummen in die Sanierung dieses städtebaulichen Fremdkörpers zu investieren - zugegebenermaßen wurde der Bau auch erst durch den Masterplan der Wiederherstellung der historischen Mitte zu diesem Fremdkörper, aber so ist es jetzt nun einmal. Auch benötigt das Gebäude niemand mehr. Die ursprüngliche Nutzung einer Hochschule, wofür das Raumkonzept nun einmal entworfen wurde, ist durch den Fortzug der Hochschule obsolet. Nun müsste man also ein Gebäude von sehr streitbarer Qualität mit viel, viel Steuergeld sanieren und im Anschluss eine Nutzung dafür suchen. Irgendwas "Kulturiges" findet sich selbstverständlich immer, sei es als billiges Atelier für Laienkünstler und irgendwelche Vereine, jedoch muss man sich schon fragen, wie man Sanierung über 33 Mio. € plus X da rechtfertigen soll, während gleichzeitig manches dringend benötigte öffentliche Gebäude in Potsdam einer Modernisierung harrt - ja manches wesentlich ältere und auch wesentlich weniger umstrittene Gebäude.


    Drittens hielte ich es ganz persönlich als Steuerzahler (!) fast schon für eine Unverschämtheit, nun den politischen Gegnern hier nachzugeben, auf die Neubebauung zu verzichten - ohne jetzt weiter auf das Für und Wider einzugehen - und hier viel Steuergeld auszugeben (und wenn es statt 33 Mio. nur 33.000 € wären, bevor jetzt angefangen wird diese Zahl anzuzweifeln und uns allen weiß zu machen, dass es hier mit einer einfachen Pinselrenovierung getan wäre und die Sanierungskosten "natürlich" künstlich teuer gerechnet wären um gegen das Gebäude zu agitieren - jeder Cent Steuergeld dafür ist zuviel!!!) während anderswo in Potsdam wunderbares, weltweit (!) einzigartiges historisches Erbe der Potsdamer weiter verfällt. Es gibt noch reichlich in und um Potsdam an alter Bausubstanz zu sanieren. Und da können auch 33.000 € den Unterschied zwischen Erhalt und Verlust zB eines Gartenbaudenkmals machen oder einem historischen Bau mit marodem Dach ein neues Dach bescheren, von 33 Mio. ganz zu schweigen. So halte ich also den Zank um dieses Gebäude um Luxussorgen einer satten Bürgerschaft, die denkt, dass es keine substantielleren Dinge mehr in Potsdam zu verbessern oder zu reparieren gibt - die Bürger in den Neuen Ländern sind darin ironischerweise schon längst "Wessis" geworden ohne es zu merken.

    10 Mal editiert, zuletzt von Pumpernickel ()

  • ^
    Ja schon, der einzige Erhaltspunkt ist die Umweltverschwendung eines oder mehreren Neubauten, gegen eine Sanierung. Aber das ist nur ein Parameter von vielen. Daher ist es legitim das es so läuft wie es laufen wird mit dem Abriss, das bestreitet ja auch keiner.
    Mir ging es lediglich um die Bilderstürmerei des angeblichen "Abklatsches". Denn die zwei Gebäude sind zu unterschiedlich. Hätte Konstantin gesagt von der Ästhetik MdvR wahrscheinlich inspiriert, hätte ich ihm zugestimmt. Aber nicht wegen diesen singulären Bau sondern, wegen den Nachkriegsbauten von Mies im allgemeinen. Da diese Form der Schwarzen Fassaden mit den außenliegenden Doppel-T Stahlträgern bei ihm überall Vorkam, egal ob Pavillion oder Hochhaus. Es war sein Modul, was welches er auf ein Raster gelegt hat welches wiederum von den Nutzeranforderungen skaliert wurde. Das ist das vergleichbare, den Sepp Weber hat das gleiche, getan. Er hat die Nutzungsanforderungen mit Element-Bauteilen aufgefüllt, im gegensatz zu mies der dafür immer wieder Firmen akquirieren musste. Daher gibt es in der DDR-ähnliche Bauten. Da es aber auch in der Sowjetunion diese Pavillionbauten als Kulturzentren oder ähnliches gab. Ist halt die große Frage welche Entwürfe oder Entwurfskonzepte da alles reingespielt haben sollen. Vll. waren es am Ende Zäune aus der Kindheit die Referenz oder alles zusammen. Eine Kopie aufgrund des individuellen Nutzungsanforderung kann es schon einmal nicht sein, trotz Konstruktiv und Ästhetisch (Mies kann es das nur ganz entfernt sein) eventuell ähnlicher Bauten.
    Das Gebäude hat garantiert Referenzen ist aber trotzdem eigenständige Ostmoderne. Wenn es abgerissen wird ist es schade. Punkt. Der Abriss kann m.M.n. Architekturhistorisch kaum erklärt werden. Dafür Ökonomisch und Zweckmäßig. Das kann man dann doch auch so begründen und muss sich nicht irgendwas aus der Nase ziehen. Wichtig fände ich dann die Bau-"archäologische" Untersuchung und das subsumieren in einer Publikation oder ähnliches vor dem Abriss. Auch wenn es 33.000 Euro kostet. Soviel Zeit und Mühe muss dann schon sein, um es der Nachwelt zu Katalogisieren.


