Von der Antonstadt zum Waldschlößchen und nach Bühlau (Teil I)
Seit dem 22. August 1899, also seit nunmehr fast 120 Jahren, kämpfen sich elektrische Straßenbahnen den steilen Hirschberg hinauf, um Bühlau, Quohren und den Weißen Hirsch mit der großen Stadt drunten im Talkessel zu verbinden. Wenn man das Adjektiv „legendär“ auch gern über die Maßen verwendet, auf die Bühlauer Außenbahn trifft es mit Sicherheit uneingeschränkt zu.
Ab dem Waldschlößchen steigt die Strecke bis zum knapp 6 Kilometer entfernten Bühlauer Endpunkt nahezu kontinuierlich an, und mit einer Maximalsteigung von 77 ‰ gehört sie zu den steilsten Strecken des Dresdner Netzes überhaupt. Zudem ist sie von ausgesprochenem landschaftlichen Liebreiz, insbesondere der Abschnitt bis zum Weißen Hirsch gehört wohl zum reizvollsten, was ein deutscher Straßenbahnbetrieb heute zu bieten hat.
Und nicht zuletzt stellte die Bahn stets besondere Herausforderungen an das hier eingesetzte Rollmaterial. Waren es anfangs besonders stark motorisierte Triebwagen, behängt mit im Gegenzug besonders leichten Beiwagen, die die Steilstrecke erklommen, kamen ab 1931 die Großen Hechtwagen zum Einsatz, die der Linie 11 zur Berühmtheit gereichten und die Strecke für fast vierzig Jahre fest in Beschlag nahmen. Dann folgten ab 1969 die bekannten T4D-Traktionen (der Beiwageneinsatz nach Bühlau war im Fahrgastverkehr stets verboten) und schließlich nach der Jahrtausendwende die Niederflurwagen, insbesondere die NGTD 12 DD, die heute scheinbar mühelos den Hirschberg hinaufschweben…
Nicht zuletzt aber ist es auch die Liniennummer 11, die der Strecke zu ihrem Nimbus verhalf. Seit Einführung der Nummerierung 1906 kam bislang noch nie jemand auf die Idee, die Bühlauer mit einer anderen Bezifferung zu beglücken – abgesehen von recht kurzlebigen zusätzlichen Angeboten namens 111, 10, S11 oder 51.
Die heutige Bühlauer Strecke beginnt in der allgemeinen Wahrnehmung an der Kreuzung Bautzner/Rothenburger Straße, denn ab hier ist die 11 seit den Nachkriegsjahren meist allein unterwegs – ohne weitere Verknüpfungspunkte zu anderen Straßenbahnstrecken. Bereits seit 1881 jedoch war es möglich, mittels Pferdebahn-Decksitzwagen der Linie Postplatz – Waldschlößchen (später Teil der Linie 9) per Geleisen das beliebte Etablissement mit angeschlossenem Brauhaus am Elbhang direkt aus der Stadt zu erreichen. Die Pferdebahn löste wiederum eine bereits seit 1838 bestehende Pferdeomnibuslinie des Dresdner Omnibus-Vereins mit fast identischer Streckenführung ab und wurde ab 1899, kurz vor der Eröffnung der Bühlauer Außenbahn, elektrisch befahren. Bis Ende Januar 1906 verkehrten die Wagen der ab dem gleichen Jahr als „11“ bezeichneten Bühlauer Außenbahn im Anschlussverkehr ab Waldschlößchen, erst dann wurden sie bis zum Neustädter Bahnhof und später weiter über das Stadtzentrum in den Süden geführt. Dabei ist es bis heute geblieben, auch wenn sich die Durchfahrtsstrecke durch das Zentrum und die jeweiligen Endpunkte im Süden im Laufe der Zeit mehrfach ändern sollten.
Das erste Dresdner Nahverkehrsmittel - Gefährt des Dresdner Omnibusvereins vor dem Waldschlößchen zur Mitte des 19. Jahrhunderts.
Begeben wir uns also auf die Strecke der Linie 11, auch wenn diese natürlich heute noch quicklebendig daherkommt und damit eigentlich nicht unter die Rubrik dieses Stranges fällt. Beginnen werden wir am Albertplatz, wo seit 1881 die Pferdebahnlinie Postplatz – Waldschlößchen aus der Mittelfahrbahn kommend in die Bautzner Straße abbog.
Albertplatz vor dem Ersten Weltkrieg. Noch erhebt sich das Albert-Theater am östlichen Platzrondell. Aus der Haltestelle im Gleisbogen davor fährt gerade ein Straßenbahnzug ab. Es muss sich dabei um eine Linie 9 zum Waldschlößchen handeln, denn die ab 1909 zwischen Georgplatz und Forststraße deckungsgleiche 16 verkehrte mit roten Wagen, wie es sich für eine Linie mit gerader Nummer geziemt.
