Leipzig: Stadtumbau in den Großwohnsiedlungen Grünau u. Paunsdorf
Möglicherweise ausgelöst oder angewärmt durch die Kontroversen um die geplante Stilllegung von 150 Wohnungen in der Breisgaustraße 67 bis 73 durch die Wohnungsgenossenschaft Transport (Wogetra) - http://www.dafmap.de/d/lhal.html?id=1398&mt=4&zoom=16 - kommt offenbar gerade eine grundsätzliche Debatte über die Zukunft der Leipziger Großwohnsiedlungen bzw. in erster Linie über Grünau in Fahrt. Aus den anderen Plattenbausiedlungen in Paunsdorf, Schönefeld, Mockau, Lößnig und Möckern ist zur Zeit wenig zu hören, aber auch das kann sich ändern.
Plattenbauten in Leipzig: http://de.wikipedia.org/wiki/Plattenbauten_in_Leipzig
Die L-IZ nahm das Thema Anfang Dezember auf:
02.12.2012
Grünau zwischen Stärkung und Stilllegung: Streit um Breisgaustraße und Perspektiven in Schönau
Gernot Borriss
http://www.l-iz.de/Politik/Bre…nd-Stilllegung-45165.html
Heute bringt die LVZ den Leitartikel auf der ersten Seite zum Thema "Abrisswelle in Leipzig-Grünau: Weitere 5000 Wohnungen sollen weg. Rückbau beginnt im nächsten Frühjahr / Start für neue LVZ-Serie über Leipziger Gegensätze" und widmet im Lokalteil eine ganze Seite (19) dem Thema.
Ich würde das Thema gern außerhalb des Bauerbe- bzw. Wohnungsbau-Threads diskutieren, aber vornehmlich konkret an den Leipziger Bauten und nicht (wieder) grundsätzlich über Plattenbauten im Osten und der Welt.
Die LVZ nimmt als Aufhänger für ihren heutigen Leitartikel, dass sie im Juni 2002 für ihre Warum?-Serie, die sich auch der damaligen Stadtentwicklungspolitik in Grünau widmete, den Lokaljournalistenpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung erhalten hatte. "Zehn Jahre danach gehen Reporter unserer Zeitung Leipziger Gegensätzen erneut auf den Grund, kehren an die Schauplätze von damals zurück." In der heutigen Folge 1 geht es wieder um Grünau.
Jens Rometsch und Dominic Welters thematisieren den auch hier im Forum schon bemerkten Widerspruch, dass Leipzig einerseits Einwohner_innen gewinnt, andererseits aber ein Entwicklungskonzept der Stadtverwaltung vorsieht, in Grünau bis 2020 noch einmal 5000 Wohnungen abzureißen. Dies begründet Baubürgermeister Martin zur Nedden (SPD) damit, dass sich der positive Trend bei Leipzigs Einwohnerzahl leider nicht auf den mit 40000 Menschen nach wie vor größten Stadtteil niederschlagen würde.
Im Frühjahr 2013 soll der Umbau des Wohnkomplexes (WK) 5.1 nahe der Schönauer Lachen beginnen, dazu mehr im zweiten Beitrag.
Abschließend werden noch einmal harte Zahlen genannt. Die erste Abrisswelle setzte kurz nach Veröffentlichung der ersten Warum?-Serie im Juni 2002 ein. Auch auf der Seite 19 im Lokalteil werden "Zahlen & Fakten" genannt, die als Grundlage für die (hoffentlich) kommenden Diskussionen hier ebenfalls aufgeführt werden sollen:
- 1. Juni 1976: Grundsteinlegung durch den damaligen SED-Bürgermeister Karl Müller
- Geplant war eine sozialistische Großsiedlung für maximal 100.000 Menschen.
- September 1977: Inbetriebnahme der S-Bahn-Strecke bis zur Grünauer Allee
- 1983: Erweiterung bis zur Miltitzer Allee.
- ab 3. Juni 1984: Züge fuhren durchgängig vom Leipziger Hauptbahnhof bis nach Grünau.
- Bis zum Bauende 1987 entstanden rund 36.000 Wohnungen. Grünau war nach Halle-Neustadt die zweitgrößte Plattenbausiedlung der DDR
- 1990 lebten hier 85.000 Menschen
- 1995 Eröffnung des PEP-Einkaufszentrums an der Lützner Straße
- 1996 des Allee-Centers mit einem Kino
- 1999 öffnete das Schwimmbad "Grünauer Welle"
- 2001 entstand der Kletterfelsen K4
- 2001 lebten noch 61.000 Menschen in Grünau, die Leerstandsquote betrug 26,7 Prozent.
- Von 2002 bis 2008 wurden im Zuge des Programms "Stadtumbau Ost" rund 7000 intakte Wohnungen "zurückgebaut".
- 11 der 16 Hochhäuser wurden abgerissen, da zum einen ihre Sanierung viel mehr gekostet hätte als bei kleineren Gebäuden und zum anderen alle 16-Geschosser dem kommunalen Wohnungsunternehmen LWB gehörten, das durch die Stadt zum Abriss verpflichtet werden konnte.
- 2009 Eröffnung von Deutschlands modernster Skaterhalle "Heizwerk" in der Alten Salzstraße
- 2010 zog das Theater "Theatrium" an seinen neuen Standort im WK 2
- Trotz Einwohnerschwund ist Grünau noch immer der größte Stadtteil Leipzigs. Heute leben hier (ohne Lausen und Miltitz) rund 40.000 Menschen.
- Die Leerstandsquote liegt derzeit bei 17,6 Prozent.
