Dresden: Kulturhistorisches Zentrum - Residenzkomplex

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    Aber ich bin auch immer wieder enttäuscht (und ich habe außer mir tatsächlich noch niemanden gehört oder gelesen, der ebenso denkt), dass Semper einen wuchtigen Galeriebau im Stile der Neorenaissance an den Zwingerhof angebaut hat, anstatt ihn stilsicher mit einem sensibleren, feineren, barocken Galeriebau zu vollenden. ...

    Auch Semperoper, Augustusbrücke und Terrassenufer werden doch als "barock" vermarktet. Keinen stört das.

  • Auch Semperoper, Augustusbrücke und Terrassenufer werden doch als "barock" vermarktet.

    Ist das so? Das wäre mir neu. Von wem und wo denn?


    Die Augustusbrücke lehnt sich gestalterisch eng an den barocken Vorgänger von Pöppelmann an, neobarock könnte man sie wohl nennen. Das Terrassenufer ist eine Straße mit Schiffsanleger und wird als solche wohl eher nicht beworben, höchstens als Veranstaltungsfläche. Was du vielleicht meinst, ist die Brühlsche Terrasse, die durch den Grafen Brühl ihren Charakter von einer Festungsanlage hin zu einem Vorplatz repräsentativer Bauten erhielt. Heute stark durch Ergänzungen und Architekturen des 19. Jh. geprägt, bildet sie doch seit dem Barock die Bühne für die Dresdner Silhouette und deren barocke Dominanten (Frauenkirche, Hausmannsturm, Hofkirche).


    Dass Dresden als Barockstadt bezeichnet wird, obwohl die Blüte dieser Epoche nur verhältnismäßig kurz währte, stört mich jedenfalls nicht, denn es war die kulturelle Hochzeit der Stadt, von der wir noch heute zehren.


    Im 19. Jahrhundert ist man mit diesem reichen Erbe vielfach nicht besonders verantwortungsvoll umgegangen. Man konnte natürlich auch, anders als wir heute, aus dem Vollen schöpfen, da vieles, das meiste, noch erhalten war. Also hat man zum Beispiel die Brühlschen Herrlichkeiten auf der Brühlschen Terrasse abgerissen. Leider! Insofern können wir dankbar sein, dass der Zwinger verschont blieb und durch die Sempergalerie eine damals moderne Erweiterung und Nutzung erhielt. Ob diese Erweiterung architektonisch sensibel und gelungen ist, ist eine davon unabhängige Bewertung. Und ob jeder Tourist das erkennt oder die Galerie oder die Semperoper "barock" nennt, ist für uns Architekturinteressierte ja wohl erst recht nicht relevant.

  • Die Semperoper ist definitiv im Neorenaissance-Stil gehalten. Habe noch nie gehört, dass irgendwer sie als barock bezeichnet hat oder sie als das vermarktet hat.

  • Ein sehr interessanter Vortrag von Dr. Hartmut Olbrich, verantwortlicher Archäologe im Rahmen der Zwinger-Sanierung, konnte heute im Rahmen des empfehlenswerten Donnerstagsforums in der Frauenkirche genossen werden.


    Drei Erkenntnisse möchte ich herausgreifen.


    Der hervorragend dokumentierte Grottensaal mit 14.500 erhaltenen Fragmenten und einer überlieferten Farbigkeit könnte problemlos und so nahe am Original wie kaum ein anderer Raum in Dresden rekonstruiert werden. Erhalten ist sogar noch die Holzdecke, auf welcher der Stuck einst angebracht war. Der Gereraldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen, Martin Roth, wollte die Wiederherstellung "unbedingt" und rechnete mit 200.000 zusätzlichen Besuchern des Zwingers. Dann ging er nach London und es folgte Marion Ackermann. Man darf gespannt sein, wer nun ihre Nachfolge antritt und welche Auswirkungen eine neue Führung hat.


    Berichtet wurde auch, dass nur aufgrund eines unauffälligen Zufallsfundes unterhalb eines der Wasserbecken überhaupt eine archäologische Untersuchung unternommen wurde. Man ging ursprünglich davon aus, überhaupt keine Überreste früherer Zustände finden zu können, da bei der, nunja, Restaurierung der 1920er-Jahre unter Ermisch sehr viel Boden abgetragen wurde. Aber noch tiefer liegend fand man nicht nur Umrisse alter Wasserleitungen, Wasserbecken und Beete, sondern auch viele Fragmente barocker Figuren, wie Köpfe, Gliedmaßen und ähnliches. Ermisch hatte, nachdem er sie kopieren und zahlreicher als zuvor aufstellen ließ, die alten Figuren zerhacken lassen und als Schutt in den Boden einbringen lassen. Noch tiefer als die Archäologen diesmal graben konnten, liegen noch Überreste der ersten Dresdner Vorstädte.