Der winterliche Albertplatz zur Pferdebahnzeit (Foto von Ermenegildo Antonio Donadini, Deutsche Fotothek). Im Vordergrund biegt ein Decksitzwagen der Waldschlößchen-Linie in Richtung Hauptstraße ab.
Auch etwa 130 Jahre später lässt sich das Motiv noch erahnen, wobei natürlich der Turm der Dreikönigskirche durchaus weiterhilft.
Im ersten Teil der Strecke folgen wir der ehemaligen Pferdebahnlinie zum Waldschlößchen. So gestaltete sich deren Beschilderung.
Fahrplan der Pferdebahnlinie von 1883.
Gut gepflegt zeigen sich die Grünanlagen zwischen alter und neuer Bautzner Straße im Rücken des nicht mehr existenten Albert-Theaters.
Historischer Blick zurück zur Einmündung der Alaunstraße, das Eckhaus rechts existiert noch immer. Links angeschnitten das Albert-Theater, der rote Triebwagen befährt die Linie 16 in Richtung Grenadierkaserne. Seit 1909 verkehrt diese über die Augustusbrücke und die Hauptstraße parallel mit der 9, vorher nahm sie den umständlichen Weg über Elb- und Hasenberg, Terrassenufer, Sachsenplatz und Albertbrücke zur Bautzner Straße, ein Relikt des Parallelverkehrs der Privatbahnzeit, wo man die Gleise der Konkurrenz mied wie der Teufel das Weihwasser.
Vergleichsblick aus der alten Bautzner Straße zum markanten Eckhaus mit der Rothenburger Straße, ehemals Markgrafenstraße.
Bautzner/Markgrafenstraße. Hier kreuzte die Waldschlößchen-Linie jene vom Georgplatz zum Alaunplatz, die später über den Bischofsweg zur Hechtstraße verlängert wurde und von der Sachsenallee bis zum Bischofsplatz heute Teil der Linie 13 ist. Das Bild entstand vor 1906, denn der kleine gelbe Triebwagen führt noch das vormalige Liniensymbol, ein rotes Dreieck mit weißem Rand anstelle der Liniennummer 5, auf dem Dach spazieren.
Seit 1946 heißt die Markgrafenstraße Rothenburger Straße, ansonsten hat sich baulich wenig verändert. Selbst die Straßenbahnstrecken sind hier noch alle erhalten.
Die kriegsbedingten Baulücken wurden nach der Wende mit mehr oder weniger geglückten postmodernen Neubauten gefüllt. Hier das dem vorigen Eckhaus diagonal gegenüberliegende Exemplar in einer Gegenlichtaufnahme. Der Eckturm erinnert an eine Katjuscha-Rakete.
Gleiche Ecke, nur etwa 120 Jahre früher. Das “Café Parzifal“ überlebte die Luftangriffe nicht. Man beachte die „gelbe“ Straßenbahnherrlichkeit auf der Kreuzung: Wieder eine „Dreieckslinie“, diesmal in Richtung Alaunplatz, auf der Bautzner Straße ein Zug der Linie Waldschlößchen – Neumarkt – Strehlen (ab 1906 Linie 9) auf der Fahrt in Richtung Altstadt.
Bautzner Straße. Der gefällige Benchmark-Neubau hinter dem Pferdebrunnen schließt adäquat die Bombenlücke zwischen Holzhofgasse und Bautzner Straße. Was man vom linkerhand sichtbaren potzbudenhässlichen Parkhaus-Neubau des un-netten Herrn Nettekofen beim besten Willen nicht sagen kann.
Anstelle des Benchmark-„Headquarter“ befand sich dereinst der “Goldene Löwe“. Bis September 1906 nahmen die Wagen der „roten“ Linie zur Grenadierkaserne (später 16) hier die abenteuerliche Route durch die Carl-(Lessing-)straße und Melanchthonstraße zur Glacisstraße zwecks Vermeidung von Feindkontakt mit den gelben Geleisen. Erst die Übernahme durch die Städtische Straßenbahn ermöglichte deren Mitbenutzung auf größerer Länge, und die „16“ bog bis 1909 bereits an der Bautzner/Kurfürstenstraße in erstere ein. Es war eine der ersten Streckenstilllegungen der Dresdner Straßenbahn.
Bild nach 1906, denn die in die Carlstraße führenden „roten“ Gleise sind verschwunden. Die „rote 16“ nimmt nun den Weg über die Bautzner Straße auf ehemals „gelber“ Route. Links das sehr markante „Hotel Garni“ an der Ecke zur Martin-Luther-Straße. Davor befand sich die gleichnamige Straßenbahnhaltestelle.