    Erstens ist es sehr wohl erheblich, ob es sich um einen originären Bau oder um eine Kopie handelt. So leid es mir tut, aber einen "Abklatsch" möchte ich nicht weiter schützen müssen, wo fängt das nämlich ansonsten an, wo hört es auf. Wenn es sich um kein eigenständiges Werk handelt ist dies für mich umgekehrt also sogar ein gehöriges Argument gegen einen Erhalt!


    Das sehe ich nicht so, ansonsten dürften ja die Hälfte alles Gründerzeithäuser in Leipzig nicht unter Denkmalschutz stehen usw. usf.

  • Der Abriss kann m.M.n. Architekturhistorisch kaum erklärt werden. Dafür Ökonomisch und Zweckmäßig.


    Dieser Widerspruch, den du hier formulierst, ist eine Erfindung der jüngeren Vergangenheit. "Früher" war es ganz selbstverständlich, dass das, was wir heute als Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit bezeichnen, vorher kam. Unsere Vorfahren waren genetisch mit uns identisch, der Mensch des 20. und 21. Jh. ist kein bischen "weiter entwickelt" als der vor 2.000 Jahren, auch wenn wir das manchmal gerne denken. Die hatten genauso ein Empfinden für Schönheit, empfanden genauso Nostalgie... Dennoch plünderten unsere Vorfahren die Ruinen der alten Römerbauten für Steine - sicher nicht, weil sie ihnen nicht gefielen, ganz im Gegenteil, auch nicht aus kultischen Gründen, von Römertempeln die man sicherlich offen ablehnte einmal abgesehen. Sondern weil man nun einmal neue Gebäude brauchte und für die alten keinen Verwendungszweck mehr hatte.


    Die ganze Denke, sich zuerst über das Gebäude "als einen Wert an sich" Gedanken zu machen und erst dann Nutzung und Wirtschaftlichkeit zu denken, die ist ein Produkt unserer saturierten Zeiten und das muss man sich auch gelegentlich bewusst machen und sich kritisch prüfen, wie geil das eigentlich unsere Nachfahren fänden, wenn wir ihnen dieses Gebäude erhalten und ihnen damit verbunden noch gleich 33 Mio. € zusätzlicher Staatsschulden zzgl. Zinseszinsen hinterlassen. Ein überschuldetes Privaterbe dürfen Nachkommen ausschlagen, die Lasten des Gemeinwesens gehen hingegen auf die nächste Generation über. Daher sollte man nicht zu übereifrig sein, mit dem Erhalt von Gebäuden aus purer Liebhaberei und das v. a. auf Gebäude konzentrieren, die gem. eines Mehrheitskonsens als subjektiv erhaltenswert gelten. Was für diesen Bau, ich denke da lehne ich mich nicht zu weit aus dem Fenster auch ohne demoskopische Studien dazu durchgeführt zu haben, definitiv nicht der Fall ist.


