Reko vs moderner Neubau - Vom einen zu wenig, vom anderen zu viel?

  • ^ Es ist ja nicht so, dass sich die gesamte Bevölkerung Gedanken über Architektur macht und darüber diskutiert. Es wird mit den Füßen abgestimmt und so kommt ja z.B. niemand auf die Idee Kassel wegen seiner schönen Innenstadt besuchen (Wenn dann wegen irgendwas anderem).
    Aber ein kleiner Teil der Bevölkerung macht sich Gedanken und diskutiert darüber (z.B. hier im Forum) und da gibt es solche und solche.


    Schauen Sie mal, wie wie viele Fotos von Touristen (rot) im Bereich zwischen Alex und Humboldtforum gemacht werden, das sind jetzt nicht weniger als Unter den Linden.


    http://motherboard.vice.com/de…-karte-von-foto-orten-111

  • DerBe: Insgesamt würde es nach dieser Liste aber dennoch stimmen (Historisches dominiert die Top 10). Aber ich zweifle davon abgesehen mal an, dass der Messansatz wirklich so zuverlässig ist, denn u.a. der im Artikel angesprochene Fernsehturm wirkt auch gut aus etwas Entfernung und der Checkpoint Charlie liegt anders herum mitten auf einer pulsierenden und prominenten Kreuzung, sodass im direkten Umkreis auch andere Dinge geknipst werden können. Abgesehen davon bringt uns der Exkurs mE aber ohnehin nicht groß weiter. Momentan tobt diese Diskussion Tradition vs. Moderne aber gefühlt in jedem zweiten Strang und ermüdet zumindest mich zunehmend. Ich persönlich würde gerne dafür plädieren, die Projekte je im engeren Kontext zu diskutieren (passt es zum Umfeld uns sei es durch einen bewussten Kontrast, wie gelungen ist die Architektur) und nicht jedes Mal die Generaldebatte zu entstauben. Es gibt doch hüben wie drüben viel Licht und Schatten in der Substanz, wobei bei älteren Bauten eher die besseren/ bedeutsameren überdauern oder sogar zurückkehren. Ich bin grundsätzlich trotzdem heilfroh, dass Berlin beides und - ja - auch einige interessante Brüche hat.


    Tomov und Jack000: Oder einfach den Fernsehturm, die Weltzeituhr und natürlich den historischen Brunnen sowie das Rote Rathaus ;)...

  • Nikolaiviertel auf Flickr hat doch genauso wenig Aussagekraft wie der FT Beides wir wohl häufig fotografiert. Daraus abzuleiten, das eine oder andere würde bevorzugt ist einfach mal Quatsch.

  • Auf diesen Beitrag...

    Es sind sämtliche Rekonstruierten Projekte oder die Wiederherstellung von gewachsenen Strukturen durch die Bank ein Erfolg gewesen. Viele Neubauten hingegen gelten als sehr häßlich und sogar das Wort "Bausünde" wurde extra deswegen erfunden um einen Begriff für die Fehler die gemacht wurden zu haben.


    ...antwortet LDB so:

    ^ Uff. Gegen wen schrieben die Traditionalisten denn an, wenn alle mit ihnen einverstanden wären?


    Ich würde mir hier im Forum weniger funktionalen Analphabetismus wünschen. Auch auf meinen eigenen letzten Beitrag anwortete LDB recht konfus. Das werde ich noch besprechen. Man sollte doch ein Mindestmaß an Lesekompetenz aufbringen. Die Betrachtung von Jack ist eine Ex-Post-Betrachtung.


    Nun ja. Was soll man dann zu solch einer Antwort wie der obigen noch sagen? Wir sind doch hier nicht im Dschungelcamp oder beim Schlammcatchen, wo man versucht, auf die erstbeste Weise einen vermeintlichen Punkt zu landen.


    Die Traditionalisten schreiben bei laufenden Debatten und möglichen Projekten gegen die Hardcore-Modernisten an. Da ist das nämlich noch vonnöten, weil die Projekte noch nicht realisiert sind. Jack bezieht sich mehr als offensichtlich nicht auf diese Debatten, wo man begriffsstutzige Hardcore-Modernisten überzeugen muß, sondern auf das Danach, auf die allseitige Zufriedenheit mit der Wiederbelebung historischer Strukturen.