    Hubert Ermisch dachte sich auch den roten Belag im Hof aus, der aktuell wiederhergestellt wird, weil die Denkmalpflege diese Zeitschicht bevorzugt. Die Farbigkeit der Bauzeit war nachgewiesen eine andere. Schon in den 1920ern gab es Kritik am Ermischen Rot und ein Kunsthistoriker, dessen Namen ich leider nicht notiert habe, entdeckte bei Recherchen, dass es in Stichen der Barockzeit Farcodes gibt, ähnlich wie in der Heraldik. Gepunktete, gestrichelte Flächen etc. stehen für bestimmte Farben. Olbrich hat dies mit französischen Stichen abgeglichen und damit belegt, dass der Zwingerhof früher so aussah (und heute wieder aussehen sollte):


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    Im oberen Bereich ein früherer Zustand um 1713, unten die Planung um 1720. Das deckt sich auch mit barocken Gartengestaltungen in ganz Europa.

  • ^ ja, das war echt toll. Dr. Olbrich ist ein wahrer Fachexperte, der die Dinge zudem gut zu erklären vermag.

    Die unter Ermisch zerkloppten Originale hat man ja untertage gefunden und sie in Gruppen A bis C eingeteilt, wobei B+C wieder eingebaut wurden.

    Die Gruppe A, also die besterhaltenen und aussagekräftigsten Stücke, lagern nun in der Zwingerbauhütten-Werkstatt im Packhof, wo auch viel anderes rumliegt.

    Das Buchprojekt über Zwinger und Zwingerhof soll in 1,5 Jahren erscheinen, der SIB wird das finanzieren (müssen), ggf kommt es parallel auch in Heftform.



    Zwingerhof - Beifangupdate

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    Nebelbonus

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    alle fotos elli kny

  • Die unter Ermisch zerkloppten Originale hat man ja untertage gefunden und sie in Gruppen A bis C eingeteilt, wobei B+C wieder eingebaut wurden.

    "Wieder eingebaut" klingt nett. Ich habe es so verstanden, dass sie nun wieder im Zwingerhof vergraben wurden. Diese Kategorien wurden für Fragmente vergeben, die amorph und nicht zuzuordnen waren. Das Vorgehen finde ich dennoch befremdlich, spätere Methoden könnten auch daraus Erkenntnisse gewinnen. Andererseits lagert es unter der Erde ja auch irgendwie sicher.

  • ^ Tja, im Erdbau wie auch im Strassenbau sagt man "eingebaut", wenn man eine Schichtdicke oder wie hier eine Decklage (wieder) einbringt, also "eingräbt".

    Ich habe das Wörtchen "Decklage" weggelassen, damit der Satz schlicht keinen Zeilenumbruch benötigt. Man sollte also nicht immergleich Wortklauberei betreiben, wenn die Dinge ohnehin klar sind. Ermischs ruppiges Vorgehen damals war mir in diesem Punkt auch neu, und natürlich ist sowas aus heutiger Sicht gehörig befremdlich. Ob man aus den B+C-Bruchresten generell noch relevante Erkenntnisse ziehen kann, mag ich mal bezweifeln. Die Objekte waren ja geborgen und wurden begutachtet, ferner steht die A-Gruppe zur Verfügung. Ich mutmaße mal, daß selbst Dr. Olbrich keine ernsthafte generierbare Erkenntnisausbeute erkennen würde. Da müßte man ihn selbst fragen, vielleicht mißfiel ihm gar die erneute Vergrabung, aber das ist wenig anzunehmen, war er doch - wie ich's verstand - der wohl wichtigste Sachverständige, welcher die Abläufe mitzubestimmen hatte, mal abgesehen von den standfesten Denkmalschützern hier in ihrem heiligen Bezirk.

  • Zwinger von innen angeleuchtet


    Von aussen sah man abends, daß im Zwinger die Fassaden angestahlt sind. Ob es sich schon um Lichttests der "dezenten Illuminierung" handelt?

    Nein, es ist nur die Baustellen-Absicherungsbeleuchtung, allerdings vermittelt es in Fotos gut den Eindruck, den eine Beleuchtung der Fassaden brächte.

    Ich bin sehr für eine Illumination und hoffe, dass es im Zuge der Hofumgestaltung zureichend umgesetzt wird.