    Das mag jetzt etwas unglaubwürdig klingen, weil ich so nicht argumentiere wenn es um Gebäude geht die mir gefallen, aber selbst da überlege ich mir das. Es muss auch nicht jedes aber auch jedes Gebäude mit bischen Stuck erhalten werden, aus Prinzip und zumal wenn es einer geänderten Stadtplanung im Wege steht. Dann wird aus architektonischem Erbe nämlich gleich doppelt eine architektonische Last. So argumentieren lustigerweise Moderne-Fans auch immer dann selbst, wenn ein "Stuck-Bau" einer von ihnen favorisierten Neuplanung im Wege steht und stand. Eine Stadt dürfe kein Puppendorf oder Freilichtmuseum sein, Neuentwicklungen müssen möglich bleiben usw. - und hier soll das auf einmal nicht mehr gelten, weil hier nicht Stuck sondern Stahlbeton dominierende Gestaltungsmerkmale sind? Das bringt mich schon ins Grübeln, ob die Fürsprache für diesen Bau wirklich so sachlich begründbar ist.


    Wie gesagt, wäre jetzt 1990 und wir würden über die Zukunft der Mitte von Potsdam diskutieren und es wäre nicht schon soviel Zeit, Aufwand und Geld in die Wiederherstellung der historischen Mitte gefloßen - dann würde ich (wirklich) auch zB Klarenbachs Positionen sehr ernsthaft durchdenken und möchte nicht ausschließen mich auf seine Seite zu schlagen.


    Aber nun ist es anders gelaufen und so, wie die Dinge jetzt in Potsdams Mitte sind, ist dieser Bau:


    -marode
    -architektonisch höchst streitbar
    -ein Fremdkörper in der seit 25 Jahre betriebenen Konzeption der Wiederherstellung der historischen Mitte
    -nur mit unheimlichem Aufwand öffentlicher Gelder dauerhaft zu erhalten, während anderswo in Potsdam und Umgebung objektiv bedeutendere Bausubstanz (älter, originärer, seltener) jeden Cent für Sanierung und Erhalt gut gebrauchen könnte



    ...und da meine ich für mich in Anspruch nehmen zu können ganz sachlich für einen Abriß und die städtische Planung votieren zu können. Ich mag nicht ihn Potsdam wohnhaft sein, aber ich bin auch Bürger der Bundesrepublik Deutschland und wo Steuergeld ausgegeben werden soll - unser aller Geld, es gibt keine reinen "Potsdamsteuern" und keinen "Potsdamfinanzminister" - da maße ich mir eben auch an, kritisch mit dem Umgang unserer "gemeinsamen Kasse" sein zu dürfen und es mir nicht genügen zu lassen, dass einige aus Ostalgie oder generellerer Philie für die Nachkriegsmoderne locker-flockig aus dem Handgelenk die Milliönchen hier gut angelegt sehen mögen.


    Würden diese Architekturfans das aus eigenem Geldbeutel machen, dann könne ich vielleicht noch sagen "jeder Jeck ist anders" und den Fremdkörper in der Mitte Potsdams akzeptieren. Aber das auch noch auf Gemeinkosten - dann kommt meine Toleranz einfach an eine Barriere. Ich finde schon bemerkenswert, dass der Erhalt von Bauten der Moderne mit ihren ästhetischen Qualitäten in den Augen der Modernefans immer Gemeinschaftsaufgabe sein soll, der Erhalt historischer Bauten aber v. a. Aufgabe von privatem Engagement und Spender sein soll. Auch hier ist die Haltung der Moderne-Fans nicht wirklich konsequent.


    Vielleicht ist mein Denkprozess jetzt nachvollziehbar.



    Das sehe ich nicht so, ansonsten dürften ja die Hälfte alles Gründerzeithäuser in Leipzig nicht unter Denkmalschutz stehen usw. usf.


    PS: es ist ein feiner aber bedeutender Unterschied, ob es sich um einen Abklatsch handelt oder ein Gebäude lediglich durch andere Vorbilder inspiriert wurde. Hier wird ja argumentiert, dass es sich um eine Art Potsdamer Version dieses Mies-Baus handele und diese Argumentation habe ich aufgenommen.

  • ^
    Ich verstehe jetzt die Antwort nicht ganz, ich habe dir doch zugestimmt.
    :confused:

    Hier wird ja argumentiert, dass es sich um eine Art Potsdamer Version dieses Mies-Baus handele und diese Argumentation habe ich aufgenommen.


