Hier die Meinung der SZ:
Aber mit Dom-Blick
Sichtblockade: Die Diskussion um Hochhaus-Vorhaben in Köln
Kann eine Stadt, die ohnehin zu den unansehnlichsten der Republik gehört, dadurch noch unansehnlicher werden, dass man ihrer erratischen Silhouette ein paar Hochhäuser hinzufügt? Diese Diskussion wird in Köln seit Jahren geführt, und um deren eindimensionalen Verlauf zu begreifen, bedarf es lediglich des Hinweises auf die Existenz eines einzigen Bauwerks: die des Kölner Doms. Um den von der Unesco als Weltkulturerbe eingestuften Sakralbau dreht sich in Köln traditionell alles und jeder, man hat halt sonst nichts zum Aufschauen in der vom weitgehend missglückten Nachkriegswiederaufbau gezeichneten Stadt.
Seit bald zehn Jahren ist die Idee nun schon in der Welt, die verödete rechtsrheinische Seite Kölns mit einer Handvoll Hochhäuser um den Deutzer Bahnhof und die Messe wiederzubeleben. Doch eine städtebauliche Debatte darüber entstand erst, nachdem sich einer der Türme in der Planung immer höher in den Kölner Himmel zu schrauben begann und der lediglich mit einer Teilgenehmigung ausgestattete Bauherr, eine Tochter des Landschaftsverbands Rheinland (LVR), bereits am Fundament des nunmehr auf 103 Meter projektierten Hauses herumbetonierte. Die Unesco drohte darauf in den letzten Monaten immer offener mit dem Entzug des Weltkulturerbe-Status des Doms, da durch den gleich auf der anderen Rheinseite liegenden Neubau künftig der visuelle Eindruck der Kirche beeinträchtigt werde. Weil die in Köln regierende schwarz-grüne Koalition seither uneins blieb über die Genehmigung des Weiterbaus und sich als Fluchtweg erst einmal für den Herbst eine Fachtagung zum Thema einfallen ließ, stoppte der LVR die Bauarbeiten an seinem Hundertmeter-Turm.
Nun hat sich auch der nordrhein-westfälische Städtebau- und Kulturminister Michael Vesper in die Diskussion eingeschaltet: Er ermahnte die Kölner, die Warnungen der Unesco ernst zu nehmen, und forderte die örtlich Verantwortlichen zugleich auf, einen städtebaulichen Masterplan für Köln zu entwickeln. Bezeichnend an dieser Einlassung ist, dass Vesper sich damit nahtlos in die Riege der Kirchturmgucker einreiht. Dass eine Großstadt wie Köln bislang glaubte, ohne ein städteplanerisches Gesamtkonzept auszukommen, mag zwar verwundern, ist aber ein seit Jahren bekanntes Defizit. Die Position der Unesco in der Causa aber einmal zu hinterfragen, ist auch Vesper nicht in den Sinn gekommen. Was für die Erhaltung größerer historischer Ensembles oder Quartiere unersetzlich sein mag, nämlich die Wahrung deren baulicher Kontexte, hat bei einem Einzelbauwerk wie dem Kölner Dom unabsehbare Folgen für eine ganze Stadt: Ihre Silhouette wäre gemäß der Unesco-Vorstellungen selbst weit unter dem Dom-Niveau auf ewig unantastbar. Ob die Hochhäuser städteplanerisch Sinn machten oder nicht, architektonisch wertvoll sein würden oder nicht, Nutzer fänden oder nicht, das alles scheint egal. Hauptsache, man sieht von jedem Winkel der Stadt aus den Dom. Die Kölner könnten irgendwann missmutig auf seine Türme schauen.
DIRK PEITZ