- Bis 2020 soll der Wert bei zehn Prozent liegen.
- Das Durchschnittsalter in Grünau ist höher als in Leipzig insgesamt.
- Am höchsten ist es mit 59 Jahren in Grünau-Ost, dem zuerst gebauten Teil der Großsiedlung.
Sowohl auf Seite 1 als auch Seite 19 wird Baubürgermeister Martin zur Nedden (SPD) mit den gleichen Sätzen zitiert: "Wir haben zwar kaum noch Wegzüge aus Grünau, dafür aber das Problem des hohen Durchschnittsalters und dass es keine Zuzüge gibt." Er konstatiert, dass der beträchtliche Einwohnerzuwachs, den Leipzig seit mehreren Jahren erzielt, in Grünau einfach nicht ankomme. Auf die Frage nach den Gründen antwortet er: "Offenbar werden andere Stadtteile bevorzugt. In Leipzig stehen noch immer 25000 Wohnungen leer. Deshalb versuchen wir, bei der Vorbereitung neuer Baugebiete in anderen Stadtteilen nichts zu übereilen. Um keine neuen Leerstände zu produzieren."
Ganz nebenbei: Ich finde es bemerkenswert, wie schnell sich doch die Leerstandzahlen ändern. 25.000 Wohnungen - im Februar waren es noch 34.000 (zum Ende 2010) und auf Nachfrage bei zur Nedden selbst am 11. September 27.000 bis 30.000 aktuell leerstehende Wohnungen in Leipzig ( http://www.deutsches-architekt…d.php?p=352657#post352657 ).
In Grünau sollen laut einer städtischen "Entwicklungsstrategie" bis zum Jahr 2020 noch einmal 5000 bis 6000 Wohnungen abgerissen werden. Dann läge der Leerstand bei zehn Prozent. Dies sei Größe, die den Hausbesitzern eine "nachhaltige Bestandsbewirtschaftung" ermöglichen würde. Die Eigentümer, überwiegend Genossenschaften und die LWB, müssten aus den Verlustzonen raus, um in neue Wohnformen zu investieren, die junge Familien anziehen. Zur Nedden betont, die Kommune habe "nicht den Ehrgeiz, dass alle wie wild abreißen".
Bei einem Einwohner_innenforum, das kürzlich im Freizeittreff "Die Völle" stattfand, hieß es, dass trotz der gepanten Abrisse für Geringverdiener dann immer noch genügend Häuser dauerhaft zur Verfügung stünden.
Anschließend kommt in der LVZ Antje Kowski zu Wort, die Chefin des Quartiersmanagements und "selbst ein Grünauer Kind". Sie meinte, Leipzigs erstes und größtes Plattenbaugebiet habe nach der Wende "mehrfach Pech gehabt". Viele Menschen, die mit dem Zusammenbruch der Industriebetriebe in Plagwitz und Lindenau ihre Arbeit verloren hatten, seien als erste weggezogen. Danach folgten "die Erfolgreichen, die sich eine Eigentumswohnung oder ein Häuschen leisten konnten".
Genau in der Zeit, in der sich Leipzig von einer schrumpfenden in eine wachsende Stadt verwandelte, hatte im äußersten Westen extreme Verunsicherung wegen des Abrissprogramms geherrscht. "Geblieben sind eigentlich nur die, die wirklich hier leben wollen." Wer heute nach Grünau zieht, der bekomme von den Wohnungsunternehmen aber klar gesagt, ob das Haus in einem geschützten "Kernbereich" steht oder im "Stadtumbaugürtel". Selbst im Gürtel bestehe für sanierte Häuser keine Gefahr.
Sie sei erfreut, dass mittlerweile öfter junge Leute, die in Grünau aufwuchsen, später jedoch wegen der Arbeit in ferne Bundesländer zogen, wieder zurückkehren. "Natürlich gibt es das Überalterungsproblem, aber wir haben auch 9000 Einwohner unter 27 Jahren", erklärt sie. "Vor gar nicht langer Zeit gab es bei den Kindertagesstätten noch eine Überkapazität von 158 Prozent, wurde auch da schon über Abbruch nachgedacht." Mittlerweile hätten aber auch in Grünau lebenden Mütter [und Väter] einige Schwierigkeiten, einen Krippenplatz zu bekommen. "Bei Kindergartenplätzen, Schulen, Vereinen oder Sporteinrichtungen sind Auswahl und Angebot bei uns weiter am besten."
Abschließend kommt Rainer Löhnert, Vorstand von Leipzigs größter Wohnungsgenossenschaft Kontakt, zu Wort. Auch er sieht hoffnungsvolle Anzeichen, etwa die Entwicklung des Lindenauer Hafens zu einem zweiten Erholungsgebiet neben dem Kulkwitzer See. Oder dass die S-Bahn- Linie 1, die in Grünau gleich vier Stationen zählt, ab Ende 2013 durch den City-Tunnel fahren wird. "Wäre Grünau untergegangen, hätten auch wir nicht überlebt. Die Kontakt hat dort seit der Wende 81 Millionen Euro investiert. Und wir setzen das fort." Ebenso wie zur Nedden meint er, es sei entscheidend für die Zukunft, ob es gelinge, mehr junge Familien anzulocken. "Die wünschen sich andere Wohnformen", sagt er. So seien 14 Prozent der Quartiere Ein-Raum-Wohnungen, die nicht mal zu den Hartz-IV-Sätzen passten. "Wenn man zwei Nachbareinheiten zusammenlegt und clever schneidet, könnte daraus was Gutes werden."