Reko vs moderner Neubau - Vom einen zu wenig, vom anderen zu viel?


  • Um Ihren Unmut über die moderne Architektur zu verstehen, bitte ich Sie 5-6 gebaute Beipiele der letzten Jahre in der Berliner Altstadt zu nennen, welche in Ihren Augen modern sind.


    Die Berliner 'Altstadt' ist aktuell noch Brachfläche, wahlweise mit Gehwegplatten belegt oder Grünanlage (bzw. Baustelleneinrichtung). Die nächsten Neubauten befinden sich am Friedrichswerder bzw. im Umfeld des Alex. Nichts davon fällt auch nur ansatzweise in den Bereich 'Rekonstruktion' auch keine 'kritische'. Die Diskussion ist doch angesichts solcher Beispiele völlig absurd.






  • Diese Moderne-Beispiele finde ich ja ganz passabel. Es gibt doch aber unzählige Häuser, die einfach nur Stangenware sind. In der Nähe des Spittelmarkts und auch in der Friedrichstraße meine ich recht viele solcher Exemplare gesichtet zu haben.


    Und da liegt eben das Problem: Zu viel, zu häßliche Moderne. Zu wenig Historisierungen und Rekonstruktionen.

  • Zu viel, zu häßliche Moderne. Zu wenig Historisierungen und Rekonstruktionen.


    Ergänzend: zu wenig gelungene Moderne die sich von der üblichen Investorenstangenware ala KSP Engel und Konsorten abhebt (vor allem bei Großprojekten).

  • ^^ Vielen Dank für die Fotos! Bis auf die Hochhäuser am Potsdamer Platz und das Außenministerium sind wir einer Meinung. Interessanterweise sind die - in meinen Augen - positiven Beispiele jüngeren Datums. Die meisten Bauten nach der Wende bis in die 2000-er sind - da gebe ich Ihnen Recht - einfallslos, 08/15. Dass da ein Hass auf alles Neue entstand ist zwar verständlich, das ganze sollte jedoch etwas differenzierter gesehen werden - Stichwort: nicht alles was neu ist darf mit Modern verwechselt werden! Das meine ich jetzt nicht als Beleidigung sondern als Bitte.


    ^ Die Ergänzung von Bato trifft es voll und ganz!

  • Was ist denn am Außenministerium so schlecht? Oder geht es um den Moderne-Status? Das AA wirkt auf mich irgendwie klassisch. Allerdings ist es ja auch recht kreativ und expressiv.


    Davon abgesehen ist für mich klar, daß die anderen nicht die Moderne per se ablehnen, sondern eben die immergleiche Stangenware. So eine ästhetische Verarmung gab es eben vor 100 Jahren nicht. Trotz gewisser Konvergenzen und Wiederholungen hat die traditionelle Architektur den Orten ein individuelles Gesicht gegeben.


    Das Grundproblem ist einfach das folgende: Der Ästhetik wird heute einfach nicht mehr der finanzielle Spielraum zuerkannt. Man kann auch mit modernen Mitteln echte Gebäude schaffen, mit Gesicht und Individualität. Aber das bleibt die Ausnahme.


    Das war vor 100 Jahren anders. Die kapitalistische Rationalisierung und Durchökonomisierung des Lebens war damals noch auf einem ganz anderen Stand. Es werden ja auch andere Kulturbereiche durch ein perverses Profitdenken kastriert und trivialisiert. Man denke nur mal an den Bereich der Musik oder des Films.

  • Aus einem anderen Thread, der wieder mal durch eine Grundsatzdebatte gesprengt wird:


    ... Eine gotische Kathedrale ist DIE pure Konstruktion! ... Vielleicht solltest du Architektur nicht immer nur unter dekorativen Gesichtspunkten betrachten! ...


    Immer wenn ich mir Bauwerke der Gotik anschaue (einen Großteil der Beispiele im WP-Artikel habe ich persönlich gesehen), fallen reiche Verzierungen auf - es ist etwas mehr als bloß Konstruktionselemente. Wenn jedoch etwas weiter fällt, Gotik und Schinkel seien eigentlich Moderne, soll mir recht sein - dann wird es wohl keine Widerstände mehr geben, im Fall der Bebauung des westlichen Teils des Rathausforums dies möglichst im Stil der Moderne (= Gotik) zu tun - zu den historischen Anfängen Berlins in der Zeit am jenen Ort passend. Zumal auch die frühe Moderne durchaus Verzierungen kannte, erst mit der Investorenarchitektur der letzten Dekaden sind diese weitgehend verschwunden.