    Genau das habe ich doch breit und lang erklärt, es ist kein Abklatsch. Der Bau ist eigenständig.


  • Während die historisch gesinnten Bürgerinitiativen und die linken Protestgruppierungen alle damit gerechnet haben, dass hier eine hochwertige, gentrifizierende Altstadt in historischem Gewand entsteht deutet nun alles auf ein Quartier mit den Fussgängerzonenqualitäten von Böblingen oder Hamburg-Harburg hin.


    Ich bringe das Gegenbeispiel Augsburg. Eine Stadt, die in den Sommermonaten mediterranen Flair in ihrem Zentrum versprüht, in der aber nur ganz wenige Leitbauten wirklich rekonstruiert wurden. Der ganze, große Rest wurde freihändig von den Bauherren neu gebaut, teilweise historisch angelehnt, teilweise kompromisslos modern, dennoch passt alles zu einem Gesamtensemble in der oben genannten Wirkung zusammen - weil die alten Grundstücksparzellen, Wegeführungen, Traufhöhen, Höhenabstufungen und somit auch Sichtachsen beibehalten wurden, die vor dem Krieg herrschten.


    Wenn man das in Potsdam genauso macht, dann reichen einige wenige Leitbauten durchaus aus, um den notwendigen Esprit zu verströmen, der Rest trägt dazu bei, dass die Stadt nicht als Puppenhaus erscheint, sondern trotzdem modern und zeitgemäß.


    Aber "Anlehnung an historische Parzellen" kann vieles heißen. Das kann das oben beschriebene Ergebnis in Augsburg heißen, das kann sicherlich aber auch "Böblingen" heißen. Gibt es dazu schon konkrete Visus von Entwürfen?

    Einmal editiert, zuletzt von Pumpernickel ()

  • Gibt es zu Augsburg mehr Informationen? Das eine Bild, dass Du verlinkt hast, sieht aber historisch aus. Wenn ich Augsburg und Altstadt im Netz suche, kommen auch fast ausschliesslich Fotos historischer oder historisch aussehender Bauten.


    Mich würde interessieren welche Häuser "freihändig neu gebaut wurden und wie das durch "teilweise historisch angelehnt"e und "teilweise kompromisslos modern"e Bauten ein "Gesamtensemble geben kann!

  • Gerne doch.


    http://www.tramtom.de/ttm_fotos3/tramtom_3119.jpg


    einzig der angeschnittene Brunnen sowie das ganz am Ende der sichtbaren Straße angeschnittene Gebäude (ein Verwaltungsgebäude der Stadt) sind historische Originale, alle anderen rundherum sind mal mehr mal weniger an historische Bebauung angelehnte Nachkriegsgebäude. Aber sie empfinden den alten Straßenverlauf nach, auf alter Parzellierung, mit alter Höhe.


    http://killerwal.com/wp-conten…enstadt-mandichosee11.jpg


    hier von einer anderen Richtung aus kommend wieder gen dem historischen Merkurbrunnen, nur die Häuserzeile hinter dem Brunnen ist historisch, alles andere auf beiden Seiten sind mehr oder minder an historische Bebauung angelehnte Nachkriegsgebäude, auch die Kirche zur rechten Seite hat mit dem Vorkriegsbau (im Barock-Stil) nahezu nichts mehr gemein, die Schranne davor stammt aus den 80ern, das bunte Haus zur Linken ist an das historische Zünftehaus Weberhaus angelehnt, aber architektonisch komplett anders gebaut und auch nach dem Krieg komplett anders bemalt worden.



    http://www.augsburg.de/fileadm…ausplatz_Dachspitz_00.jpg


    hier ein Blick durch die Webcam auf den Rathausplatz Augsburg, den es historisch gleich gar nicht gab, er entstand, weil die dort im Krieg zerbombte Bebauung komplett aufgegeben wurde, dennoch meint man, dass das 400 Jahre alte Renaissance-Rathaus schon immer an diese "Piazza" gehört hätte. Auch hier ist alles, das man sehen kann, entweder eine Rekonstruktion oder ein Neubau, das grob an historische Vorbilder angelehnt ist, auch hier ist lediglich der Brunnen ein historisches Original (Augustusbrunnen).