    Und ich frage noch mal: Habt ihr euch mal die Debattenbeiträge bzgl. des Rathausforums angesehen? Dort sprechen sich mehr als 95% der Beteiligten gegen die "sozialistische Wüste" aus. Die Rhetorik ist dort häufig zu lesen.


    Was macht man da als Hardcore-Modernist? Natürlich handelt es sich bei diesen 95% alles um wüste Agitatoren, gekauft von der Traditionalisten-Mischpoke, die auch noch modernophob ist. Besuchen Sie bloß nicht Veranstaltungen von denen, die sind voller Haß und Kälte.


    Also was soll das?


    Ich möchte hier nicht ständig dieses billige Trash-Niveau lesen. Man kann auch seriös für die sozialistische Gestaltung oder moderne Arrangements argumentieren. Ich finde es jedenfalls sehr erhellend, daß von Modernistenseite hier eigentlich nur Verleumdungen, politische Suggestionen und Geraune kommen. Ausnahmen gibt es freilich, mir fällt da im Moment nur Bato ein.


    Aber was schreibe ich hier überhaupt? Genauso läuft das ja auch bei der Pegida-Debatte ab. Ist wohl etwas naiv von mir. Die Leute mit den schlechten Argumenten, die bereits historisch widerlegt sind, greifen eben meist in die demagogische Trickkiste bzw. schlagen unter die Gürtellinie.


    Also, Leute, versucht mal ein halbwegs klares, sachliches Argument rauszukriegen. :)

  • Die Frage ist erst einmal, wer und wo sind diese erwähnten "Traditionalisten"? Wie so oft angesprochen, ein Großteil der Bevölkerung hat hin und wieder Lust auf das Erleben eines Altstadtensembles, was nicht zwingend die einzige Vorliebe sein muss. An einem anderen Tag kann die Stimmung mehr für eine aufregende Skyline sein - eine richtige Metropole bietet für jede Gelegenheit etwas. Im Berliner Zentrum ist das mit der Altstadt sehr rudimentär - es tröstet nicht, dass auch die Skyline für die Stadtgröße nicht allzu beeindruckend ist und die Kreativität mancher Kommunalpolitiker beim Erfinden Sonderabschöpfungsbesteuerungen für böhse Hochhauskapitalisten vermuten lässt, dass es länger so bleiben dürfte. Etwa Frankfurt - im WKII ebenfalls massivst zerstört - scheint in beide Richtungen schneller voranzukommen.


    Ich vermute, das Kunstbild eines "Traditionalisten", der sich kein anderes Bauwerk vorstellen kann, ist bloß eine Projektion des eigenen Weltbilds einiger Leute mit umgekehrtem Zeichen - wenn diese sich nämlich ein Bauwerk abseits eigener Vorlieben vorstellen könnten, gäbe es nicht soviel Lärm um die 75%-Reko eines einzigen Bauwerks (nicht mal vollständige Fassaden und anders als beim Warschauer Schloss wohl keine Original-Innenräume).

  • Die Frage ist erst einmal, wer und wo sind diese erwähnten "Traditionalisten"? .....


    Aus der Perspektive der Marktforscher wird das z.B. von Sigma und Sinus usw. aufgeschlüsselt und Produktvorlieben inklusive Architektur und Möbeln zugeordnet.


    Bei Sigma ist es auch schön bebildert.


    "Traditionelles bürgerliches Milieu"
    http://www.sigma-online.com/de…el_Buergerliches_Milieu/#


    "Etabliertes Milieu"
    http://www.sigma-online.com/de…many/Etabliertes_Milieu/#


    Im Gegensatz dazu stehen die anderen (Produkt)-Lebenswelten


    "Liberal-Intellektuelles Milieu"
    http://www.sigma-online.com/de…Intellektuelles_Milieu_/#


    "Postmodernes Milieu"
    http://www.sigma-online.com/de…ny/Postmodernes_Milieu_/#


    Übersichtsdarstellungen
    http://www.sigma-online.com/de…SIGMA_Milieus_in_Germany/
    http://www.sinus-institut.de/loesungen/sinus-milieus.html

  • Verschwindet doch bitte in die Lounge mit solchen Quatsch. Dafür ist die doch da. Warum müssen immer wieder die Architekturthreads mit sowas zugemüllt werden?


    Edit: Da nun alles am richtigen Platz ist, kann dies gelöscht werden. Danke fürs verschieben.