    Und übrigens - die antiken Skulpturen waren tatsächlich bunt bemalt, das wird gut u.a. in den Parthenon-Räumen im British Museum erklärt. Innenräume, die die echte antike Farbigkeit wiedergeben, wären tatsächlich interessant - leider fand ich in der Grundsatzdebatte um die Museumsinsel-Gestaltung keine Fotos/Visualisierungen, wie die rohe Lösung eigentlich aussehen mag. Wenn das von mir am Samstag gesehene Archäologische Museum Westfalens wie eine Ansammlung der Grabungsstätten gestaltet werden könnte, wieso könnten Innenräume eines Antike-Museums nicht wie das Innere antiker Tempel gestaltet werden?

  • ^ Es ist gut, dass Sie Kirchen besichtigen und dabei auch auf Architekturdetails achten. Folgendes möchte ich Ihnen erläutern: Ich habe Architektur studiert und hatte auch zahlreiche Vorlesungen zu den europäischen Stilepochen. Vor dem Studium war ich - wie Sie - der Ansicht, die reichen Verzierungen z.B. im Kölner Dom seien größtenteils aus optischen Gründen eingebaut um den Raum zu verschönern. Ich wäre damals nie auf die Idee gekommen, die gotische Architektur sei modern bzw. sei Konstruktion pur. Erst im Laufe des Studiums lernte ich, dass in der Tat fast alle sichtbaren Teile einen konstruktriven Sinn und vor allem statische Funktion haben. Man betrachte nur mal die angesprochenen "Röhrchen" an den Stützen: Stellen sie sich mal vor eine solche Stütze und folgen sie dem Röhrchen mit den Augen nach oben. Manche Röhrchen gehen in die Tragkonstruktion des Daches über,andere gehen in den Spitzbogen zum Seitenschiff über. Jedes Röhrchen hat eine statische Funktion und die Stütze sieht dadurch viel filigraner und schöner aus.

  • Was ein Quatsch. Die Gleichsetzung Gotik/Moderne hinkt gewaltig. In der Gotik hat zwar jedes Bauteil einen baulichen oder liturgischen Zweck, jedoch wird dieser Zweck möglichst künstlerisch ausgeführt und folgt eben nicht der puren Nutzform.

  • Die Gotik ist mein absoluter Lieblingsbaustil, glaube mir das ich ihn klar vom Barock trennen kann.
    Was ist denn deiner Meinung nach an meiner Aussage falsch?
    Wo findest du in der Gotik denn die reine Form, die nichts als dem puren Nutzen dient?


    Im Barock gibt es im Gegensatz zur Gotik auch rein künstlerische Elemente ganz ohne jeglichen Nutzen.


  • Wo findest du in der Gotik denn die reine Form, die nichts als dem puren Nutzen dient?


    -Wie schon oben erwähnt, die "Röhrchen" an den Stützen, genannt Bündelpfeiler:
    http://de.wikipedia.org/wiki/B%C3%BCndelpfeiler
    - Das Kreuzrippengewölbe und Ausfachungen zwischen dem Gewölbe:
    http://de.wikipedia.org/wiki/Kreuzrippengew%C3%B6lbe
    Dazu ein Foto einer gotischen Kirche, wo diese Bauteile exemplarisch zu sehen sind:
    http://de.wikipedia.org/wiki/B…ens_cath%C3%A9drale18.JPG

  • Lingster


    Es widerspricht dem gotischen Stil zutiefst soetwas wie dekorativ sein zu wollen.
    Die Gotik; und ich bin ihr verfallen seit ich denken kann, strebt nach weit hererem als nach Dekoration. Alles folgt nur dem einen Ziel alles möglichst licht hell und erhaben wirken zu lassen, ein himmlisches Jerusalem auf Erden. Alles Massive wird fragil und himmelstrebend. Und das nur weil es möglich war von der Statik her eben durch die enorme Innovation der Erfindung des Strebewerks, des Kreuzrippengewölbes und der Bündelpfeiler, und alles im krassen Gegensatz zur dunklen, geerdeten Romanik.