    https://upload.wikimedia.org/w…Jakoberstr_Jakobertor.JPG


    um die Innenstadt einmal zu verlassen hier das Zentrum der Jakobervorstadt mit Blick zum Jakoberturm, der gleichzeitig das einzige, historische Gebäude ist, das auf dieser Stadtansicht unversehrt geblieben ist. Alles andere sind Nachkriegsgebäude, teilweise an Vorgängerbauten angelehnt sind oder deren Fassadenreste neu nutzten. Für ein ganz normales Stadtviertel, das nach dem Krieg neu gebaut werden musste, nicht schlecht, meine ich.


    http://www.br.de/radio/bayern2…cd843a7c267a0e0c81647.jpg


    und schließlich die weithin bekannte Augsburger "Fuggerei", die älteste Sozialsiedlung der Welt, die ebenfalls größtenteils der Kriegsbomben zum Opfer fiel und keine genaue Rekonstruktion der alten Siedlung darstellt und dennoch eine zeitlose Gemütlichkeit ausstrahlt.


    Wie du siehst machen Parzellierung, Dimensionen und Sichtachsen den Unterschied.


    In der vermeintlichen "Altstadt", die eigentlich eine vergleichsweise junge Stadterweiterung für diverse Handwerkszünfte war aber aufgrund der damit verbundenen engen Gassen und Wasserkanäle wohl das Klischee einer "Altstadt" besser abbildet und darum sogar in Reiseführern als "Augsburger Altstadt" bezeichnet wird, ist auch kaum ein Stein auf dem anderen geblieben, dennoch ist auch hier der Eindruck ziemlich "geschlossen":


    http://www.architektanbord.de/…anBORD-Strassenfest-1.jpg


    Denn aufgrund der zeitlosen Gestaltung mit regionaltypischen, hell verputzten Ziegelhäusern mit Biberschwanz-Dachziegeln (Satteldach) und Kopfsteinpflaster sowie den extra, aufwändig nachgegossenen historischen Gaslaternen (mit modernem, elektrischem Innenleben) - die Stadtmöblierung spielt immer eine wichtige Rolle! - entsteht trotzdem ein sehr gemütlicher Eindruck. Die Stadt Augsburg hat schon in den 80ern in einer einheitlichen Gestaltungsfibel festgehalten, die mit zeitlosen, robusten Materialien arbeitet und die bis heute fortgeführt wird (bis hin zu neckischen Details, wie in Kanaldeckeln eingearbeitetem Stadtwappen).


    Und so zieht sich das durchs ganze Stadtbild, welches insgesamt sehr markant und unverwechselbar in der Stadtansicht ist:


    https://www.123makler.de/stati…augsburg.9c025e48c6d0.jpg


    ...aber im Detail, jenseits von wiederaufgebauten Leitbauten und einzelnen Ecken, die den Krieg überstanden haben, eigentlich ein komplettes Produkt der Nachkriegsaufbauarbeit ist.


    Du siehst, nur weil man keine Rekos anfertigt muss noch lange kein grauer Würfelhusten entstehen.

  • Danke für die vielen Beispiele, die sehr einprägsam sind (ich war noch nicht in Augsburg). Die genannten Ensembles sprechen alle für die Wiederaufbauphase von 1945 bis 1965, wie man sie auch in anderen Städten wie Freising oder Münster kennt. Hier wurde angepasst gebaut, weil man über konstrastierendes Bauen gar nicht nachgedacht oder diskutiert hat. Natürlich sind die Bauten mal besser und mal schlechter aber - völlig richtig - hier steht das Ensemble im Vordergrund. Auf die Idee durch Farbgebung oder Fenstermaterial die Neualtbauten hervorzuheben kommt da auch niemand.


    In Potsdam jedoch wird jede moderne Architektur durch graue Farbgebung hervorgehoben und ein angepasstes Bauen verkommt zur Karikatur. Die von Dir genannten Beispiele fielen allesamt unter die verbotene Kategorie "historisierendes Bauen" und sind deshalb vom Gestaltungsrat abzulehnen.