    Ich meine, im Vortrag von Dr.Ulbrich kam das kurz zur Sprache, habe aber den aktuellen Sachstand vergessen.


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    Bild: https://i.postimg.cc/T150dVLk/P1260478.jpg   Bild: https://i.postimg.cc/G3Bn86vf/P1260482.jpg   Bild: https://i.postimg.cc/DyqD1h0x/P1260486.jpg


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    weitere Bilder: Nymphenbad und Französischer Pavillon

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    Theaterplatz und Oper

    Bild: https://i.postimg.cc/fbW6wPwB/P1260483.jpg   Bild: https://i.postimg.cc/vZhNSvW9/P1260487.jpg   Bild: https://i.postimg.cc/bvvBX2T5/P1260488.jpg

    alle fotos elli kny

  • Während im Stadtbild-Forum neue Fotos der Schlosskapelle gezeigt werden und die Hiobsbotschaft verbreitet wird, dass die Visualisierung auf dem Bauschild offenbar ernst gemeint ist (Altarbereich ohne Altar, Sängerempore ohne Säulen, Wiederkehr der Orgel unklar usw. usf.) ....


    https://www.stadtbild-deutschl…&postID=450417#post450417


    ... wird berichtet, dass Dr. Bernd Ebert - bisher für holländische und deutsche Barockmalerei an der Alten Pinakothek München zuständig - neuer Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden werden soll.


    https://www.mdr.de/nachrichten…mann-kultur-news-100.html


    Mein erster Eindruck ist positiv, aber ich weiß nichts über ihn und nichts darüber, wie er sein bisheriges Haus geführt hat. Für die Zielgerade bei der baulichen Wiederherstellung des Residenzschlosses, aber auch dem Zwinger, kann seine Direktion sehr wichtig sein.


    Einen kleinen Eindruck von ihm kann man in folgendem Audiocast erhalten:

    Dr. Bernd Ebert und Dr. Alexander Kunkel x Munich HIGHLIGHTS 18: Rachel Ruysch - NATURE INTO ART ... - YouTube


    Wie groß sein Einfluss auf o. g. Entscheidungen in Dresden (noch) sein kann, kann ich nicht beurteilen. Ich hoffe das Beste. Ein Raum, der Heinrich Schütz gut genug war, sollte auch uns recht sein. Multifunktionale Räume dieser Größe, säulenfrei und ohne Altar, gibt es in Dresden dutzende. Eine Schütz-Kapelle gibt es jedoch weltweit nur einmal. Für Aufführungen im Geiste der Schütz-Zeit ist dieser Raum einzigartig.


    Ein zweckmäßiger, von Geschichte bereinigter Raum wird weder dem Residenzschloss insgesamt, noch der musikgeschichtlichen Bedeutung und künftigen Nutzung, noch dem in den letzten Jahrzehnten in der Kapelle Geleisteten gerecht.

    Einmal editiert, zuletzt von Ziegel ()

  • Mein erster Eindruck ist positiv, aber ich weiß nichts über ihn und nichts darüber, wie er sein bisheriges Haus geführt hat.

    Geführt hat er seit 2013 eines der fünf Referate (Sammlungen) der Alten Pinakothek, in seinen Verantwortungsbereich fielen damit auch die Staatsgalerien Bayreuth und Bamberg. Auf jeden Fall ein beachtlicher Karrieresprung, nun zum Generaldirektor berufen worden zu sein.

    Vielleicht kennst du es bereits:

    https://www.codart.nl/guide/curators/bernd-ebert/ und daraus insb. Curator in the Spotlight: Bernd Ebert (April 2024)

  • Noch ist er nicht endgültig berufen, aber es wäre eine sensationelle Düpierung, wenn er nicht bestätigt würde. So etwas wird ja vorab abgesprochen.


    Ich habe mich auch gefragt, wieso die Wahl gerade auf ihn gefallen ist. Bisher schien er ja eher als Spezialist unterwegs gewesen zu sein, während für den Posten ein Generalist nötig ist. Mein wohlwollender erster Eindruck basiert neben meinem grundsätzlich positiven Menschenbild auf der sensiblen, zurückhaltenden Art seines Vortrags (und dass er selbst mal Künstler werden wollte). Nunja, allerdings muss man sich als Generaldirektor auch bei weniger feingeistigen Menschen durchsetzen können. Andererseits haben sich die SKD unter Marion Ackermann für meinen Geschmack manchmal zu oft durchgesetzt. 😁