Die Leubener Vorortsbahn (Teil I)
Heute begeben wir uns auf ganz neue Pfade, nämlich tief in den Dresdner Südosten. Erneut ist dabei ein Unternehmer von Interesse, den leider ein ähnliches Schicksal ereilen sollte wie den guten Carl Stoll...
Der Ingenieur Oskar Ludwig Kummer eröffnete im Jahre 1888 im an der Bahnstrecke nach Bodenbach verkehrsgünstig gelegenen Dörfchen Niedersedlitz eine Fabrik zur Herstellung elektrotechnischer Artikel. Dabei bewies er zunächst ein glückliches Händchen: Bis zum Ende des Jahrhunderts avancierte seine nunmehrige Aktiengesellschaft mit etwa 2000 Beschäftigten zu einer der größten Firmen im Königreich Sachsen.
1901 allerdings war es mit der Unternehmerherrlichkeit vorbei, denn seine Firma war nach diversen Fehlspekulationen pleite. Anders als Stoll flüchtete sich Kummer allerdings nicht in den Freitod, sondern verbrachte den Rest seiner Tage als Privatier. Er starb 1912 in Klotzsche.
Ende der 1890er Jahre plante Kummer, der sich auch im Bau und Betrieb von Straßenbahnen engagierte, die Anlage eines umfangreichen Meterspurnetzes im heutigen Dresdner Südosten. Als erstes eröffnete er Ende 1899 zwischen Niedersedlitz, Leuben und Laubegast die später als Vorortsbahn bekannte Linie. In Laubegast bestand Anschluss an die schon existierende stadtspurige Strecke der Dresdner Straßenbahn AG. Einerseits konnte er so seine hauptsächlich in den Dörfern der Umgebung niedergelassenen Arbeiter leichter einsammeln, andererseits diente ihm die Stammstrecke seines zukünftigen Netzes auch als Referenzanlage, konnte er hier doch in seiner Fabrik gebaute Fahrzeuge ungestört testen, zumal diese direkt an der Strecke lag und gleistechnisch angeschlossen war. Auch der Betriebshof der Bahn lag zunächst auf dem Werksgelände.
Durch die Firmenpleite kam es nicht mehr zur Ausführung der weiteren Strecken. Die Linie Loschwitz-Pillnitz, bereits in Meterspur nahezu fertiggestellt, wurde umgespurt, in eine Gemeindeverbandsbahn umgewandelt und mit der bestehenden Linie der Deutschen Straßenbahn-Gesellschaft (spätere Linie 18) verbunden, die Lockwitztalbahn nach Kreischa erst erheblich später errichtet. Die Vorortsbahn selbst ging in den Besitz des Gemeindeverbands Leuben über, der die Bahn bis zur Eingemeindung von Laubegast und Leuben nach Dresden 1921 unter teilweise recht widrigen Umständen weiterführte. 1903 kam es zum Bau des noch vorhandenen neuen Depots in der Leubener Bahnhofstraße (Stephensonstraße).
Vorortsbahn 1911 in der Ursprungskonfiguration und 1929, nach Umspurung und Einbeziehung in das Stadtspurnetz.
1906 wurde die Strecke dennoch von Niedersedlitz bis Kleinzschachwitz verlängert, auf dem Bahnhofsvorplatz entstand ein gemeinsamer Endpunkt mit der neuen Lockwitztalbahn. So verblieb die meterspurige Vorortsbahn bis 1924/25, bis sie schließlich schrittweise auf Stadtspur (1450mm) umgespurt wurde. Danach wurde der Abschnitt Laubegast-Niedersedlitz von der Linie 19 übernommen, zudem ging eine neue Verbindung von Seidnitz über die Pirnaer Landstraße nach Leuben in Betrieb, die am Friedhof auf die aus der Leubener Straße kommende Ex-Vorortsbahn traf. Nur der Restabschnitt Niedersedlitz-Kleinzschachwitz wurde weiterhin mit Solo-Wagen getrennt bedient, aber in Stadtspur bis zur Zschierener Fähre verlängert. Dieser existierte noch bis 1932.
Unseren Rundgang beginnen wir an der einstigen Umsteigestelle zwischen der Dresdner Straßenbahn und der Vorortsbahn. Links in der Leubener Straße steht ein Meterspurwagen der Vorortsbahn, die wegen der grünen Wagenfarbe im Volksmund die Bezeichnung „Laubfrosch“ erhielt. Rechts ein von Laubegast kommender und weiter in Richtung Stadt fahrender Zug der Linie 19, die wenige Jahre später anstelle der Meterspurbahn nach Niedersedlitz verlängert werden sollte.
Noch heute existiert der Abzweig am „Forsthaus“, links fährt seit 1969 die „6“ nach Niedersedlitz, im Vordergrund geht es zur Gleisschleife Laubegast, seit 1992 Endpunkt der Linie 4.
Das Forsthaus Laubegast, eine noch heute bestehende Gaststätte mit langer Tradition. „Forsthaus“ hieß mehr oder minder offiziell der Endpunkt der Vorortsbahn, Laubegaster bezeichnen so noch heute die Haltestelle „Leubener Straße“.