    Beispiele für "kompromisslos moderne" bauten, die sich in ein historisches Ensemble einfügen, hast Du allerdings nicht vorgebracht.

  • Ich bringe das Gegenbeispiel Augsburg. Eine Stadt, die in den Sommermonaten mediterranen Flair in ihrem Zentrum versprüht, in der aber nur ganz wenige Leitbauten wirklich rekonstruiert wurden. Der ganze, große Rest wurde freihändig von den Bauherren neu gebaut, teilweise historisch angelehnt, teilweise kompromisslos modern, dennoch passt alles zu einem Gesamtensemble in der oben genannten Wirkung zusammen - weil die alten Grundstücksparzellen, Wegeführungen, Traufhöhen, Höhenabstufungen und somit auch Sichtachsen beibehalten wurden, die vor dem Krieg herrschten.


    So ist es:daumen: Es ist nicht notwendig eine 1:1 Rekonstruktion dessen zu machen was vor dem WWII bestand sondern ein Gesamtensemble zu erstellen wo das eine zum anderen passt.
    Es sind in Deutschland die Städte unansehnlich und hässlich bei denen Architekturexperimente gewagt wurden wo das "vorher" keine Rolle mehr spielen sollte.

  • Die genannten Ensembles sprechen alle für die Wiederaufbauphase von 1945 bis 1965


    War mir nicht bewusst, mag schon sein. Aber ich denke, es kommt auch viel darauf an ob und wie eine Stadtgesellschaft sowas mitträgt.
    Es scheint in den 1980ern eine Welle des historischen Selbstbewusstseins in Augsburg gegeben zu haben, als man das 2.000 jährige Jubiläum der Stadt feierte. Da entstanden zB auch solche Wohnanlagen in der Innenstadt, die ihr junges Alter nicht verbergen aber dennoch sehr klassische Gemütlichkeit erzeugen:


    https://model2.de/light/null.P…023_hinter_der_meqpzu.jpg


    man hat auch die zahlreichen Kanäle im ehemaligen Handwerkerviertel (was du vermutlich gefunden hast, wenn du nach "Augsburg Altstadt" gegoogled hast) aufgedeckt, diese waren über Jahrzehnte verdeckt um Autos Platz zu geben, deren wortwörtliche "Wieder-Entdeckung" hat zu sehr pittoresken Stadtansichten geführt:


    https://model2.de/light/null.Pumpernickel/img_1933q92o.jpg


    und kaum zu glauben, aber bis zu diesem großen Umbauprogramm in den 80ern galt dieser Stadtteil als "Glasscherbenviertel" in dem keiner wohnen wollte. Letztlich haben alle an einem Strang gezogen, damit es anders wurde, Stadt, Eigentümer und nicht zuletzt die Bürger.



    Ich denke, das größte Problem ist in Potsdam gar nicht mal der Geschmack der zeitgenössischen Architektenschaft, wenn ein Bauherr nur Vorgaben macht die spezifisch genug sind können auch heutige Architekten klassischer bauen, ich denke das Problem ist das vergiftete Klima und der Zank der in Potsdam entstanden ist. In Augsburg ging das sicherlich, ohne Zeitzeuge gewesen zu sein, auch nur dadurch, dass alle an einem Strang gezogen haben.


    Wie man dieses Problem auflöst weiss ich nicht, das ist auch kein Architekturproblem, sondern ein politisches Problem. Aber ich weiss, dass es möglich ist, auch ohne Rekos eine lebens- und liebenswerte Stadt zu gestalten, siehe oben.

  • Unschöne Szenen in der Infobox

    In der Infobox zur historischen Mitte spielen sich offenbar immer wieder unschöne Szenen ab. Wie die PNN melden, wurden Mitarbeiter wiederholt von Abrissgegnern angepöbelt und als "Verbrecher und Lügner" beleidigt. Auch Besucher der Infobox wurden schon verbal angegriffen, so eine Sprecherin des Sanierungsträgers. Bereits zweimal mussten Chaoten des Hauses verwiesen werden, das Personal hat sich inzwischen die Notfallnummer einer Sicherheitsfirma aufgeschrieben.


    http://www.pnn.de/potsdam/1082473/