    2 Mal editiert, zuletzt von Lingster ()

  • Das ist alles andere als Quatsch denn Häuser, Wohnungen, Möbel sind natürlich auch Produkte für die es unterschiedliche Zielgruppen gibt.


    Das "Humboldtforum" wird quasi ans Volk als Kunde verkauft was das Problem aufwirft, dass das Volk keine homogene Zielgruppe bildet. Deswegen die unterschiedlichen Meinungen und der Konflikt über das Gebäude.

  • @Theseus
    Architektenkind


    Die Tatsache, daß Architekten in einem von der Öffentlichkeit propagierten Stil bauen, hat es doch zu allen Zeiten gegeben. Warum sollte es immer nur dann populistisch sein, wenn Medien & Öffentlichkeit einen Druck in Richtung der traditionellen Architektur entwickeln?


    In den 60er/70er Jahren hatte die moderne Architektur breite Akzeptanz in der Gesellschaft, weil es dem damaligen Zeitgeist entsprochen hat. Wenn ich nach eurem Muster argumentiere, dann müsste es auch populistisch gewesen sein, in den 70er Jahren im Stil der Moderne zu bauen.

  • ^ Hab' ich doch gar nicht gesagt, das nur Pro-Reko populistisch wäre. Heute ist das tendentiell so (nicht in allen Millieus, aber in den tonangebenden). Sonst gebe ich Dir aber völlig recht – es gibt einen völlig absurden Wahlwerbespot der SPD, der die Stadtautobahnen in Hannover als geradezu utopisches Versprechen von Wohlstand und Freiheit anpreist (leider nicht im Netz gefunden). Natürlich gab es auch damals schon kritische Stimmen, die es für keine gute Idee hielten, 100 Meter breite Schneisen durch ganze Stadtviertel zu brechen, um dort sechsspurige Rennstrecken auf Stelzen aufzubocken – aber der Zeitgeist war halt so, und folglich hat die Politik in diesem Sinne getrommelt. Kein Dissens, lieber Architektur-Fan.


    P.S.: Um einem Missverständnis vorzubeugen: Weder das Römer-Areal in Frankfurt noch die Reko-Projekte in Berlin richten einen auch nur annähernd vergleichbaren Schaden an wie die Stadtautobahnen in Hannover... ;)

  • Guten Abend


    Bezüglich der hier angekratzten Milieustudien sollten weniger Einteilungen in Marketingzielgruppen relevant sein, als die Milieus die von den Sozialwissenschaft untersucht werden. Die deutsche Milieuforschung hat sehr genau untersucht, in welcher städtebaulichen Umgebung jeweils welche Milieus wortwörtlich zuhause sind.


    Interessant ist hierbei, dass in zweckmäßigen und "modernen" Stadtvierteln überwiegend unpolitische materialistische und kleinbürgerliche Milieus verortet sind, während Altbauviertel bevorzugt vom Künstlermilieu, linksliberalem Milieu und Akademikern bewohnt werden aber auch für Studenten und nicht zuletzt Architekten die bevorzugte Wohnstätte darstellen.


    Hier besteht schon immer eine Schere zwischen dem, was die Intelligentia wortreich anpreist und beispielsweise tagsüber am Arbeitsplatz im Architekturbüro entwirft und dem welche Lebenswelten diese Menschen sich persönlich schaffen, wohin sie sich selbst zu Freizeit, Erholung und Muse zurückziehen.


    Letztlich stehen dahinter einmal mehr wirtschaftliche Interessen. Je simpler in der Masse gebaut wird, desto größere Margen können jene, die in Betongold (!) investieren, herausholen. Das war die ganze Motivation hinter der Industrialisierung der Architektur. Die Mütter und Väter des "Neuen Bauens" sollten die Wohnungsnot mit möglichst geringen Budgets beheben. Das wurde den Leuten natürlich versucht verkünstelt als Geniestreich zu verkaufen und viele glauben das Märchen des Kaisers neuer Kleider eben bis heute.


    Fantasievoll und ansehnlich zu bauen ist mit Aufwand und Kosten verbunden, natürlich. Ich gehe aber auch nicht in Fetzen auf die Straße und lebe auch nicht in einer kargen Klosterzelle. Dass man sich Dinge schön macht, ist eigentlich dem Menschen ureigen. Nur bei den Gebäuden in denen wir unseren Alltag verbringen und die wir Tag für Tag um uns herum betrachten müssen, während wir uns zwischen ihnen bewegen, hat man uns das irgendwie ausgetrieben und unsere Städte haben nur noch Fetzen am Leibe. Gut, dass auf der Museumsinsel Berlin wieder etwas Haute Couture zum Durchbruch verholfen wird.