  • @DT,
    ja welchen Sinn haben denn die Verzierungen der Kapitelle der Pfeiler?
    Warum wurden die Rippen oft Kunstvoll durch Malerei in Szene gesetzt und die Punkte an denen sie auf andere Rippen treffen häufig mit "Blumen" kaschiert?


    Camondo,
    Abgesehen von deinem ersten Satz stimme ich dir voll zu.
    Es wiederspricht sich aber mit nichten. Das Licht sollte wie bei Gemälden durch prächtige Rahmen eingefangen und präsentiert werden.
    Für mich ist die Gotik die perfekte Symbiose aus Kunst und Funktion an der heutige Architekten aus meiner Sicht fast immer (oft auch auf Grund des Geldes) scheitern.
    Wenn in der Gotig kein Platz für Dekoration gewesen wäre, wieso sehen dann Kriechblumen aus wie sie aussehen und was sollen die ganzen Fialen und Tabernakel in dieser Form.
    Auch gibt es gerade im sakralen Bereich der Gotik Unmengen an Zahlensymbolik die das Göttliche hervorheben sollen, dem sich die Funktion dann und wann unterordnen musste.

  • Lingster
    du sagst es selbst. Wie könnte etwas wie Dekoration das göttliche hervorheben?
    Wenn wir jetzt zum Skulpturalen kommen, so ist dies Programm oder besser Propaganda. Skulptur in der Gotik hat einen Auftrag, sie ist nicht etwas sinnentleertes wie Dekoration. Skulptur wie auch die Fenster dienen dazu die Seele des Menschen aufzurichten und ihn von der Schwere zu befreien. Das ist viel mehr als schnöde Deko je leisten könnte, no? Vielleicht weil wir heute einiges nicht mehr verstehen, interpretieren können sehen wir nur noch dekorative Formen... die Menschen in der Gotik konnten darin lesen, besser als in Büchern.

  • ^ Ich gebe auf! Sie schreiben die Architekturgeschichte neu, genau wie es Ihne passt! Bauhistoriker haben keine Ahnung und Architekten können ja eh nichts! Viel Spaß noch in Ihrer schwarz-weiß-Welt!

  • Camondo
    Also bist du doch ebenfalls der Meinung das eben nicht nur die pure Konstruktion sondern eben auch "Programm/Propaganda" die Gotik bestimmte.


    Dekoration ist ein modernes Wort dessen Begrifflichkeit durch die Sinnbefreite moderne Kunst selbst Sinnbefreit wurde.
    Das Wort Dekoration hab ich für diese Kunst genutzt weil du es nutztest.
    Zur Zeit der Gotik war alle Kunst von Symbolik geprägt und somit jede Dekoration mit tieferem Sinn also in Fall von Kirchen zur Erhöhung Gottes.


    Edit:@DT
    Du hast noch gar nicht angefangen deine Sicht mit richtigen Argumenten zu verteidigen also kannste auch nicht aufgeben.
    Welche Bauhistoriker sprechen denn bei Gotik von reiner Funktion? Wenn du dich allein auf das im Studium gelernte stützt wundert mich deine Aussage nicht. Denn dort wird eine sehr enge und verkürzte Sicht auf Architekturgeschichte vermittelt.


  • Wenn du dich allein auf das im Studium gelernte stützt wundert mich deine Aussage nicht. Denn dort wird eine sehr enge und verkürzte Sicht auf Architekturgeschichte vermittelt.


    Richtig! Sie haben Recht!


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    Irgend ein feiges Ar....loch hat in der Bewertung meines Kommentares folgendes geschrieben:
    "Von Gotik haben sie eindeutig keine Ahnung."
    Was soll dieser anonyme Beitrag in einem Architektur-Forum? Statt Argumente auszutauschen (das ist der Sinn eines Forums!) schreibt man einfach mal irgendeine Beleidigung! Schade! So hat dieses Forum keinen Sinn!!!! Ich frage mich, ob dieser Feigling einfach nur Dumm ist oder ob er wirklich glaubt, Ahnung von der Gotik zu haben!?