Der anstelle des kriegsabgängigen „Garni“ in den 1990ern errichtete postmoderne Lückenbau nimmt mit seinem Eckturm durchaus Bezug auf das historische Vorbild. Trotz der modernen Architektur lässt sich die historische städtebauliche Situation heute nach dem Verschwinden der zahlreichen Bombenlücken wieder sehr gut nachvollziehen.
Der 1921 aufgestellte Pferdebrunnen auf dem namenlosen, aber sehr hübschen Platz zwischen Bautzner Straße und Holzhofgasse. Er erinnert an die Strapazen, die die Zugtiere der damals noch häufigen Fuhrwerke bei der Erklimmung des Hirschberges auf sich nehmen mussten.
Aus dem „Goldenen Löwen“ blicken wir zurück zum Albertplatz, wo sich markant die Rückfront des Albert-Theaters mit seinem mächtigen Bühnenhaus ins Bild schiebt. Eine beiwagenlose „9“ strebt stadteinwärts.
Ähnliche Perspektive von ebener Erde heute. Schmerzlich wird das Fehlen des markanten Theaterbaus als städtebaulicher Fixpunkt deutlich.
Wir springen eine Haltestelle weiter zur Diakonissenanstalt. Eine unschöne Baulücke klafft noch immer im Zwickel zwischen Bautzner und Prießnitzstraße, da, wo dereinst die „Hohen Haine“ von Friedensreich Hundertwasser entstehen sollten, deren bauliche Umsetzung durch das Ableben des Künstlers leider verhindert wurde. Dafür sieht man den Turm der Martin-Luther-Kirche umso besser.
Vergleichsbild. Man kann den Kirchturm erahnen. Die straßenständigen Gebäude der Diakonissenanstalt links sind verschwunden.
Diakonissenkrankenhaus – straßenseitige Mauer mit landwärtiger Haltestelle. Diese hieß dereinst „Forststraße“ und war Trennungspunkt der Linien zum Waldschlößchen (Linien 9 und 11) und zur Grenadierkaserne (Linie 16).
Ab 1922 wurde schließlich die 9 zur Grenadierkaserne geführt, wo sie bis zum 13. Februar 1945 verblieb. Der Waldschlößchen-Ast wurde ab 1925 durch die neu eingeführte „13“ verstärkt. Fahrpläne der Linie 9 von 1929.
Sprung zum Waldschlößchen. Ursprünglich befanden sich die Gleisanlagen auf der Nordfahrbahn des Rondells unterhalb der Stützmauer. Stadtplanauszug von 1911.
Eines der bekanntesten Vorkriegsmotive des 1836 als Brauerei eröffneten „Waldschlößchens“. Wir blicken über das Rondell auf den Straßenbahn-Endpunkt. Die Liniennummern sind nicht auszumachen, doch bei dem bergwärts erkennbaren Beiwagen-Zug könnte es sich um eine „11“ handeln.
Vergleichsbild mit der heutigen Haltestellenanlage.
Aktuelles Rollmaterial der „11“ mit Werbung für einen örtlichen Getränkehersteller, dessen wichtigstes Produkt auch (noch) die Brust der Fußballprofis der SG Dynamo ziert.
Der Ausbau der Bautzner Landstraße in den dreißiger Jahren brachte auch für die Straßenbahn zahlreiche Verbesserungen. Die Gleise am Waldschlößchen wurden in Mittellage gebracht und eine Haltestelle auf eigenem Bahnkörper angelegt, die noch immer existiert, aber nun auch von Bussen befahren werden kann. Man beachte das elegante Warte- und Trafohäuschen links und natürlich den schnittigen „Großen Hecht“ auf Talfahrt. Das Bild stammt höchstwahrscheinlich aus dem DVB-Archiv (genaue Quelle ist mir entfallen).
Zwei Blicke auf den ehemaligen Gleisbereich unterhalb des Waldschlößchens.
Genau dort steht der „Bühlauer Wäschewagen“, eine Spezialität der Steilstrecke. Er ersparte den Waschfrauen aus der proletarischen Antonstadt ab 1900 den beschwerlichen Anstieg den Hirschberg hinauf, wenn sie die Wäsche der reichen Familien auf dem „Hirsch“ abholten bzw. nach vollbrachter Arbeit zurückbrachten. (DVB-Archiv)
Was wäre das Waldschlößchen ohne den entsprechenden Blick auf die Stadt? Damals störte noch keine umstrittene Elbquerung die Idylle, und die Hochhäuser der Johannstadt verstellten noch nicht den Blick auf die Altstadt…
Wir verabschieden uns zunächst vom Waldschlößchen, und dies mit dem Auszug aus dem „Verzeichnis der Straßenbahnlinien“ von 1909. Ein Vergleich der Haltestellenlagen und –namen mit späteren Zustanden empfiehlt sich…