  • @augustus: Vielleicht wird es langsam etwas abseitig, aber dass Kleinbürger in modernen Siedlungen leben und Kreative in Altbauquartieren, könnte auch etwas mit den in Richtung Stadtrand tendenziell abnehmenden Mietpreisen zu tun haben. Moderne Wohnhäuser im Berliner Zentrum (Hansaviertel, Leipziger Str, Karl-Liebknecht-Str, Rathauspassagen, Karl-Marx-Allee etc) werden von den Vertretern der "Intelligenzija" jedenfalls durchaus gerne besiedelt. Insofern ist der immer wieder geäußerte Vorwurf an Architekten, selbst im Altbau zu wohnen, anderen aber ein bedauernswertes Dasein in der schrecklichen modernen Architektur ohne jeden lebensnotwendigen Stuckzierrat zu verordnen, etwas pointiert.

    Einmal editiert, zuletzt von ulgemax ()

  • Guten Tag


    Ich äußerte hier auch keine Privatmeinung sondern die von den Müttern und Vätern der zeitgenössischen, reduzierten Architektur selbst geäußerten, sogar in Chartas niedergelegten, Ziele und Motive für diese Art des Neuen Bauens.


    Weiterhin bestätigt die Ausnahme die Regel. In jeder deutschen Großstadt entwickeln sich in Gründerzeit aus dem Boden gestampfte "Altbau"-Quartiere zu "Szenevierteln" und begehrten Wohnlagen, während die neuen Wohnsiedlungen, die ebenso uniform aus dem Boden gestampft wurden, aber nach einer ganz anderen Konzeption und Gestaltung, sich in aller Regel zu sozialen Brennpunkten und Gegenden, "aus denen man wegzieht, wenn man sich was besseres leisten kann", entwickelten. Die Menschen überstimmen vergeistigte Pamphlete der modernen Architektur mit ihren Umzugskartons.


    Auch die einst als günstige Mietskasernen der Gründerzeit gebauten Gebäude in Berlin erlebten doch ein enormes "Uptrading", welches bis heute anhält, während die konzeptionell wesentlich bewohnerfreundlicher geplanten Nachkriegswohnungsbauprojekte bereits in ihren Anfangsjahren ein rasantes "Downtrading" erleben mussten. Man muss also vom Scheitern der Nachkriegsarchitektur konzeptionell sowie ästhetisch sprechen, wenn man Dinge nicht nach ihren Motiven sondern nach ihren Ergebnissen beurteilt.


    Umso weniger will mir in den Kopf wie die Intelligentia (bewusst eingedeutscht, Danke für die subtile Korrektur ;)) unbeachtet jahrzehntelangen Scheiterns dieses Bauen immer noch als progressiv und modern, also positiv und zu bejahen, vertritt und das Bauen aus früheren Zeiten als rückschrittlich, abzulehnen, beschreibt. Wäre es so, dann wäre ich auch ein großer Fan von Plattenbau mit Abstandsgrün anstatt verstuckter Wohnungen mit Dielenboden.


    Aber wenn eine Idee auf ganzer Linie scheitert und konstant Ablehnung durch den Mainstream der Bürger erfährt, dann muss man daraus doch Schlüsse ziehen. Das hat man hier gemacht, indem man den miefigen Palast der Republik, der sich wie ein westdeutsches Kaufhaus aus den frühen 70ern mit großem Parkplatz davor ausmachte, nach der Asbestsanierung nicht wiederhergestelt hat, sondern diesen prominenten Ort der Bundeshauptstadt gefälliger und harmonischer gestaltet, durch einen Rückgriff zugegebenermaßen, was der Wirkung pragmatisch betrachtet aber nichts nehmen wird.


    Hauptstadt eines Staates zu sein bringt auch repräsentative Funktion und Verantwortung mit sich. Berlin wollte unbedingt Hauptstadt werden, dann muss es die Jogginghose eben auch an mancher Stelle durch Abendgarderobe austauschen. Der Bund bezahlt es doch eh, anderswo würde man sagen "einem geschenkten Gaul...".