  • ^
    hmm, du hast selber kein Argument geliefert, wie kannst du das dann anderen vorwerfen?
    "Sie schreiben die Architekturgeschichte neu, genau wie es Ihne passt!" ist eine ebenso leere stupide Phrase wie "Von Gotik haben sie keine Ahnung"


    Du hast es doch noch gut, du hast wenigstens eine Aussage, bei mir steht in der Bewertung für #56 "Einfach mal Dieter Nuhr!" Einfach Nuhr nichtssagend :D

  • Ich weiss nicht, ob dieser Artikel hier schon mal verlinkt wurde aber für alle die sich für Modern oder historisch interessieren, sehr sehr gut. Golden Age war so nett und hatte ihn im Frankfurter Forum gepostet


    http://www.welt.de/kultur/lite…moderner-Architektur.html


    Der meiner Ansicht nach schönste klassische Neubau in Deutschland
    http://www.skyscrapercity.com/…p?p=112051308&postcount=4

    Einmal editiert, zuletzt von LukaTonio ()

  • @Theseus
    Ich kann dein Argument durchaus nachvollziehen, wonach es nicht immer sinnvoll ist, Entscheidungen über Architektur in demokratischen Prozessen zu entscheiden.


    Die Vollrekonstruktion des Schlosses war eine der möglichen Optionen. Natürlich gibt es die Sehnsucht vieler Bürger nach einem komplett wiederaufgebauten Stadtschloss. Eine solche Vollrekonstruktion ist aber grundsätzlich nicht populistischer als andere Optionen. Eine Vollrekonstruktion ist eine genauso legitime Option wie jede andere Option. Mich würde interessieren, ob du die Wiederherstellung des Neumarktes in Dresden und des Römer-Areals in Frankfurt auch als populistische Maßnahmen betrachtest.


    Ich kann natürlich nicht für Theseus sprechen, und von der Rekonstruktion des Neumarktes weiß ich zu wenig. Was das Dom-Römer-Areal in Frankfurt angeht würde ich aber sagen: ja, ganz klar populistisch – wegen der Entwicklung, die die Planung genommen hat. Ursprünglich sollte es dort weniger um eine Rekonstruktion gehen, denn um eine moderne Interpretation historischer Bauformen. Nur ganz wenige, weil herausragende Häuser sollten rekonstruiert werden. Das hätte eine m.E. vorbildliche Auseinandersetzung mit der Geschichte dieses Ortes werden können.


    Medien und Öffentlichkeit entwickelten aber schnell Druck auf die Planer und riefen nach dem, was ich die Puppenstubenvariante eines Mittelalter-Stadtkerns nennen würde. Teile der Politik griffen diese Stimmung auf und verstärkten sie noch, indem sie eine vollständig pseudo-historische Gestaltung quasi zum gesunden Menschengeschmack erklärten und alles andere zur Geschmacksverirrung (deshalb: Populismus). Im Ergebnis wurden immer mehr Häuser "historisch" gestaltet, und nur noch wenige moderne dürfen sich verschämt dazwischenquetschen. Ich finde, hier wurde eine Chance verpasst, schade.


    Ich möchte die zigfach geführte Debatte über Vollrekonstruktionen nicht nochmal durchhecheln, sondern nur noch einmal einen Kritikpunkt in Erinnerung rufen: Die Botschaft, die von einer Vollrekunstruktion ausgeht, basiert immer auf einem Als-ob; notgedrungen verschweigt sie etwas, und oft genug soll sie das auch – nämlich den Teil der Geschichte, mit dem man nichts mehr zu tun haben möchte. Deshalb finde ich die Stella-Fassade in ihrer schlichten und etwas langweiligen Modernität auch richtig: Sie bricht aus dem scheinbar historischen Baukörper hervor, stellt damit eine von außen sichtbare Verbindung zum modernen Inneren dar und verkündet allen, was das Potsdamer Stadtschloss nur dank seiner Aufschrift zu erkennen gibt: "Ceci n'est pas une chateau!"

    2 Mal editiert, zuletzt von Architektenkind ()