Offensichtlich ließen sich davon auch Grafiker der Dresdner Verkehrsbetriebe inspirieren, als 1985 ein baubedingter Pendelverkehr von Laubegast nach Leuben eingerichtet werden musste. Eine Haltestelle „Forsthaus“ gab es offiziell jedenfalls nicht. Zu dieser Zeit benannte man übrigens Baulinien mit 40er-Nummern, zu anderen Gelegenheiten pendelte auch schon mal eine „6“ zwischen Laubegast und Niederesdlitz auf den Spuren der alten Vorortsbahn.
Blick in die Leubener Straße, die heutige Haltestelle der Linie 6 befindet sich anstelle des ehemaligen Meterspurendpunkts.
Nach der Jahrhundertwende steht ein einsamer „Laubfrosch“ am Laubegaster Endpunkt. Blick in Richtung der heutigen Österreicher Straße.
Hier blicken wir aus einiger Entfernung auf den ehemaligen Endpunkt. Seit etwa 10 Jahren ist die Leubener Straße zweigleisig ausgebaut.
In der Leubener Straße, eine typische Dresdner Vorortszene.
Eckhaus an der Grazer Straße, einst Sedanstraße. Ein weiterer Einst-Jetzt-Vergleich mit Vorortsbahn-Wagen Nummer 2, einem der typischen Kummer-Wagen der Linie.
Im stattlichen Eckhaus an der Laibacher Straße befand sich bis Ende der 1990er Jahre die traditionsreiche Gaststätte „Flora“.
Heute durchfährt die Linie 6 mit modernem Niederflurmaterial zweigleisig die Leubener Straße. Hier ein Erster-Mai-Verstärker als „E6“ mit dem Ziel Bahnhof Neustadt an der stadtwärtigen Haltestelle „Laibacher Straße“
Weiter führt die Leubener Straße durch den Altelbarm nach Leuben. Wir blicken vom Rande der Leubener Flur in Richtung Laubegast, im Dunst sind die Elbhänge mit dem Fernsehturm zu erkennen. Überhaupt waren die Lichtverhältnisse heute zum Fotografieren alles andere als ideal…
Am Friedhof Leuben lugt der Turm der Himmelfahrtskirche über das Dickicht.
Wir sind mittlerweile im Nachbarort angekommen. Wie Laubegast wurde auch das erheblich industrialisiertere Leuben 1921 der Stadt Dresden „einverleibt“. Viele Grüße!
Blick über die Mauer auf den Leubener Friedhof.
An der Haltestelle „Friedhof Leuben“. Diese existiert erst wieder seit dem Ausbau der Leubener Straße und wird durch Linie 6 bedient. Seitdem gibt es auch ein Gleisdreieck, wobei planmäßig nach wie vor nur nach rechts in die Pirnaer Landstraße abgebogen wird. Von links trifft die 1925 mit der Umspurung eröffnete Strecke aus Seidnitz auf die Vorortsbahn, heute nur noch von der Linie 2 befahren, bis 2000 durch die 12 und 14.
Leubener Friedhofsmauer an der Pirnaer Landstraße.
Dunstige Blicke nach Altleuben, hier befindet sich noch die Staatsoperette, die demnächst in das Kraftwerk Mitte umziehen wird.
Der Blick auf den ehemaligen Gasthof Leuben in Perspektive des zweiten obigen Bildes wurde einst durch die dörfliche Ursprungsbebauung verhindert. Die Postkarte entstand nach 1925, wie der Straßenbahnzug der Linie 19 auf Stadtspur beweist.
Die Leubener Himmelfahrtskirche entstand als Ersatzbau für die viel zu klein gewordene mittelalterliche Dorfkirche nach Plänen von Emil Scherz von 1899 bis 1901. Aus dem Dörfchen Leuben war mittlerweile ein prosperierender Industrieort mit entsprechend gewachsener gottbefohlener Kundschaft geworden…
Das gleiche Motiv auf einer historischen Postkarte.
Zum Abschluss des ersten Teils stromern wir noch ein bisschen um die Himmelfahrtskirche und entdecken dahinter die Reste der mittelalterlichen Dorfkirche, genauer deren Turm. Das Kirchenschiff schloss an die im Bild sichtbare kahle Wand an, neben dem Turm sind noch Reste des Langhauses mit barockisierend umgestaltetem Kirchenfenster erkennbar.
Leubener Turmimpression: Türme der alten und der neuen Kirche friedlich vereint.
Himmelfahrtskirche von Süden.
Hinter der Kirche befindet sich das zeitgleich 1900/01 errichtete stattliche Rathaus Leuben, heute Ortsamt. Es zeugt vom neuen Wohlstand des einst ärmlichen Örtchens…
Rathaus Leuben und Himmelfahrtskirche auf einer historischen Postkarte.
Mit diesem Blick durch den Park nördlich der Kirche zur Pirnaer Landstraße beenden wir Teil 1 und legen eine kurze Rast ein.